Freitag, 30. Juli 2021

Der Lotse

Damit Integration gelingt: der Diplom Pädagoge Andreas Herget berät im Auftrag des DRK-Kreisverbandes Zuwanderer und Flüchtlinge

Eineinhalb Jahre, nachdem sich Matthias Langer In den Ruhestand verabschiedet hat, ist der Kreisverband nun wieder mit einem Migrationsberater am Start. Langers Aufgabe übernimmt der 59-jährige Diplom Pädagoge Andreas Herget. Der Mann, der eine langjährige Beratererfahrung in den Bereichen Jugendhelfer, Behindertenarbeit und Sozialrechtes mitbringt, kommt ursprünglich aus Essen, lebt heute aber mit Frau & Kindern? in Dinslaken.

„Das Einpendeln nach Mühlheim klappt problemlos. In einer halben Stunde bin ich an meinem Schreibtisch im Hilfezentrum an der Aktienstraße“ betont Herget. Bevor er zum Roten Kreuz kam, die Stelle fand er im Internet, waren die Caritas, die Evangelische Kirche und die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung seine langjährigen Arbeitgeber. „In die Migrationsberatung und deren rechtlichen Hintergründe arbeite ich mich zurzeit noch ein. Aber vieles, was ich hier zu leisten habe, hat mit dem Sozialrecht zu tun. Und damit kenne ich mich aus meinen früheren Berufsleben gut aus“, erklärt Herget.

Seit Mitte April gehört der begeisterte Wandersmann und Vater einer erwachsenen Tochter zum hauptamtlichen Mitarbeiterteam des Mülheimer DRKs. Seitdem hat er 49 erwachsene Zuwanderer beraten. Corona-bedingt lief das bisher etwas ungewöhnlich ab. Seine Klienten kamen in den Hof das Hilfezentrums und führten ihre Beratungsgespräche durchs Fenster des Beratungsbüros, das sich im Erdgeschoss gleich neben der Anmeldung befindet.

Doch aufgrund der sinkenden Infektionszahlen kann Andreas Herget seit dem 7. Juni wieder Präsenz-Beratungen in seinem Büro anbieten. Allerdings kann er dort maximal einen Klienten beraten. Außerdem steht bei Beratungsgesprächen eine durchsichtige Plexiglasscheibe zwischen ihm und seinen Klienten. „Ich bin froh, dass ich jetzt nicht mehr nur telefonischen Beratungsgespräche führen muss. Denn die Inhalte, um die es geht, sind meistens komplex und drehen sich um Fragen der sozialen Existenzsicherung. Auch Namen der Zuwanderer, die zum Beispiel als Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak oder aus Nigeria nach Mülheim gekommen sind, kann man am Telefon schnell falsch verstehen.“, erzählt der Berater.  Menschen in einer schwierigen Lebenssituation mit seinen detaillierten Kenntnissen der Sozialgesetzbücher existenzsichernde Leistungen und damit die Chance auf eine gesellschaftliche Integration und einer Zukunftsperspektive zu vermitteln, befriedigt Andreas Herget sehr. Vor allem, wenn es um Familien geht, weist er auch gezielt auf die Bildungs- und Freizeit-bezogenen Unterstützungsleistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes hin. Zuletzt konnte der neue Migrationsberater des Kreisverbandes auch dabei helfen, Angehörige einer Flüchtlingsfamilie, die in unterschiedlichen westdeutschen Städten leben, durch die Planung und Durchführung eines behördlich genehmigten Umzugs zusammenzuführen.

Es waren weniger seine Klienten als einige Mitarbeiter der Mülheimer Sozialverwaltung, die bisher seine Frustrationstoleranz herausgefordert haben. „Leider gibt es immer noch Kollegen, die Flüchtlingen falsche Informationen weitergeben und ihnen vermitteln, dass sie keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben“, erzählt Herget. Er  erinnert sich an einen syrischen Altenpfleger, der infolge seiner Berufstätigkeit in Deutschland ein Rückenleiden entwickelt hat und zurzeit arbeitsunfähig ist. Weil er deshalb seine Stelle verloren hat, hat er Anrecht auf Arbeitslosengeld 1 und ergänzendes Arbeitslosengeld 2. Doch erst nach einer massiven Intervention beim Leiter des Sozialamtes, Thomas Konietzka und beim Oberbürgermeister Marc Buchholz konnte Herget erreichen, dass dem syrischen Endzwanziger die ihm zustehenden Sozialleistungen bekommen hat. „Die Menschen die zum Teil aus Bürgerkriegsländern zu uns kommen, stehen unter einem hohen sozialen Druck. In diesem Fall half ein Freund, bei dem der zurzeit arbeitsunfähige Altenpfleger aus Syrien runterkommen konnte. Aber das kann für ihn natürlich keine Dauerlösung sein. Jetzt wird medizinisch abgeklärt, ob er rehabilitiert und in seinem bisherigen Beruf wieder arbeitsfähig werden kann. Falls er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation seinen in Deutschland ausgeübten Beruf nicht mehr ausführen kann, müssen wir eine berufliche Umschulung in Angriff nehmen“, schildert Herget den Fortgang der Beratung.

Der Migrationsberater das Kreisverbandes Erwachsene Flüchtlinge. Das sind alle Flüchtlinge und Zuwanderer, die 27 Jahre und älter sind, über einen Zeitraum von bis zu 3 Jahren. Allerdings gibt es für ihn auch darüber hinaus die Möglichkeit punktuell immer wieder Hilfestellungen anzubieten. Je schneller die zugewanderten Menschen bei uns eine selbständige Lebensperspektive bekommen, an deren Anfang meistens die Teilnahme an einem Sprach- und Integrationskurs steht, desto eher können Sie sich sozial integrieren und einen Beitrag zu unserem Gemeinwesen leisten“, sagt Herget.

Dass sich viele seiner Klienten, mit denen er meistens auf Englisch manchmal auf Deutsch und oft auch mithilfe eines Dolmetschers oder mithilfe einer Übersetzungs-App auf Arabisch und in anderen Sprachen kommunizieren muss, mit den amtlichen Formularen und ihrem Juristen-Deutsch schwertun, wundert ihn nicht. „Damit tun sich auch viele Deutsche schwer. Oft ist die Amtssprache nur schwer zu verstehen und Menschen, die nicht in unserer Sprache und in unserem Sozialsystem aufgewachsen sind, können die Komplexität des Sozialrechts und seine Dokumentation kaum nachvollziehen“, sagt Herget. Er versucht seinen Klienten deutlich zu machen, „dass es Sinn macht, sich Aktenordner anzuschaffen und eine Akte mit ihren persönlichen Papieren anzulegen, da die Formulare und das Papier im Laufe ihres Aufenthaltes immer mehr wird.“ Bei vielen Klienten muss er erst einmal eine lose Blattsammlung sortieren und in die Reihe bringen, um den roten Faden das jeweiligen Falls aufgreifen und weiterführen zu können.

Auch wenn Herget und einige seiner Klienten bereits schlechte Erfahrungen mit der Mülheimer Sozialverwaltung gemacht haben, räumt der Diplom-Pädagoge, dessen Wiege in der Nachbarstadt Essen stand, ein dass man mit der hiesigen Bürokratie auch gute Erfahrungen machen kann. Einige Sachbearbeiter haben ihm auch schon Tipps und Hinweise oder wichtige Kontaktdaten vermittelt, die ihm seine Arbeit erleichtert haben. „Oft habe ich auch nur eine Lotsenfunktion, wenn es zum Beispiel um eine Überschuldung oder ausbleibende Unterhaltszahlungen geht. Dann vermittle ich die Klienten weiter zum Beispiel an die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt. Wenn es sich um Zuwanderer der Generation U27 handelt, verweise ich sie an die Kolleginnen und Kollegen der anderen Sozialverbände Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, die für sie zuständig sind. Die Migrationsberatung des 1907 gegründeten Kreisverbandes reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Damals waren es vor allem Spätaussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die heute zu Polen und Russland gehören, die beim Roten Kreuz, das damals noch im Haus an der Löhstraße saß, Rat und Hilfe für den Neustart in Westdeutschland fanden.

Heute ist die Migrationsberatungsstelle des Kreisverbandes eine von bundesweit 500 Beratungsstellen für erwachsene Migranten. „Inzwischen“ so Herget, „gibt es sogar eine App (MEBON), über die erwachsene Zuwanderer, via Smartphone, Kontakt zu uns und unseren Kollegen aufnehmen können.“ Das von Herget betreute Beratungsbüro für Zuwanderer im Erdgeschoss des Service- und Hilfezentrums an der Aktienstraße, ist montags und dienstags von 9 - 12 Uhr sowie von 13 - 16 Uhr geöffnet. Freitags berät Herget dort zwischen 9 und 12 Uhr. Mittwochs und donnerstags ist er in seinem Büro zwischen 13 und 16 Uhr zu erreichen. Wer sich für eine Beratung anmelden möchte, erreicht ihn über die zentrale Rufnummer das Kreisverbandes unter: 0208-450060 oder unter Hergeht Durchwahl 0208-45006-15 sowie per E-Mail an a.herget@drk-muelheim.de. Man kann sich auch persönlich am zentralen Empfang des Kreisverbandes im Erdgeschoss des Hilfezentrums anmelden.

