Freitag, 4. Juli 2025

Eine starke Frau

Zurecht ist sie oft mit der Albert-Schweitzer verglichen worden. Ihr Lambrene heißt Litembo und liegt in Tansania. Und für sie gilt auch Albert Schweitzers Satz: "Das schönste Denkmal, das wir uns setzen können, ist das in den Herzen unserer Mitmenschen." 

Jetzt ist Mülheimer Ärztin Dr Irmel Weyer im Alter von 98 Jahren verstorben. Von 1960 bis 1996 hat sie dort die vormalige Gesundheitsstation der Benediktinerinnen zu einem angesehenen Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft ausgebaut. Heute leiten sechs einheimische Ärzte in Litembo eine 320-Betten-Klinik. Ihre medizinische Ausbildung in England, Deutschland und Österreich verdanken sie Irmel Weyer und ihren Unterstützern. 
Pastor Erich Endlein aus ihrer Heimatgemeinde St. Engelbert ist, hat sich ein solches menschliches Denkmal mit der Klinik in Luxemburg Tansania gesetzte , die Klinik in den Jahren 1960 bis 19 war der Mann an ihrer Seite, indem er 1967 einen Förderverein ins Leben rief, der inzwischen zur Dr.-Irmel-Weyer-Stiftung geworden ist.

In der NS-Zeit gehörte Weyer zur katholischen Jugend, die von den damaligen Machthabern nicht gerne gesehen wurde und sich deshalb im Keller des Gemeindehauses an der Aktienstraße versammeln musste. Dort an der Aktienstraße hatte Weyer bis zuletzt eine eine Wohnung, obwohl sie nach ihrer Pensionierung in Ostercappeln lebte und dort ihre ältere Schwester pflegte.

"Ich wollte Menschen helfen. Und ich wollte es tun, wo es bisher noch niemand anderes getan hat", hat Irmel Weyer 2010 die Motivation ihres Lebensweges beschrieben. 

Nach dem Abitur an der Luisenschule studierte Weyer in Passau und Regensburg Medizin. Dort kam sie auch mit den Benediktinerinnen in Kontakt, die ihre den Weg nach Litembo wiesen. Dort führte sie im November 1960 in einer Lehmhütte und im Schein einer Taschenlampe dann ihre erste Operation aus. Freiwillig und bewusst verzichtete Dr. Irmel Weyer auf Ehe und Familie, um möglichst vielen Menschen mit ganzer Kraft helfen und beistehen zu können.

Sonntag, 29. Juni 2025

Sozial und liberal

 Sie war eine Sozialliberale. Jetzt ist die ehemalige FDP-Fraktionsvorsitzende Brigitte Mangen im Alter von 88 Jahren verstorben.

Ihr ebenfalls in der FDP aktiver Sohn Christian nennt seine Mutter eine "Preußin". Und damit meint er nicht nur ihre westpreußische Herkunft, sondern auch ihren disziplinierten Lebensstil.

Die Mülheimer Stadtgesellschaft, deren Teil die zweifach Mutter und vierfache Großmutter 1968 wurde, wird Brigitte Mangen vor allem als langjährige Gründungsvorsitzende des Kinderschutzbundes und als Madame La Tours in Erinnerung behalten. Schon vor der Gründung des Mülheimer Städtepartnerschaftsvereins (1995) kümmerte sich Mangen federführend und herausragend um die 1962 begründete Städtepartnerschaft mit Tours, 

Ihr Engagement hat seine Wuzeln sicher in ihrer Biografie als Vertriebe und als Finanzbeamtin, die in den Jahren 1958 bis 1968 für die Europäische Kommission in Brüssel gearbeitet hatte.

Zu ihrem Selbstverständnis als Sozialliberale, die 1999 in die kommunalpolitische Nachfolge ihres 1998 verstorbenen Ehemannes Rolf getreten war, gehörte auch ihr ebenfalls ehrenamtliches Engagement in führenden Positionen des weltanschaulich und parteipolitisch unabhängigen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Brigitte Mangen wird uns fehlen, aber auch unvergessen bleiben. 

