Montag, 30. September 2019

Eine Erinnerung an Gerhard Tersteegen

Mit einem gutbesuchten Vortrag in der Buchhandlung am Löhberg  hat der evangelische Theologe Ulrich Kellermann an den pietistischen Prediger, Schriftsteller, Naturheilkundler und Menschenfreund Gerhard Tersteegen erinnert.
Kellermanns Vortrag machte deutlich, dass die christlichen Kirchen auch zu Tersteegens aufklärerischen Lebzeiten (1697-1769) im kritischen Fokus der Öffentlichkeit standen und der religiöse Autodidakt Tersteegen mit seinen mehr als eineinhalbstündigen Predigten mehrere 100 Zuhörer, abseits der Gottesdienste in der benachbarten Petrikirche anzog. "Tersteegen war der erste, der auch Waldgottesdienste abhielt", sagte Kellermann mit Blick auf die theologischen Teegespräche und Andachten, die Tersteegen im Witthausbusch abhielt. Dort erinnert seit 1903 ein Gedenkstein an den pietistischen Kirchenkritiker, dessen 1729 gedichtetes Lied: "Ich bete an die Macht der Liebe", seit 1838 Bestandteil des militärischen Zapfenstreichs ist.
Kellermanns anschaulicher Bildvortrag zeigte, dass Tersteegen mit seinem frommen und spirituell inspirierenden Individualismus, der theologische Dogmatik und konfessionelle Spaltung ablehnt, auch heute Menschen etwas zu sagen hat. Auch dessen gelebte christliche Nächstenliebe in Form von kostenfreien naturmedizinischen Behandlungen, Armenspeisungen und Geldzuwendungen für Bedürftige berühren uns auch heute.

Ungewolltes Andenken

Ironie der Geschichte: Tersteegen selbst wollte nicht in Erinnerung bleiben, bleib es aber aufgrund von biografischen Aufzeichnungen seiner Anhänger und auch dank eines erstmals 1838 an der Petrikirche aufgestellten Gedenksteins, der just in diesem Jahr nach einem langen Schattendasein hinter der Petrikirche etwa an der Stelle vor der Petrikirche aufgestellt worden ist, wo Tersteegen drei Tage nach seinem Tod am 6. April 1769 bestattet worden sein muss. Seine genaue Grabstelle ist nicht bekannt, da die Grabsteine des alten Kirchhofes an der Petrikirche nach der Einrichtung des ersten Mülheimer Friedhofes 1812 an der Dimbeck abgeräumt worden waren.
Während die an den Altstadtfriedhof grenzende Tersteegenstraße bis heute an den Poeten des Glaubens erinnern, der mit einer seiner Denkschriften sogar Friedrich den Großen ("Das können die Stillen im Lande?!") beeindruckte, ging eine an der dortigen Friedhofsmauer angebrachte Gedenktafel 1951 bei Bauarbeiten verloren.

Biografischer Bruch

Verloren ging auch das 1892 eröffnete Ausflugslokal Tersteegenruh, in dem auch Teersteegens Anhänger ihre Konferenzen abhielten, ehe es 1943 ein Opfer der Bomben des 2. Weltkrieges wurde. 
Biograf Kellermann ließ in seinem Vortrag auch Tersteegens biografische Brüche nicht unerwähnt. Dass er, obwohl ein hochbegabter Schüler, nach dem frühen Tod des Vaters Henricus, die Lateinschule in seiner damals niederländischen Heimatstadt Moers nicht weiter habe besuchen und später Theologie studieren könne, habe Tersteegen seiner Mutter Maria nie verziehen.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die von ihm ungewollte Kaufmannslehre bei seinem Onkel Mathias Brink und die anschließende Kaufmannstätigkeit als Band- und Seidenwirker an der Althofstraße machten Gerhard Tersteegen 1712 zum Mülheimer. Gönner und Förderer wie Wilhelm Hoffmann ermöglichten es dem zeitlebens kränkelnden Tersteegen dann aber doch noch nach der Aufgabe seiner Geschäftstätigkeit 1719 seiner geistlichen Berufung zu folgen. Sie kam unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass sich Tersteegen erstmals am Gründonnerstag 1724 in einem mit seinem Blut verfassten Brief dem Jesus von Nazareth verschrieb, über den er 1729 in seinem "Geistlichen Blumengärtlein" dichten sollte: "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus Christus offenbart." Nicht nur diese Gedichtzeilen haben als geistliches Lied zurecht Eingang in die christlichen Gesangbücher gefunden.
Kellermann zeigte in seiner Rückschau auf das Leben Tersteegens auf, dass er nicht nur in seinem Haus, das er zusammen mit anderen Hausgenossen ab 1746 an der Teinerstraße bewohnte, sondern durch seine Reisen und Predigten auch im Bergischen Land und in den Niederlanden wirkte und Anhänger fand, mit deren Hilfe er nicht nur soziale Wohltaten finanzieren,- sondern auch immer wieder (vor allem in Amsterdam) neue theologische Literatur studieren und beschaffen konnte. Bemerkenswert auch, dass Tersteegens Predigten und Schriften rasch auch in Skandinavien und in der Neuen Welt durch religiöse Freigeister aufgegriffen und verbreitet wurden.
Dieser Text ersxchien am 29. September 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Sonntag, 29. September 2019