 

Hintergrund:

In Mülheim leben heute 172.000 Menschen aus 140 Nationen. Weltweit sind zurzeit, nach Angaben der Vereinten Nationen, 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus der DDR und den ehemaligen deutschen Ostgebieten, jenseits von Oder und Neiße, in Westdeutschland aufgenommen und integriert, auch mit maßgeblicher Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Ostflüchtlinge etwa 1/5 der Mülheimer Neubevölkerung. Lebten bei Kriegsende 1945 in Mülheim 88.000 Menschen, so waren es schon 1950 schon 150.000. 1973 erreichte die Stadt, auch durch die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte ihren bisherigen Bevölkerungshöchststand von 193.000 Einwohnern. Heute liegt der Anteil ausländischer Einwohner bei 16 Prozent.


DRK-Magazin Mülheim, Juni 2021

Mittwoch, 28. Juli 2021

Singen macht Freu(n)de

 Ein Konzertmotto des Männergesangvereins Heißen lautete: „Lieder sind die besten Freunde“. Tatsächlich ziehen sich Freundschaften und Geselligkeit wie ein roter Faden durch die 100-jährige Geschichte des Heißener Männergesangvereins.

Dafür, dass sich zunächst 13 Chorbrüder fanden, die einen Männergesangverein gründeten, sorgte 1921 die Gastwirtin Maria Heckmann, genannt Mariechen. Sie brachte die männlichen Stammgäste ihrer Gaststätte „Hingberg Höhe“ an der Ecke Hingbergstraße/Ottostraße zum Singen. Auch vor 100 Jahren war „Mann“ gut beraten dem Rat einer klugen Frau zu folgen. Das taten die Sänger des zunächst von Friedrich Volkenborn geleiteten MGV Heißen auch 2017, als sie sich von ihren Frauen, die sich regelmäßig zum Stammtisch treffen, dazu bringen ließen, eine Chorfassung von Helene Fischers Schlager: „Atemlos durch die Nacht“ auf die Bühne zu bringen. Nicht nur das weibliche Publikum war begeistert.

Mehrsprachig und vielseitig

Obwohl der inzwischen von Klauspeter Rechenbach geleitete Chor ein modernes, mehrsprachiges und vielseitiges Repertoire singt, zu dem Shantys, Gospels, Schlager und Operetten-Ohrwürmer gehören, macht das mit 74 Jahren, 5. jüngste Chormitglied Jochen Jeske, keinen Hehl daraus, dass er den klassischen Männerchor als ein Auslaufmodell betrachtet. „Wir bekommen einfach keinen Nachwuchs, weil sich die Interessen der jüngeren Generation verändert haben. Heute beschäftigen sich die jungen Leute lieber mit ihrem Smartphone als mit gemeinsamen Gesang“, bedauert Jeske.


Er selbst entdeckte bereits in den 1960er Jahren als Mitglied des Essen Mülheimer Jugendchores die Freude am gemeinsamen Gesang. Unsere Konzertreise in die USA, die mir meine Eltern 1963 ermöglichten, bleibt mir ein prägendes Erlebnis“, sagt Jeske. Deshalb ließ er sich vor 50 Jahren auch gerne für den Männergesangverein Heißen gewinnen. „Damals probten wir noch in der Gaststätte Ternieden an der Ecke Hingbergstraße/Wiescher Weg. Und jeder Mann, der neu nach Heißen kam und bei Ternieden einkehrte, bekam mit der Speisekarte ein Aufnahmeformular für den MGV Heißen“, erinnert sich Jeske.

Gemeinsamkeit ist schön

Wie seine Sangesbrüder, die dem Chor über Jahrzehnte treu geblieben sind, hat er den Beitritt nie bereut. 2021 werden es 50 Jahre. Die gemeinsamen Proben, die gemeinsamen Konzerte, die gemeinsamen Sängerreisen und die Chorfeste gehören zu den schönsten Erlebnissen und Erinnerungen seines Lebens. Im MGV Heißen fand Jeske Freunde fürs Leben. „Wir haben Glück, dass uns unser Vorsitzender Gerd Hermann Mombour auf seinem Grundstück an der Heinrichstraße 14 Räumlichkeiten für unsere Proben zur Verfügung stellen kann. Denn Chöre, die darauf angewiesen sind, in einer Gaststätte zu proben, haben oft Schwierigkeiten ein Probenlokal zu finden und bezahlen zu können“, beschreibt der Chorbruder die Lage der Liederfreunde. Corona hat auch das Jubiläum des MGV Heißen durcheinandergebracht. Jubiläumskonzert, Sängerfest Sängerfahrt und die Vereinsfahrt nach Hamburg mussten auf 2022 verschoben werden.

Ab 10. August wird wieder geprobt

Immerhin können sich die 24 aktiven Sänger des MGV Heißen, denen eine sangesfreudige Verstärkung immer willkommen ist, am Dienstag, den 10. August um 18:30 Uhr zu ihrer ersten Probe nach den Sommerferien auf dem Grundstück ihres Vorsitzenden an der Heinrichstraße 14 treffen.
Nach dem Konzert im Theatersaal der Freien Waldorfschule an der Blumendeller Straße traten der MGV 1921 in den folgen Jahren mit dem Chorfreunden vom Oberhausener Chor MGV Cäcilia 1885 dann im Caritas-Zentrum St Raphael am Hingberg, in der evangelischen Gnadenkirche am Heißener Markt, , auf dem Heißener Bauernhof der Familie Steineshoff und beim Sängerfrühschoppen im Kloster Saarn auf und sind dankbar dafür, dass sie den 100. Geburtstag ihres Gesangvereins noch feiern können. Viele Traditionschöre, zuletzt der 1878 als Thyssen-Chor gegründete Mannesmannchor haben sich in den letzten Jahren, mangels Masse und Klang, auflösen müssen. Den demografischen Wandel sorgt für einen anhaltenden Mitgliederschwund der Männerchöre.
Schaut man auf die Internetseite des Chorverbandes Nordrhein-Westfalen, entdeckt man heute dort noch die Mülheimer Chöre der Friedrich-Wilhelms- Hütte von 1929, den Mülheimer Frauenchor 1995, die 1860 gegründeten Männergesangvereine Saarn und Broich, die Liederfreunde von 1921, den Ruhrschrei, den jungen Chor Charisma und den Mülheimer Jazz- und Popchor.

Ein Stück Stadtgeschichte

Vor 100 Jahren, als es in Mülheim noch mehr als 250 Gaststätten gab, waren Chöre als Orte der kreativen Freizeitgestaltung, der sozialen Geselligkeit und der Nachbarschaftshilfe angesagt. Wie der Vater, so ging auch der Sohn in den Männerchor, der in der Eckkneipe ein nahes, schönes und preiswertes Freizeitvergnügen war. Die meisten Menschen arbeiteten 48 Stunden pro Woche. Die knappe Freizeit verbrachte man am besten vor der Haustür. Radio, Fernsehen und Internet gab es nicht. Die meisten Menschen fuhren weder in Urlaub noch mit dem Auto, sondern bestenfalls mit der Straßenbahn. In der Regel gingen sie aber zu Fuß und investierten das gesparte Geld in das Bierchen nach der Chorprobe.

In den bis 1945 reichlich vorhandenen Krisen- und Kriegszeiten, aber auch im Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg waren Chöre und andere Vereine soziale Netzwerke nachbarschaftlicher Lebenshilfe und gelebter Lebensfreude. Diese chorale Lebensfreude wollen sich die insgesamt rund 100 aktiven und passiven Mitglieder des Männergesangvereins Heißen so lange erhalten wie möglich.


MW/LK, 27.07.2021

Dienstag, 27. Juli 2021

Harte Fahrschule

 An dieser Stelle werbe ich aus eigener Erfahrung und aus eigenem Miterleben oft und zurecht um mehr Rücksichtnahme auf Fußgänger. Rasender Radfahrer und zugeparkte Gehwege machen dies immer wieder nötig. Aber leider sind auch Fußgänger keine grundsätzlich besseren Verkehrsteilnehmer. Dies musste ich jetzt miterleben, als ein älterer Mann am Gehstock unmittelbar vor einer einfahrenden Straßenbahn glaubte, die Straßenseiten an der zentralen Haltestelle in der Friedrich-Ebert-Straße mit dem Ziel der Wegverkürzung und der Zeitersparnis wechseln zu müssen. Und dies tat er nicht regelkonform an dem nur wenige Schritte entfernten beampelten Übergang, sondern auf dem kürzesten Weg unmittelbar vor der einfahrenden Straßenbahn. Besagter Fußgänger machte sich nicht mal die Mühe, mit dem Blick nach links die Geschwindigkeit der ankommenden Straßenbahn einzuschätzen. Sonst hätte er gemerkt, dass sein Vorgehen im Zweifel der kürzeste Weg zum Friedhof hätte werden können. Doch der waghalsige Fußgänger, der offensichtlich ein Rad abhatte, hatte Gott sei Dank einen Schutzengel und das Glück des Unvernünftigen auf seiner Seite. Denn die einfahrende Tram wurde, siehe Anzeige, von einem  umsichtigen Straßenbahnfahrschüler der Ruhrbahn gesteuert. Er konnte das tonnenschwere öffentliche Personennahverkehrsmittel  gerade noch rechtzeitig abbremsen. So musste der junge Tram-Fahrschüler gleich bei einer der ersten Dienstfahrten für sein Berufsleben lernen, was ihm im öffentlichen Personennahverkehr so alles und jederzeit in die Quere kommen kann. Möge er durch diese harte Schule der alten Schule, die offensichtlich nicht vor Dummheit schützt, in seiner umsichtigen Fahr- und Führungsweise gestärkt worden sein. Und dem rücksichtslosen Fußgänger möchte ich mit auf den Weg geben. „Augen auf, bei jedem Tageslauf. Denn nicht jeder Tag ist ein Glückstag, in dem andere Menschen als Verkehrsteilnehmer und auf anderen Lebenswegen für einen mitdenken!“ 