Samstag, 28. Juni 2025

Automobilissimo

 Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Das konnte man auch jetzt beim Oldtimertreff in und an der Alten Dreherei wieder einmal miterleben. Und auch wer selbst eher zur Fraktion der Fußgänger oder Bus- und Bahnfahrer gehört, kann sich der Faszination der Automobilität von Anno dazu mal nicht ganz entziehen. Jedes Auto, was zwischen Kamera obscura ringlokschuppen und Feuerwache zu sehen war hatte seine eigene Geschichte. Das Kennzeichen H, wie historisch, wie es auch Fahrzeuge tragen, weist auch Autos als Oldtimer aus, die noch gar nicht so ganz alt sind. 

Der Vorteil für die historischen Fahrzeughalter: Sie brauchen nur einen einheitlichen Kraftfahrzeugsteuersatz bezahlen, benötigen keine Umweltplakette und müssen auch moderne Standards, wie etwa Sicherheitsgurte, nicht nachträglich einbauen. Die Sicherheitsgurte, die in den frühen 1980er Jahren gegen heftigen Widerstand der Autofahrerlobby vom damaligen CSU-Bundesverkehrsminister Werner Dollinger mit Blick auf die hohen Unfallzahlen durchgesetzt wurde, sucht man zum Beispiel im Ford Taunus aus dem Baujahr 17M  vergeblich. Ungewöhnlich ist auch, das besonders große Lenkrad, auf dem das Kölner Stadtwappen prangt und uns damit darauf hinweist, dass dieses Fahrzeug bei Ford in Köln vom Band gelaufen ist. Für heutige Autofahrer gewöhnungsbedürftig ist auch der Steuerknüppel, der gleich am Lenkrad montiert ist und die Handbremse, das Wort sagt es, die von Hand gezogen werden muss. 

Warum sich wer welches Fahrzeug aus längst vergangenen Baujahren anschafft? Die meisten Oldtimer-Eigentümer erzählen davon, dass sie schon als Kinder und Jugendliche von einem bestimmten Fahrzeugtyp begeistert waren, den sie sich aber als junge Berufstätige nicht leisten konnten. Genauso ging es vor 50 Jahren einen jugendlichen VW-Käfer-Fahrer, der inzwischen, seinem Mercedes 200/8 aus dem Baujahr 1975 sei Dank, doch noch ein glücklicher Mercedesfahrer geworden ist. Das Fahrzeug konnte er gegen eine Spende für einen guten Zweck von einer alten Dame bekommen und ihn so vor der Verschrottung bewahren.  "Das ist für mich wie eine Zeitreise in meine Jugend, vor allem, wenn die entsprechende Musik im Autoradio läuft", sagt der Mülleimer, der im Baujahr seines Fahrzeugs 23 Jahre jung war. 

Bemerkenswert ist auch ein orangener Rennwagen mit Flügeltüren. Sein Besitzer berichtet davon, dass er das 1969 von Wartburg gebaute Fahrzeug 1992 in Ostdeutschland für kleines Geld erwerben konnte. Es handelt sich, wie er nicht ohne Stolz zu berichten weiß, um einen Melkus RS 1000 das einzige rennfahrzeug, dass zwischen 1969 und 1979 in der DDR gebaut wurde. Seine Spitzengeschwindigkeit von 165 km/h hört sich heute nicht gerade spektakulär an. Die Dimension dieser Geschwindigkeit wird aber deutlich, wenn man sich vor Augen führt, und dass auf den Autobahnen der DDR Tempolimit 100 galt. 

Ebenfalls in Orange und fast wie neu, blinken auch der Opel Olympia und der VW-Käfer, die in den 1950er Jahren, die Schokoladen, Pralinen und Vertreter der 1867 in Mülheim gegründeten Firma Wissoll zur Kundschaft brachten, 

Stilecht gekleidet kreuzt ein Ehepaar mit einem Mercedes Cabriolet auf, das mit seiner Vorkriegssilhouette scheinbar aus den 1920er Jahren kommt, tatsächlich aber, wie sein angesichts des starken Sonnenscheins gut behüteter Fahrer verrät, mit der Technik der 1960er Jahre ausgestattet ist. Denn bei seinem Mercedes Cabriolet SSK handelt es sich um einen im besten Sinne des Wortes filmreifen, weil auch für Hollywood gebauten Nachbau des Originalfahrzeugs. 