Der Klebstoff der Demokratie

Demokratie braucht eine ganze Menge. Das stellte jetzt eine Mülheimerin fest als sie ihre Stimme für den Bürgerentscheid zum Standort der Heinrich Töne Volkshochschule im Briefwahllokal des Rathauses abgab. Sie wusste wofür sie stimmte und sie hatte auch einen Stift dabei um, um ihr Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen. Was ihr allerdings in ihrer Wahlkabine fehlte, waren ein Klebestift oder ein feuchtes Schwämmchen mit dessen Hilfe sie ihren Wahlbrief hätte verschließen können. Natürlich hätte sie als Staatsbürgerin der Tat nach guter alter Väter und Mütter Sitte die Sache auch mit ein bisschen Spucke regeln können. Aber das war ihr dann doch etwas zu viel des Körpereinsatzes. Schon befürchtete sie, dass ihre Stimme ungültig werden könne, wenn sie den Briefumschlag mit ihrem Stimmzettel unverschlossen in die Wahlurne werfen würde. Die Mitarbeiterin des Wahlamtes erkannte ihr Unbehagen und half ihr mit einem Klebstreifen aus.

Die besorgte Bürgerin darf unbesorgt sein. Wie eine Anfrage im Rathaus ergab, ist die Gültigkeit ihrer abgegebenen Stimme auf keinen Fall vom Verschluss ihres Wahlbriefes abhängig, egal ob sie nun mit oder ohne Spucke, Klebestift oder Schwämmchen bei der Willensbildung in der Wahlkabine Hand angelegt hat. Man sieht: Auch in der Demokratie steckt der Teufel im Detail und es stellt sich in ihr immer wieder die Frage nach dem Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält und den Treibstoff, der unsere Demokratie im Kleinen wie im Großen in Gang hält. Wir wissen nicht, ob die Finanzsituation der Stadt ist schon so dramatisch schlecht ist, dass ihr der Klebstoff ausgeht. Sicher ist aber, dass die Kosten, die der Bürgerentscheid zum VHS-Standort, unabhängig von seinem Ausgang, in jedem Fall verursachen wird, ob mit oder ohne Klebestift in der Wahlkabine. Und diese Kosten werden auf der Soll-Seite der Stadtkasse, die unser aller Kasse ist, kleben bleiben. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie unseren Stadtkämmerer und hoffen Sie mit mir, dass wir in unserer Stadt am Ende nicht nur in der Frage des VHS-Standortes angeschmiert, gelackmeiert und festgeklebt dastehen.


Dieser Text erschien am September 2019 in der NRZ

Samstag, 28. September 2019

Über den Tellerrand geschaut

Manchmal tut der Blick über den lokalen Tellerrand gut. So ging es mir, als ich im WDR-Fernsehen eine von Bettina Böttinger moderierte Sendung über unsere Straßenzustände anschaute. Die vorgeführten Beispiele aus dem rheinischen Monheim und dem niederländischen Groningen zeigten mir, dass Klimaschutz und Verkehrswende kein Hexenwerk sind, wenn der politische Wille vorhanden ist. 

„Das könnte doch auch etwas für Mülheim sein“, dachte ich mir, als ich die Menschen aus Groningen und Monheim über ihre Erfahrungen mit einer weitgehend autofreien Innenstadt und einem kostenfreien und kostengünstigen öffentlichen Personennahverkehr schwärmen hörte. Monheim und Groningen sind doch auch nicht auf einem anderen Stern. Warum sollte Mülheim nicht auch einmal die Lebensqualität seiner Bürger und die Aufenthaltsqualität in seiner Innenstadt nachhaltig verbessern, indem man von positiven Beispielen lernt. Autoverstopfte Straßen sind nun wahrlich kein Anziehungspunkt, mit dem Mülheim punkten und Leute in die Innenstadt locken könnte. Aber wenn wir, wir wie in Monheim oder Groningen es einfach mal auf einen Versuch ankommen ließen, könnten wir im Vergleich mit unseren Nachbarn nur gewinnen und am Ende ökologisch und ökonomisch aus der Sackgasse herauskommen, in die uns die Stadt- und Verkehrsplanungen der letzten Jahrzehnte hineingesteuert haben.

