Dienstag, 30. April 2019

Unter Wölfen


Wer hätte das gedacht. Der Wolf interessiert die Mülheimer so sehr, dass das Haus Ruhrnatur den entsprechenden Vortrag über die Rückkehr der Wölfe gleich ein zweites Mal anbieten muss. Ich weiß nicht recht, ob ich mich über die Rückkehr der Wölfe freuen soll, wo ich schon so manchem aggressiven Hund und seinem gleichgesinnten Halter im Zweifel lieber ausweiche. „Der beißt nicht. Der will nur spielen. Oh! Das hat er noch nie gemacht.“ Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kleinkind von einer Dogge übersprungen wurde und das Märchen vom „bösen Wolf“ gehört habe. Sie wissen: Der, der das arme Rotkäppchen gefressen hat: „Großmutter! Warum hast du so große Augen? Großmutter! Warum hast du einen so großen Mund?“ Ich höre schon die Spötter: „Nur Schafe haben Angst vor dem Wolf!“ Ich weiß: Die größte Angst müssen wir, wenn wir nicht gerade Schäfer sind, heutzutage wohl vor den Wölfen im Schafspelz haben. Sie kommen lammfromm, auch gerne im Designer-Anzug oder in anderen edlen Gewändern daher, die ihnen als Deckmantel der Seriosität dienen, um ihre Mitmenschen über den Tisch oder ihnen gar das Fell über die Ohren zu ziehen. Ob der vom Haus Ruhrnatur eingeladene Wolfsexperte uns auch zu dieser reißerischen Spezies etwas sagen kann? Doch ich fürchte, er kann uns mit Blick auf diese gefährlichen Artgenossen, die sogar ihre Großmutter an den bösen Wolf und seine Kollegen verkaufen würden, auch nur raten, auf unser Bauchgefühl zu hören und unseren gesunden Menschenverstand einzuschalten, damit es uns am Ende nicht wie dem armen Rotkäppchen geht. 

Dieser Text erschien am 30. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 29. April 2019

Wer ist eine feste Burg?


„Wir sind die Schlossretter!“ steht auf einem Baustellenbanner an der restaurierungsbedürftigen Broicher Schlossmauer. Darunter werben die Parteien mit großformatigen Plakaten um unsere Stimme bei der Europawahl am 26. Mai. Mehr Sicherheit, Freiheit und Solidarität, mehr Klimaschutz und weniger Verbote, mehr Mut und weniger Hass. Das alles noch viel mehr versprechen uns die strahlenden Retter des Vaterlands und seiner europäischen Nachbarn aus der politischen Arena. Der schon oft umworbene Wähler geht vorbei und wünscht sich, dass die modernen Ritter auch nach der Wahl in Amt und Würden noch so ritterlich für die Verwirklichung ihrer edlen Ziele und damit für unser aller und nicht nur für ihr eigenes Wohlergehen kämpfen werden.
 Als lebenserfahrene Wähler wollen wir ja gar nicht durch die rosarote Brille schauen. Wir wären schon dankbar, wenn nur 50 Prozent der gut gemeinten Wahlwerbung zwischen den Wahlen zu einer noch besseren  Wirklichkeit würde, die uns nicht schwarzsehen lässt, weil wir uns wie in der Zeit der alten Burgen und Ritter fühlen, in der nur die Starken zu ihrem Recht kommen.

Dieser Text erschien am 29. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 28. April 2019

Ein Brückenbauer

Heinrich Krosse 1919-2017
Archivfoto Sigrid Krosse
Den Neu- und Ausbau der A52 und der Ruhrtalbrücke würde er wohl mit Interesse und Wehmut verfolgen. Denn es war seine Ruhrtalbrücke, die der vor 100 Jahren in Styrum geborene Brückenbauingenieur Heinrich Krosse für seinen Arbeitgeber Krupp in den 50er und 60er Jahren entwarf.

Fast hätte der Ingenieur, dessen Elternhaus auf der Neustadtstraße stand, seinen 100. Geburtstag am 27. April 2019 noch erlebt, wenn er nicht vor eineinhalb Jahren am 18. November 2017 gestorben wäre. „Mein Vater war in seinem Herzen nicht nur ein Bauingenieur, sondern auch ein Künstler, der hervorragend zeichnen konnte und sich für die Natur  begeisterte“, erinnert sich Sigrid Krosse an ihren Vater.

Die Mülheimer Naturwissenschaftlerin und Verlegerin kann sich noch gut an die Zeichnungen erinnern, die ihr Vater für den Bau der 1966 eröffneten Ruhrtalbrücke angefertigt hatte. „Und bevor er mit den Zeichnungen begann, machte er sich vor Ort ein genaues Bild und fotografierte viel. Denn er wollte, dass sich de Brücke gut in die Landschaft einfügen sollte“, berichtet Krosse. Sie war elf Jahre alt, als ihr Vater im September 1966 in ihrer Gegenwart Mitgliedern des Geschichtsvereins vor Ort den Bau der Autobahnbrücke erläuterte, über die ab Dezember 1966 täglich rund 20.000 Autos zwischen Düsseldorf und Essen pendeln sollte. Der Bau der Ruhrtalbrücke brachte dem Ingenieur Heinrich Krosse nicht nur Glück und Anerkennung. „Meinen Vater hat es sehr bedrückt, dass drei Arbeiter während der Errichtung der Ruhrtalbrücke ums Leben kamen. Auch die Geiselnahme, die sich während der 1990er Jahre im Brückenbau abspielte, hat er damals mit viel Anteilnahme verfolgt, weiß Sigrid Krosse zu berichten.

Heute sind auf der 1830 Meter langen, 65 Meter hohen und 28 Meter breiten Ruhrtalbrücke jeden Tag viermal so viele Fahrzeuge unterwegs. Tendenz steigend. Das erklärt die Planungen für einen Neu- und Ausbau der A52.

Heinrich Krosse gehörte zu der Generation, die während der NS- und Kriegszeit erwachsen wurde. 1937 machte er an der städtischen Oberrealschule in Mülheim sein Abitur. Nach einigen Praktika begann er im gleichen Jahr ein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule Aachen, von dem er im 3. Semester in das Studium des Bauingenieurwesens wechselte und mit Auszeichnung 1939 sein Vorexamen abschloss.

Nach dem Reichsarbeitsdienst begann der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begann.

Aus dem Krieg nach einer Verwundung zurückgekehrt, setzte er sein Studium an der Technischen Hochschule Hannover im Fach Bauingenieurswesen fort und wurde begeisterter Brückenbauer. Mit dem Diplom in der Tasche fand er zunächst bei der Bahndirektion in Essen eine Anstellung. 1950 begann er schließlich für die Fa. Krupp tätig zu werden. Obwohl Krosse für Krupp in der halben Welt unterwegs war, sollten ihn diese zwei großen Brückenbauprojekte, der Neubau der Schloßbrücke (1960) und der 1966 vollendete Bau der Ruhrtalbrücke beruflich mit seiner Heimatstadt verbinden.

Eine besondere Herausforderung bereitete ihm der Auftrag für den Neubau der Mülheimer Schloßbrücke. Den Zuschlag für dieses Projekt bekam die Fa. Krupp wegen seines genialen verkehrstechnischen Lösungsvorschlages, bei dem der Verkehr zu keiner Zeit vollständig gesperrt werden musste.  Dabei wurde der Neubauteil auf Verschubbahnen neben der alten Brücke montiert und nach Fertigstellung und Abriss des alten Bauteils an dessen Stelle verschoben. Am 3. September 1960 fand also in Mülheim an der Ruhr die erste Brückenverschiebung in dieser Form statt.

Beide Brückenbauten, deren Planung bereits in den 1950er Jahre begonnen hatte, brachten ihrem geistigen Vater weit über die Grenzen von Stadt und Region große Anerkennung ein. „Wenn wir spazieren gingen und die Schloß- oder die Ruhrtalbrücke in Sicht kam, habe ich oft zu ihm gesagt“: „Schau mal, Papa! Da ist deine Brücke“, erinnert sich seine Tochter.