NRZMH, 26.07.2021

Montag, 26. Juli 2021

Nur Bares ist Wahres

Die Europäische Zentralbank denkt über die Einführung einer digitalen Währung nach. Das macht mich angesichts der Negativzinsen, die die EZB bereits eingeführt hat, skeptisch. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die örtliche Bank Ihres Vertrauens. Zugegeben. Das bargeldlose Bezahlen hat seine Vorteile. Doch ich frage mich, ob die Banker und die hinter ihnen stehenden Finanzminister unser Bestes oder doch nur unser Geld wollen, wenn sie uns zu einem Volk der bequemen Kartenschieber, Display-Gucker und Tastendrücker machen und uns damit digital dermaßen einlullen und degenerieren, dass wir am Ende den Überblick über unsere hart verdienten Münzen und Scheine angesichts der digitalen Zahlenkolonnen verlieren und deshalb desorientiert mit unserer gegenstandslos gewordenen Barschaft ausgerechnet die Kassen jener Nullen klingeln lassen, die es am wenigsten verdient haben, weil sie sich auf Kosten der Allgemeinheit als finanzpolitisch große Nummern gerieren, tatsächlich aber nur nach möglichst vielen Dummen suchen, die die Fehlkalkulationen ihrer Milchmädchenrechnungen bezahlen. 


Dieser Text erschien am 21. Juli 2021 in der NRZ


Sonntag, 25. Juli 2021

Ruhr-Hochwasser 2021

 Das Ruhr-Hochwasser, dass Mülheim am 14. und 15. Juli 2021 mit einer Fließgeschwindigkeit von 1410 Kubikmetern Wasser pro Sekunde heimsuchte, wird als eines der schwersten in die Stadtgeschichte eingehen. Der Ruhrpegel lag nach Angaben des Ruhrverbandes bei bis zu 7 Metern, Bei einem mittleren Hochwasser liegt der Ruhrpegel bei 5,20 Metern. Bei normaler Wasserlage schwankt der Ruhrpegel zwischen 1 Meter und 1,95 Metern. 

Bei dem aktuellen Hochwasser handelte es sich um das schwerste Hochwasser, das der Ruhrverband seit dem Beginn seiner Aufzeichnungen im Jahr 1968 registriert hat. Stadtweit mussten rund 40 Straßen und Plätze ganz oder teilweise wegen des Hochwassers gesperrt werden. Die normale Fließgeschwindigkeit der Ruhr liegt bei 10 Kubikmetern pro Sekunde. 

Der Mintarder Ruhrdeich weichte auf, konnte aber mithilfe einer Stabilisierung standhalten. Auch Teil der Altstadt und die Schleuseninsel standen unter Wasser. Dort fiel zwischenzeitlich der Strom aus. Allein am 16. Juli wurden mehr als 90 Hochwasser- und Starkregenbedingte Hilfseinsätze und 162 Rettungseinsätze. In Mintard mussten 15 Menschen mit ihren Haustieren per Schlauchboot aus ihren Häusern gerettet werden. Auf dem Campingplatz am Mintarder Ruhrufer hieß es: "Land unter!"

Die Bewohner des ruhrnahen Franziskushauses mussten zwischenzeitlich in Krankenhäuser und in andere Pflegeheime evakuiert werden. Den Bewohnern des ebenfalls am Ruhrufer gelegenen Ruhrgartens blieb eine Evakuierung erspart. Die Feuerwehren und das Technische Hilfswerk hatten alle Hände voll zu tun. Die zwischenzeitlich vollgelaufenen Tiefgaragen unter der Schloßstraße und unter dem Rathausmarkt mussten leergepumpt werden. Die 300 haupt- und ehrenamtlichen Helfer, bei denen sich Oberbürgermeister Marc Buchholz für ihren Einsatz bedankten, wurden von ihren Arbeitgebern freigestellt. 

Mietarbeiter des Siemens-Werks sammelten binnen 72 Stunden 275.000 Euro für die Opfer der Hochwasser-Katastrophe. Ein Spendenaufruf der Funke Medien Gruppe und der Caritas für alle Opfer der Hochwasser-Katastrophe hat bisher 4,2 Millionen Euro eingebracht. 

Mitglieder des Mülheimer Kanuvereins halfen in Marienthal an der Ahr bei den Aufräumarbeiten nach der Hochwasser-Katastrophe. Am 31. Juli unterstützte die Mülheimer Entsorgungsgesellschaft MEG mit 14 Mitarbeitern und 7 Fahrzeugen die Aufräumarbeiten in dem vom Hochwasser besonders stark betroffenen Erfststadt.

Die Agentur für Arbeit, die Bürgeragentur und die SWB boten Hochwassergeschädigten Soforthilfe und Notunterkünfte an. Bis Ende Juli hat die Stadt Soforthilfen in einer Gesamthöhe von 40.500 Euro an vier Gewerbetreibende und 8 Privathaushalte ausgezahlt. Die Antragsfrist für Soforthilfe läuft noch bis zum 30. August. Die Freilichtbühne und der Jazzclub initiieren ein Benefizkonzert für die Opfer der Hochwasserkatastrophe. Die Ruhrbahn stellt Hochwassergeschädigten bis Ende August Gratis-Fahrkarten für Busse und Bahnen zur Verfügung. 

Anders, als in anderen Flutgebieten, hatte Mülheim keine Toten zu beklagen. Insgesamt sind 182 Menschen in den westdeutschen Flutgebieten ums Leben gekommen.

 Im Internet kursierte das Video der "Moornixe", eines Privatschiffs, das sich aufgrund des Hochwassers aus seiner Verankerung gerissen und steuerlos auf der Ruhr manövrierend, mit dem Kahlenbergwehr kollidierte. Die im Stadthafen vor Anker liegenden Boote schwammen zweitweise auf einer Ebene mit den angrenzenden Gehwegen der Ruhrpromenade. 

Auf der  Schleuseninsel fiel hochwasserbedingt zwischenzeitlich der Strom aus. Helfer bauten einen 1 Meter hohen Schutzwall aus Sandsäcken, um die Hochwasserschäden zu begrenzen.

Nach dem jüngsten Ruhrhochwasser wird jetzt auch im Mülheimer Stadtrat und in der Öffentlichkeit verschärft darüber diskutiert, ob man Neubauten an den Ruhrufern verbieten soll. Naturschützer stellen verschärft die Frage nach einer klimaangepassten Stadtplanung mit mehr renaturierten Freiflächen, auf denen Hochwasser auslaufen könnte, ohne Gebäude und ihre Bewohner und Nutzer zu schädigen. 

Weil das Hochwasser mit einer starken Verunreinigung der Ruhr einherging, haben Gesundheitsamt und Wasserwerk (RWW), die Bürger dazu aufgerufen, ihr Trinkwasser vom 16. bis zum 21. Juli vor dem Genuss abzukochen. Noch bis zum 4. August wird der Wasserversorger RWW das Trinkwasser infolge des Hochwassers hygienebedingt weiter chloren. 

Der Verein 4330 hilft und die Mülheimer Entsorgungsgesellschaft MEG haben am ersten August-Wochenende mit einer freiwilligen Aufräumaktion an den Ruhrufern insgesamt 20 Tonnen Flut-Müll entsorgt. 120 freiwillige Helfer waren im Einsatz. Die MEG hat nach eigenen Angaben unmittelbar nach dem Hochwasser mit 12 Sonderfahrten 57 Tonnen Flutbedingten Sondermüll entsorgt. 

Besonders hart traf es am linken Ruhrufer die DJK Mintard, deren Vereinsgelände überschwemmt und deren Kanusportanlage zerstört wurde. Auch eine Kleingartenanlage an der Mintarder Straße war vom Hochwasser stark betroffen.

Samstag, 24. Juli 2021

Mülheims Hochwasser-Historie

 Auch in früheren Jahrzehnten hat es in der Stadt am Fluss extreme Hochwasser gegeben. Das zeigt ein Blick in die Mülheimer Lokalpresse.

Im Februar 1926 lässt die Mülheimer Zeitung „den denkwürdigen Jahreswechsel“ Revue passieren, als die Ruhr auch die gerade erst am Broicher neuerrichtete Stadthalle geflutet hat. Die Zeitung erinnert daran, dass an die Ruhr bereits nach dem-November-Hochwasser des Jahres 1890 vertieft und erweitert worden sei, um die Wassermassen besser abfließen zu lassen. Dennoch sieht man auf den Bildern der damaligen Zeit vom Wasser geflutete Ruheanlagen und Straßen in der Mülheimer Innenstadt, auf denen Menschen versuchen, in Booten voranzukommen.


13 Jahre später titelt die Mülheimer Zeitung am 31. August 1938: „Wolkenbruch über Mülheim: Überschwemmungen wie sie in den letzten Jahrzehnten nicht mehr da gewesen sind: Unermessliche Schäden angerichtet. Dass Rumbachtal verwandelt sich in eine in einen See und der Dickswall in einem großen Bach.“

Doch noch katastrophaler wirkt sich ein von Menschenhand gemachtes Hochwasser aus, das am 17. Mai 1943 um 0.30 Uhr durch britische Bomben auf die Möhne-Talsperre ausgelöst wird.