Denn es gibt kein Gesetz, dass Mülheim Erfolgsgeschichten anderen Städten überlassen und selbst alles beim Alten sein lassen muss. Wenn die Innenstadt zu einer großen Fußgänger- und Fahrradzone würde, in der Autos nur noch als Taxis, Liefer- oder Rettungswagen führen, wären und alle anderen Autos auf kostenfreien Parkplätzen am Innenstadtrand auf ihre nächste Fahrt warten würden, könnte das frischen Wind und frische Luft in die Innenstadt bringen und diese zu einem guten Pflaster werden lassen, auf dem man nicht nur gerne geht, radelt, verweilt, einkauft und mal wieder richtig durch- und aufatmet

Dieser Text erschien am 28. September 2019 in der NRZ

Freitag, 27. September 2019

Politische Geografie

Erinnern Sie sich noch? Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren wurde Mülheim zum „Schilda an der Ruhr“. Wie das? Bis dahin hatte Mülheim ob seiner im italienischen Palazzo-Stil errichteten Stadthalle, als Ruhrvenedig gegolten. Doch nach der ersten OB-Direktwahl im September 1999 fühlten sich nicht nur die grüne Ratsfrau Annette Lostermann-DeNil ins legendäre Schilda versetzt. Sie prägte damals den Begriff „Schilda an der Ruhr“! Denn für einen Tag war der Sozialdemokrat Thomas Schröer Mülheims ersten direkt gewählter Oberbürgermeister, der die Wahl mit 33 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte. Dachte er. Doch am Tag nach der Wahl hatte man im Rathaus noch einmal die Stimmen gezählt und den Christdemokraten Jens Baganz mit 64 Stimmen Vorsprung als neuen OB gesehen. Eine weitere Stimmenzählung brachte dann tatsächlich Jens Baganz mit einem Vorsprung von 58 Stimmen ins Amt. Was den Mülheimern 1999 recht war, war den Wahlbehörden im US-Bundesstaat Florida bei der Präsidentschaftswahl 2000 billig. Dort wurden die Wahlstimmen so lange gezählt, bis das oberste Gericht der USA George W. Busch junior in einer umstrittenen Entscheidung zum Wahlsieger im Sonnenstaat und damit in den Staaten insgesamt erklärte.

Im Rückblick auf das prominente Vergleichsbeispiel dafür, wie umstritten und hauchdünn demokratische Wahlentscheidungen zustande kommen können, war Mülheim bald als „Florida an der Ruhr“ in aller Munde.

Mal sehen, was uns nach den nächsten Wahlen in Mülheim blüht, und wessen Rechnung dann wie und zu wessen Gunsten aufgeht. Wie es aussieht wären wir wirtschaftspolitisch als Florida an der Ruhr gut bedient, steht Florida mit seiner Wirtschaftskraft unter den 50 US-Bundestaaten auf Platz 4 und glänzt außerdem mit einer Arbeitslosenquote von unter 4 Prozent. Wenn wir allerdings auf die Verschuldung unserer Stadt schauen, müssen wir uns aber wohl eher als das Griechenland an der Ruhr betrachten. Immerhin haben uns die Griechen ja die Demokratie gebracht und von ihrer Fähigkeit auch unter schwierigen Rahmenbedingungen und in Zeiten des teilweisen Staatsversagens die Lebensfreude nicht zu verlieren, können wir uns auch in Mülheimer eine Scheibe abschneiden. 

Dieser Text erschien am 27. September 2019 in der NRZ

Donnerstag, 26. September 2019

Reife Leistung

Der alte Mann in der U 18 fällt mir auf. Er geht am Stock, aber er tut dies in einem Trainingsanzug und in stabilen Wanderschuhen. Er setzt sich vor mir hin, während die Stadtbahn bereits anfährt und ihn mit seiner Einkaufstasche in die Polster der U-Bahn gedrückt. Das Bild lässt mich schmunzeln. Doch dann erfasst mich ein tieferer Respekt vor der reifen sportlichen Leistung des alten Herrn , dem offensichtlich jeder Schritt schwerfällt und der sich dennoch täglich dem Hürdenlauf des Lebens stellt, um sein Etappenziel zu erreichen. Das ist wirklich eine sportliche Höchstleistung, die mehr als eine olympische Goldmedaille verdient hätte. Angesichts dieser Höchstleistung beim Langstreckenlauf des Lebens sieht so mancher junge Sportsfreund ganz schön alt aus, wenn er zum Beispiel auf seinem Skateboard, auf seinem Rennrad oder auf seinem E-Roller durch die Fußgängerzone brettert, komme was und Wer da wolle. 