Dieser Text erschien am 27. April 2019 in NRZ & WAZ

Samstag, 27. April 2019

Teure Post


Vater bekam jetzt Post von der Stadtverwaltung. Das bekommt er nicht gerne. Denn meistens geht es an sein Portemonnaie, wenn ihm die Stadt schreibt. Vorzugsweise bereichert Vater die Stadt- und Staatskasse mit Strafgebühren für falsches Parken oder für zu schnelles Fahren. Doch jetzt konnte Vater entspannen. Denn der Briefumschlag mit dem Verwaltungsabsende enthielt keine teure Überraschung, sondern die Wahlbenachrichtigung für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Bleibt nur die Frage, ob sich Vater zu früh entspannt hat und seine Wahlentscheidung wirklich ein billiges Vergnügen wird. Denn auch hinter einer harmlos daherkommenden Wahlbenachrichtigung kann sich eine teure Überraschung verbergen. Etwa zwei Drittel unserer nationalen Gesetzgebung werden inzwischen durch das Europäische Parlament beeinflusst. Allein die Durchführung der letzten Bundestagswahl hat den Steuerzahl nach Angaben des Bundesinnenministeriums 92 Millionen Euro gekostet. Hinzu kommen die rund 9700 Euro, die die 96 deutschen Europaabgeordneten als monatliche Brutto-Diät vom Steuerzahler erhalt. Das Wort Diät ist dabei nicht zu wörtlich zu nehmen. Doch ob sich die Wahlbenachrichtigung am Ende als lohnende Investition in das Gemeinwesen oder als teure und unangenehme Überraschung erweisen wird, erfährt man frühestens am Ende der vier- oder fünfjährigen Wahlperiode, wenn die Entscheidungen der Parlamentarier auf dem Tisch liegen und sich erweist, ob und wie sie sich für die Wähler und Steuerzahler auszahlen. Auch wenn es an der Wahlurne nicht wie am Traualtar heißt: „bis das euch der Tode scheidet“, ist es mit dem Bund zwischen Wählern und Abgeordneten doch genauso wie mit dem Ehebund fürs Leben. Nicht die wunderschönen Worte in der Bewerbungsphase, sondern die Tatsachen im Alltag entscheiden darüber, ob man ein Happy End oder sein blaues Wunder erlebt.


Dieser Text erschien am 27. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 26. April 2019

Etwas größer, bitte!


„Im Testbetrieb“ steht da über der Anzeigetafel im Hauptbahnhof. Es ist nicht irgendeine Anzeigetafel, sondern eine elektronische wie man sie schon seit Jahren von anderen Stadtbahnhöfen kennt. Toll. Jetzt haben wir so was auch in Mülheim. Sage noch einer, in unserer Stadt würde sich nichts bewegen.

Apropos Bewegung. So eine elektronische Anzeigetafel hat natürlich auch den Vorteil, dass sie Knopfdruck oder Mouseklick sofort anzeigen kann, wenn sich bei der Deutschen Bahn mal etwas nicht so bewegt wie es soll. Das soll ja vorkommen.

Apropos vorkommen. Mir kommt es beim Betrachten der Anzeigetafel am Hauptbahnhof so vor, als sei die elektronische Fahrplananzeige, die die Bahn für Mülheim ausgesucht hat, kleiner, aber höher gehängt als in anderen Städten und deren Hauptbahnhöfen. Sollte man bei der Deutschen Bahn – aus welchen Gründen auch immer – glauben, dass man in Mülheim Dinge gerne etwas höher hängt, um am Ende dann lieber doch nicht so genau hinzuschauen? Meiner Ansicht hat es die Deutsche Bahn mit ihrer zu kleinen und zu hochgehängten digitalen Fahrplananzeige mal wieder gut gemeint, aber nicht gut gemacht, weil sie den Zug der Zeit, will sagen den demografischen Wandel, übersehen hat, in dessen Zuge die Zahl der Menschen mit Adleraugen tierisch abnimmt und deshalb bei öffentlichen Anzeigetafeln gerade in der guten alten Stadt Mülheim gelten sollte: „Big is beautyfull/Groß ist schön!“ Und deshalb wäre es schön wenn uns die Deutsche Bahn an unserem Hauptbahnhof eine größere und tiefer gehängte Anzeigetafel gönnen würde, damit wir als meistens eilige Fahrgäste auch im Vorbeigehen fahrplantechnisch auf dem Laufenden bleiben. Bis dahin vergessen Sie Ihre Lesebrille nicht, wenn es Sie zum Zug zieht oder fragen Sie Ihren jungen und scharfsichtigen Nebenmann oder ihre junge und scharfsichtige Nebenfrau. Man sieht sich. 


Dieser Text erschien am 26. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 25. April 2019

"Fährmann, hol über!"

Archivfoto aus Franz Rolf Krapps Buch: "Mülheim seit 1945"
Mit einem Foto aus Franz Rolf Krapps Buch „Mülheim nach 1945“ springen wir heute zurück ins Jahr 1974. Das Jahr, in dem Deutschland zum zweiten Jahr Fußball-Weltmeister wurde, war für die Mülheimer das Jahr, in dem sie mit einer ganzen Woche vom 6. Bis zum 14. September 1974 ihre neue Innenstadt mit der Fußgängerzone auf der Schloßstraße und am neuen Hans-Böckler-Platz feierten. Eine von insgesamt 60 Attraktionen dieser Festwoche war ein Fährverkehr zwischen dem Rathaus- und dem Stadthallen-Ufer der Ruhr. Die Fähre, die wir auf dem Foto von 1974 sehen, war ein vom Technischen Hilfswerk angefertigter Nachbau der Fähre, die zwischen 1771 uns 1844 die Mülheimer vom westlichen zum östlichen Ufer der Ruhr brachte. Diese Fähre ging als Schollsche Fähre in die Stadtgeschichte ein, weil sie zwischen 1808 und 1827 von Hermann Scholl betrieben wurde. Sein Nachfolger, der Schiffsbauer Hermann Thielen war der letzte Fährmann auf der Ruhr. Denn mit Bau der ersten Ruhrbrücke, der sogenannten Kettenbrücke hatte sich der Fährbetrieb auf der Ruhr 1844 erledigt. Die Schollsche Fähre sollte 1999 noch einmal, im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nachgebaut werden. Doch die Fähre, die acht Personen Platz bot, musste 2008 aus Sicherheitsgründen ihren Verkehr einstellen. Ihre Nachfolge trat das von der Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismus-Gesellschaft betriebene Wikingerschiff, das von der MST für Gruppenausflüge auf der Ruhr vermietet wird und bis zu 14 Fahrgästen Platz bietet. Der Zeitsprung setzt die Veränderungen der Innenstadt ins Bild. Die um 1880 angelegten Ostruhranlagen sind ebenso verschwunden wie der 1967 errichtete Dezernentenflügel des Rathauses. Heute sehen wir vom Stadthallenufer aus die 2014 eröffnete Ruhrpromenade mit ihrem Hafenbecken und das in diesem Jahr fertig gestellte Stadtquartier Schloßstraße. Das 1912 eröffnete und 1998 geschlossene Stadtbad (rechts) dient heute als Wohnquartier.
So schaut es 2019 aus der gleichen Perspektive aus


Dieser Text erschien am 23. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 23. April 2019

Mülheim muss ein Dorf werden

Die Schloßstraße entwickelt sich. Früher war sie mal eine Fußgängerzone. Heute ist sie entweder ein Fußallplatz oder eine Rennstrecke. Wehe dem, der da nicht mitspielen will oder kann, weil er einfach unsportlich oder unbeweglich ist und nicht schnell genug zur Seite springen kann, wenn da zum Beispiel gekickt, geradelt, gefahren oder geskatet wird. Gegen Sport und Bewegung ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Aber der schönste Sport braucht auch seine Schiedsrichter, damit fair gespielt und Fouls geahndet werden. Doch leider sieht man potenzielle Schiedsrichter vom Ordnungsamt oder vor der Polizei nur selten, wenn die sportliche Jugend auf der Schloßstraße für Olympia oder die Tour de France trainiert und der eine oder andere übereifrige und rücksichtslose Sportsfreund mal vom Platz gestellt oder zumindest mit eine Zeit- oder Geldstrafe belegt werden müsste. Da besagte Sportkameraden auch freundliche Hinweise auf freie Spielflächen vor dem Rathaus oder an der Ruhr nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, sehe ich nur eine Lösung. Die Stadtverwaltung muss die gesamte Stadt so schnell wie möglich dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Internationalen Olympischen Komitee als olympische Trainingsdorf anbieten. Das würde dann soviel Geld in die Stadtkasse spülen, dass wir nicht nur neue Sportstätten errichten, sondern auch unsere Straßen in einen olympiareifen Zustand bringen könnten. Und am Ende würden wir dann, ich wage es mir kaum vorzustellen, sogar ausreichend präsente Ordnungshüter als Schiedsrichter erleben, die auf allen Spielfeldern für Fair Play sorgen.