Im Vergleich zu Mercedes Cabriolet SSK erscheint der VW Kübelwagen aus dem Baujahr 19 74 geradezu profan. Doch wenn man seinen Besitzer von "der ganz anderen Art des Autofahrens schwärmen hört, fühlt man etwas von der Faszination, die von einem Fahrzeug ausgeht, das, wie sein Halter berichtet: "Wie wenig man eigentlich braucht, um ein Auto zu fahren."

"Luftiger und leichter geht es nicht", sagt der Mittvierziger mit Blick auf seinen Kübelwagen, der in seinem ersten Leben im Katastrophenschutz eingesetzt war, und sich in Notfall auch schnell auseinander- und wieder zusammenbauen lässt, und der, wenn es darauf ankommt, im Sommer auch ohne Windschutzscheibe gefahren werden kann. "Wenn ich am Wochenende mit meinem Kübelwagen über Land fahre und in der nächsten Eisdiele einen Zwischenstopp einlege, bekomme ich den Kopf vom Alltagsstress frei", berichtet sein Besitzer und strahlt über das ganze Gesicht. Man glaubt ihm sofort.



Montag, 16. Juni 2025

Kleines ganz groß

 Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes Speldorf gebracht haben, zuletzt mit einer Europäischen Straßenbahnmodellausstellung, die sich 2000 Besucherinnen und Besucher aus gutem Grund nicht entgehen ließen.

Eingeladen von der Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft VHAG, die auch in Essen und Mülheim, also bei der Ruhrbahn einen Ableger hat, präsentierten 45 Austeller aus fast ganz Europa ihr Miniatur-Straßenbahnwelt mit viel Liebe zum Detail. Da fehlte im Nachbau einer japanischen Straßenbahnlandschaft dann auch nicht die japanische Haltestellenansage: "Bitte, zurücktreten. Die Türen schließen. Die Bahn fährt ab."

"Großartig, was die hier auf die Gleise gezaubert haben", fanden nicht nur Duisburger Eisenbahnmodellbauer, die die etwas anderen Miniaturmodellbahnen nur zu gern unter die Lupe nahmen.

Wie man von den Trammodellbauern erfahren konnte, zaubern sie ihre Straßenbahn- und Landschaftsmodelle nicht nur mit Fingerspitzengefühl und Kleinstwerkzeugen, sondern auch mithilfe des Drei-D-Druckers auf ihre zwischen 1,5 und 9,5 Meter langen Panoramastrecken.

Der Wiener Modellstraßenbahnbauer Robert Neumann ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, bei der Messe mit den großartigen Kleinformaten einige seiner treuesten Kunden, die nicht nur aus Europa kommen, persönlich zu treffen und sich  dabei auch die eine oder andere Planskizze von Straßenbahnmodellen anzuschauen, die er noch nicht in seinem Sortiment hat, aber mithilfe der Vorarbeit der Straßenbahnmodellbauenthusiasten vielleicht bald haben wird. 

Auch die historischen Straßenbahnwagen kamen bei den Modellbauern nicht zu kurz. So war die 1900 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete Wuppertaler Schwebebahn ebenso klein, aber fein zu entdecken, wie die erste Niederflurstraßenbahn aus dem Baujahr 1934. Und der neue Straßenbahnanschluss der Alten Dreherei machte es auch möglich Messegäste  in einer Tram aus dem Baujahr 1949 von Speldorf nach Dümpten und wieder zurück zu chauffieren. 

Wer so durch die Stadt fährt, auf der Holzbank und mit Haltestellenklingel, aber leider ohne die Schaffnerin oder den Schaffner, der Anno Dazumal das Schwarzfahren schlicht unmöglich machte, fühlt sich wie auf einer Zeitreise. "Die Holzaufbauten der alten Straßenbahnen haben einfach mehr Stil als unsere heutigen Straßenbahnen", meint ein Fahrgast nach dem Ausstieg an der Endstation Alte Dreherei. Recht hat er.

