Freitag, 2. Juli 2021

Wie fair ist der Verkehr?

 2020 sind auf Deutschlands Straßen 2724 Menschen ums Leben gekommen. Auch wenn das, nach Angaben des Statistischen Bundesamtes  10,6 Prozent weniger Verkehrstote waren, als im Jahr zuvor, ist diese Zahl für die Verkehrswacht alarmierend genug, um für die Verkehrssicherheit auf die Straße zu gehen. Auch die von Prof. Dr. Gunter Zimmermeyer geführte Ortsgruppe war beim bundesweiten Aktionstag am 19. Juni mit von der Partie. Besonders wichtig war Zimmermeyer, der Hinweis, dass in Mülheim die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Fußgänger und Radfahrer angestiegen ist.

Folgt man der Mülheimer Verkehrsunfallstatistik der Polizei für die Jahre 2019/2020, so ist die Zahl der Verkehrsunfälle von 6155 auf 5090 gesunken. Die Zahl der Verletzten sank von 478 auf 453. Die Zahl der Verkehrstoten blieb mit jeweils einer Person gleich. Allerdings stieg die Zahl der Schwerverletzten von 76 auf 91, die Zahl der verunglückten Fußgänger von 76 auf 79 und die Zahl der verunglückten Fahrradfahrer von 109 auf 133.

Auf dem Kurt-Schumacher-Platz bot die Verkehrswacht, am 19. Juni zusammen mit den beiden Polizeibeamtinnen Mandy Kaiser und Ruth Krobok auf einem mobilen Parcours ein Rollatortraining sowie Hör- und Sehtestes für motorisierte Verkehrsteilnehmer an. Allein zwischen 10 und 12 Uhr nutzten 16 Passanten dieses Test-Angebot. Kaiser und ihre Kollegin nutzten auch die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass ihr Kollege Hans-Joachim Ruhl von Polizei Essen-Mülheim ein aufsuchendes Rollator- und Mobilitätstraining für Senioren anbietet. Ruhl ist bei der Polizeidienststelle an der Von-Bockstraße 50 unter der Telefonnummer: 0201-829-4137 oder per E-Mail an: vupo@polizei.nrw.de erreichbar.

Regelmäßig testen lassen

Vor allem ältere Autofahrer mit einer langen Fahrpraxis unterschätzen die Beeinträchtigung ihrer Reaktionsfähigkeit, wenn Seh- und Hörkraft altersbedingt nachlassen. "Für mich war der Rillenteil des Parcours die größte Herausforderung. Ich habe hier wirklich wertvolle Tipps bekommen, wie man seinen Rollator so lenken, anheben und abbremsen kann, um auf jedem Untergrund stabil auf den Beinen zu bleiben", sagte Jürgen Rosendahl nach seinem Rollatortraining. "Ich komme mit dem Auto in die Stadt und fahre dann mit dem Rollator im Aufzug aus der Tiefgarage. Den Rollator brauche ich vor allem für mein Kreuz, damit ich mich während meines Stadtbummels immer wieder hinsetzen kann", beschreibt Rosendahl seinen persönlichen Mobilitätsmix.

Auch Arno Klare, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verkehrsausschuss des Parlaments, schaute am Kurt-Schumacher-Platz vorbei. Im Gespräch mit dem Verkehrswächter Zimmermeyer wird schnell klar: "Mülheim ist bei der Radwegen auf einem guten Weg, aber noch weit entfernt von einer Verkehrswende mit einem sicheren Verkehrsradwegenetz, die das Klima und alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen schützt und sicher ans Ziel bringt."

Beispiel Niederlande

"Wir brauchen einen Mentalitätswechsel, hin zu mehr gegenseitige Rücksichtnahme auf unseren Straßen", sind sich Zimmermeyer und Klare einig. Klare hat in den Niederlanden selbst erfahren, wie autofreie Innenstädte und Fahrradstraßen mit einer Grünen Welle für Radfahrer eine umwelt- und menschenfreundliche Verkehrswende voranbringen kann." Zimmermeyer macht klar: "Wir wollen niemandem das Autofahren verbieten oder alle Menschen aufs Fahrrad zwingen, aber wir brauchen einen gleichberechtigten Mobilitätsmix und einen Straßenverkehr, in dem alle Verkehrsteilnehmer nicht nur auf sich, sondern auch auf die anderen Verkehrsteilnehmer achten." Um sichere und rücksichtsvolle Mobilität in einem geschützten Raum trainieren zu können, plädiert Gunter Zimmermann für einen Verkehrsübungsplatz, der dem Mobilitätsmix und Mobilitätsbedarf einer 172.000-Einwohner-Stadt entspricht.

Das sieht der auch im Verein Fuss e.V. für die Mobilitätsrechte von Fußgängern kämpfende Verkehrswächter Wolfgang Packmohr so. "Wir bekommen die Verkehrswende nur hin, wenn wir allen Verkehrsteilnehmern einen eigenen, geschützten Öffentlichen Raum einräumen, in dem sie sich gut, gerne und sicher bewegen können. Doch das wird nur funktionieren, wenn wir dem dominierenden Autoverkehr etwas Platz wegnehmen", unterstreicht Packmohr.

Mit den jungen Verkehrswächtern André Romahn und Alina Migecheva besetzte er am Tag der Verkehrssicherheit den zweiten Infostand, den die Verkehrswacht auf dem Radruhrschnellweg aufgebaut hatte, um zum Beispiel für das Tragen eines Fahrradhelms und ein E-Bike-Training zu werben. "Wie konnten heute einige Fahrradhelme an die Frau und den Mann bringen. Aber leider tragen immer noch viele Radfahrer, die auf dem Radruhrschnellweg unterwegs sind, keinen Helm, auch wenn sie sich einsichtig zeigen, sobald man sie auf dieses Sicherheitsdefizit anspricht", berichtet André Romahn. Für seine an diesem Samstag auf dem Kurt-Schumacher-Platz aktive Kollegin Susanne Kluge ist die fast 100 Mitglieder zählende "heute wichtiger denn je, um Verkehrsteilnehmern aller Generationen zu vermitteln, wie sie in unserer Stadt sicher und rücksichtsvoll mobil sein können."

Halbherzige Verkehrswende

Wie halbherzig die Stadt ihre neue umwelt- und menschenfreundlichere Mobilitätsinfrastruktur aufbaut, kann man an einigen, alles andere als leicht begeh- und befahrbaren Zugängen zum Radschnellweg und an einem Aufzug sehen, der für ein Lastenrad zu klein und zu allem Überfluss oft auch defekt ist. Dann müssen Radfahrer ihr Rad über eine Metalltreppe auf den Radruhrschnellweg hieven.

Ein anderes Beispiel für die gut gemeinte, aber oft nicht gut gemachte Verkehrswende ist auch die am Kahlenberg besonders enge Mendener Straße, die mit rotweißen Baken zur Fahrradstraße gemacht worden ist, ohne den motorisierten Verkehr von der für alle Verkehrsteilnehmer zu schmalen Straße zu nehmen. So kommen sich Auto,- Bus- und Radfahrer bei Ausweich- und Einfädelungsmanövern immer wieder gefährlich nahe und in die Quere. "Um wirklich sicher zu sein, müssen Geh- und Fahrwege mindestens jeweils 2,50 Meter breit sein", sagt Wolfgang Packmohr, der als pensionierter Polizeibeamter heute an der NRW-Hochschule für Polizei und Verwaltung Verkehrs- und Einsatzlehre unterrichtet.

Auch in der Innenstadt sieht der Packmohr einen kontraproduktiven Mobilitätsmix, der allen schadet und niemanden nutzt. Er erinnert uns daran: "Als Touristen fühlen wir uns doch auch in den Städten am wohlsten, in denen wir ungestört und sicher fußläufig unterwegs sein oder in ein Café oder Restaurant einkehren können. Das schafft Lebens- und Aufenthaltsqualität. Es müssen sich nicht alle Verkehrsteilnehmer überall in die Quere kommen. Einige 100 Meter zu Fuß zum nächsten Parkplatz oder zur nächsten Haltestelle zu gehen, ist doch für niemanden ein Problem."

Weiterführende Informationen zum Thema bieten die Internetseiten: www.verkehrswacht-muelheim.de, www.essen.polizei.nrw.de und: www.fuss-ev.de


MW/LK, 20.06.2021

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