Dieser Text erschien am 23. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 22. April 2019

Die Kunst des Kompromisses


Nathanael Liminski in St. Mariae Geburt
Zum Beginn der Karwoche haben die Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt und der evangelische Kirchenkreis An der Ruhr zu einer ökumenischen Trauermette eingeladen. In seiner Kanzelrede plädierte der Leiter der NRW-Staatskanzlei, Nathanael Liminski, „die Kunst des Kompromisses“ und die Fähigkeit zum Konsens gegen alle Anfechtungen politischer Populisten zu verteidigen, die  vielen Menschen in Zeiten historischer Umbrüche mit ihren „Maximalforderungen und scheinbar einfachen Lösungen auf den ersten Blick oft attraktiv erscheinen.“

An den Beispielen der europäischen Integration, der Ost- und Entspannungspoltik, der Nato-Nachrüstung, der Vertiefung der europäischen Integration und ganz aktuell am Beispiel des von einer gesellschaftlich repräsentativ besetzten 28-köpfigen Kommission ausgehandelten Kompromisses zum Ausstieg aus dem Braun- und Steinkohlenbergbau machte Liminiski deutlich, „dass Konsens und Kompromiss kein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke und das politische Erfolgsrezept der Bundesrepublik in den letzten 70 Jahren ist.“

Auch die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen der Digitalisierung, des Klimawandels, der Zukunft Europas und des demografischen Wandels sind nach Ansicht Liminskis nur auf der Basis des demokratisch ausgehandelten Konsenses und Kompromisses verantwortungsvoll und zielführend. Der Chef der Staatskanzlei bekannte sich zum Prinzip der politischen Volksparteien, die einen Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen herstellen und damit die Grundlage „für eine Politik legen, die Handlungsfähigkeit beweist, Zusammenhalt stiftet und Orientierung gibt.“ Nathanael Liminiski rief seine etwa 200 Zuhörer in der katholischen Stadtkirche an der Althofstraße dazu auf, die Wahl des Europäischen Parlaments am 26. Mai „zu einem Referendum für mehr Europa und für die politische Kunst des Kompromisses und des Konsenses“ zu machen.

Superintendent Gerald Hillebrand und Stadtdechant Michael Janßen würdigten Liminskis Kanzelrede in St. Mariae Geburt als „eine Bußpredigt im besten Sinne des Wortes, weil sie uns im Geist der Karwoche dazu einladen, inne zu halten, eigene Positionen zu überdenken, umzukehren und neu anzufangen.“

Der 32-jährige Jurist, Historiker und Politikwissenschaftler Nathanael Liminski leitet die NRW-Staatskanzlei seit dem 30. Juni 2017. Zuvor führte er drei Jahre lang die Geschäfte der CDU-Landtagsfraktion. Nach seinem Studium begann der Sohn des katholischen Journalisten Jürgen Liminski 2010 seinen beruflichen Werdegang als Referent im Planungsstab der hessischen Staatskanzlei. Anschließend war der verheiratete Vater von drei Kindern als Referent in den Bundesministerien für Verteidigung und Inneres tätig.


Dieser Text erschien am 20. April 2019 im Neuen Ruhrwort

Sonntag, 21. April 2019

Antiwerbung

Wo ich in der Stadt auch hinschaue, immer öfter sticht mir das Wort Deal ins Auge. Derzeit sieht man dieses für „Handel“ stehende englische Wort gerne auch mit dem jahreszeitlichen Zusatz „Frühlings“. Ob es um Fitnesstraining, mobile Kommunikation oder Früchte der Saison geht. Händler laden mich zu einem Deal ein, der für mich als Kunde von Vorteil sein soll. Doch bei mir wollen diese verlockenden Sonderangebote einfach keine Frühlingsgefühle auslösen. Denn der Anglizismus in der Kundenansprache erinnert mich auf fatale Weise an die Dealer, die mit Drogen illegale Geschäfte betreiben, die in jedem Fall zum Nachteil ihrer Kunden sind. Außerdem werde ich den Verdacht nicht los, dass hier ein ganz besonderer Dealer sprach- und stilbildend gewirkt hat, der uns als Präsident der Vereinigten Staaten seit seinem Amtsantritt am 20. Januar 2017 einen Deal nach dem anderen um die Ohren haut, der uns als Weltgemeinschaft politisch schwer im Magen liegt und uns teuer zu stehen kommt. Liebe Händler, die ihr euch sprachlich auf das Niveau eines Mannes begebt, der bestenfalls als Vorbild dafür dienen kann, was man als Mensch und Staatsmann auf keinen Fall tun sollte, glaubt mir als eurem potenziellem Kunden, der wie auch immer geartete Deal ist in Zeiten eines zweifelhaften politischen „Dealers“ im Weißen Haus alles andere als werbewirksam.

Dieser Text erschien am 18. April in der Neuen Ruhrzeitung

Samstag, 20. April 2019

Ansichten eines Clowns


Ein Freund überraschte mich jetzt mit der Einladung zu seinem rund Geburtstag. Die Einladung selbst überraschte mich nicht. Doch die Tatsache, dass das Geburtstagskind, das inzwischen auch zu den reiferen Menschenkindern gehört, seinen besonderen Ehrentag in einem Zirkuszelt und im Rahmen eines Mitmachzirkus feiern möchte überraschte mich dann doch.

Vielleicht wächst ja mit zunehmenden Alter die Sehnsucht nach der immer länger zurückliegenden Kindheit, in der man sich arglos für Zirkus begeistern konnte, weil man noch keine Ahnung davon hatte, welchen Zirkus man im Laufe seines Lebens noch erleben und welche Drahtseilakte man noch zu vollführen haben werde.

Jetzt sitze ich hier, ich armer Tropf und mach mir einen Kopf. Spontan neige ich ja eher zur Clownerie als zur Akrobatik. Denn ich habe noch die sorgenvollen Worte meines Sportlehrers im Kopf, der mir bei anspruchsvollen Leibesübungen riet: „Nimm dir Zeit und nicht das Leben!“

Zu Bruchlandungen und Verrenkungen fragen Sie meinen Arzt oder Apotheker. Da ist mir der Clown schon lieber, der sich und andere zum Lachen bringt, auch wenn ihm manchmal zum Weinen ist, weil er nicht erst seit Joachim Ringelnatz weiß, dass Humor der Knopf ist, der verhindert, dass uns der Kragen platzt. Genau diesen heilsamen Humor wünsche ich uns allen, damit wir im Angesicht so vieler lächerlicher, aber leider nicht humorvollen und unterhaltsamen Clowns und Akrobaten im kleinen und großen Zirkus der Weltgeschichte, dass Lachen und die Lebensfreude nicht verlernen. 

Dieser Text erschien am 20. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 19. April 2019

Notre Dame ist überall


Dieses Foto stammt aus dem 
Mülheimer Adressbuch 1954
Als Walter Neuhoff (82) die Fernsehbilder der brennenden Notre Dame in Paris sah, wurden bei ihm Erinnerungen an die Zerstörung der Petrikirche und ihren Wiederaufbau wach. Am 23. Juni 1943 legten britische Bomber mit der Innenstadt auch das damals schon 750 Jahre alte Wahrzeichen der Stadt in Schutt und Asche.