Dieser Text erschien am 24. September  2019 in der NRZ

Mittwoch, 25. September 2019

Bleibt die Kirche im Dorf?

„Wir werden in Zukunft sehr alt aussehen“, sagt Dr. Herbert Fendrich. Er sagt es ohne Rechthaberei und mit dem Unterton des Bedauerns. An seiner ehemaligen Wirkungsstätte fordert er seine Mitdiskutanten in der katholischen Akademie Die Wolfsburg zum Widerspruch auf: „Bitte, widersprechen Sie mir und sagen sie mir, dass das doch nicht wahr sein kann.“

Der bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst, der seinen Dienst 1981 in der Bauabteilung des Bistums begann, wurde jetzt bei einem Symposium in der katholischen Akademie in den Ruhestand verabschiedet. Thema: „In welchen Räumen feiern wir künftig Gottesdienst?“ Der Leiter des Seelsorgeamtes, Dr. Michael Dörnemann erinnerte an den 2014 verstorbenen Ruhrbischof Hubert Luthe, der Fendrichs Engagement für einen zeitgemäßen und ausdrucksstarken Kirchenbau als Kulturmensch stets unterstützt habe. Dörnemann setzte einen optimistischen Kontrapunkt zu Fendrichs pessimistischer Prognose: „Es werden immer wieder in den Gemeinden Initiativen vor Ort entstehen, die eine zeitgemäße und die Menschen ansprechende Form von Gottesdienstorten entwickeln und weiterentwickeln werden.“ Dörnemann dankte Fendrich für sein weitsichtiges und leidenschaftliches Engagement zugunsten des Erhaltes von kunsthistorisch wichtigen Kirchen und für seine bereits vor fast 20 Jahren erstmals angestellten und bis heute wegweisenden Überlegungen zur perspektivischen Umnutzung und Neunutzung von Kirchen, die mangels Masse, nicht länger als Gottesdienstorte oder zumindest nicht allein als Gottesdienstorte aufrechtzuerhalten seien. Der Leiter des Seelsorgeamtes erinnerte daran, dass das Ruhrbistum in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits 96 Kirchen aufgegeben, umgewidmet und in 30 Fällen abgerissen hat.

Er geht davon aus, dass von den aktuell 400 Kirchen des Bistums bis 2030 noch 80 bis 120 Kirchen zu erhalten sein werden. Professor Albert Gerhards und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Professor, Thomas Sternberg, beide mit theologischer und kunstgeschichtliche Expertise für die Bedeutung von Kirchen ausgestattet, machten mit Blick auf Erfahrungen der vergangenen Jahre deutlich, dass Kirchen nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern auch für kirchenferne Menschen explizit nicht-kommerzielle Orte der Identifikation, der geistigen Orientierung, der Stille, der Zuflucht, der Gotteserfahrung und der transzendenten Selbsterfahrung seien.

Sternberg machte an Beispielen wie der vor 125 Jahren eingeweihten Aschaffenburger Kirche St. Maria Geburt, deutlich, dass im Kirchenraum der Zukunft weniger mehr ist. „Es kann Kirchen nur guttun, wenn man sich wie in St. Maria Geburt, darauf besinnt mit welcher Intention die Kirche seinerzeit gebaut worden ist. Deshalb muss es kein Nachteil sein, es kann sogar ein Vorteil sein, wenn man wie in der Aschaffenburger Marienkirche, Kirchenbänke aus dem kirchenraum entfernt und die Kirche, je nach gottesdienstlichem Anlass und an der Besucherzahl orientiert bestuhlt. So gewinnt man mehr Platz für neue liturgische  und spirituelle Gemeinschafts- und Raum-Erfahrungen.“

Einer der gut 100 Symposiums-Teilnehmer im Kardinal-Hengsbach-Saal der Wolfsburg regte an, nicht nur über die Grenzen des Ruhrbistums sondern auch über die deutschen Landesgrenzen zu schauen, wenn es darum gehe, Kirchenräume neu zu nutzen. Er führte ein selbst erlebtes Beispiel aus England an, wo eine Kirche nicht nur als Gottesdienstraum, sondern auch als Festsaal für Hochzeiten, Geburtstage oder silberne und goldene Hochzeiten genutzt werden können. So werde dort der Kirchenraum und seine Instandhaltung nicht nur durch die Gemeindemitglieder finanziert.

