Samstag, 24. Juli 2021

Mülheims Hochwasser-Historie

 Auch in früheren Jahrzehnten hat es in der Stadt am Fluss extreme Hochwasser gegeben. Das zeigt ein Blick in die Mülheimer Lokalpresse.

Im Februar 1926 lässt die Mülheimer Zeitung „den denkwürdigen Jahreswechsel“ Revue passieren, als die Ruhr auch die gerade erst am Broicher neuerrichtete Stadthalle geflutet hat. Die Zeitung erinnert daran, dass an die Ruhr bereits nach dem-November-Hochwasser des Jahres 1890 vertieft und erweitert worden sei, um die Wassermassen besser abfließen zu lassen. Dennoch sieht man auf den Bildern der damaligen Zeit vom Wasser geflutete Ruheanlagen und Straßen in der Mülheimer Innenstadt, auf denen Menschen versuchen, in Booten voranzukommen.


13 Jahre später titelt die Mülheimer Zeitung am 31. August 1938: „Wolkenbruch über Mülheim: Überschwemmungen wie sie in den letzten Jahrzehnten nicht mehr da gewesen sind: Unermessliche Schäden angerichtet. Dass Rumbachtal verwandelt sich in eine in einen See und der Dickswall in einem großen Bach.“

Doch noch katastrophaler wirkt sich ein von Menschenhand gemachtes Hochwasser aus, das am 17. Mai 1943 um 0.30 Uhr durch britische Bomben auf die Möhne-Talsperre ausgelöst wird.


Die Folgen der Flutwelle, die sich durch das 75 Meter breite Loch der Sperrmauer auf einer Länge von 150 Kilometern bis zu 12 Meter hoch und 100 Meter breit ins Ruhrtal ergießt, kostet mehr als 1000 Menschenleben, zerstört mehr als 100 Häuser und beschädigt fast 1000 Gebäude. 7 Eisenbahnstrecken werden unpassierbar 40 Quadratkilometer Ackerfläche werden zerstört. In Mülheim wurde erstmals seit 1890 der Rekord-Ruhrpegel von 6,69 Meter überschritten. Der normale Ruhrpegel liegt damals bei 1 Meter. Die verheerenden Schäden sind von den Alliierten gewollt. Sie sollen die Bevölkerung an der Ruhr demoralisieren, die industrielle Infrastruktur und die Energie- und Wasserversorgung zerstören.


Am Tag nach dem britischen Luftangriff schreibt die gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung im Sinne der NS-Ideologie: „In der Nacht zum 18. Mai wurden durch britischen Bombenabwurf 2 Talsperren beschädigt, wobei durch den eintretenden Wassersturz schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung hervorgerufen worden sind. Auf diesen verbrecherischen Terroranschlag fällt ein außerordentlich bezeichnendes Licht durch eine Meldung des britischen Reuterdienstes, dessen früherer Berliner Korrespondent darüber zu melden weiß: Ein bekannter jüdischer Spezialist aus Berlin hat jetzt in London seine Praxis ausgeübt. Er stellte vor einiger Zeit an mich die Frage: warum die Royal Air Force die Talsperren in Deutschland noch nicht bombardiert habe. Sein Bericht veranlasste mich, einen Brief an das Luftwaffenministerium so richten, indem ich seine Information weitergab. Ich erhielt später eine Antwort, dass man für diesen Vorschlag des jüdischen Spezialisten danke und mir versicherte, man würde ihn auf das sorgfältigste überprüfen. Diese Meldung lässt keinen Zweifel darüber, dass es sich bei diesem Anschlag auch die Talsperren um eine von Juden inspiriertes Verbrechen handelt.“


Der propagandistische Wahnsinn hat wenige Monate nach der Kriegswende in Stalingrad und dem von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ausgerufenen „totalen Krieg“ Methode, um die Verantwortung für die drohende Kriegsniederlage vom NS-Regime abzuwälzen.

Nach dem die Nachricht vom Luftangriff auf die Möhne-Talsperre bekannt wird, will man sie in vielen Dienststellen erst gar nicht glauben. Doch dann gehen Feuerwehrleute durch die Straßen der Stadt und warnen die verwirrten und verängstigten Menschen vor der bevorstehenden Flutwelle. Die Kirchenglocken läuten Sturm. Viele Menschen laufen auf die Straße oder flüchten sich auf die Dächer ihrer Häuser. Doch manche Menschen werden auch in ihren Betten von der Flut überrascht. 15 Jahre später wird Lokalreporter Hans-Joachim Langner den 17. Mai 1943 rückblickend „als den Tag“ bezeichnen, „an dem der Krieg aufgehört hat, eine Sache der Soldaten zu sein.“ Das der von Hitler-Deutschland begonnene Krieg wie ein Bumerang auf sie zurückkommen, müssen die Mülheimer auch am 23. Juni 1943 erfahren, als ein alliierter Luftangriff weite Teile der Innenstadt dem Erdboden gleich macht und 500 Menschenleben fordert. 


Immer wieder ist die Ruhr, die auf 14 Kilometern Länge durch Mülheim fließt und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein starkbefahrener Transportfluss war, auch in extremer Form über ihre Ufer getreten. So stieg zum Beispiel beim Ruhr-Hochwasser am 25. November 1890 der Ruhrpegel fast um das Siebenfache. Der Rathausmarkt wurde vollständig überschwemmt. Die Bewohner an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße und im Bereich der heutigen Schleuseninsel, wo damals ein Schlachthof stand, flüchteten sich in die oberen Stockwerke und auf die Dächer ihrer Häuser. Es wird berichtet, dass die herbeieilenden Retter Mühe hatten, die Hochwasser-Geschädigten davon zu überzeugen, in ihre schwankenden Kähne einzusteigen.


NRZ/WAZ, 18.07.2021

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