„Nur eine Mauerreste und das Fundament des Kirchturms waren stehen geblieben“, erinnert sich Neuhoff an die Bilder seiner Kindheit. „Als Konfirmanden des Jahrgangs 1951 sind wir damals mit dem damaligen Pfarrer des Evangelischen Altstadtgemeinde Pastor Ernst Barnstein durch die Trümmer der Petrikirche gestapft und er hat uns gezeigt, wo vor der Zerstörung was in der Petrikirche gestanden hatte. Ich habe noch seinen Satz ihm Ohr: ‚Gebe Gott, dass ich den Wiederaufbau dieser Kirche noch erleben werde‘“, berichtet der Zeitzeuge.

Neuhoff und seine Mit-Konfirmanden, die ihre Konfirmation 1951 nicht in der zerstörten Petrikirche feiern konnten und deshalb auf den Altenhof an der Kaiserstraße ausweichen mussten, leisteten ihren ganz eigenen Beitrag zum Wiederaufbau der Petrikirche. Regelmäßig sammelten sie an den Haustüren Spenden für den Wiederaufbau der Petrikirche. „Ja, die Petrikirche muss wiederaufgebaut werden. Dafür gebe ich gerne“, bekamen Konfirmanden auch von katholischen oder kirchlich gar nicht gebundenen Mülheimern zu hören. Viel Geld für den 1950 begonnenen und 1958 abgeschlossenen Wiederaufbau der Petrikirche, kam auch durch die Einnahmen der Petri-Pfingst-Kirmes zusammen. „Eine Achterbahn, die direkt an der zerstörten Petrikirche aufgestellt wurde und zwei Riesenräder, die an der Ecke Bachstraße/Leineweberstraße und Leineweberstraße/Friedrich-Ebert-Straße standen, waren die Hauptattraktionen dieser Kirmes“, erinnert sich Neuhoff.

Er muss noch heute darüber lachen, dass sein christlich- wertkonservativer Vater Wilhelm 1950 in die FDP eintrat, weil deren damaliger Vorsitzender und Bürgermeister Wilhelm Dörnhaus zu den treibenden Kräften des Wiederaufbaus der Petrikirche gehörte, die am 21. Dezember 1958 wieder eingeweiht werden konnte, nach dem ihr Turm bereits  1957 wiederhergestellt worden war.

„Die öffentliche Bedeutung, die dem Wiederaufbau der Petrikirche auch jenseits der Stadtgrenzen beigemessen wurde, zeigte sich auch daran, dass der erste Gottesdienst in der wiederhergestellten Petrikirche im Rundfunk übertragen wurde. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie eindringlich Pastor Barnstein in diesem Gottesdienst vom Schmerz über die Zerstörung der Petrikirche gesprochen und ihren Wiederaufbau als große Gnade bezeichnet hat“, schaut Walter Neuhoff auf denkwürdigen 4. Advent 1958 zurück.

Er bedauert es, dass eine andere Kirche, die Paulikirche an der Delle, keine so starke Lobby wie die Petrikirche hatte, obwohl hier täglich ökumenische Andachten stattfanden und viele Brautpaare sich dort das Ja-Wort fürs Leben gaben. „Die Paulikirche hatte im Krieg ihre Turmspitze veloren, die auch nach dem Krieg nicht wiederaufgebaut wurde“, erinnert sich Neuhoff. Die 1881 eingeweihte Paulikirche und ihre kleinere Vorgängerin konnten auf eine über 300-jährige zurückschauen, als in der Kirche an der Delle am 27. Juni 1971 der letzte Gottesdienst gefeiert wurde. Auch eine Besetzung durch junge Mülheimer und ihre Forderung, dort ein autonomes Jugendzentrum einzurichten, konnte die Paulikirche nicht vor dem Abriss im Oktober 1971 retten. Walter Neuhoff erinnert sich daran, dass es in den frühen 1970er Jahren Pläne gab, auf dem Platz der Paulikirche ein Kaufhaus zu errichten. Diese Pläne, so Neuhoff, seien dann aber doch nicht realisiert worden, nach dem 1977 der Vorgänger des 1994 errichteten Forums, das City Center eröffnet wurde.

Dieser Text erschien am 17. April in NRZ & WAZ 

Donnerstag, 18. April 2019

Flotte Flitzer


 
Archivfoto Walter Neuhoff
„Ja, wo fahren sie denn?“ Ein Hauch von Monte Carlo in Mülheim. Das alte Foto stammt aus den frühen 1950er Jahren und zeigt ein Seifenkistenrennen. Die tollkühnen Piloten flitzen in ihren selbstgebauten Rennpappen über die Reichspräsidentenstraße und den Hagdorn. „Von 1949 bis 1952 lud das Handelshaus Tengelmann lud junge Mülheimer der Jahrgänge 1936 bis 1939 publikums- und werbewirksam dazu sein, sich mit einem Auto Marke Eigenbau beim Seifenkistenrennen, das später Schokoladenkistenrennen genannt wurde einen Kurzurlaub im Sauerland zu verdienen, in den sie einen Elternteil mitnehmen durften“, erinnert sich der 1936 geborene Mülheimer Walter Neuhoff. Die Idee der Seifenkistenrennen war nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA nach Westdeutschland gekommen. Doch Tengelmann beendete seine beliebten Schokoladenkistenrennen zwischen Reichspräsidentenstraße, Werdener Weg, Lohscheidt und Hagdorn, nachdem sich zwei der Schokoladenkisten-Piloten beim Rennen 1952 überschlagen hatten und dabei zu Tode gekommen waren.

Neben den Schaulustigen am Straßenrand sehen wir auf dem Foto aus den frühen Fünfzigern Polizeibeamte mit ihrem bis Ende der 1960er Jahre üblichen Tschako als Streckenposten am Straßenrand. Der von einem Husarenhelm inspirierte Tschako war ein Symbol für die militärischen Traditionslinien in der deutschen Polizei. Denn bis zum Ende des Kaiserreiches 1918 hatten alle Polizeibeamte vorher beim Militär gedient. Erst mit der Ausrufung der Weimarer Republik, setzte der damalige deutsche und preußische Innenminister Carl Severing eine vom Militär unabhängige Einheitslaufbahn der Polizeibeamten durch.

Die Tradition der Seifenkistenrennen wird bis heute – mit Schutzhelmen - im Rahmen der Pfarrfeste von Sankt Barbara am Schildberg in Dümpten sicher fortgesetzt. An der Schildbergschule gibt es seit 1996 sogar eine Arbeitsgemeinschaft für Seifenkistenbau. 

Dieser Text erschien am 16. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 17. April 2019

Wie taktlos


Wo kann man heute noch Abenteuer erleben? Natürlich im Nahverkehr. Am Montag war ich so unvorsichtig, meine Heimatstadt morgens mit der Regionalbahn zu verlassen. Mittags, so mein Plan, wollte ich wieder da sein. Da hatte ich aber die Rechnung ohne eine Bombenentschärfung und unvorsichtige Bauarbeiter gemacht, die nicht nur die S- und Regional,- sondern auch die Straßenbahn mächtig aus dem Takt brachte. Lautsprecherdurchsagen wie: „Dieser Zug fällt heute aus!“ oder: „Die Bahn muss umgeleitet werden und fährt deshalb nicht über Essen und Mülheim!“ beließen die Fahrgäste, die sich derweil ratlos und ohne Beistand von Servicekräften auf den Bahnsteigen näher, aber eben nicht gemeinsam weiterkamen, im Tal der Ahnungslosen. Gerüchte statt handfeste Informationen machten die Runde. Kümmert sich den heute niemand mehr um Fahrgäste, die im Leben noch vorankommen wollen und müssen und dabei ohne unterwegs sind und damit doch einen löblichen Beitrag gegen den Stau auf unseren Straßen und gegen klima- und gesundheitsschädliche Abgase leisten? Doch es gibt da jemanden. Der liebe Gott ließ am Beginn der Karwoche die Sonne scheinen und wärmte damit die gefühlt ewig wartenden Fahrgäste. Gott kennt auch die an allen Ecken und Enden, leider nicht immer mit Verstand und Fingerspitzengefühl werkelnden Arbeiter im Weinberg des Herrn: Und deshalb weiß er: Ihre Wege sind manchmal unergründlich, aber sie führen, wenn auch zuweilen nach einer halben Ewigkeit auf wundersame Weise doch ans Ziel. Wenn das keine Einstimmung auf Ostern ist. 