Die Folgen der Flutwelle, die sich durch das 75 Meter breite Loch der Sperrmauer auf einer Länge von 150 Kilometern bis zu 12 Meter hoch und 100 Meter breit ins Ruhrtal ergießt, kostet mehr als 1000 Menschenleben, zerstört mehr als 100 Häuser und beschädigt fast 1000 Gebäude. 7 Eisenbahnstrecken werden unpassierbar 40 Quadratkilometer Ackerfläche werden zerstört. In Mülheim wurde erstmals seit 1890 der Rekord-Ruhrpegel von 6,69 Meter überschritten. Der normale Ruhrpegel liegt damals bei 1 Meter. Die verheerenden Schäden sind von den Alliierten gewollt. Sie sollen die Bevölkerung an der Ruhr demoralisieren, die industrielle Infrastruktur und die Energie- und Wasserversorgung zerstören.


Am Tag nach dem britischen Luftangriff schreibt die gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung im Sinne der NS-Ideologie: „In der Nacht zum 18. Mai wurden durch britischen Bombenabwurf 2 Talsperren beschädigt, wobei durch den eintretenden Wassersturz schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung hervorgerufen worden sind. Auf diesen verbrecherischen Terroranschlag fällt ein außerordentlich bezeichnendes Licht durch eine Meldung des britischen Reuterdienstes, dessen früherer Berliner Korrespondent darüber zu melden weiß: Ein bekannter jüdischer Spezialist aus Berlin hat jetzt in London seine Praxis ausgeübt. Er stellte vor einiger Zeit an mich die Frage: warum die Royal Air Force die Talsperren in Deutschland noch nicht bombardiert habe. Sein Bericht veranlasste mich, einen Brief an das Luftwaffenministerium so richten, indem ich seine Information weitergab. Ich erhielt später eine Antwort, dass man für diesen Vorschlag des jüdischen Spezialisten danke und mir versicherte, man würde ihn auf das sorgfältigste überprüfen. Diese Meldung lässt keinen Zweifel darüber, dass es sich bei diesem Anschlag auch die Talsperren um eine von Juden inspiriertes Verbrechen handelt.“


Der propagandistische Wahnsinn hat wenige Monate nach der Kriegswende in Stalingrad und dem von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ausgerufenen „totalen Krieg“ Methode, um die Verantwortung für die drohende Kriegsniederlage vom NS-Regime abzuwälzen.

Nach dem die Nachricht vom Luftangriff auf die Möhne-Talsperre bekannt wird, will man sie in vielen Dienststellen erst gar nicht glauben. Doch dann gehen Feuerwehrleute durch die Straßen der Stadt und warnen die verwirrten und verängstigten Menschen vor der bevorstehenden Flutwelle. Die Kirchenglocken läuten Sturm. Viele Menschen laufen auf die Straße oder flüchten sich auf die Dächer ihrer Häuser. Doch manche Menschen werden auch in ihren Betten von der Flut überrascht. 15 Jahre später wird Lokalreporter Hans-Joachim Langner den 17. Mai 1943 rückblickend „als den Tag“ bezeichnen, „an dem der Krieg aufgehört hat, eine Sache der Soldaten zu sein.“ Das der von Hitler-Deutschland begonnene Krieg wie ein Bumerang auf sie zurückkommen, müssen die Mülheimer auch am 23. Juni 1943 erfahren, als ein alliierter Luftangriff weite Teile der Innenstadt dem Erdboden gleich macht und 500 Menschenleben fordert. 


Immer wieder ist die Ruhr, die auf 14 Kilometern Länge durch Mülheim fließt und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein starkbefahrener Transportfluss war, auch in extremer Form über ihre Ufer getreten. So stieg zum Beispiel beim Ruhr-Hochwasser am 25. November 1890 der Ruhrpegel fast um das Siebenfache. Der Rathausmarkt wurde vollständig überschwemmt. Die Bewohner an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße und im Bereich der heutigen Schleuseninsel, wo damals ein Schlachthof stand, flüchteten sich in die oberen Stockwerke und auf die Dächer ihrer Häuser. Es wird berichtet, dass die herbeieilenden Retter Mühe hatten, die Hochwasser-Geschädigten davon zu überzeugen, in ihre schwankenden Kähne einzusteigen.


NRZ/WAZ, 18.07.2021

Freitag, 23. Juli 2021

Die Zeitung der frühen Jahre

13. Juli 1946: In Mülheim erscheint die erste Lokalausgabe der NRZ. Ihre Lizenzierung durch die britische Militärregierung ist Teil der von den Alliierten angestrebten Demokratisierung der über zwölf Jahre vom Nationalsozialismus geprägten deutschen Gesellschaft. Es gehe darum, wie es ein britischer Offizier in der NRZ vom 13. Juli 1946 schreibt, „das Vertrauen in die Menschlichkeit zu stärken“. 

Die erste Lokalausgabe der Mülheimer NRZ besteht aus einer Seite. Berichtet wird unter anderem über die Lebensmittelhilfen des Schwedischen Roten Kreuzes, über den Rehabilitationssport für Kriegsbeschädigte in der heutigen Martin-von-Tours-Grundschule, über den Diebstahl von Lebensmittelkarten, über den Mangel an politisch unbelasteten Lehrern und intakten Schulen und über verschlepptes Schulmobiliar.

Im Kleinanzeigenteil finden sich Tauschangebote, wie: „Biete gut erhaltenen Damenmantel (Größe 42). Suche Herrenanzug.“ Gut ein Jahr nach Kriegsende herrschen in der Trümmerstadt an der Ruhr Hunger und Not. Lebensmittel sind rationiert. Die Kinder sind auf Schulspeisungen des Schwedischen Roten Kreuzes angewiesen. Viele Menschen leben damals notdürftig in Baracken, Häuserruinen, Kellerräumen oder müssen sich noch intakte Wohnungen mit Fremden teilen.

Gleichzeitig lassen Kriegsheimkehrer und Vertriebene aus dem deutschen Osten die Stadtbevölkerung in den ersten fünf Nachkriegsjahren von 88.000 auf 150.000 Einwohner ansteigen. Papier ist knapp In dieser extremen Situation gehen der erste Redaktionsleiter der NRZ, Otto Striebeck, und seine fünf freien Mitarbeiter ans Werk. Das Papier ist knapp und wird von der britischen Militärregierung zugeteilt. Deshalb erscheint die NRZ anfangs nicht täglich, sondern nur zweimal pro Woche. Striebecks Wohnung an der Friedrichstraße, die bis 1945 Adolf-Hitler-Straße geheißen hat, ist die erste Lokalredaktion. Erst später bezieht er ein Redaktionsbüro an der Schloßstraße. Das Monats-Abo der NRZ kostet 1946 1,50 Reichsmark. Die D-Mark wird erst 1948 eingeführt. Otto Striebeck ist damals 51 Jahre alt. Der gelernte Bergmann hat sich zum Redakteur weitergebildet und schon vor 1933 für sozialdemokratische Zeitungen geschrieben. Wie der Herausgeber der NRZ, Dietrich Oppenberg, ist Striebeck Sozialdemokrat.

Deshalb sind beide nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Doch sie haben die Hitler-Herrschaft überlebt und wollen jetzt am Aufbau einer neuen deutschen Demokratie mitarbeiten. Die britische Militärregierung hat die NRZ als SPD-nahe Zeitung lizenziert. Deshalb konkurriert das Blatt zunächst mit der CDU-nahen Rheinischen Post und später mit der unabhängigen Westdeutschen Allgemeinen, mit der FDP-nahen Morgenpost und mit den CDU-nahen Ruhrnachrichten. 

Erst 1949 fällt der alliierte Lizenzierungszwang und damit auch die unmittelbare Parteibindung der Presse. Einzug in den Bundestag So wie der Lokalchef der Ruhrnachrichten, Franz Matuszczyk, für die CDU im Stadtrat sitzt, so vertritt Otto Striebeck die SPD im Stadtparlament. 1949 wird der Sozialdemokrat Striebeck dann sogar als erster Mülheimer Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einziehen, dem er mit einer Unterbrechung, bis 1965 angehören wird, bevor er 1972 stirbt. 

2011 erinnert sich seine Tochter Elfriede Rosorius (1921-2013) in einem Interview mit der NRZ an ihren Vater: „Er war ein Mann, der Tag und Nacht arbeitete und er konnte Dinge sehr gut erklären, sich mit Meschen auseinandersetzen und ihnen Wege aufzeigen, wie man Dinge regeln kann.“ Die NRZ löst als von den Alliierten lizenzierte Zeitung die alten Lokalblätter Mülheimer Zeitung und Generalanzeiger ab, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gleichgeschaltet und durch die Pressezensur zu Propaganda-Instrumenten der NSDAP gemacht worden waren.

Mit dem Hinweis: „Jetzt dürfen wir wieder schreiben und sagen, was wahr ist“, wirbt Otto Striebecks Tochter Elfriede 1946 die ersten 500 Abonnenten der Mülheimer NRZ, indem sie von Haus zu Haus geht. Fast auf den Tag genau, 75 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Mülheimer Lokalausgabe bilden die heute beide zur Funke Mediengruppe gehörenden NRZ und WAZ in Mülheim eine Redaktionsgemeinschaft. 