Auch Sternberg führte in diesem Zusammenhang persönliche Erfahrungen aus Italien an, wo Kirchen, die nicht mehr oder nicht mehr nur als Gottesdienstraum genutzt werden können, inzwischen auch als Speisesaal für Bedürftige oder als Wohnheim für Obdachlose benutzt werden

Professor Gerhards machte allerdings deutlich, „dass es nicht an Ideen und Konzepten für die Umnutzung von profanierten Kirchen mangelt, sondern dass es immer auch um die Frage geht, wie man ein Kirchengebäude langfristig finanziell und bautechnisch unterhalten kann.“

Thomas Sternberg und Michael Dörnemann erinnerten in diesem Zusammenhang an die große Hilfs- und Spendenbereitschaft, die sich nach dem Brand in Notre Dame in Paris für den Wiederaufbau dieser Kirche entwickelt habe, „weil Kirchen wie Notre Dame oder der Kölner Dom eben nicht nur eine sakrale sondern auch eine nationale Symbol Bedeutung besitzen.“

Sternberg empfahl, den Blick über den Rhein zu richten: „Obwohl Frankreich ein laizistischer Staat ist, werden dort alle Kirchen, die vor 1905 errichtet worden sind, vom französischen Staat instandgehalten, während in Deutschland dafür alleine die Kirchensteuer zahlenden Kirchenmitglieder aufkommen müssen. Hinzu kommt, dass die Denkmalschutz-Mittel faktisch auf null gesetzt worden sind.“

Herbert Fendrich und Albert Gerhards können sich die Instandhaltung und weitere Nutzung von Kirchenräumen als gesamt-gesellschaftliche Aufgabe vorstellen, die zum Beispiel mit Hilfe von Landesstiftungen und privaten Trägervereinen finanziert werden könnte. Fendrich warnte davor nur die „ganz alten historistischen Kirchen zu erhalten, die schon bei ihrer Entstehung von gestern waren.“

Es passte ins Bild, dass das Symposium zur Zukunft unserer Kirche und Gottesdiensträume mit einer Abendandacht in der Akademie-Kirche ausklang, die mit ihrer schlichten und konzentrierten Raum-Sprache ein gutes Beispiel dafür abgibt wie und wo man In Zukunft Gottesdienste mit einer zeitgemäßen Liturgie und Spiritualität feiern kann, wenn doe ehemaligen Volkskirchen durch die demografische Entwicklung, aber auch durch Kirchenaustritte weiter geschrumpft sein wird.

Neue Kirchenräume an der Ruhr  

Auch in jüngster Zeit wurden an der Ruhr noch Kirchen gebaut.

So finanzierte von Herbert Fendrich beratene Fußballbundesligist FC Schalke 04 im Jahr 2001 in seiner Arena Auf Schalke die Einrichtung einer ökumenischen Kapelle, in der seitdem über 2000 Taufen und 1000 Trauungen und Jubiläen gottesdienstlich gefeiert worden sind.

Die 1935 im Essener Südviertel eingeweihte und 2008 profanierte Kirche St. Engelbert wird seit 2011 vom Trägerverein Chorforum als Chor-Kirche und als Kulturhaus unterhalten.

Die 1967 eingeweihte und 2007 profanierte Kirche Heilig Kreuz im Mülheimer Stadtteil Dümpten wird seit 2009 als Urnenkirche genutzt, in der weiterhin Gottesdienste und Konzerte stattfinden.

Im Jahr 2000 wurde aus Christus-König-Kirche in Oberhausen-Buschhause die erste deutsche Jugendkirche Tabgah, benannt nach dem biblischen Ort der wunderbaren Brotvermehrung. Hier bringen sich Jugendliche mit einem maximalen Gestaltungsfreiraum selbst ein, um von ihrer Lebenswirklichkeit inspirierte Formen des Glaubenslebens auszuprobieren. 2020 soll die Jugendkirche Tabgah in der Kirche St. Joseph am Duisburger Dellplatz ihre neue Heimat finden.