Dieser Text erschien am 17. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 16. April 2019

Wie sieht es in Teufels Küche aus?


Wer mit Bus und Bahn durchs Leben fährt, erfährt manchmal etwas fürs Leben, was einen weiterbringt. Das erlebte ich jetzt als Zuhörer und Zuschauer des folgenden Dialogs: Eine Mutter und ihre kleine Tochter sind mit der S-Bahn unterwegs. Plötzlich kommt der uniformierte Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes durch den Gang und schaut links und rechts mit ernster Miene nach dem rechten. „Mama, was macht der Mann?“ will das Mädchen wissen. „Der Mann sorgt im Zug für Sicherheit“, erklärt die Mutter. Das reicht der Tochter nicht: „Was ist Sicherheit?“ hakt sie nach. „Sicherheit ist, wenn nicht jeder machen kann was er will“, lässt die Frau Mama ihr Töchterlein wissen. „Und warum darf nicht jeder machen, was er will?“, geht das Mädchen in die Tiefe und entlockt ihrer Mutter einen tiefen Seufzer. „Weil wir dann alle in Teufels Küche kämen“, legt die Mutter angestrengt nach. „Und wie sieht es in Teufels Küche aus?“, möchte das Mädchen wissen. „Da sind alle ganz böse zueinander und ärgern sich gegenseitig“, bringt die Mutter unter leichtem Stöhnen und Augenverdrehen hervor. „Und warum sind die Leute nicht einfach lieb zueinander?“, fragt der wissbegierige Nachwuchs. „Weil die Menschen nicht ganz gescheit sind und oft nicht wissen, was gut für sie ist“, gibt die befragte Mutter alles. „Ach so“, sagt das kleine Mädchen und lässt ihre Mutter dann noch wissen: „Also, ich habe dich auf jeden Fall lieb.“


Dieser Text erschien am 15. April 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 15. April 2019

Abschied von der Kleinen Bühne des Backsteintheaters


„Alles hat seine Zeit“, sagt Volkmar Spira am Sonntagabend im Kasino des Evangelischen Krankenhauses, ehe sich für das Ensemble der Kleinen Bühne des Backsteintheaters zum letzten Mal der Vorhang hebt.

Ihren Abschiedsschmerz lassen sich die schauspielenden Rezitatoren nicht anmerken. Zwei Stunden begeistern sie ihr Publikum im vollbesetzten Saal mit der großen Kleinkunst des Wortwitzes, die sie in den vergangenen zwölf Jahren mit rund 250 Aufführungen auf 40 Bühnen perfektioniert haben. Petra Stahringer, Bärbel Bucke und Ulrike Dommer begleiten sie als kleines Salonorchester mit Klavier,- Akkordeon- und Violinenklängen. Literarische Edelfedern und Spötter wie Robert Gernhardt, Rudolf Rolfs oder Joachim Ringelnatz spielen ihnen die Pointen zu. Heiterkeit und Melancholie liegen in der Luft. So hört sich literarisches Kabarett an.

Kleine Pausen-Umfrage: „Was werden Sie vermissen, wenn es die Kleine Bühne nicht mehr gibt?“ Unternehmer Ulrich Turck sagt: „Ein Ensemble, das Heiterkeit in den Alltag bringt!“ MWB-Geschäftsführer Frank Esser meint: „Entspannte Unterhaltung durch schöne Texte und schöne Musik, gewürzt mit feinerem und gröberem Humor.“ Wilfried Cleven „wird die persönliche Verbindung zu einem kleinen Theater vermissen, dessen Aufführungen ich alle gesehen habe und das die Kulturarbeit des Evangelischen Krankenhauses bereichert hat.“ Claudia und Georg Kuse haben die Kleine Bühne „als schöne Abwechslung in unserem Alltag“ erlebt, „weil die Ensemblemitglieder kluge und witzige Texte sehr professionell herübergebracht haben.“ Sabine Weber werden „die heitere Leichtigkeit der hier inszenierten Texte und die Ungezwungenheit fehlen, mit der man in dieses Theater kommen konnte“ Hanelore Asbeck und Friedhelm Scholten behalten die Kleine Bühne „als ehrbauliches Theater mit heiteren und ernsten Texten“ in Erinnerung.

Nach der letzten Pointe und dem letzten Akkord ergreift noch einmal Volkmar Spira das Wort. Er bedankt sich nicht nur beim Ensemble der Kleinen Bühne, sondern bei allen Wegbegleitern seiner 30-jährigen Theater- und Kulturarbeit für eine „sinngebende, beglückende und mich immer wieder herausfordernde Zeit.“ Nils Krog bescheinigt seinem mittelbaren Vorgänger als geschäftsführendem Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses, Volkmar Spira, „die Kleine Bühne zu einem ambulanten Part der von Ihnen aufgebauten Kulturarbeit unseres Hauses gemacht zu haben.“ Michael Bohn, Regisseur der Großen Backstein-Theaterbühne am Evangelischen Krankenhaus und Petra Stahringer, Leiterin der Musischen Werkstätten, bedanken sich bei Spira, der sie vor 30 Jahren ans EKM geholt hat, dafür, „dass wir hier durch die fürsorgliche und schöpferische Zusammenarbeit mit Ihnen unsere Kreativität entwickeln und unsere Heimat und unsere Lebensaufgabe hier gefunden haben. 

Volkmar Spira sagte nach der letzten Aufführung der Kleinen Bühne, dass er „mit dem guten Gefühl“ von der Bühne abtrete, „dass die Theater- und Kulturarbeit am Evangelischen Krankenhaus durch die Große Bühne des Backsteintheaters und die Musischen Werkstätten mit einer hohen Leistungsdichte fortgesetzt wird.“ Zum Abschied übergab das Ensemble der Kleinen Bühne dem Evangelischen Krankenhaus 19.183 Euro. Das Geld stammt von Gönnern der Kleinen Bühne und sollte ursprünglich für eine neue Tonanlage ausgegeben werden. Jetzt bildet das Geld den Grundstock für die Sanierung der Krankenhausorgel im zehnten Stock des EKMs.


Dieser Text erschien am 9. April 2019 in NRZ/WAZ

Sonntag, 14. April 2019

Reden wir über Europa

Auf dem Podium: Von links:Elmar Brok, Martin Schulz, Franz-Josef Overbeck
Tobias Henrix und Thomas Schlenz
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat bei einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg darauf hingewiesen, dass das europäische Projekt nicht ohne Toleranz funktionieren könne. „Dafür müssen wir auch als Kirche einstehen“, sagte Overbeck am Dienstagbend in einer Diskussion mit dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok und dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD).

Beide Europapolitiker stimmten darin überein, dass die bevorstehende Wahl des Europäischen Parlaments am 26. Mai 2019 angesichts der Herausforderungen, vor der die Europäische Union stehe als Schicksalswahl anzusehen sei. „Ich habe geglaubt, dass die Systemdebatte gelaufen ist und ich in meinem politischen Leben Demokratie und Rechtsstaat nicht mehr verteidigen muss. Aber ich habe mich von der politischen Realität eines Besseren belehren lassen müssen“, sagte der langjährige Europa-Abgeordnete Brok mit Blick auf die politischen Zugewinne für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. Der 2017 gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat wies darauf hin, „dass zwei Drittel der rechtsextremen und rechtspopulistischen Abgeordneten, die im Europäischen Parlament sitzen, dieses Parlament und die Europäische Union abschaffen wollen.“ Die eigentliche Gefahr für die EU, so Schulz, gehe aber nicht von diesen Abgeordneten, „sondern von jenen aus, die genauso denken und in den Regierungen in Wien und Rom sitzen.“

Der Christdemokrat Brok kritisierte, dass einige Bischöfe in Polen offen mit der nationalkonservativen Regierung Kaczynski paktierten, die die Rechtsstaatnormen der Europäischen Union ablehnten, aber gleichzeitig von den Fördermitteln der EU und von dem mit ihrer Hilfe generierten Wirtschaftswachstum profitieren wollten. Brok: „Wenn ich das sehe, wird mir richtig übel.“

Beide Europapolitiker zeigten sich bei der Veranstaltung, zu der der Sozial- und Wirtschaftsrat des Ruhrbistums eingeladen hatte, davon überzeugt, dass die EU nur mit Hilfe eines europäischen Steuerrechtes und mit Hilfe von Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat der EU-Regierungen die EU politische Dynamik entwickeln könne, um das regionale Armutsgefälle innerhalb der Europäischen Union zu überwinden und verbindliche rechtsstaatliche Prinzipien innerhalb der EU flächendeckend durchzusetzen. Dies sehen Brok und Schulz als Voraussetzung dafür an, den Zulauf zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien zu stoppen.