NRZ, 13.07.2021



Montag, 19. Juli 2021

Im Dienst der Menschen

 Rund 14.000 Menschen finden jährlich bei der Diakonie Rat und Hilfe, die für 250 Menschen Arbeitgeber ist. Seit genau 100 Jahren gibt es in Mülheim den bundesweit aktiven Sozialverband der Evangelischen Kirche auch in unserer Stadt, in der aktuell 42.700 der 172.000 Einwohner der Evangelischen Kirche angehören. Was fällt der Geschäftsführerin der Diakonie, Birgit Hirsch-Palepu zum runden Geburtstag der Mülheimer Diakonie ein? Ein Gespräch.

 

Was ist für Sie der rote Faden, der sich durch 100 Jahre Diakonie zieht?

Die gelebte Nächstenliebe. In all unserem Wirken als Wohlfahrtsverband der Evangelischen Kirche in Mülheim steht stets das Wohl der von uns begleiteten und betreuten Menschen im Mittelpunkt – und das stets angepasst an ihre Bedürfnisse und Lebenssituation. So wie sich die Gesellschaft, der Alltag seit 1921  geändert hat, hat sich auch das Diakonische Werk gewandelt. Angebote wurden entwickelt und ausdifferenziert. Im Kern geblieben ist der diakonische Anspruch, Menschen aufzufangen, die sonst durchs Raster fallen, Fürsprecher der Stummen zu sein und das Leid von Menschen durch lebenspraktische und unbürokratische Unterstützung zu lindern.

 

Was ist für Sie die aktuell größte Herausforderung für die Diakonie?

Die aktuelle Situation bringt verschiedene Themen mit, die mich derzeit beschäftigen und die ich als Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes angehe. Da ist die Corona-Pandemie, die uns und unseren Klientinnen seit anderthalb Jahren viel abverlangt. Verbunden damit ist die Digitalisierung, die mir persönlich sehr wichtig ist und die ich gezielt voranbringe. Der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung: Bei Stellenausschreibungen spüren wir das zunehmend. Wichtiges und ebenfalls herausforderndes Thema bleiben die „Finanzen“. Man spürt, dass der Ton da rauer wird.

 

Was motiviert Sie bei Ihrer fordernden Arbeit als Geschäftsführerin der Diakonie? Was verbindet Ihren Beruf bei der Diakonie mit Ihrer Biografie?

Die Diakonie ist meine berufliche Heimat. Seit 34 Jahren arbeite ich im diakonischen Kontext; seit 20 Jahren bin ich beim Diakonischen Werk in Mülheim beschäftigt; am 01.01.2021 habe ich die alleinige Geschäftsführung übernommen. Ich möchte auch weiterhin immer im Zusammenspiel mit den Kolleginnen agieren. Mir ist der Kontakt zu den Mitarbeitenden wichtig, um zu spüren: Wie geht es an der Basis, was brauchen die Menschen, um daraus unsere Angebote zu entwickeln. Das gilt in der aktuellen Zeit mehr denn je. Die Corona-Pandemie hat allen viel abverlangt – auch unseren Mitarbeitenden, denn wir haben unsere Angebote ab März 2020 vorgehalten. Wir spüren, dass die Menschen nun mit anderem Ballast kommen. Und das wird in den nächsten Monaten noch mehr werden. Mit Blick darauf möchte ich – im Zusammenspiel mit den Abteilungen – Hilfsangebote entwickeln.

 

Was würde der Stadt fehlen, wenn es keine Diakonie in Mülheim gäbe?

Die Diakonie berührt die Leben der Mülheimerinnen an unterschiedlichen Stellen. Ein Wegfall würde im Alltag vieler große Lücken hinterlassen. Ich möchte Beispiele nennen: Da sind etwa die Schulprojekte, in denen wir als Träger an Grund- und weiterführenden Schulen 1.800 Schülerinnen betreuen. Bereits im Schuljahr 2004/2005 haben wir in Styrum eine OGS in Kooperation mit Stadt und Schule aufgebaut. Seitdem begleiten wir Bildungsbiografien, entlasten Familien und vor allem Mütter. Zugleich ist dies ein Beispiel für unsere Stadtteilarbeit: Denn in Styrum sind wir schon lange  aktiv, haben mit dem Sozialbüro an der Augustastraße eine Anlaufstelle im Stadtteil, bieten dort auch eine Kindergruppe bis in den Abend hinein an. Außerdem lernen in unserer Integrationsfachschule über 400 Schülerinnen Deutsch in zielgruppenorientierten Kursen; wir unterstützen diese Menschen ganz konkret dabei, sich eine Zukunft in Deutschland aufzubauen, damit Integration gelingen kann. Unsere Obdachlosenhilfe und Suchtberatungs- und Behandlungsstelle haben ihre Angebote über Jahrzehnte ausdifferenziert. Wie gesagt, das sind nur einige Beispiele, wie wir aktiv die hier lebenden Menschen unterstützen und das gesellschaftliche Leben in Mülheim begleiten.

 

Was würden Sie politisch gerne durchsetzen?

Durchsetzen hört sich für mich nach „Kopf durch die Wand an“. So verstehen wir unsere Arbeit nicht. Mein Ziel ist es, die Angebote des Diakonischen Werkes bedarfsgerecht fortzuschreiben, weiterzuentwickeln, Neues zu wagen, Bewährtes fortzusetzen. Was ich mir von Politik wünsche ist, dass wir weniger in Projektanträgen denken müssen, sondern eher unsere Angebote in einem Gesamtkonzept entwickeln können. Also weniger Projekteritis, dafür mehr Zuschüsse mit klaren und bedarfsgerechten Vereinbarungen zur Durchführung der Arbeit.

 

Was wünschen Sie der Diakonie zum Geburtstag?
Ich wünsche dem Diakonischen Werk weiterhin so gute Mitarbeiterinnen. Denn die Mitarbeitenden  sind das Herz der Diakonie – sie sind die, die tagtäglich die Arbeit am Menschen durchführen – dazu gehören unsere Mitarbeitenden in den Schulprojekten genauso wie die Verwaltungsmitarbeiterin in der Evangelischen Schwangerschaftsberatungsstelle oder die Therapeuten in der Sozialtherapeutischen Wohngemeinschaft, um nur einige wenige Beispiele zu nennen W
eiterhin wünsche ich der Diakonie, dass die Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung weiterhin so gut läuft wie bisher. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung – aber dies immer im Sinne der von uns betreuten Menschen. Innerkirchlich wünsche ich mir die Fortsetzung der immer guten Zusammenarbeit mit unseren Kirchengemeinden, dem Evangelischen Kirchenkreis und den Einrichtungen und Diensten der evangelischen Kirche.

 

Geschichte der Mülheimer Diakonie

 

Das Diakonische Werk trägt das altgriechische Wort für „Dienst“ in seinem Namen. Dem Beschluss der Kreissynode folgend wurde vor 100 Jahren ein evangelisches Jugend Fürsorgeamt gegründet, das von einem Jugendrat geleitet wurde, an dessen Spitze der Dümptener Pfarrer Müller stand. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte auch Mülheim soziale, wirtschaftliche und politische Umbrüche, von denen vor allem Jugendliche gefährdet waren. Vor diesem Hintergrund hatten sich in Mülheim 1919 auch die SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt und 1920 die katholische Caritas gegründet. Nach Pfarrer Müller waren Pastor Walter Sänger, Heinz Lipski und Hartwig Kistner als Vorgänger von Birgit Hirsch-Palepu leitende und prägende Persönlichkeiten der Diakonie, aus der 1985 auch das im Bereich der Beschäftigungsförderung aktive Diakoniewerk Arbeit und Kultur sowie der 1965 gegründete Evangelische Betreuungsverein für Erwachsenenbetreuung hervorgegangen sind. Darüber hinaus engagiert sich die in 7 Abteilungen organisierte Diakonie auch in der Betreuung von Schwangeren, Schülern,  Suchtkranken, Flüchtlingen und Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht und betroffen sind. Weiterführende Informationen zum Thema findet man unter: www.diakonie-muelheim.de 


NRZ/WAZ, 04.07.2021

Samstag, 17. Juli 2021

Im Dienst der Sicherheit

 Den Mitarbeitern der Vollmergruppe kann man an vielen Stellen im Stadtgebiet begegnen. Sie patroullieren zum Beispiel durch Einkaufszentren, sind als Geldkurier unterwegs oder haben, als das noch möglich war, auch den Rosenmontagszug begleitet. Vor 75 Jahren begann die Erfolgsgeschichte der Vollmergruppe mit Wilhelm Vollmer, der damals den Westdeutschen Wachdienst gründete.

Heute ist die Vollmergruppe, die vom Gesellschafter Christian Vollmer und den Geschäftsführern Andreas Brink und Daniel Vollmer geleitet wird, nicht mehr nur ein Sicherheitsdienst. Auch Parkraumbewirtschaftung, Personaldienstleistungen, Notrufservice, eine Sicherheitsakademie  und Reinigungsdienste gehören zu ihrem Dienstleistungsangebot.

Vollmer findet seine privaten und gewerblichen Auftraggeber vor allem in Nordrhein-Westfalen, inzwischen aber auch bundesweit. An einer 2016 gegründeten Sicherheitsakademie werden Fachkräfte für Schutz- und Sicherheitsdienstleistungen ausgebildet.

Warum brauchen wir private Sicherheitsdienste? Wir haben doch die steuerfinanzierte Polizei und das Ordnungsamt. Christian Vollmers Hinweis darauf, dass es in Deutschland 267.000 private Sicherheitskräfte, aber nur rund 250.000 Polizeibeamte gibt, veranschaulicht die Bedeutung der gewerblichen Sicherheitsdienstleister.

Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat die Sicherheit einmal als „Supergrundrecht“ bezeichnet. Damit wollte er deutlich machen, dass unsere Gesellschaft sozial und wirtschaftlich nur funktioniert, wenn sie sicher ist.

Wie sicher sind wir? Christian Vollmer sagt dazu: „Die Zahlen der Kriminalstatistik belegen, dass die Straftaten in Mülheim an der Ruhr in den zurückliegenden Jahren gesunken sind. Das betrifft vor allem Ladendiebstähle, Wohnungseinbrüche und Diebstähle aus Kraftfahrzeugen. Gründe dafür sind eine verbesserte Prävention, sodass durch mechanische und technische Sicherheitseinrichtungen nahezu 40% der versuchten Straftaten abgebrochen werden.“ Doch Vollmer warnt vor Illusionen, wenn er die andere Seite der Sicherheitsmedaille beschreibt. „Es darf nicht vergessen werden, dass durch die Corona-Pandemie viele organisierte, reisende Straftätergruppen vor allem aus Osteuropa aktuell nicht oder nur marginal in Deutschland auf Beutezug sind. Das wird sich wieder ändern, sobald die Pandemie nachlässt.“

Als Wilhelm Vollmer 1946 den Westdeutschen Wachdienst gründete, war Mülheim eine vom Krieg gezeichnete Trümmerstadt unter der Kontrolle der britischen Militärregierung. Die britische Besatzungsmacht wollte keine bewaffneten Deutschen auf den Straßen sehen. Selbst die örtliche Polizei musste anfangs ohne Waffen agieren. Umso argwöhnischer betrachtete sie den von Wilhelm Vollmer gegründeten Westdeutschen Wachdienst. Aus dem damals 48-jährigen Mitarbeiter eines Duisburger Wachdienstes wurde im Sommer 1946 der Inhaber eines Mülheimer Wachdienstes, der 1947 sein erstes Büro im Gewerkschaftshaus an der Friedrichstraße bezog und 1949 30 Mitarbeiter beschäftigte. Ein frühes Foto zeigt seine ersten Wachleute auf ihrer Tour mit Dienstfahrrad und Schutzhund. Seine ersten Angestellten waren arbeitsunfähige Bergleute und Arbeitslose, die bei Vollmer ein Auskommen fanden. Wilhelms 1935 geborener Sohn Manfred trat 1955 ins. väterliche Unternehmen ein, hinter dem mit Mutter Anni Hubertine Bertram eine starke Frau steht.

Christian Vollmers Vater Manfred, der seinen Vater 1980 in der Firmenleitung ablöste, hat der Festschrift zum Firmenjubiläum mit seinem Lebensmotto den Titel gegeben: „Leben und leben lassen!“ Zu Beginn der Festschrift wird der Seniorchef mit seinem Credo zitiert, das das Familienunternehmen zu dem gemacht hat, was es heute ist: „Ich finde, anständige Arbeit muss auch anständig bezahlt werden. Manche Unternehmer wollen nur verdienen, denken nicht an ihre Leute, die ihnen ja schließlich das Geld verdienen. Ich denke aber, wenn es der Masse gut geht, dann geht es mir auch gut. Immer leben und leben lassen.“

Sein Sohn Christian verdiente sich mit dem Waschen der Firmenfahrzeuge sein erstes Taschengeld und stieg, 1983 ins Familienunternehmen ein, das damals am Kassenberg saß. Seine Schwester Susan Vollmer verantwortet heute als Geschäftsführerin den Bereich Parking. Er kann sich daran erinnern, dass private Sicherheitsdienste in den 1980er und 1990er Jahren von der Polizei als „Konkurrenz im öffentlichen Raum“ angesehen wurden. Seitdem habe sich aber mithilfe eines intensiven Dialogs viel zum Besseren geändert. Heute sei man als Vollmergruppe „in der lokalen Sicherheitspartnerschaft mit Polizei und Ordnungsamt gleichberechtigt.“

Was Christian Vollmer heute umtreibt, wenn er an die Zukunft des Familienunternehmens denkt, ist der Personal- und Fachkräftemangel. Dazu sagt er: „Es wird zunehmend schwerer, flexibles Personal für die vielfältigen Kundenanfragen zu gewinnen. Die wechselnden Dienstzeiten und der Trend zur Work-Life-Balance passen nicht gut zusammen. Obwohl sich das Lohnniveau in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, ist auch hier noch Luft nach oben. Jedoch muss man in Krisenzeiten berücksichtigen, dass man die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Auftraggeber nicht aus den Augen verliert.“

Wer auf die Internetseite des Unternehmens schaut, ist überrascht, wie vielseitig die Personalausschreibungen sind. Da werden nicht nur ein Auszubildender zur Fachkraft Schutz und Sicherheit und eine Sicherheitsmitarbeiter, sondern auch Brandschutztechniker, Service-Disponenten, Reinigungskräfte und Entsorgungsmitarbeiter gesucht.

 Die Vollmergruppe

Die 1999 aus dem Westdeutschen Wachdienst heraus gegründete Vollmergruppe besteht heute aus 14 Firmen, die für mehr als 4000 Auftraggeber tätig sind und 1500 Menschen beschäftigen. Ihren Firmensitz hat die Gruppe, die über einen aus 148 Fahrzeugen bestehenden Fuhrpark verfügt,  an der Neckarstraße im 1927 eröffneten Speldorfer Rhein-Ruhr-Hafen.


NRZ/WAZ, 16.07.2021

Freitag, 16. Juli 2021

Wahl zu Kaisers Zeiten

Am 26. September haben wählen auch die Mülheimer den Deutschen Bundestag und seine Abgeordneten. Vor 150 Jahren wählten die Mülheimer (am 3. März 1871) den ersten Deutschen Reichstag des neu gegründeten Kaiserreiches.

Auf einer Woge des nationalen Hochgefühls stimmte Mülheim, wie im reichsweiten Trend mehrheitlich für die Nationalliberalen und ihren damals 38-jährigen Kandidaten Richard Dove. Die entschiedensten Anhänger des neuen Kaiserreiches unter preußischer Führung und seines ersten Kanzlers Otto von Bismarck, sammelten sich in der 1867 gegründeten Nationalliberalen Partei. Sie nannte sich in den Anzeigen der Rhein-Ruhr-Zeitung „die Nationale Partei“ und: „die Verfassungspartei“.

Einer der 382 Abgeordneten des ersten Deutschen Reichstags wurde der für Mülheim, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken gewählte Göttinger Kirchenrechtsprofessor Richard Wilhelm Dove. Obwohl er nicht aus dem Reichstagswahlkreis kam, hatte ihn das lokale Wahlkomitee der Nationalliberalen Partei als Kandidaten nominiert.

Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal sollte ein importierter Kandidat zum Mülheimer Abgeordneten gewählt werden. 1871, hatten die Mülheimer nur eine Stimme, die sie abgeben konnten. Denn der Reichstag wurde nach einem Mehrheitswahlrecht gewählt, wie es heute noch in Großbritannien, Frankreich und in den USA praktiziert wird.

Dieses Wahlrecht gewährt nur Kandidaten den Einzug ins Parlament, die in einem Wahlkreis die Stimmenmehrheit auf sich vereinigen. Obwohl neben dem Nationalliberalen Richard Wilhelm Dove auch der Richter Heinrich Grütering von der katholischen Zentrumspartei und der Journalist Wilhelm Hasenclever von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, die später zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) werden sollte, zur ersten Reichstagswahl antraten, hatten die Nationalliberalen und ihr Kandidat die Gunst der Stunde auf ihrer Seite und trugen mit ihrem auswärtigen Kandidaten einen beachtlichen Wahlsieg davon.

Walberechtigt waren 24.473 Bürger. 15.484 Stimmen wurden abgegeben. Richard Wilhelm Dove erhielt 10.461 Stimmen, Richter Grütering 3245 Stimmen und Wilhelm Hasenclever 1633 Stimmen.

Mit diesem Wahlergebnis lag Mühlheim im nationalen Trend. Denn die Nationalliberalen wurden im Deutschen Reich zur stärksten Partei, gefolgt vom katholischen Zentrum und den Konservativen. Die Sozialdemokraten gewannen mit nur 0,5% der Stimmen  2 Mandate im 1. Reichstag.

Auch in Mülheim konkurrierten Sozialdemokraten und Zentrumspartei um die Stimmen der Arbeiter. Der Zentrumskandidat Grütering hatte in einer Wahlanzeige der Rhein-Ruhr-Zeitung angekündigt: „mit nationaler Gesinnung für konfessionelle Schulen, die Freiheit der christlichen Kirchen und das Wohl der Arbeiter eintreten“ zu wollen. Durch die Aufteilung der Arbeiterstimmen hatte der Sozialdemokrat Hasenclever keine Chance, den Ruhr-Wahlkreis mit einer Mehrheit der Stimmen zu gewinnen.

Die erste Wahl zum Deutschen Reichstag war nicht wirklich demokratisch. Wahlberechtigt waren nur Männer ab 25. Frauen durften erst nach dem Ende des Kaiserreiches wählen und gewählt werden. So repräsentierte der 1871 gewählte Reichstag nur 20% der Bevölkerung. Immerhin wurde der Reichstag des Kaiserreiches demokratischer gewählt, als der preußische Landtag und die Stadträte. Für ihre Wahl galt bis 1918 das Drei-Klassen-Wahlrecht. Es teilte die Wähler, abhängig von ihrer Steuerkraft in drei Wählerklassen ein. So stellten ¾ der Bevölkerung nur 1/3 der Stimmen. Und eine Stimme der 1. Klasse war 17mal mehr wert als eine aus der 3. Klasse.

