Samstag, 9. Januar 2010

Von Mülheim nach Litembo: Vor 50 Jahren ging die Ärztin Irmel Weyer nach Tansania, um dort eine Klinik aufzubauen




Wenn Irmel Weyer von Litembo erzählt, wirkt ihre Stimme unheimlich jung und lebendig. Dann kann man kaum glauben, dass die Ärztin, die im Westen von Tansania eine Urwaldklinik aufgebaut hat, schon 82 Jahre alt sein soll.

Was zog sie vor 50 Jahren ins tiefste Afrika? „Ich wollte immer schon Menschen helfen. Und ich wollte dort hin, wo noch keiner gewesen ist”, beschreibt sie ihre Motivation für ein geradezu abenteuerliches Leben, das sie ganz den Menschen und der Medizin gewidmet hat. Obwohl sie dieses außergewöhnliche Leben auch mit dem Verzicht auf Ehemann und Kinder bezahlt hat, lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie alles noch einmal so machen würde, wie sie es gemacht hat.

Aufgewachsen ist Weyer in Stadtmitte und Eppinghofen. Ihre ersten Schuljahre verbrachte sie an der heutigen Martin-von-Tours-Schule. Das Abitur bestand sie 1946 an der Luisenschule, ehe sie zum Medizinstudium nach Regensburg und Passau ging. Dort sollte sie mit den Mission-Benediktinern in Kontakt kommen, die ihr den Weg nach Afrika wiesen.
Wenn man nach ihrer Prägung fragt, dann erzählt sie zum Beispiel von ihrer Zeit bei der Pfarrjugend von St. Engelbert, die sich während der Nazi-Zeit heimlich im Gemeindekeller traf, oder vom großen Luftangriff auf Mülheim, den sie im Juni 1943 als Feuermelderin erlebte, und dass sie beim Löschen der Kirche helfen musste.

Obwohl sie seit einigen Jahren in Ostercappeln lebt, wo sie sich um ihre sechs Jahre ältere und kranke Schwester kümmert, sieht sich Weyer nach wie vor als Mülheimerin. Bis heute hat sie eine Wohnung an der Aktienstraße. Weil die Urwaldärztin, die von 1960 bis 1996 als Klinik-Chefin in Litembo zum Teil mit einfachsten Mitteln Menschen behandelt und geheilt hat, immer noch viele Freunde in Mülheim hat, ist sie bestens über das Geschehen in ihrer Heimat informiert, weiß etwa ganz genau Bescheid über die Misere der Innenstadt.
Was ihre Bindung zu Mülheim, das sie in den letzten fünf Jahrzehnten oft nur besuchsweise erlebt hat, bis heute so stark macht, ist eine der positivsten Erfahrungen, die sie in ihrem Leben als Ärztin, Entwicklungshelferin und Menschenfreundin gemacht hat: „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier so viele Menschen finden würde, die mir helfen”, sagt sie und lässt keinen Zweifel daran, dass ihr Engagement in Litembo nur mit der Hilfe aus der Heimat so erfolgreich werden konnte. Für diese Brücke der Menschlichkeit, die zwischen Mülheim und Litembo gebaut werden konnte, steht vor allem Pfarrer Erich Endlein, der 1967 einen Förderverein ins Leben rief, der Weyers Arbeit erst mit Sach- und dann auch mit Geldspenden unterstützte. Inzwischen ist aus dem 300 Mitglieder zählenden Förderverein die Dr.-Irmel-Weyer-Stiftung erwachsen.

Was im November 1960 in Litembo mit zehn fensterlosen Hütten, 40 Betten, zwei deutschen Krankenschwestern und zwei Not-Operationen im Schein einer Taschenlampe begann, ist heute eine moderne Klinik mit 360 Betten geworden. Die hat seit einigen Jahren den Status eines Regierungskrankenhauses. Geleitet wird die Klinik, zu der unter anderem eine Chirurgie, eine Gynäkologie, eine Allgemeinmedizin und eine Kinderstation sowie ein Haus für Ärzte und Angehörige gehören, von sechs einheimischen Ärzten, die mit Weyers Hilfe in Deutschland, Österreich und England ausgebildet werden konnten.

Dass die Leitung der Klinik, die sie in zum Teil mühevoller Kleinarbeit aufgebaut hat, heute ganz in tansanischer Hand liegt, macht sie glücklich: „Denn wir haben unser Projekt immer als Hilfe zur Selbsthilfe angesehen”, sagt Weyer. Weil sie auch mit Hilfe aus Mülheim ihr Feld in Litembo gut bestellt hatte, konnte sie 1996 auch guten Gewissens Afrika verlassen, um ihre angeschlagene Gesundheit in Deutschland behandeln zu lassen. Heute, da ihre eigene Gesundheit wiederhergestellt ist, steht sie ihrer gesundheitlich angeschlagenen Schwester bei und macht dabei einen ausgesprochen frohgemuten Eindruck, wohl gespeist von der Dankbarkeit für ein nicht nur erfolgreiches, sondern auch erfülltes Leben dies- und jenseits von Afrika.
Fotos: privat

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