In Bochum Stahlhausen hat man aus der nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgaebauten und in den 1990er Jahren aufgegebenen evangelischen Friedenskirche eine Friedenskapelle gemacht, die seit 2015 Teil des Stadtteilzentrums Q1 ist, das von der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum und vom Bochumer Verein IFAK getragen wird. In der Trägervereinbarung heißt es über das gemeinsame Ziel des Stadtteil- und Gemeindezentrums: „Die Träger verfolgen gemeinsam den Zweck, im Bochumer Westend das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kultur-, und Religionskreisen zu verbessern, Benachteiligungen jeder Art insbesondere in den Lebensfeldern Bildung, Soziales, Kultur und Sport entgegenzuwirken sowie die Chancengleichheit aller EinwohnerInnen zu erhöhen. Die beiden Institutionen repräsentieren in ihrer bisherigen Gemeinwesen-orientierten Arbeit unterschiedliche Traditionen und Schwerpunkte und wollen in der neuen Trägerstruktur ihre Kompetenzen zum Wohle aller EinwohnerInnen zu einem vorbildlichen gemeinsamen Handeln weiterentwickeln.“ Das 2016 von der Wüstenrot-Stiftung prämierte Q1 sieht sich selbst als Haus für Kultur, Religion und Soziales im Bochumer Westend.

Dieser Text erschien am 14. September 2019 im Neuen Ruhrwort



Dienstag, 24. September 2019

Lies nach bei Lembke

Stellen Sie sich das mal vor: Mülheim ohne Rathaus, ohne Stadthalle, ohne Wasserbahnhof und Weiße Flotte, ohne Max-Planck-Institut, ohne Rennbahn und Raffelbergpark und ohne den Speldorfer Hafen. Das möchten Sie sich nicht vorstellen. Und jetzt stellen Sie sich vor: Die Mülheimer leiden unter den Folgen eines Krieges, einer Revolution und einer eine Hyperinflation und Sie sind Oberbürgermeister und müssen die Stadt durch diese Krisen steuern. „Das ist ja der absolute Horror!“, sagen Sie und schütteln den Kopf ob einer solchen Fantasiegeschichte. Geschichte ja. Fantasie nein. Denn genau das hat Paul Lembke als Mülheims Oberbürgermeister in den Jahren 1904 bis 1928 erlebt, erlitten, gestaltet und geschaffen. Kein Wunder, dass ihn seine Mitbürger nach dem Ende seiner Amtszeit zu ihrem Ehren-Mitbürger machten und ihn aus tiefstem Herzen betrauerten, als er heute vor 80 Jahren starb, früh genug, um nicht miterleben zu müssen, wie die Folgen einer wahnsinnigen Politik einen Teil seines politischen Lebenswerkes zerstörten. An seinem Todestag wünscht man sich als Mülheimer seine Wiedergeburt in einer heute lebenden Persönlichkeit, die in seinem Geiste für uns und unsere Stadt mit Herz, Leidenschaft und Verstand auch unter schwierigen Rahmenbedingungen das beste herausholt. Die Ehrenbürgerschaft wäre Ihm oder Ihr gewiss und gerne gegönnt. 

Dieser Text erschien am 19. September 2019 in der NRZ 

Montag, 23. September 2019

Frischzellenkur für städtische Pflegeheime

Man sieht es außen und innen auf den ersten Blick. Alles im 1980 eröffneten Haus Auf dem Bruch ist heller freundlicher und großzügiger geworden. Die 14,5 Millionen Euro, die seit 2016 in den Neu- und Ausbau des städtischen Pflegeheims investiert worden sind , haben sich gelohnt.
„Als mir der Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste (MSD), Alexander Keppers 2015 die ersten Baupläne zeigte, war ich skeptisch, ob sich diese Pläne realisieren ließen. Dass dies gelungen ist, macht mich stolz“, sagt der Vorsitzende des MSD-Aufsichtsrates, Sascha Jurczyk bei der Neu-Eröffnung des neu- und umgebauten Hauses, indem heute 130 alte Menschen zu Hause sind und 110 noch nicht ganz so alte Menschen ihren Arbeitsplatz haben.

Eine Herausforderung

Oberbürgermeister Ulrich Scholten erinnert daran, „dass der demografische Wandel unserer Stadtgesellschaft, in der schon heute 30 % der Menschen 60 Jahre und älter sind, eine Herausforderung darstellt, der wir uns stellen müssen und stellen wollen.“ Der OB macht deutlich, dass auch personelle und finanzielle Grenzen „nicht auf Kosten der Menschenwürde alter und pflegebedürftiger Menschen in unserer Stadt gehen dürfen.“
Ehrenstadtdechant Manfred von Schwarzenberg und Pfarrerin Gundula Zühlke machen in einer ökumenischen Segensfeier zur Neueröffnung des Pflegeheims deutlich: „Wir können keine Steine segnen , sondern nur Menschen, die dieses Haus mit Leben füllen. Und auch wenn die Bauarbeiten an diesem Haus nun abgeschlossen sind, müssen die inneren Bauarbeiten an seinem Leben weitergehen.“
„Wir haben in den letzten 3 Jahren des Umbaus viel Lärm, Staub und Umzüge, aber auch 2 tolle Baustellen-Partys und viel Interessantes erlebt. Und nun wünschen wir uns allen, dass wir an diesem schönen neu gestalteten Ort noch viele glückliche Jahre erleben können“, sagt die Vorsitzende des Bewohnerbeirates, Hannelore Hardenberg, bevor sie mit einem symbolischen Scherenschnitt offiziell das neue Haus Auf dem Bruch seiner Bestimmung übergibt.

Investitionen in die Zukunft

Der Geschäftsführer der MSD, die im Auftrag der Stadt die Pflegeheime Haus Kuhlendahl (eröffnet 1954), Haus Gracht (eröffnet 1967) und eben das Haus Auf dem Bruch in Dümpten betreibt, macht deutlich, „dass wir unsere Pflegeheime jetzt für die nächsten 30 Jahre fit machen.“ Nachdem das Haus Kuhlendahl von 2008 bis 2012 und das Haus Auf dem Bruch zwischen 2016 und 2019 umgebaut und modernisiert worden sind, haben jetzt die Bauarbeiten im Haus an der Gracht begonnen. Laut Keppers werden die Bauarbeiten insgesamt rund 18,5 Millionen Euro kosten bis 2023 abgeschlossen sein.
Ziel der umfangreichen Baumaßnahmen der MSD, die über die Investitions kostenpauschale der Pflegeversicherung, mit Hilfe des Landschaftsverbandes Rheinland refinanziert werden, ist es, die Vorgaben des Wohn- und Teilhabegesetzes zu erfüllen. Danach muss jedes Pflegeheim einen Einzelzimmer-Anteil von mindestens 80 % aufweisen. Im Fall des Hauses Auf dem Bruch konnte der Anteil der Einzelzimmer durch die Neu- und Umbaumaßnahmen von 26% auf 95% gesteigert werden. Hinzu kommt, dass das Haus Auf dem Bruch jetzt über einen großen und multifunktionalen Veranstaltungssaal verfügt und darüber hinaus eine moderne Zentralküche beherbergt, in der die Mahlzeiten für die Bewohner aller städtischen Altenheime zubereitet werden. Hinzu kommt ein zusätzlicher Wohnbereich für dementiell veränderte Bewohner „In allen unseren Einrichtungen bewegt sich der Anteil der dementiell veränderten Bewohner zwischen 70 und 80 %“ sagt MSD-Geschäftsführer Alexander Keppers. 


Sonntag, 22. September 2019

Kleine Weltgeschichte

Jetzt berichtete mir der Schatzmeister des Fördervereins Mülheimer Städtepartnerschaften, Joachim Schiwy begeistert von seiner seinen Reiseeindrücken aus dem früher deutschen und heute polnischen Oppeln. Der Förderverein, der 2020 sein 25-jähriges Bestehen feiert, fühlt die Mülheimer Städtepartnerschaften mit Darlington, Tours, Kouvola, Oppeln, Kfar Saba und Beykoz durch Bürgerfahrten und Bürgerbegegnungen mit Leben. „Wir richten den Blick nicht auf Völker, sondern auf Menschen, denen wir in unseren Partnerstädten begegnen. Damit tragen wir unser Scherflein zur Völkerverständigung bei“, sagt Joachim Schiwy. Wie wichtig das ist , sehe ich in unsererm Familienalbum. Dort schaut mich mein Großonkel Josef Overmeyer an. Ich sehe einen jungen, sportlichen und lebenslustigen jungen Mann mit seiner Frau. Die beiden strahlen Lebensfreude und Zuversicht aus. Was sie nicht wissen, ist dass ihr gemeinsames Leben nur kurz sein wird. Denn am 16. September 1944 stirbt mein Großonkel als Soldat der deutschen Wehrmacht in der damaligen Sowjetunion an den Folgen eines Kopfschusses mit 33 Jahren und wird in einem Massengrab verscharrt, nachdem er in einem Krieg gekämpft hat, der nicht seiner war. 14 Tage bevor er fällt, hat er seine Mutter zu Grabe getragen. Und sein Vater, der ihn überlebt, wird den Tod seines Sohnes nie verwinden. Das ist im Kriegsjahr 1944 millionenfache Familien- und Weltgeschichte. 75 Jahre danach dürfen wir froh sein, das es auch in unserer Stadt einem Verein gibt, der Menschen aus Partnerstädten zusammenbringt und damit ihren Ländern ein Gesicht gibt, das uns vom unschätzbaren Wert eines friedlichen Zusammenlebens überzeugt, ob in unserer Stadt, im europäischen Haus  oder im globalen Dorf.

Dieser Text erschien am 18. September 2019 in der NRZ

Freitag, 20. September 2019

Neue Ideen für den Flughafen

Wie geht es mit dem Flughafenareal in Raadt weiter? Die CDU Fraktionsvorsitzende Christina Küsters und weitere Mandatsträger der CDU jetzt bei einem zweistündigen Informationsgespräch mit den WDL-Geschäftsführern Barbara Majerus und Frank Peylo, dem Geschäftsführer der Fachschule für Flugzeugführer Ulrich Langenecker und dem Geschäftsführer der Agentur TAS Emotional Marketing Thomas Siepmann wichtige Denkanstöße für die kommunalpolitischer Entscheidungsfindung mit.
„Ich verspreche Ihnen, dass wir die von ihnen dargestellten Fakten in der Fraktion eingehend diskutieren und gewissenhaft prüfen werden sagte Küsters nach dem zweistündigen Informationsgespräch in der WDL Luftschiffhalle auf dem vor 100 Jahren angelegten Flughafenareal. Hintergrund: 2024 läuft der Pachtvertrag für die WDL und 2034 der Erbbaupachtvertrag für den Aero-Club aus. Spätestens dann müssen Zukunftsoptionen für den 1925 eröffneten Flughafen Essen-Mülheim feststehen.
Peylo und Langenecker betonten, dass ihre Unternehmen bereit seien in eine weitere Nutzung des 140 Hektar großen Areals zu investieren. Peylo nannte in diesem Zusammenhang an Investitionsvolumen von mindestens 10 Millionen Euro.
Die Planungen, die den Fraktionsmitgliedern vorgestellt wurden reichen von einem Ausbau der vorhandenen Flugschule und der Aufnahme eines Flugtaxi-Betriebs für das Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen bis zum Aufbau einer breitgefächerten Erlebnisgastronomie und einer Infrastruktur für Veranstaltungen in einer Größenordnung zwischen 30 und 5.000 Personen. „Nehmen Sie bitte mit, dass es auch im digitalen Zeitalter einen steigenden Bedarf an Live-Kommunikation und entsprechenden Events gibt sagte Thomas Siepmann von der Agentur TAS. Der Geschäftsführer der Fachschule für Flugzeugführer Ulrich Langenecker wies darauf hin, das am Flughafen Essen Mülheim zurzeit 300 Verkehrspiloten ausgebildet werden. Das seien etwa 30 bis 40 Prozent aller bundesweit ausgebildeten Verkehrspiloten. Peylo und Langenecker sind sich einig, dass es auch einen Bedarf an Lufttaxis für die Rhein-Ruhr-Region gibt, für die der Flughafen Essen Mülheim in Raadt der ideale Standort sei. Mit dem Hinweis, dass es bereits erste Elektroflugzeuge gebe und weiterhin von Industrieunternehmen und Hochschulen daran geforscht und entwickelt werde, machten Peylo und Langenecker deutlich, dass die Realisierung ihrer Konzepte auch keine Lärm- und Umweltproblematik mit sich bringen werde. „Wir hatten im vergangenen Jahr am Flughafen Essen-Mülheim rund 58.000 Flugbewegungen, Tendenz leicht steigend. Davon entfielen etwa 45.000 Flugbewegungen auf den Flugschulbetrieb. Gleichzeitig hatten wir nur 9 Beschwerden wegen Fluglärms, die von 6 Beschwerdeführern ausgingen“, schilderte Langenecker die aktuelle Ausgangslage. Auf Nachfrage erklärten Peylo und Langenecker, dass die von ihnen dargestellten Pläne nur dann realisierbar seien, wenn die vorhandene Landebahn des Flughafens und dessen Flugbetrieb in ihrer vollen Länge von 1553 Metern erhalten bliebe. „Wir dürfen unsere Zukunftschancen nicht liegen lassen und sie von anderen aufheben lassen. Wir wollen und können in die Zukunft des Standortes investieren, können es aber zurzeit nicht, weil die rechtlichen Grundlagen dafür noch nicht geschaffen worden sind. Und selbst, wenn sie gegeben wären, würde es mindestens noch einmal ein Jahr dauern, ehe man mit der konkreten Realisierung der Planungen beginnen könnte“, unterstrichen Peylo und Langenecker.




Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten ...