Freitag, 30. Juli 2021

Der Lotse

Damit Integration gelingt: der Diplom Pädagoge Andreas Herget berät im Auftrag des DRK-Kreisverbandes Zuwanderer und Flüchtlinge

Eineinhalb Jahre, nachdem sich Matthias Langer In den Ruhestand verabschiedet hat, ist der Kreisverband nun wieder mit einem Migrationsberater am Start. Langers Aufgabe übernimmt der 59-jährige Diplom Pädagoge Andreas Herget. Der Mann, der eine langjährige Beratererfahrung in den Bereichen Jugendhelfer, Behindertenarbeit und Sozialrechtes mitbringt, kommt ursprünglich aus Essen, lebt heute aber mit Frau & Kindern? in Dinslaken.

„Das Einpendeln nach Mühlheim klappt problemlos. In einer halben Stunde bin ich an meinem Schreibtisch im Hilfezentrum an der Aktienstraße“ betont Herget. Bevor er zum Roten Kreuz kam, die Stelle fand er im Internet, waren die Caritas, die Evangelische Kirche und die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung seine langjährigen Arbeitgeber. „In die Migrationsberatung und deren rechtlichen Hintergründe arbeite ich mich zurzeit noch ein. Aber vieles, was ich hier zu leisten habe, hat mit dem Sozialrecht zu tun. Und damit kenne ich mich aus meinen früheren Berufsleben gut aus“, erklärt Herget.

Seit Mitte April gehört der begeisterte Wandersmann und Vater einer erwachsenen Tochter zum hauptamtlichen Mitarbeiterteam des Mülheimer DRKs. Seitdem hat er 49 erwachsene Zuwanderer beraten. Corona-bedingt lief das bisher etwas ungewöhnlich ab. Seine Klienten kamen in den Hof das Hilfezentrums und führten ihre Beratungsgespräche durchs Fenster des Beratungsbüros, das sich im Erdgeschoss gleich neben der Anmeldung befindet.

Doch aufgrund der sinkenden Infektionszahlen kann Andreas Herget seit dem 7. Juni wieder Präsenz-Beratungen in seinem Büro anbieten. Allerdings kann er dort maximal einen Klienten beraten. Außerdem steht bei Beratungsgesprächen eine durchsichtige Plexiglasscheibe zwischen ihm und seinen Klienten. „Ich bin froh, dass ich jetzt nicht mehr nur telefonischen Beratungsgespräche führen muss. Denn die Inhalte, um die es geht, sind meistens komplex und drehen sich um Fragen der sozialen Existenzsicherung. Auch Namen der Zuwanderer, die zum Beispiel als Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak oder aus Nigeria nach Mülheim gekommen sind, kann man am Telefon schnell falsch verstehen.“, erzählt der Berater.  Menschen in einer schwierigen Lebenssituation mit seinen detaillierten Kenntnissen der Sozialgesetzbücher existenzsichernde Leistungen und damit die Chance auf eine gesellschaftliche Integration und einer Zukunftsperspektive zu vermitteln, befriedigt Andreas Herget sehr. Vor allem, wenn es um Familien geht, weist er auch gezielt auf die Bildungs- und Freizeit-bezogenen Unterstützungsleistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes hin. Zuletzt konnte der neue Migrationsberater des Kreisverbandes auch dabei helfen, Angehörige einer Flüchtlingsfamilie, die in unterschiedlichen westdeutschen Städten leben, durch die Planung und Durchführung eines behördlich genehmigten Umzugs zusammenzuführen.

Es waren weniger seine Klienten als einige Mitarbeiter der Mülheimer Sozialverwaltung, die bisher seine Frustrationstoleranz herausgefordert haben. „Leider gibt es immer noch Kollegen, die Flüchtlingen falsche Informationen weitergeben und ihnen vermitteln, dass sie keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben“, erzählt Herget. Er  erinnert sich an einen syrischen Altenpfleger, der infolge seiner Berufstätigkeit in Deutschland ein Rückenleiden entwickelt hat und zurzeit arbeitsunfähig ist. Weil er deshalb seine Stelle verloren hat, hat er Anrecht auf Arbeitslosengeld 1 und ergänzendes Arbeitslosengeld 2. Doch erst nach einer massiven Intervention beim Leiter des Sozialamtes, Thomas Konietzka und beim Oberbürgermeister Marc Buchholz konnte Herget erreichen, dass dem syrischen Endzwanziger die ihm zustehenden Sozialleistungen bekommen hat. „Die Menschen die zum Teil aus Bürgerkriegsländern zu uns kommen, stehen unter einem hohen sozialen Druck. In diesem Fall half ein Freund, bei dem der zurzeit arbeitsunfähige Altenpfleger aus Syrien runterkommen konnte. Aber das kann für ihn natürlich keine Dauerlösung sein. Jetzt wird medizinisch abgeklärt, ob er rehabilitiert und in seinem bisherigen Beruf wieder arbeitsfähig werden kann. Falls er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation seinen in Deutschland ausgeübten Beruf nicht mehr ausführen kann, müssen wir eine berufliche Umschulung in Angriff nehmen“, schildert Herget den Fortgang der Beratung.

Der Migrationsberater das Kreisverbandes Erwachsene Flüchtlinge. Das sind alle Flüchtlinge und Zuwanderer, die 27 Jahre und älter sind, über einen Zeitraum von bis zu 3 Jahren. Allerdings gibt es für ihn auch darüber hinaus die Möglichkeit punktuell immer wieder Hilfestellungen anzubieten. Je schneller die zugewanderten Menschen bei uns eine selbständige Lebensperspektive bekommen, an deren Anfang meistens die Teilnahme an einem Sprach- und Integrationskurs steht, desto eher können Sie sich sozial integrieren und einen Beitrag zu unserem Gemeinwesen leisten“, sagt Herget.

Dass sich viele seiner Klienten, mit denen er meistens auf Englisch manchmal auf Deutsch und oft auch mithilfe eines Dolmetschers oder mithilfe einer Übersetzungs-App auf Arabisch und in anderen Sprachen kommunizieren muss, mit den amtlichen Formularen und ihrem Juristen-Deutsch schwertun, wundert ihn nicht. „Damit tun sich auch viele Deutsche schwer. Oft ist die Amtssprache nur schwer zu verstehen und Menschen, die nicht in unserer Sprache und in unserem Sozialsystem aufgewachsen sind, können die Komplexität des Sozialrechts und seine Dokumentation kaum nachvollziehen“, sagt Herget. Er versucht seinen Klienten deutlich zu machen, „dass es Sinn macht, sich Aktenordner anzuschaffen und eine Akte mit ihren persönlichen Papieren anzulegen, da die Formulare und das Papier im Laufe ihres Aufenthaltes immer mehr wird.“ Bei vielen Klienten muss er erst einmal eine lose Blattsammlung sortieren und in die Reihe bringen, um den roten Faden das jeweiligen Falls aufgreifen und weiterführen zu können.

Auch wenn Herget und einige seiner Klienten bereits schlechte Erfahrungen mit der Mülheimer Sozialverwaltung gemacht haben, räumt der Diplom-Pädagoge, dessen Wiege in der Nachbarstadt Essen stand, ein dass man mit der hiesigen Bürokratie auch gute Erfahrungen machen kann. Einige Sachbearbeiter haben ihm auch schon Tipps und Hinweise oder wichtige Kontaktdaten vermittelt, die ihm seine Arbeit erleichtert haben. „Oft habe ich auch nur eine Lotsenfunktion, wenn es zum Beispiel um eine Überschuldung oder ausbleibende Unterhaltszahlungen geht. Dann vermittle ich die Klienten weiter zum Beispiel an die Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt. Wenn es sich um Zuwanderer der Generation U27 handelt, verweise ich sie an die Kolleginnen und Kollegen der anderen Sozialverbände Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, die für sie zuständig sind. Die Migrationsberatung des 1907 gegründeten Kreisverbandes reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Damals waren es vor allem Spätaussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die heute zu Polen und Russland gehören, die beim Roten Kreuz, das damals noch im Haus an der Löhstraße saß, Rat und Hilfe für den Neustart in Westdeutschland fanden.

Heute ist die Migrationsberatungsstelle des Kreisverbandes eine von bundesweit 500 Beratungsstellen für erwachsene Migranten. „Inzwischen“ so Herget, „gibt es sogar eine App (MEBON), über die erwachsene Zuwanderer, via Smartphone, Kontakt zu uns und unseren Kollegen aufnehmen können.“ Das von Herget betreute Beratungsbüro für Zuwanderer im Erdgeschoss des Service- und Hilfezentrums an der Aktienstraße, ist montags und dienstags von 9 - 12 Uhr sowie von 13 - 16 Uhr geöffnet. Freitags berät Herget dort zwischen 9 und 12 Uhr. Mittwochs und donnerstags ist er in seinem Büro zwischen 13 und 16 Uhr zu erreichen. Wer sich für eine Beratung anmelden möchte, erreicht ihn über die zentrale Rufnummer das Kreisverbandes unter: 0208-450060 oder unter Hergeht Durchwahl 0208-45006-15 sowie per E-Mail an a.herget@drk-muelheim.de. Man kann sich auch persönlich am zentralen Empfang des Kreisverbandes im Erdgeschoss des Hilfezentrums anmelden.

 

Hintergrund:

In Mülheim leben heute 172.000 Menschen aus 140 Nationen. Weltweit sind zurzeit, nach Angaben der Vereinten Nationen, 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus der DDR und den ehemaligen deutschen Ostgebieten, jenseits von Oder und Neiße, in Westdeutschland aufgenommen und integriert, auch mit maßgeblicher Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Ostflüchtlinge etwa 1/5 der Mülheimer Neubevölkerung. Lebten bei Kriegsende 1945 in Mülheim 88.000 Menschen, so waren es schon 1950 schon 150.000. 1973 erreichte die Stadt, auch durch die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte ihren bisherigen Bevölkerungshöchststand von 193.000 Einwohnern. Heute liegt der Anteil ausländischer Einwohner bei 16 Prozent.


DRK-Magazin Mülheim, Juni 2021

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