„Wenn wir wollen, dass sich die Demokratie und der Rechtsstaat in Europa behaupten, müssen wir dafür kämpfen. Die Zeit der Gemütlichkeit, in der man ein paar Extremisten an den politischen Rändern einfach so mitlaufen lassen konnte, sind vorbei“, betonte Martin Schulz. Gleichzeitig machte er deutlich, „dass Demokratie Zeit für eine sorgfältige Gesetzgebung und für Beteiligung aller Bürger an den politischen Entscheidungen braucht.“

Ruhrbischof Overbeck räumte ein, dass es auch innerhalb der europäischen Bischofskonferenz schwierig sei, mit Blick auf die Europawahl im Mai einen aussagekräftigen Wahlaufruf zu formulieren, weil Themen wie die Ausgestaltung von Rechtsstaatlichkeit, Ökumene und Religionsfreiheit, von den Bischöfen zum Teil sehr unterschiedlich gesehen würden. Overbeck sieht die christlichen Kirchen in der Europäischen Union zu einer ökumenischen Kraftanstrengung aufgefordert: „Wir sind da als Kirche oft zu harmlos, wenn es darum geht die Wirkmächtigkeit des europäischen Projektes hervorzuheben und die gesellschaftlichen Fragen nach kultureller Identität und sozialer Solidarität aufzugreifen. Wenn wir das konsequent tun würden, hätten wir sicher schnell mehr Erfolg als wir das jetzt haben“, zeigte sich der Bischof selbstkritisch. Besonderen Handlungsbedarf sieht Overbeck im Gesundheits- und im Bildungssektor. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Menschen in vielen Ländern nur dann gut genesen können, wenn sie reich sind“, kritisierte er. Mit Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit in südeuropäischen Ländern ist in seinen Augen Überzeugungsarbeit zu leisten, dass sich auch dort wie in Deutschland, Arbeitgeber aus ihrem eigenen Interesse heraus an der Finanzierung beruflicher Bildung beteiligten.

Viel wäre für Elmar Brok gewonnen, „wenn die Kirchen in der öffentlichen Diskussion Politik und Parteien nicht in einen Topf werfen, sondern die konstruktiven und destruktiven politischen Akteure klar benennen würden.“ Die Bundesregierung forderte Brok auf, jährlich einen Kosten-Nutzen-Bericht der deutschen EU-Mitgliedschaft vorzulegen, um deutlich zu machen wie sehr Deutschland, dessen Exporte zu 75 Prozent in Länder der EU gingen, von der Europäischen Union und ihrem Binnenmarkt profitiere. „Mehr als 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen werden innerhalb der EU ausgezahlt“, unterstrich Brok. Ausdrücklich warnte der Christdemokrat davor, die anderen EU-Länder nur als Markt anzusehen und deren berechtigte Interessen nicht in die eigene Politik mit einzubeziehen. 
Bericht für KNA vom 26. Februar 2019




Samstag, 13. April 2019

Ein besonderer Blick auf Jesus von Nazareth


Eugen Drewermann in der Immanuel-Kirche
In der Styrumer Immanuel Kirche ließen sich rund 100 Zuhörer – trotz Schnee und Eis – von Eugen Drewermann inspirieren und für das neue Jahr seelisch aufrüsten. Ausgehend von seinem Buch: „Das Geheimnis des Jesus von Nazareth“ und auf der Basis biblischer Gleichnisse wie dem vom Gelähmten, der von Jesus geheilt wird, in dem er ihm zusagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“ machte der Ex-Katholik und Ex-Priester seinem ökumenischen Publikum Mut, sich von bürgerlichen Moralvorstellungen des Belohnens und des Strafens freizumachen.

Die bürgerliche Rechtsmoral, so der Theologe und Psychoanalytiker, habe nichts mit der Ethik des versöhnenden Jesus von Nazareth zu tun. Beispielgebend wies Drewermann auf das Jesu-Gleichnisse von der Ehebrecherin hin, deren Richtern Jesus sagt: „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Das, was Theologen und Juristen Sünde, Schuld und Straftat nennen, ist für den 1940 in Bergkamen geborenen Drewermann kein Ausdruck bewusster Entscheidung zum Falschen, sondern Ergebnis einer oft sozial motivieren Verirrung. Ausgehend vom Jesu-Gleichnis des Hirten, der sein verirrtes Schaf sucht und zur Herde zurückträgt, hält es Drewermann aus christlicher Sicht für kontraproduktiv mit Begriffen wie Sünde und Moral zu operieren, da gerade Menschen, deren Leben durch Verirrungen aus den Fugen geraten sei, keine Strafe und Abgrenzung, sondern im Gegenteile eine besonders intensive Zuwendung und ein besonders intensives Erleben von Gemeinschaft bräuchten, um auf ihren Lebensweg zurückzufinden.

Aus seiner Beratungs- und Seelsorge-Praxis berichtete er davon wie Menschen etwa durch eine plötzliche Arbeitslosigkeit, durch traumatische Kindheitserfahrungen und einen durch den Kapitalismus aufgezwungenen Konkurrenzkampf seelisch deformiert und daran gehindert würden, der oder die zu werden, die sie seien. Vor diesem Hintergrund sieht Drewermann die „über Golgatha hinausweisende Perspektive der Religion“ nicht als „eine Vertröstung auf ein Jenseits“, sondern als „Quelle der Kraft und der Hoffnung“, die Menschen erst in die Lage versetze für eine friedlichere, freiere und solidarischere Gesellschaft einzutreten und zu arbeiten. „Mit der Perspektive, die über Golgotha hinaus auf ein ewiges Leben bei Gott hinweist“, so Drewermann, „brauchen wir uns als Christen nicht fragen, ob wir in dieser Welt belohnt oder bestraft werden. Wir werden als auf Gott vertrauende Menschen nur fragen, was bei Gott gilt.“ Am Beispiel des durch die Bergpredigt Jesu überlieferten Vater-Unsers machte Drewermann deutlich, dass jeder Mensch Vergebung braucht und deshalb auch vergeben kann, wenn er sich deutlich macht, „dass auch ich der andere sein könnte, wenn ich unter anderen Lebensumständen geboren worden wäre, die nicht mit eigener Leistung, sondern nur mit Glück zu tun haben.“


Dieser Text erschien am 26. Januar 2019 im Neuen Ruhrwort




Freitag, 12. April 2019

Was hält unsere Gesellschaft zusammen?


Auf dem Podium im Auditorium der Bank im Bistum Essen:
 Von links: Dr. Franz-Josef Overbeck, Dr. Judith Koch und Dr. Heribert Prantl.
Das Geld kein Selbstzweck ist, sondern eine dienende Funktion haben sollte, macht der Vorstandssprecher der 1966 gegründeten Bank im Bistum Essen, Dr. Peter Güllmann, mit dem Hinweis auf die 700 Millionen Euro deutlich, die sein Haus als Mikrokredite an Existenzgründer in 37 Ländern ausgegeben hat, um sie damit aus der Armut heraus- und in die wirtschaftliche Selbstständigkeit hinein zu holen. Bildung und Sicherheit, daran lässt Güllmann keinen Zweifel, sind für ihn die wichtigsten Bausteine für eine gute Zukunft.

Doch was hält unsere Gesellschaft zusammen? Dazu befragen die Bank im Bistum Essen und ihre Ko-Gastgeberin, die Katholische Akademie des Bistums an diesem Abend Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und den Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung in einer von Judith Wolf moderierten Diskussion.

Der Journalist und der Kirchenmann sind sich einig, dass wir eine solidarische und in Europa eingebettete Gesellschaft brauchen. „Gehen Sie bei der Europawahl am 26. Mai wählen und sorgen Sie wählen. Sorgen Sie mit ihrer Stimme dafür, dass die extremistischen Populisten die Europäische Union politisch nicht in den Griff bekommen“, fordert Prantl seine Zuhörer auf. „Was kann ich denn tun, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern“, fragt eine Frau? „Sie müssen dort, wo Sie in ihren Berufs- und Privatleben stehen, aktiv werden und Farbe bekennen gegen Rassismus und vermeintlich einfache Lösungen. Und wenn Sie sich in ihrem Umfeld auch nur für eine bedürftige Person einsetzen, ist das besser als wenn Sie sich für niemanden stark machen“, legt Prantl nach.

„Wir sind die Mehrheit. Aber wir sind oft zu vornehm und müssen uns deshalb lauter und verständlicher in die gesellschaftspolitische Diskussion einbringen“, räumt Overbeck ein. Er müsse von seinem Generalvikar nicht weit gehen, so Overbeck, um ganz arme und ganz reiche Menschen zu treffen, die oft gar nichts voneinander wüssten.

Politik und Wirtschaft sieht der Bischof gefordert, wenn es „darum geht das soziale Nord-Süd-Gefälle zu überwinden, auf das man sowohl beim Arbeitsplatzangebot wie bei der medizinischen Versorgung in allen Städten des Ruhrgebietes trifft.“ Mit besonderer Sorge sieht Overbeck, dass die Ruhrgebietsstädte keinen gemeinsamen und attraktiven Öffentlichen Personennahverkehr organisiert bekommen und damit die Mobilitäts- und Arbeitsplatz-Chancen der Menschen an der Ruhr verminderten.

Heribert Prantl machte deutlich, dass auch die christlichen Kirchen gefordert seien, sich an ihren eigenen Wertmaßstäben messen zu lassen, wenn es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehe. Beispielhaft nennt der Journalist die fehlende Gleichberechtigung der Frauen in der katholischen Kirche und die auch in christlichen Altenheimen anzutreffende Tatsache, „dass eine Altenpflegerin in der Nachtschicht manchmal für 50 Bewohner alleine verantwortlich ist.“ Prantl: „Christliche Nächstenliebe muss man auch spüren. Da hilft es nicht, dass ein Kreuz an der Wand hängt.“

Overbeck räumte mit Blick auf die 64 katholischen Altenheime und die 22 katholischen Krankenhäuser des Ruhrbistums ein, „dass unsere finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind.“ Er sieht aber auch, „dass der besondere Geist und das haupt- und ehrenamtliche Engagement in diesen Häusern von deren Bewohnern und Parienten geschätzt wird.“ Dazu sagt ein in der Altenpflege aktiver Zuhörer: „Menschenwürdige Pflege kann nur durch die Beseitigung des Fachkräftemangels erreicht werden. Und dieses Problem kann die Kirche nicht alleine lösen. Hier ist unsere gesamte Gesellschaft gefordert.“  Angesichts der nicht erst seit gestern geführten Diskussion über den Zugang von Frauen zum katholischen Priesteramt stellte Moderatorin Judith Koch illusionslos fest: „Das wird unsere Kirche noch vor eine Zerreißprobe stellen.“

Aus dem Publikum heraus wird darauf hingewiesen, dass der Nationalstaat auch im gemeinsamen Europa und in einer globalisierten Welt nichts von seiner kultur- und sinnstiftenden Funktion verloren habe. Und eine Frau betont, die Kirche könne vor allem dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, in dem sie Menschen zum Glauben an Jesus Christus führe und sie damit vor geistiger Verwirrung bewahre. Dem stimmt Heribert Prantl zu, in dem er feststellt: „Wer die Bibel liest und ihre mehrdeutigen Texte interpretiert, der kann kein Extremist und Populist werden.“



INFO

Dr. Franz-Josef Overbeck (54) steht seit 2009 als Bischof an der Spitze des Bistums Essen. Seit 2010 ist er als Adveniatbischof auch für die Lateinamerika-Kontakte der Deutschen Bischofskonferenz zuständig. Gleichzeitig gehört er der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika an. 2011 wurde er zum deutschen Militärbischof berufen. Und seit 2014 leitet der Theologe und Philosoph als Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz deren Kommission für soziale und gesellschaftspolitische Fragen.

Dr. Judith Wolf (50) hat Theologie, Geschichte und Philosophie studiert. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst am Institut für christliche Sozialwissenschaft der Universität Münster, ehe sie 1998 zur katholischen Akademie wechselte. Seit 2010 ist sie stellvertretende Direktorin der Akademie, deren Leitung sie zum 1. Juli (als Nachfolgerin von Dr. Michael Schlagheck) übernehmen wird.

Dr. Heribert Prantl (65) ist Jurist, Journalist und Buchautor. Als Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung leitet er seit 2011 deren Meinungsressort. Prantl hat nicht nur Rechtswissenschaft, sondern auch Geschichte und Philosophie studiert und neben seinem Jura-Studium auch eine journalistische Ausbildung als Stipendiat des katholischen Institutes zur Förderung des publizistischen Nachwuchses absolviert. Nach seinem Studium war er zunächst am Landgericht Regensburg tätig, ehe er 1988 als innenpolitischer Redakteur zur süddeutschen Zeitung wechselte.


Dieser Text erschien am 16. Februar 2019 im Neuen Ruhrwort



Donnerstag, 11. April 2019

Bürgergesellschaft zeichnet Ulrich Turck aus

Nach neun Jahren Pause hat die Bürgergesellschaft Mausefalle wieder einen Mülheimer auserkoren, den ihre 18 Mitglieder für verdient genug halten, mit dem "Ehrenpreis Jobs" ausgezeichnet zu werden.
Die Wahl der Bürgergesellschaft, die im kommenden Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiern kann, fiel auf den 68-jährigen Unternehmer Ulrich Turck. Im vergangenen Jahr zog er sich aus dem operativen Geschäft seines in Heißen ansässigen und auf Automatisierungstechnik spezialisierten Unternehmens zurück. 
"Wir haben einen würdigen Preisträger gefunden, der diese Auszeichnung zu würdigen weiß",
freut sich der Baas der Bürgergesellschaft, Ulrich Rädeker. Mit Turck, so Raedeker und Mausefallen-Shriiver Klaus Hoffmann, ehre man einen einen familienfreundlichen Unternehmer, der sich als Presbyter der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde und als Stifter des 2016 eröffneten Petrikirchenhauses um Mülheim verdient gemacht habe.
Auch der von der Mausefalle berufene Bürgerausschuss, dem Oberbürgermeister Ulrich Scholten, zwei Mitglieder der Bürgergesellschaft und sechs weitere Mülheimer angehören, hat das Votum der Bürgergesellschaft bestätigt. Turck wird die von Ilse Otten gestaltete Jobs-Statue bei einer Feierstunde am 28. April um 14 Uhr im Petrikirchenhaus entgegennehmen. Die Laudatio auf den Preisträger hält der mit Turck befreundete Arzt Dr. Frank Hoffmann.
Vor Turck erhielten zuletzt der Chef des Theaters an der Ruhr, Dr. Roberto Ciulli (2010) und der ehemalige geschäftsführende Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses, Volkmar Spira, die Ehrengabe der Bürgergesellschaft. Erste Preisträgerin der Bürgergesellschaft war die sozial engagierte Industriellen-Witwe Juliane Thyssen (1888-1981). Der Ehrenpreis, den die Bürgergesellschaft Mausefalle seit 1961 verleiht, erinnert an den literarischen Antihelden Hieronimus Jobs, den der Mülheimer Arzt und Dichter Karl-Arnold Kortum mit seinem 1784 erschienen satirischen Knittel-Vers-Roman "Die Meinungen und Taten von Hieronismus Jobs, dem Kandidaten" ein Denkmal gesetzt hat. Nicht weit vom Petrikirchenhaus erinnert der 1943 durch Bomben zerstörte und 2006 wieder aufgebaute Jobs-Brunnen an der Petrikirche an den faulen und trinkfesten Theologiestudenten, der als Nachtwächter endete.
Ein schöner Zufall der Geschichte ist es, dass Ulrich Turck, die Auszeichnung der Bürgergesellschaft Mausefalle in "seinem" Petrikirchenhaus  überreicht bekommt, an dem bis zu einem alliierten Luftangriff am 23. Juni 1943 das Gasthaus Mausefalle stand, in dem sich die gleichnamige Bürgergesellschaft um 1870 gegründet hat. Heute trifft sich die derzeit noch aus 18 Mitgliedern bestehende Bürgergesellschaft am dritten Dienstag des Monats um 18.30 Uhr zu ihrem Stammtisch in der Gaststätte Ührchen an der Teinerstraße. Interessierte Gäste sind immer willkommen.