Allerdings konnten sich nur gutsituierte Bürger während des Kaiserreiches eine Wahl in den Reichstag leisten, da sie als Abgeordnete bis 1906 keine Diäten bekamen. Auch die Rechte des Reichstags waren begrenzt. Er konnte Gesetze und Haushaltspläne der Regierung billigen oder ablehnen, aber keine Regierung oder abwählen. Der Reichskanzler wurde vom Kaiser ernannt und war deshalb von seinem Vertrauen abhängig. 

Mülheimer im Reichstag und im Bundestag:

Richard Wilhelm Dove, Jurist, Nationalliberal 1871-1875

Johann Friedrich Schulte, Jurist, Nationalliberal, 1874-1881

Friedrich Hammacher. Jurist, Nationalliberal, 1881-1898

Theodor Möller, Unternehmer, Nationalliberal1898-1903

Wilhelm Beumer, Lehrer, Nationalliberal, 1903-1907

Klemens Hengsbach, Tischler, Sozialdemokratie, 1907-1912

Hugo Böttger, Publizist, Nationalliberal, 1912-1918

Joseph Allekotte, Postbeamter, Zentrum, 1920-1928

Fritz Thyssen, Großindustrieller, NSDAP, 1933-1939 (nicht gewählt)

Otto Striebeck, Redakteur, SPD, 1949-1953 & 1958-1965

Gisela Prätorius, Pädagogin, CDU, 1953-1957

Max Vehar, Unternehmer, CDU, 1957-1961 & 1969-1976

Willi Müller, Verwaltungsoberinspektor, SPD, 1965-1980

Helga Wex, Philosophin, CDU, 1967-1969 & 1972-1986

Thomas Schröer, Lehrer, SPD, 1980-1990

Wilhelm Knabe, Forstwissenschaftler, Grüne, 1987-1990

Andreas Schmidt, Jurist, CDU, 1990-2009

Ulrike Flach, Übersetzerin, FDP 1998-2013

Astrid Timmermann-Fechter, Geschäftsführerin/Referentin CDU 2013-2017

Anton Schaaf, Arbeiter/Betriebsrat, SPD (2002-2013)

Armo Klare, Lehrer, SPD (2013-2021)


NRZ/WAZ, 15.07.2021


Dienstag, 13. Juli 2021

Kirche als Politikum

27. Juni 1971: Vor 50 Jahren wird eine Kirche zum Politikum. An diesem Tag beschließt das Presbyterium der Evangelischen Altstadtgemeinde, die um 1880 an der Delle errichtete Pauli Kirche abzureißen. Schon 1683 war an gleicher Stelle eine Vorgänger-Kirche eingeweiht worden.

Für viele Mülheimer ist die (zweite) Paulikirche, ursprünglich die Gemeindekirche der Lutheraner, mit vielen persönlichen Erinnerungen verbunden. Die Kirche ist als Hochzeitskirche beliebt und lädt täglich zu ökumenischen Andachten ein. Doch am 27. Juni 1971 wird der letzte Gottesdienst gefeiert. Pastor Walter Hufschmidt erinnert an diesem Tag in seiner Predigt daran, „dass in der Vergangenheit in dieser Kirche und von dieser Kanzel aus immer wieder Mahnungen des Friedens und des Verstehens anderer ausgegangen sind.“


Sein Appell an Verständnis und Versöhnung kommt nicht von ungefähr. Viele Gemeindemitglieder tun sich mit dem Abriss der Paulikirche schwer. Doch die auf 193.000 Einwohner angewachsenen Stadt braucht neues Bauland für die Innenstadterweiterung. Und das Presbyterium der Evangelischen Altstadtgemeinde, die inzwischen in der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim aufgegangen ist, sieht keinen Anlass dafür, sich neben der nahen Petrikirche eine zweite Innenstadt-Kirche leisten zu wollen und zu müssen.


In dieser Situation entdecken Jugendliche ihre Chance. Sie wollen in der nicht mehr genutzten Paulikirche ein selbstverwaltetes Jugendzentrum eröffnen. Und sie machen gleich die Probe aufs Exempel.


Zeitzeuge Hartmut Krämer erinnert sich: „Ich war damals 17 Jahre alt und machte eine Berufsausbildung im Lebensmittelhandel. Mit Thomas Sschröer bin ich bei Nacht und Nebel durch ein Fenster in die Paulikirche eingestiegen. Von innen haben wir dann die Kirchentüren entriegelt. Dann haben wir uns regelmäßig nicht mehr am Brunnen auf dem Berliner Platz, sondern in der Paulikirche getroffen. Das lag ja nahe. Wir waren damals etwa 50 Jugendliche und junge Erwachsene, die ein selbstverwaltetes Jugendzentrum aufbauen wollten. Wir in der Paulikirche das gemacht, was wir im selbstverwalteten Jugendzentrum machen wollten, Musik, Diskussion, Theater und Kabarett. Leider mussten wir damals die Erfahrung machen, dass die damals mit absoluter Mehrheit regierende SPD die Idee eines Jugendklubhauses unterstützte, aber nichts für uns getan hat. Viele Jugendliche, die regelmäßig in die Paulikirche kamen, bekamen deshalb zu Hause Ärger. Sie bekamen zu hören: ‚Da gehst du nicht mehr hin‘“.


Obwohl es im Sommer 1971 zwischen Kirche, Stadt und Jugendlichen zum Gespräch kommt, können sich die jungen Leute mit ihrer Idee eines selbstverwalteten Zentrums nicht durchsetzen.


Am 7. Oktober 1971 schaffen Bagger mit dem Abriss der Paulikirche Fakten. Gleichzeitig wird eine große Kastanie gefällt. Eine weitere überlebt nur dank eines massiven Bürgerprotests und einer Unterschriftensammlung. Stehen bleibt vorerst auch ein windschiefes Fachwerkhaus, in dem die Grünen wenige Jahre später ihre erste Geschäftsstelle einrichten. „Ich bin dort zum ersten Kreissprecher der Grünen gewählt worden“, erinnert sich Hartmut Krämer. Im Fachwerkhaus an der Delle wird auch das alternative Stadtmagazin Freie Presse gemacht, das den mölmschen Filz ins Visier nimmt.


1984 ziehen die Grünen erstmals in den Rat ein und machen sich unter anderem für ein autonomes Jugendzentrum stark, das 1997 als Ergebnis einer ersten schwarzgrünen Koalitionsvereinbarung an der Auerstraße eröffnet wird. Ironie der Geschichte: Der Platz, auf dem einst die Paulikirche stand, ist bis heute ein Parkplatz geblieben.


Zur Person


Thomas Schröer war 1971 als 25-jähriger Lehramtsstudent bereits in der der SPD aktiv. Von 1980 bis 1990 gehörte der Pädagoge dem Deutschen Bundestag an und kehrte dann ab 1994 als Stadtverordneter in die Kommunalpolitik zurück. Bei der Kommunalwahl 1994 verlor die SPD nach mehr als 40 Jahren ihre absolute Mehrheit im Rat und wurde vom ersten schwarz-grünen Bündnis unter Oberbürgermeister Hans-Georg Specht (CDU) und Bürgermeister Wilhelm Knabe (Grüne) abgelöst.


Thomas Schröer kandidierte bei der ersten Direktwahl 1999 als SPD-Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters und unterlag nach einer kuriosen Zweitauszählung dem damaligen CDU-Kandidaten Jens Baganz mit 58 Stimmen, nachdem er zunächst mit einem Vorsprung von 33 Stimmen zum Sieger und damit zum ersten direkt gewählten Oberbürgermeister der Stadt ausgerufen worden war. Thomas Schröer starb 2007.


NRZ/WAZ, 27.06.2021

Freitag, 9. Juli 2021

Kirche unter Druck

Wie geht es mit der katholischen Kirche in Mülheim weiter? Damit haben sich mehrere 100 Katholiken seit 2015 im Pfarreientwicklungsprozesses (PEP) befasst, in Gemeindeversammlungen, Sachausschüssen, Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen. Zurzeit sind Steuerungsgruppen der drei Pfarreigemeinden St. Mariä Himmelfahrt, St. Mariae Geburt und St. Barbara dabei, die Ergebnisse des Pfarreientwicklungsprozesses, die 2018 in Gemeindevoten dokumentiert und vom Bischof abgesegnet worden sind, in die Tat umzusetzen. Doch es gibt Kritik von der Basis, formuliert zum Beispiel vom Saarner Katholiken Hubert Kauker. Er hat den Initiativkreis Unsere Kirche 2030 und die namensgleiche Internet-Diskussions-Plattform ins Leben gerufen.

 

Die Gemeindemitglieder, so Kauker, seien  im Reformprozess nicht ausreichend mitgenommen worden. Er fordert: „Strukturentscheidungen für die Zukunft der katholischen Stadtkirche nicht nur von den Gremien wie Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen getroffen werden.“ Kauker betont: „Der PEP 1 muss durch einen PEP 2 abgelöst werden. Die Reformdiskussion muss inhaltlich geführt werden. Sie darf sich nicht nur auf die Umwidmung und den Verkauf von Kirchenimmobilien beschränken. Wir brauchen in den Gemeinden wieder mehr Ungezwungenheit und Freude am Glauben und dürfen funktionierende Strukturen nicht zerschlagen. Sonst setzen wir eine Abwärtsspirale in Gang.“

 

Kauker verlangt die Offenlegung der Gemeindehaushalte, „damit alle Gemeindemitglieder wissen, wovon wir reden.“ Außerdem wünscht er sich, „dass das Bistum eine Bedarfsumfrage startet, um herauszufinden was die Menschen in den Gemeinden wirklich brauchen und haben.“ Er plädiert für eine gemeindebezogene Betrachtung des Status quo, die das Ziel habe, „die Kirche zu einem attraktiven Anziehungspunkt für Menschen mit ihren Sinn- und Orientierungsfragen zu machen.“

 

Die beiden Pfarrer Michael Janßen (St. Mariae Geburt) und Christian Böckmann (St. Mariä Himmelfahrt und St. Barbara.) weisen Kaukers Kritik am PEP-Verfahren zurück. Sie weisen darauf hin, dass Hubert Kauker im Sachausschuss seiner zu St. Mariä Himmelfahrt gehören Gemeinde St. Elisabeth mitarbeitet und aus Protest gegen den aktuellen Umstrukturierungskurs aus dem Pfarrgemeinderat ausgetreten ist.

 

„Niemand wird beiseitegedrängt. Jeder konnte und kann sich mit seiner Meinung einbringen. Außerdem kann jeder die Haushalte der Pfarr Gemeinden im jeweiligen Pfarrbüro einzusehen. Aber nur sehr wenige Gemeindemitglieder machen Gebrauch davon, weil es sich um eine komplexe Materie handelt. Der Haushaltsplan für ein Jahr umfasst einen Aktenordner. Es ist nicht möglich, das komplett im Internet zu veröffentlichen“, sagt Pfarrer Böckmann.

 

Für Stadtdechant Janßsen steht fest: „Angesichts der demografischen und finanziellen Veränderungen müssen wir uns den Strukturreformen in unserer Kirche stellen, damit sie auch künftig ihre Kernaufgaben leisten kann, nämlich im Sinne Jesu seine Frohe Botschaft unter den Menschen zu verbreiten und sie mit Leben zu füllen. Alles andere wäre angesichts der unbestreitbaren Tatsachen verweigert, begeht Verrat am Evangelium.“ Böckmann und Janßen nehmen die ehrenamtlichen und gewählten Mitglieder der Kirchenvorstände und des Kirchensteuerrates in Schutz. Sie stellen fest: „Niemand trifft leichten Herzens schmerzliche Entscheidungen. Die Kirchenvorstände, die für ihre Entscheidungen  mit ihrem eigenen Vermögen haften, wägen jeden Beschluss verantwortungsvoll ab.“

Beide Pfarrer erkennen in den Folgen der Corona-Pandemie eine Beschleunigung der Strukturveränderungen, angesichts derer Michael Janßen sagt: „Wir müssen jetzt handeln, um nicht schon bald behandelt zu werden.“ Neben der wirtschaftlichen Herausforderung sehen Böckmann und Janßen auch eine pastorale Herausforderung, um die durch die Coronakrise entstandene Seelsorgelücke zu schließen.“

 

Zahlen, Daten, Fakten.

 

In den vergangenen 25 Jahren ist die Zahl der Katholiken von 64.000 auf 45.000 zurückgegangen. Von 20001 bis 2020  sind 7040 Mülheimer aus der katholischen Kirche ausgetreten. Im gleichen Zeitraum konnte die Stadtkirche 538 Eintritte verzeichnen. Seit der Einführung der kaufmännischen Buchführung im Jahr 2012 machen die an der Katholikenzahl und der Gemeindefläche orientierten Schlüsselzuweisungen des Bistums aus Kirchensteuereinnahmen 40% der Pfarreihaushalte aus. Bis 1995 konnten die Pfarrgemeinden ihren Finanzbedarf beim Bistum melden und wurden bei den Personalkosten zu 100% vom Bistum finanziert. 1996 wurde mit der Budgetierung die Finanzplanungshoheit vom Bistum auf die Pfarrgemeinden übertragen und Schlüsselzuweisungen eingeführt. Diese Umstellung bedeutete für die Gemeinden ein Einnahmen-Minus von 30%. Von 2012 bis 2020 blieben die Schlüsselzuweisungen an die Pfarrgemeinden konstant. 2021 wurden sie aufgrund der sinkenden Kirchenmitgliedszahlen um 12% gesenkt. Weitere Einnahmen generieren die Pfarrgemeinden aus Kollekten, Mieten, Pachten und zweckgebundenen kommunalen Mitteln. Ihr jährliches Haushaltsvolumen liegt bei derzeit ca. 1 Million Euro, wobei die Unterdeckung aktuell bei 10% liegt. Gleichzeitig steigen ihre Personal,- Sach- und Energiekosten pro Jahr zwischen 1- und 3,5%. Je nach Gebäudebestand müssen die Pfarrgemeinden jährlich Rückstellungen für Instandsetzungen bilden. Diese schwanken zwischen 23.000 und 51.000 Euro. 2016 rechnete das Bistum damit, dass die Kirchensteuereinnahmen bis 2030 um 44% und die Kirchenmitgliedszahlen um 33% sinken werden.


NRZ/WAZ, 08.07.2021

Hier zu Hause - nrz.de

 

Donnerstag, 8. Juli 2021

Den Menschen zugewandt

Fünf Monate nach seinem COVID-Tod sind die sterblichen Überreste Wilhelm Knabes am 26. Juni auf dem Hauptfriedhof in einem Urnenfriedhof beigesetzt worden. Rund 40 Angehörige, Freunde und Wegbegleiter nahmen in der Trauerhalle Abschied vom Mitgründer und ersten Bundessprecher der Grünen, der auch dem Deutschen Bundestag angehört hatte und als Bürgermeister in den 1990er Jahren das erste schwarzgrüne Bündnis in Mülheim mit angeführt hatte.

Knabes Tochter Ricarda, Pfarrer Wolfgang Sickinger, Bürgermeister Markus Püll und der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, warfen aus ihrer persönlichen Perspektive Schlaglichter auf das 97-jährige Leben des Wilhelm Knabe. Naturfreund, Pfarrersohn, Forstwissenschaften, vierfacher Familienvater, Ehemann, pflegender Angehöriger, Christ, Gemeinde- und Kantorei-Mitglied, Politiker. Das Leben Knabes hatte viele Facetten. Doch allen Würdigungen gemein war die Erinnerung „an einen liebevollen und zugewandten Menschen, der bis ins hohe Alter an Menschen interessiert war und mit ihnen etwas zum Besseren bewegen wollte.“


Die Nachrufe auf den aus Sachsen stammenden Wahl-Mülheimer zeichneten den grünen Lebensfaden des Wilhelm Knabe nach, der in seinem Elternhaus, einem evangelischen Pfarrhaus, „den moralischen Kompass für seine Lebensreise mitbekam.“ Die Trauerredner, die den Blick „auf die Dankbarkeit für ein bewegtes und bewegendes Leben“, in dem Knabe für seine Mitmenschen zum inspirierenden Vorbild wurde, ob im Widerstand gegen die NS- und die SED-Diktatur, als Bewahrer der Schöpfung, als Vordenker des Klimaschutzes oder als Unterstützer der demokratischen Opposition im kommunistischen Polen und der Deutschen Einheit.


Knabe, so seine Laudatoren, habe die weltpolitische Wende der Jahre 1989/90 und die Deutsche Einheit hellsichtig nicht als Ende der Geschichte, sondern als einen Neuanfang gesehen, der nur gelingen könne, wenn die Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet würden und so als Lehre zum Humus für Gegenwart und Zukunft werde.


„Sein politisches Engagement hat seiner Frau und seiner Familie viel abverlangt und es ist unerträglich, dass mein Vater Wilhelm als zugewandter Mensch den einsamen COVID-Tod sterben musste“, ließ Ricarda Knabe in ihr trauerndes Herz blicken. Sie hatte ihren Vater bis zum Schluss begleitet. 


NRZ/WAZ, 28.06.2021

Mittwoch, 7. Juli 2021

TEAM MÜLHEIM

Ein alter Mann geht mit seinem Stock über die Schloßstraße. Plötzlich kommt ihm ein Fußball in die Quere, Komma den ein Junge in die Tiefe des Raumes der Fußgängerzone geflankt hat. Spontan stützt sich der alte Herr auf seinen Gehstock und spielt den Ball gekonnt mit seinem rechten Fuß zurück. Die Szene wirkt skurril. Interessant, wie ein Ball die Phantasie der Menschen beflügeln kann und selbst aus reifen Herren mit Handicap im Geiste wieder kleine Jungs werden lassen kann, die sich an den Straßenkick ihrer Kindheit erinnert fühlen. Wenig später sehe ich auf der gleichen Straße einen jungen Mann, der mit seinem E-Scooter wie ein Rennfahrer auf dem Nürburgring fühlt und frech einen Rollatorfahrer beiseite hupt. Das nennt man wohl ein grobes Foul, um in der Sprache des Fußballs zu bleiben. Leider ist auf dem Spielfeld des Lebens nicht immer ein Schiedsrichter zur Stelle, wenn er vonnöten wäre, um solche Regelverstöße zu ahnden und dafür zu sorgen, dass sich alle Spieler auf dem Spielfeld des Lebens als Mitspieler und nicht als Ego-Shooter begreifen. Das Team ist der Star, nicht nur im Fußballstadion, sondern auch auf dem Spielfeld, das sich Leben nennt. Gewinnen können wir auch als Team Mülheim nur dann, wenn wir uns die Bälle zuspielen, statt uns die Steine in den Weg zu legen.


NRZMH, 07/2021

Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten ...