Sonntag, 28. April 2019

Ein Brückenbauer

Heinrich Krosse 1919-2017
Archivfoto Sigrid Krosse
Den Neu- und Ausbau der A52 und der Ruhrtalbrücke würde er wohl mit Interesse und Wehmut verfolgen. Denn es war seine Ruhrtalbrücke, die der vor 100 Jahren in Styrum geborene Brückenbauingenieur Heinrich Krosse für seinen Arbeitgeber Krupp in den 50er und 60er Jahren entwarf.

Fast hätte der Ingenieur, dessen Elternhaus auf der Neustadtstraße stand, seinen 100. Geburtstag am 27. April 2019 noch erlebt, wenn er nicht vor eineinhalb Jahren am 18. November 2017 gestorben wäre. „Mein Vater war in seinem Herzen nicht nur ein Bauingenieur, sondern auch ein Künstler, der hervorragend zeichnen konnte und sich für die Natur  begeisterte“, erinnert sich Sigrid Krosse an ihren Vater.

Die Mülheimer Naturwissenschaftlerin und Verlegerin kann sich noch gut an die Zeichnungen erinnern, die ihr Vater für den Bau der 1966 eröffneten Ruhrtalbrücke angefertigt hatte. „Und bevor er mit den Zeichnungen begann, machte er sich vor Ort ein genaues Bild und fotografierte viel. Denn er wollte, dass sich de Brücke gut in die Landschaft einfügen sollte“, berichtet Krosse. Sie war elf Jahre alt, als ihr Vater im September 1966 in ihrer Gegenwart Mitgliedern des Geschichtsvereins vor Ort den Bau der Autobahnbrücke erläuterte, über die ab Dezember 1966 täglich rund 20.000 Autos zwischen Düsseldorf und Essen pendeln sollte. Der Bau der Ruhrtalbrücke brachte dem Ingenieur Heinrich Krosse nicht nur Glück und Anerkennung. „Meinen Vater hat es sehr bedrückt, dass drei Arbeiter während der Errichtung der Ruhrtalbrücke ums Leben kamen. Auch die Geiselnahme, die sich während der 1990er Jahre im Brückenbau abspielte, hat er damals mit viel Anteilnahme verfolgt, weiß Sigrid Krosse zu berichten.

Heute sind auf der 1830 Meter langen, 65 Meter hohen und 28 Meter breiten Ruhrtalbrücke jeden Tag viermal so viele Fahrzeuge unterwegs. Tendenz steigend. Das erklärt die Planungen für einen Neu- und Ausbau der A52.

Heinrich Krosse gehörte zu der Generation, die während der NS- und Kriegszeit erwachsen wurde. 1937 machte er an der städtischen Oberrealschule in Mülheim sein Abitur. Nach einigen Praktika begann er im gleichen Jahr ein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule Aachen, von dem er im 3. Semester in das Studium des Bauingenieurwesens wechselte und mit Auszeichnung 1939 sein Vorexamen abschloss.

Nach dem Reichsarbeitsdienst begann der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begann.

Aus dem Krieg nach einer Verwundung zurückgekehrt, setzte er sein Studium an der Technischen Hochschule Hannover im Fach Bauingenieurswesen fort und wurde begeisterter Brückenbauer. Mit dem Diplom in der Tasche fand er zunächst bei der Bahndirektion in Essen eine Anstellung. 1950 begann er schließlich für die Fa. Krupp tätig zu werden. Obwohl Krosse für Krupp in der halben Welt unterwegs war, sollten ihn diese zwei großen Brückenbauprojekte, der Neubau der Schloßbrücke (1960) und der 1966 vollendete Bau der Ruhrtalbrücke beruflich mit seiner Heimatstadt verbinden.

Eine besondere Herausforderung bereitete ihm der Auftrag für den Neubau der Mülheimer Schloßbrücke. Den Zuschlag für dieses Projekt bekam die Fa. Krupp wegen seines genialen verkehrstechnischen Lösungsvorschlages, bei dem der Verkehr zu keiner Zeit vollständig gesperrt werden musste.  Dabei wurde der Neubauteil auf Verschubbahnen neben der alten Brücke montiert und nach Fertigstellung und Abriss des alten Bauteils an dessen Stelle verschoben. Am 3. September 1960 fand also in Mülheim an der Ruhr die erste Brückenverschiebung in dieser Form statt.

Beide Brückenbauten, deren Planung bereits in den 1950er Jahre begonnen hatte, brachten ihrem geistigen Vater weit über die Grenzen von Stadt und Region große Anerkennung ein. „Wenn wir spazieren gingen und die Schloß- oder die Ruhrtalbrücke in Sicht kam, habe ich oft zu ihm gesagt“: „Schau mal, Papa! Da ist deine Brücke“, erinnert sich seine Tochter.


Dieser Text erschien am 27. April 2019 in NRZ & WAZ

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