Dieser Text erschien am 10. April 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Mittwoch, 10. April 2019

Mülheim vor dem Grundgesetz


Frühling 1949. Im Parlamentarischen Rat zu Bonn wird das Grundgesetz für die westdeutsche Bundesrepublik beraten und durch dessen Präsidenten Konrad Adenauer am 23. Mai verkündet. „Soweit uns das Grundgesetz größere Freiheit gibt, ist es uns geschenkt und nicht von uns selbst erkämpft“, kommentiert die damals nur alle zwei Tage erscheinende NRZ. Doch ihr Mülheimer Lokalteil nimmt andere Themen in den Blick. Da wird über die sich abzeichnenden Bausünden beim Wiederaufbau der Stadt berichtet. Mülheims damaliger Baudezernent Paul Essers klagt der NRZ sein Leid: „Das Stadtbild soll Herz und Gemüt ansprechen. Doch beim raschen Wiederaufbau sind zu wenig Bau- und Handwerkskunst und zu viel Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit am Werk. Die Bauaufsicht steht den Bauherrn gerne mit Rat und Tat zur Seite. Aber die Leute sind immer böse, wenn sie daran gehindert werden, Dummheiten zu begehen.“

Derweil fordert ein Dr. K. in einem Leserbrief an die Lokalredaktion, dass die Mittel aus dem Notopfer für das durch die sowjetische Blockade eingeschlossene West-Berlin in den Wohnungsbau investiert werden müssten, sobald die Blockade beendet sein werde. Wie sich die Zeiten nicht ändern. Die Diskussion über den Sinn des Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost lässt grüßen.

Im Frühjahr 1949 machen sich die Mülheimer Hoffnungen, dass im Uhlenhorst eine Filmproduktion angesiedelt werden könnte. Doch der Hauch von Hollywood weht in Mülheim vorbei, weil sich keine internationalen Geldgeber finden und das drei Jahre zuvor gegründete Land Nordrhein-Westfalen nicht bereit ist, mit einer Anschubfinanzierung in die Bresche zu springen.

Über ein filmreifes Happyend berichtet dagegen ein Zuwanderer aus dem rumänischen Siebenbürgen, der im Krieg ein Bein und seine Eltern verloren, aber nach einer langen Odyssee in Mülheim eine neue Heimat und bei den späteren Mannesmann-Röhrenwerken einen Arbeitsplatz und eine Werkswohnung gefunden hat. „Jetzt schaue ich wieder mit Hoffnung in die Zukunft. Denn ich lebe in Mülheim, in einer sauberen Stadt mit aufgeräumten Straßen“, beschließt der Neu-Mülheimer seine Erfolgsgeschichte.

Dieser Text erschien in der Neuen Ruhrzeitung vom 9. April 2019

Dienstag, 9. April 2019

Europa als Chance


Hannelore Kraft
Noch eineinhalb Monate bis zur Wahl des Europäischen Parlaments. Zeit, um sich zu fragen: „Europa schön und gut. Aber was habe ich davon?“ Genau das taten am Freitagabend 50 interessierte Mülheimer mit und ohne Parteibuch, in einer von Hannelore Kraft moderierten Diskussion im Haus der Mülheimer Wirtschaft. Eingeladen hatte die SPD-Landtagsfraktion im Rahmen ihrer Reihe Europa vor Ort.

Die Mülheimer Landtagsabgeordnete nannte eine Zahl, die in einer mit 2 Milliarden Euro verschuldeten Stadt wie Mülheim aufhorchen lässt. Seit 2007 sind EU-Fördermittel in Höhe von 23 Millionen Euro nach Mülheim geflossen. Mit dem Geld aus Brüssel wurden zum Beispiel die Ruhrpromenade und der Radschnellweg gebaut, wurde Forschung am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung unterstützt, wurden Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose finanziert oder zum Beispiel die Arbeit der regionalen Beratungsstelle Frau & Beruf und des Wasserforschungsinstitutes IWW unterstützt.

Gerne hätte man der mit kurzen Impulsreferaten und Diskussionen im Plenum gut ausbalancierten und informativen Veranstaltung mehr Teilnehmer gewünscht. So aber wurde es ein klassischer Informationsabend für proeuropäisch eingestellte Multiplikatoren, die reichlich Argumentationshilfen an die Hand bekamen.

„Wir müssen Europa endlich als Chance und nicht als Hindernis begreifen“, sagte der europapolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Rüdiger Weiß. Reisefreiheit, EU-Fördermittel, eine gemeinsame Trinkwasserschutzverordnung und die Einführung stromsparender LED-Leuchten nannte Weiß nur als einige Pluspunkte der EU. Grundsätzlich steht für ihn aber fest, „dass wir nur als 508 Millionen EU-Bürger weltpolitisch genug Gewicht haben, um gegenüber den 300 Millionen US-Amerikanern, den 1,3 Milliarden Indern und den 1,4 Milliarden Chinesen wirtschaftlich und politisch bestehen zu können.“

Für Vize-Vorsitzenden der NRW-Wirtschaftsjunioren Thomas Müller wäre es ein Alptraum, „wenn Nationalisten die Arbeit des Europäischen Parlaments blockieren könnten.“ Angesichts der Tatsache, dass 66 Prozent der deutschen Exporte in Länder der EU gehen, ist für Müller klar, dass der 1993 eröffnete EU-Binnenmarkt und der 2002 eingeführte Euro aus deutscher Sicht eine Erfolgsgeschichte sind.

Für die Sozialwissenschaftlerin Sina Breitenbruch-Tiedtke, die sich als Referatsleiterin in der NRW-Staatskanzlei um EU-Grundsatzfragen kümmert und als Sozialdemokratin für das Europaparlament kandidier, sieht die 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU vor allem als Friedensprojekt, das aus ihrer Sicht auch beim Klimaschutz und bei der Verankerung eines europäischen Mindestlohns und eu-einheitlicher Steuersätze gefordert ist. Viel gewonnen wäre aus ihrer Sicht, wenn Städte auf ihren Internetseiten die EU-Fördermittel veröffentlichen würden, die in lokale Projekte fließen. In diesem Zusammenhang wies der Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion, Claus Schindler, darauf hin, dass sich der Rat auf Antrag der Sozialdemokraten mit eine plakativere Dokumentation der Brüssler Fördermittel für Mülheim diskutieren werde. 

Kontrovers diskutiert wurde bei der Europa-Vor-Ort-Veranstaltung die von Mirko Fels, Vorstandsstabsleiter der Verbraucherzentrale NRW, gemachte Aussage, der EU-Binnenmarkt und der Euro hätten nicht nur für mehr Warenvielfalt, sondern auch für niedrigere Preise gesorgt. Letzteres bezog er vor allem auf Gas und Telekommunikation. Ausdrücklich würdigte Fels das von der EU durchgesetzte 14-tägige Widerrufsrecht und die Pläne der EU-Kommission für eine Musterfeststellungsklage. Sie würde es Institutionen wie der Verbraucherzentrale ermöglichen Musterprozesse zu führen und so Muster-Urteile zu erstreiten, auf deren Basis geschädigte Verbraucher dann ihre Ansprüche geltend machen könnten, ohne selbst vor Gericht gehen zu müssen.


Dieser Text erschien am 8. April 2019 in NRZ & WAZ

Ihre Wiege stand in Mülheim

  Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die  Internets...