Das gilt auch für einen Straßenbahnwagen aus dem Baujahr 1921, der in seinem neuen alten Glanz vor der Alten Dreherei ausgestellt, aber leider nicht in Bewegung gesetzt werden konnte. Als dieses alte Schätzchen noch auf der Strecke unterwegs war, kannten und schätzten die alten Mülheimer ihre Tram als preiswertes und umweltfreundliches Transportmittel, das mit seiner E-Mobilität, schon lange, bevor das benzingetriebene Auto des Deutschen liebstes Kind wurde, seiner Zeit schon weit voraus war. Also doch?! Vorwärts und zurück in die Zukunft.

Mehr über die Alte Dreherei finden Sie hier und über die Verkehrshistorische Arbeitsgemeinschaft hier.

Freitag, 6. Juni 2025

Mut zur Lücke

 Als die Schlossstraße 1974 eine Fußgängerzone wurde, war das Wort Leerstand im Einzelhandel ein Fremdwort. Ein Geschäftslokal auf der zentralen Einkaufsstraße der Stadt zu unterhalten, gehörte für Einzelhändler und Dienstleister zum guten Ton. Doch damals kannte man auch noch keinen Online-Handel. 

Inzwischen sind selbst stationäre Einzelhändler auf den Internethandel angewiesen, um den Bewusstsein ihres Umsatzes online zu erwirtschaften. Was für die einen zum Fluch wurde, war für den Galeristen Gerold Harmé ein Segen. Schon in den frühen 2000er Jahren beschäftigte sich, der 1966 in Düsseldorf geborene Kunsthistoriker, Archäologe und Musiker, dem ein Asthma-Leiden, seinen eigentlichen Berufswunsch Sänger verwehrte, mit den Möglichkeiten des Internets im Rahmen des Kunsthandels. Damit gehörte er zu den Pionieren in seinem heutigen Metier. Der Liebe wegen, seine Frau ist Musikpädagogin, kam der Rheinländer vor 20 Jahren an die Ruhr und eröffnete zunächst an der Wall- und dann an der Schlossstraße 29 seine Galerie. Klein, aber fein, gehen hier Ausstellungen und andere  Kulturveranstaltungen, wie Konzerte und Lesungen, über die Bühne. "Wir brauchen nicht nur Geld, sondern auch Kreativität", sagt der Galerist mit Blick auf eine mögliche Renaissance der Schlossstraße. 

Harmé sieht seine Galerie als Kulturnische und macht keinen Hehl daraus, "dass die Art und Weise wie ich mit Kunst arbeite und handle, genau für diesen Ort und nicht für das und nicht für das mondänere Düsseldorf geeignet ist." Seine Kunden, die ihn zuweilen auch in der Galerie an der Schlossstraße besuchen, kennen die Situation der Innenstädter die kein originär Mülheimer Problem ist. "Sie sind froh wenn sie hier in der Nähe eine Kleinigkeit essen oder trinken können und es dann nicht weit bis zum Hauptbahnhof haben", weiß Harmé. 

Seine zunehmend multikulturelle Nachbarschaft, sieht der Galerist nicht als Standort-Nachteil, sehr wohl aber "das Säuferparadies an der unteren Schlossstraße." Erleichtert wäre er, wenn sich die sozialer Brennpunkt mithilfe der Polizei, des Ordnungsamt und der lokalen Sozialarbeit in Wohlgefallen auflösen könnte

Mehr über die Galerie Harmé erfahren Sie hier.


Dienstag, 3. Juni 2025

Ihrer Zeit weit voraus

Das die vermeintlich guten alten Zeiten gar nicht so gut waren, kann man in den Erinnerungen der ersten deutschen Polizeiassistentin Henriette Arendt anno 1910 anschaulich nachlesen. 

Dort berichtet sie über verwahrloste Kinder, die von ihrem abwesenden und überforderten Eltern allein gelassen und so dem sicheren Tod preisgegeben werden. Sie berichtet von Dienstmädchen, die von ihrer Herrschaft geschwängert, auf die Straße gesetzt worden sind und in ihrer ausweglosen Not auch schon mal ihr neugeborenes Kind in einen Brunnen werfen, um es ertrinken zu lassen oder im besseren Fall es bei der Polizei abzugeben und sich aus dem Staub zu machen. 

Arendt, die 1903 als Krankenpflegern zur Stuttgarter Polizei kommt, berichtet auch von einem kleinen betrunkenen Mädchen, das ganz begeistert von seinem regelmäßig betrunkenen Vater erzählt. Er nehme es mit in die Kneipe und gebe ihn dort reichlich zu trinken gibt, um es anschließend unter dem Tisch schlafen zu lassen. 

Henriette Arendt, eine selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, die 1874 in eine ostpreußische Kaufmannsfamilie hineingeboren wird, entscheidet sich gegen eine Tätigkeit als Buchhalterin und für den sozialen Beruf der Krankenpflegerin. 

Vermittelt von der Vorsitzenden ihres Berufsverbandes, kommt sie 1903 zur Stuttgarter Polizei. Dort wird sie eingestellt, um ihren männlichen Kollegen bei Vernehmungen und ärztlichen Untersuchungen junger und weiblicher Strafgefangener zu assistieren. Schnell erkennt sie die sozialen Ursachen, die Frauen dazu treiben, sich zu prostituieren, zu trinken, ihre Kinder verwahrlosen zu lassen oder sie zu töten.

Arendt setzt sich nach Kräften für ihre vom Leben gebeutelten Schützlinge ein. Doch in einer Gesellschaft, die Frauen nur ein Leben unter den Vorzeichen der 3 Ks: Kinder, Küche gestattet wird, und in der sie selbst als eine von bald 65 deutschen Polizeiassistentinnen schlechte Karten. Denn ihren männlichen Kollegen darf sie nur zuarbeiten und ihren Anweisungen muss sie folgen. Immer wieder berichtet sie von "bürokratischer Engherzigkeit", von der sie ihrer Fürsorge für gefallene Frauen und Mädchen ausgebremst wird.

Ihr größter Fehler ist in den Augen ihrer männlichen Vorgesetzten, dass sie ihre An- und Einsichten zur realexistierenden Doppelmoral einer bürgerlichen Klassengesellschaft in Vorträgen, Zeitungsartikeln und Büchern öffentlich macht und damit die vermeintlich gute Gesellschaft schlechtmacht. Ihre Vorgesetzten sprechen von "Sensationsjournalismus" und weisen darauf hin, dass auch Arendts männliche Kollegen diesen betreiben könnten, es aber nicht täten, "weil sie dienstlich zu gut erzogen sind."

Trotz ihrer demütigenden Erfahrungen lässt sie sich in ihrem Tatendrang nicht entmutigen weil sie davon überzeugt ist, dass sich meine Arbeit schon gelohnt hat, "wenn ich auch nur einen Menschen gerettet und auf den rechten Pfad zurückgebracht habe".  Außerdem glaubt sie daran, dass in jedem Menschen, auch in dem Verkommensten, ein göttlicher Funke ist. 

Gar nicht gut an kommt auch ihre Kritik an den gutbürgerlichen Gesellschaft. Während die Herren der Schöpfung ihre Dienstmädchen schwängerten und sie mit ihren ungewollten Kindern dem Elend überließen, blieben sie selbst unbehelligte und gut angesehene Mitglieder der Gesellschaft, lautet ihr Vorwurf.

In ihren Vorträgen und Publikationen fordert sie eine zeitgemäße Fortsetzung der bismarckschen Sozialpolitik. "Es darf nicht sein, dass wir in unserem Staat nur Gesetze haben, mit denen wir sterben können", sagt sie mit Blick auf die von Bismarck nach 1880 eingeführten Kranken- Renten- und Invalidenrentenversicherung. In ihren Augen "brauchen wir auch Gesetze, mit denen wir leben und etwas aus uns machen können."
 
Auch wenn der deutsche Sozialstaat heute bei weitem mehr ausgebaut ist als zu Arendts Zeiten, bleibt das Lebensbeispiel die ersten deutschen Polizisten, die 1922 unverheiratete und kinderlos stirbt auch für die heutige Generation eine Mahnung, dass Sozialstaat und Solidarität in einer Gesellschaft mit Leben gefüllt werden müssen, indem jeder und jede ihren Platz in unserer Gemeinschaft finden und seine Talente entfalten kann und nicht einfach abgehängt und links liegen gelassen wird.

Denn auch heute sind Verwahrlosung und Kindstötungen leider kein Thema von Gestern. Auch die Tatsache, dass 60 Jahre nach Arendts Tod die ersten gleichberechtigten Polizeibeamtinnen in NRW eingestellt wurden und mit der Juristin Dr. Gisela Röttger-Husemann 90 Jahre nach der Einstellung der ersten deutschen Polizeiassistentin Mülheim ihr Amt als erste Polizeipräsidentin angetreten hat, haben daran nichts ändern können.

muss.

Montag, 26. Mai 2025

Der Sämann

 Als der 2014 heiliggesprochene Konzilspapst Johannes XXIII. 1963 starb, war Michael Janßen drei Jahre alt. Und doch hat das Charisma des Angelo Giuseppe Roncalli, der als Papst das II. Vatikanum eröffnete und damit die Türen und Fenster der Katholischen Kirche öffnete, um frische Luft und reformbereite Aufbruchstimmung hineinzulassen so beeindruckt, dass es ihn zu seiner Berufswahl inspirierte. Als Janßen 20 Jahre nach dem Ende des II. Vatikanischen Konzils (1985) zum Priester geweiht wurde, gab es in Mülheim noch 16 Pfarrgemeinden und 15 Pfarrer. Heute betreuen Janßen und sein Amtsbruder Christian Böckmann noch drei Pfarrgemeinden. Doch Janßen, der seit 2004 Pfarrer von St. Mariae Geburt und seit 2008 Stadtdechant ist, macht sich keine Illusionen. Die Zukunft der Mülheimer Stadtkirche sieht er in einer Pfarrgemeinde, die auf dem Kirchenhügel verwaltet wird und deren Kirche nur einer von vielen "christlichen Orten" in der Stadt sein wird,

"Wir müssen als Christen mittendrin in der Stadt sein. Und wenn wir von unserer Frohen Botschaft überzeugt und begeistert sind, werden wir auch andere Menschen davon überzeugen und sie dafür begeistern", glaubt Janßen. Ist das nicht nur frommer Zweckoptimismus angesichts des demografischen und sozialen Wandels, der die Zahl der Mülheimer Katholiken in Janßens 40 Priesterjahren von mehr als 60.000 auf weniger als 40.000 hat schrumpfen lassen.

Angesichts seiner seelsorgerischen Gespräche, die er auch mit den Menschen führt, die aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind, bleibt Janßen optimistisch. Auch in seinen Gesprächen mit jungen Menschen spürt er "eine große Sehnsucht nach Halt und Orientierung für ein sinnvolles Leben." Auch ausgetretene Katholiken bestätigen ihnen immer wieder, dass ihr Kirchenaustritt mit dem priesterlichen Missbrauchskomplex in der katholischen Kirche, aber nicht mit ihrem Glauben an die Frohe christliche Botschaft zu tun habe.

Anders, als während des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) sieht Janßen die katholische Kirche nicht im Frühling, sondern im Herbst, also in einer Übergangszeit, in der die Felder beackert und besät werden müssen, ohne dass man die Früchte seiner Arbeit sehen oder ernten könnte. Jesu Gleichnis vom Sämann lässt grüßen.

Zu beackern gibt es auch in der kleiner gewordenen Stadtkirche, daran lässt der inzwischen 65-jährige Janßen keinen Zweifel, auch weiterhin jede Menge. Die "priesterzentrierte Kirche", "die sich an Gebäude klammert, die sie sich nicht mehr leisten kann", sieht er an ihrem Ende. Die von der christlichen Ökumene und dem interreligiösen Dialog geprägten Gegenwart und Zukunft gehöre qualifizierten Laien im kirchlichen Haupt- und Ehrenamt und dem "überfälligen Diakonat der Frau." Auch "verheirateten Männern, die sich in Ehe und Familie bewährt haben", sollte man nach seiner Ansicht den Zugang zum katholischen Priesteramt ermöglichen.

Mehr über Michael Janßens Priesterjubiläum lesen Sie hier und dort

Eine starke Frau

Zurecht ist sie oft mit der Albert-Schweitzer verglichen worden. Ihr Lambrene heißt Litembo und liegt in Tansania. Und für sie gilt auch Alb...