Mittwoch, 30. September 2020

Weihnachten geht immer

Als ich jetzt durch den Supermarkt meines Vertrauens ging, überkam mich ein Gefühl wie Weihnachten. Dabei haben wir unbestreitbar erst September und noch nicht Dezember. Doch die Spekulatius, die Christstollen, die Dominosteine und Lebkuchen, die ich in den Auslagen sah, sagten mir etwas anderes. „Die Kunden wollen es“, sagt mir ein Mülheimer Einzelhändler über die offensichtlich verfrühten kulinarischen Weihnachtsgefühle. Also mir bliebe der Dominostein oder der Christstollen im Moment noch im Hals stecken. In einer ohnehin schnelllebigen Zeit fühle ich mich unangenehm unter Druck gesetzt, wenn meinen Geschmacksnerven vorgegaukelt wird, dass wir nicht September, sondern schon Dezember hätten. Doch Weihnachten ist bekanntlich das, was im Kopf passiert. Deshalb mag der mit Dominosteinen, Christstollen und Spekulatiusplätzchen daher kommende vorweihnachtliche Geschmack auf so manches Corona-gebeutelte Nervenkostüm wie ein beruhigender Energiespender wirken, der dem Unterbewusstsein klar macht, egal was noch auf uns zukommt, Weihnachten kommt wie alle Jahre mit seiner Frohen Botschaft wieder und das so sicher wie das Amen in der Corona-bedingt halb leeren Kirche. Vielleicht sollte man mal so manchen auf Krawall gebürsteten Zeitgenossen, die ihren Mitmenschen das Leben schwer machen, Spekulatius, Christstollen, Dominosteine und Lebkuchen auf Rezept verschreiben. Der Einzelhandel und die Krankenkassen würden sich schon auf Rabattverträge einigen. Ich muss einsehen: Weihnachten geht immer, und das nicht nur als Konjunkturspritze, die die Kassen klingeln lässt, sondern vielleicht bei Manchem auch den Groschen fallen lässt, wenn es darum geht, zu erkennen, was im Menschenleben wirklich zählt. 


Dieser Text erschien am 25. September 2020 in der NRZ


Montag, 28. September 2020

Wahlkampfendspurt zwischen Tradition & Moderne

 „Wir haben hier ein Areal mit einer langen Tradition als Handelsstandort, das wir mit Hilfe der Investoren aus Österreich modern und zukunftsorientiert für die Bürgerschaft weiterentwickeln können“, sagt CDU Oberbürgermeisterkandidat Marc Buchholz am Mittwochnachmittag mit Blick auf das 136.000 Quadratmeter große Tengelmann-Gelände an der Wissollstraße. Das Grundstück wurde vor vier Monaten vom österreichischen Investor Soravia erworben. Zusammen mit Firmenchef Erwin Soravia stellte Buchholz den Speldorfer Campus und das geschichtsträchtige Gebäude, samt der Nachbildung des ersten, 1893 eröffneten, Tengelmann-Ladens, dem NRW-Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Armin Laschet bei einem halbstündigen Rundgang vor. Hier solle, so Soravia und Buchholz, ein zukunftsträchtiger Nutzungsmix aus Wohnen, sozialen Dienstleistungen, Beruf und Bildung seinen Platz finden. Ein Teil der insgesamt 79.000 Quadratmeter großen Innenraumfläche wird von der nahegelegenen Hochschule Ruhr-West genutzt. Für insgesamt 25.000 Quadratmeter des ehemaligen Tengelmann-Geländes gibt es nach Angaben des am Projekt beteiligten Immobilienmaklers Eckhard Brockhoff bereits Interessenten. Buchholz erinnerte daran, dass im großen Tengelmann Saal an der Wissollstraße der spätere erste Bundeskanzler Konrad Adenauer als CDU-Vorsitzender der Britischen Zone am 29. September 1946 als Wahlhelfer für den damaligen CDU-OB-Kandidaten Wilhelm Diederichs nach Mülheim gekommen sei, um für die Wahl seines Mülheimer Parteifreundes zu werben. Marc Buchholz: „Die prominente Wahlhilfe hat damals geholfen. Die CDU wurde bei den ersten Nachkriegskommunalwahlen am 13. Oktober 1946 zur stärksten Fraktion im Rat der Stadt und konnte mit Wilhelm Diederichs den Oberbürgermeister stellen.“ Der OB-Kandidat der CDU, der auch von den Mülheimer Grünen unterstützt wird, hätte nichts dagegen, wenn sich diese Erfolgsgeschichte am kommenden Wahlsonntag (27. September) wiederholen würde. Im ersten Wahlgang der OB-Wahl lag er knapp vor seiner SPD-Mitbewerberin Monika Griefahn. Und die CDU wurde, wie 1946, zur stärksten Ratsfraktion. Angesichts eines Vorsprungs von gerade mal 94 Stimmen im ersten Wahlgang vom 13. September weiß der CDU OB-Kandidat, dass er bis zur Stichwahl am kommenden Sonntag mit seinem Wahlkampfteam, dem er am Mittwoch ausdrücklich für einen unermüdlichen Einsatz dankte, noch viele Mülheimer treffen und überzeugen muss, damit sein Wunsch in Erfüllung geht. „Ich möchte mit meiner OB-Stimme im Rat für eine gestalterische schwarz-grüne Mehrheit sorgen, die unserer Stadt und unserer Region gut tun und wichtige Impulse geben kann“, betonte Buchholz. Außerdem unterstrich der OB-Kandidat der Mülheimer Christdemokraten, dass er mit einer schwarz-grünen Ratsmehrheit, wie es sie in Mülheim schon einmal zwischen 1994 und 1999 gegeben habe, auch dafür einstehen werde, dass die Grünflächen am Fulerumer Feld in Heißen, an der Hansbergstraße in Winkhausen und an der Kölner Straße in Selbeck nicht in Gewerbeflächen umgewandelt würden. „Denn damit“, so Buchholz, „würden wir in unserer ein Stück Identität und Lebensqualität aufgeben, statt die Nutzung vorhandener Gewerbeflächen zu optimieren.“

NRW Ministerpräsident und CDU Landeschef Armin Laschet wünschte seinem Parteifreund für den kommenden Wahlsonntag viel Glück und machte seine Sicht der Dinge klar, indem er feststellte: „Für Mülheim wäre ein Oberbürgermeister Marc Buchholz, „der nicht nur eine langjährige Führungs- und Verwaltungserfahrung mitbringt, sondern auch in Nordrhein-Westfalen bestens vernetzt ist, sicher viele Vorteile. Im Falle seiner Wahl wäre  Marc Buchholz nach Wilhelm Diederichs (1946-1948), Hans-Georg Specht (1994-1999) und Jens Baganz (1999-2002) der vierte Christdemokrat im Amt des Mülheimer Oberbürgermeisters. 


Text für den Pressedienst der Mülheimer CDU


Freitag, 25. September 2020

Reden wir über Heißen

Wie sah Heißen früher aus. Und warum sieht es heute so aus wie es aussieht. Diese Frage beantwortet eine sehenswerte Foto- und Postkartenausstellung, die jetzt im Heißener Nachbarschaftshaus an der Hingbergstraße 311 eröffnet worden ist. Alte und junge Bürger des östlichen Mülheimer Stadtteils haben sie mit Unterstützung des Stadtarchivars Jens Roepstorff zusammengestellt. Schon bei der Vernissage kamen die Generationen der Alteingesessenen und der Neuzugezogenen über ihren Stadtteil ins Gespräch.

Svenja Ester, Heißenerin des Jahrgangs 1977, brachte das Gespräch über den Stadtteil zwischen Gracht und Mühlenfeld, Honigsberg und Hingberg, Marktplatz und Rhein-Ruhr-Zentrum, Hardenbergstraße, Humboldthain  und Heimaterde mit einem Text des Heißener Heimatforschers Heinz Hohensee (1940-2017) in Gang. Da hörte man oder erinnerte sich zum Beispiel an das alte Kino im Bürgerhaus an der Kruppstraße, wo „Grün ist die Heide“ in den 1950er Jahren für 70 Pfennige pro Karte zum Kassenschlager wurde. Oder man wurde etwa an die meisterlichen Ambitionen des RSV-Heißen erinnert, der in den späten 1940er Jahre 1000de von Feldhandballfans in den damals noch vom Bergbau geprägten Stadtteil lockte und deshalb die Sondereinsatzwagen der Mülheimer Straßenbahn Schlange stehen ließ.


Anregenden Gesprächsstoff lieferten auch die von Ralf Bienko interviewten Zeitzeugen Anneliese Beermann (Jahrgang 1930), Annegret Gensinger (Jahrgang 1947) und Rolf Mühlenfeld (Jahrgang 1950).


Anneliese Beermann berichtete unter anderem über die harten Hungerjahre nach dem Krieg, als ihre sieben Geschwister und sie überall für dieses und jenes anstehen mussten, dass es damals nur gegen Lebenmittelbezugsscheine gab. Kartoffeln klaute man bei Bedarf auch vom Feld des nächstbesten Bauern. Und der Vater, der als Maurer auf der Zeche Rosenblumendelle den Lebensunterhalt seiner Familie verdiente, sorgte mit seinem Kohlendeputat dafür, dass daheim der Ofen nicht ausging. Ein Stück Gesellschaftsgeschichte konnte die Elektromeisterin Annegret Gensinger erzählen, die erst das Schneiderhandwerk erlernte und dann umschulte, um damals als einzige Meisterin ihres Jahrgangs den Elektrobetrieb ihres Vaters zu führen. Ihre bis zu 15 Mitarbeiter hätten mit ihrer Chefin, die aus Prinzip ihre Leiter selbst zum Arbeitseinsatz trug, kein Problem gehabt. Doch einige ihrer Kunden hätten anfangs gefragt: „Fräulein, können Sie das denn auch?“ Als langjähriger Vorsitzender des Turnerbunds Heißen schilderte Rolf Mühlenfeld, die sportlichen Rivalitäten und späteren Fusionsversuche mit dem RSV, dessen Sportplatz in den Hungerjahren nach dem Krieg auch als Acker genutzt worden sei.

Der 1939 geborene Friedrich Ostwald, schaltete sich aus dem Auditorium in das Zeitzeugeninterview ein, in dem er über Schulspeisungen auf Rezept und über Hamsterfahrten ins Münsterland berichtete.


„Schön wie dieser Raum mit Engagement gefüllt und die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird“, betonte der ebenfalls zur Vernissage erschienene Sozialdezernent a.D., Ulrich Ernst. Er gehörte vor einem Jahr neben der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft, deren Verein Mülheimer Nachbarschaft und dem Pflegedienst Behmenburg zu den Initiatoren des Heißener Nachbarschaftshauses, in dem sich seit seiner Eröffnung im September 2019 insgesamt rund 6000 Nachbarn bei unterschiedlichsten Veranstaltungen begegnet sind.


„Der Vergleich der alten und neuen Stadtteilansichten zeigt unter anderem, wie viele Felder und Äcker es früher in Heißen gab, auf denen heute Häuser stehen“, stellten der 1943 geborene Klaus Kocks und seine ein Jahr jüngere Frau Gisela beim Ausstellungsrundgang fest.


„Ich finde es spannend, auf diesem Weg zu erfahren, wie sich Heißen verändert hat. So weiß ich viel mehr über die Geschichte des Stadtteils, in den ich vor einem Jahr gezogen bin und deshalb auch viel bewusster und mit einem ganz anderen Blick durch die Straßen gehen“, lobte der 1979 geborene Neu-Heißener Dennis Wolter die aus dem im Nachbarschaftshaus herausgebildeten Nachbarschaftsnetzwerk hervorgegangen ist.

 

Wer mehr über die Aktivitäten im und rund um das 200 Quadratmeter große und von der MWB erbaute Nachbarschaftshaus an der Hingbergstraße 311 erfahren möchte, kann dies in dem vom Heißener Ralf Bienko gemachten Internet-Podcast unter: https://www.podcast.de/episode/481712246/Nachbarschaftshaus+-+Neues+aus+Hei%C3%9Fen+Nr.16/ oder direkt vor Ort tun. Das an der U-Bahn-Haltestelle Mühlenfeld gelegene Nachbarschaftshaus wird von Alexandra Teinovic, Isabelle Wojcicki und Peter Behmenburg betreut. Es ist montags bis donnerstags zwischen 8 und 12 Uhr sowie zwischen 14 und 16 Uhr und freitags von 8 bis 14.30 Uhr geöffnet und telefonisch erreichbar unter: 0208-20586927.


Dieser Text erschien am 22. September 2020 in NRZ & WAZ

Donnerstag, 24. September 2020

Plakativer Denkanstoß

Wir gehen auf die OB-Stichwahl zu. Wer durch die Stadt geht, sieht die Konterfeis der Kandidaten, die noch im Rennen sind und jener, die bereits abgehängt worden sind und dennoch hängend freundlich vom Laternenmast grüßen. Manche der kommunalpolitischen Köpfe sind ganz oben und zwingen den Passanten zum Aufschauen. Andere Pappkameraden sind genau auf Augenhöhe. Und einige Kandidaten sind offensichtlich schon abgerutscht und ganz unten, so dass man zwangsläufig auf sie hinunterschaut. Wir wissen noch nicht, zu wem wir am kommenden Sonntag als unserem neuen Stadtoberhaupt und Verwaltungschef aufschauen und auf welchen Wahlverlierer wir mitleidig herabschauen werden. Das im Straßenbild sichtbare Auf und Ab der Kandidaten erinnert uns Gewählte und Wähler daran, dass Demokratie nicht nur mit plakativen Parolen von ganz oben oder von ganz unten, sondern nur mit einem aktiven Miteinander mittendrin im Leben und auf Augenhöhe funktionieren kann. Der Wahlkampf mag Mühe machen. Doch die eigentliche Arbeit für unsere Stadt beginnt erst, wenn die letzte Stimme ausgezählt ist. Und diese Arbeit kann nicht nur von unseren gewählten Mandatsträgern, sondern nur von uns allen gemeinsam mit Aussicht auf Erfolg geleistet werden.


Nach der Wahl haben wir die Wahl, ob wir als Gemeinwesen weiter schwarzer Peter spielen wollen oder ob wir mit unserer Stadt auf einen grünen Zweig und aus den roten Zahlen herauskommen wollen. Das wird aber nicht mit politischen Sandkastenspielen gelingen, bei denen keiner dem anderen das Förmchen und das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt.


Dieser Text erschien am 22. September 2020 in der NRZ

Freitag, 18. September 2020

Quo vadis Karneval?

 Auch der Karneval wird von der Corona-Pandemie hart getroffen. Der Präsident des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, Markus Uferkamp, sieht die Zukunft der Fünften Jahreszeit im Gespräch mit der Mülheimer Woche mit Sorge. Er erkennt aber auch Chancen für das Überleben des Brauchtums Karneval.

Welche Karnevalsveranstaltungen der kommenden Session mussten Sie absagen?
Markus Uferkamp: Stand heute haben wir noch nichts abgesagt. Aber wir müssen auch realistisch sein. Es wird nur schwer machbar sein, eine Prinzenproklamation oder den Prinzenball im Festsaal der Stadthalle feiern zu können, wenn nach den jetzt geltenden Hygiene- und Abstandsregeln maximal 100 Personen in diesen Saal hinein dürfen. Wir planen aber jetzt schon die Aufstellung des Narrenbaums am Kurt-Schumacher-Platz. Dort können wir nach den jetzt geltenden Hygiene- und Abstandsregeln bis zu 300 Personen problemlos zusammenführen.  Wir überlegen, ob wir nach der Aufstellung des Narrenbaums durch die Innenstadt zum Rathausmarkt ziehen, um dort mit separaten Aus- und Eingängen 300 Personen auf den Platz zu lassen, um mit ihnen ein Karnevalsfest mit Musik, Tanz und einem Hoppeditz-Erwachen zu feiern. Hier sind wir bereits im Gespräch mit dem Ordnungsamt.

Wie sieht es mit den Saalveranstaltungen aus?
Markus Uferkamp: Unter den jetzigen Rahmenbedingungen sehe ich keine Möglichkeit in der kommenden Session Saalveranstaltungen durchzuführen. Das erscheint mir heute sowohl unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes als auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit unvertretbar zu sein. 

Wird es 2021 einen Rosenmontagszug geben?
Markus Uferkamp: Realistischerweise kann ich mir keinen Rosenmontagszug in der Innenstadt vorstellen, der in den vergangenen Jahren zwischen 20.000 und 40.000 Menschen in die City gelockt hat. Aber wir sind trotzdem nicht ideenlos. Wir haben mit der Mülheimer Politik und Verwaltung bereits Gespräche darüber geführt, ob es möglich sein könnte, den Rosenmontagszug auf dem Flughafengelände in Raadt zu veranstalten. Auch den Essener Karnevalisten haben wir unsere Idee vorgestellt. Doch ich kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, wie viele Menschen an einem solchen Rosenmontagszug teilnehmen können und wie dieser Rosenmontagszug aussehen könnte. Hier muss die Landesregierung noch im September entscheiden, was sie erlauben will und was nicht, damit die Karnevalisten im Oktober oder November mit der Planung beginnen können.

Normalerweise würde jetzt schon der Wagenbau für den Rosenmontagszug laufen.
Markus Uferkamp: Die Wagenbauhalle an der Hafenstraße ist ein echtes Problem. Als im März der Lockdown kam, mussten wir sie schließen. