Ernst Henrich |
"Ich bin der älteste Wahlhelfer nördlich der Alpen“, sagt Ernst Henrich und lacht. Während so mancher 16-jährige Jungwähler vielleicht darüber nachdenkt, ob er nun morgen zur Oberbürgermeister-Wahl gehen soll oder nicht, ist das für den 86-jährigen Henrich noch nie eine Frage gewesen. „Eine Demokratie funktioniert nur dann, wenn sie von urteilsfähigen und urteilswilligen Menschen getragen wird“, betont der pensionierte Polizeidirektor.
Auch wenn er sich als zur politischen Neutralität verpflichteter Beamter nie um ein politisches Amt bemüht hat, wollte der politisch interessierte Staatsbürger „doch immer einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Demokratie funktioniert und stabil bleibt.“ Deshalb bewarb er sich vor 50 Jahren erstmals als Wahlhelfer. Damals war Heinrich Thöne noch Oberbürgermeister und Ludwig Erhard Bundeskanzler. Seine erste Wahl erlebte er noch als Beisitzer. Doch schon im Wahljahr 1969, in dem Heinz Hager Oberbürgermeister und Willy Brandt Bundeskanzler wurden, übernahm Henrich das Ehrenamt des Wahlvorsteher.
Seine ersten Wahlen erlebte er im Krug zur Heimaterde. Doch seit etwa 40 Jahren ist die Gustav-Heinemann-Schule an der Boverstraße als Wähler und Wahlvorstand sein Wahl-Stammlokal. Hier ist er mit einem Stellvertreter, einem Schriftführer und fünf Beisitzern dafür verantwortlich, dass die Stimmen des Winkhauser Wahlbezirks 122 korrekt ausgezählt werden. Seine Mitstreiter an der Wahlurne mögen wechseln. Henrich bleibt. „Der Mann erfreut sich Gott sei Dank bester Gesundheit“, freut sich Wahlamtsleiter Dirk Klever über seinen dienstältesten Wahlhelfer.
Hat er in 50 Wahlhelfer-Jahren schon mal etwas Kurioses erlebt? Henrich schüttelt den Kopf. Und dann fällt ihm doch der Ehemann ein, den er zur Ordnung rufen musste, weil er seiner Frau in der Nebenkabine partout vorschreiben wollte, wen oder was sie zu wählen habe. Und auch die alte Dame, die ihre Lesebrille vergessen hatte und ihn deshalb bat, ihr alle Kandidaten und Parteien vorzulesen, ehe sie ihm durch ein Kopfnicken deutlich machte, wo er für sie das Wahlkreuz machen solle. Die junge Dame, die einmal fünf Minuten nach Schließung des Wahllokals ihre Stimme abgeben wollte, ließ er ebenso zu ihrem staatsbürgerlichen Recht kommen, wie den Mann, der fünf Minuten vor Öffnung des Wahllokals seine Stimme abgeben wollte, „weil er an diesem Sonntag unbedingt einen frühen Zug nach Münster erreichen musste.“
„Wer bin ich, dass ich jemanden das ihm zustehende Wahlrecht verwehre?“ sagt Henrich. Und mit einem Augenzwinkern fügt der Nestor der Mülheimer Wahlhelfer hinzu: „Unter meinem Wahlvorstand hatten wir Gott sei Dank noch nie zu viele oder zu wenige Stimmen.“ Er weiß, dass man sich gerade bei Bundestagswahlen mit ihren zwei Stimmen und der Möglichkeit des Stimmensplitting schneller verzählen und verrechnen kann, als einem lieb ist.
Die OB-Wahl wird dagegen eine leichte Angelegenheit“, betont der Wahlvorsteher mit Blick auf einen Wahlzettel, auf dem man nur ein Kreuz machen kann. „Hoffentlich wird es am Sonntag nur nicht zu ruhig“, sagt Henrich mit Blick auf die ungewisse Wahlbeteiligung. Er selbst kennt noch die Zeiten, als Wähler auch mal Schlange standen, um ihre Stimme abgeben zu können, aber auch die Zeiten, in denen die Deutschen keine Wahl hatten.
Dieser Text erschien am 12. September 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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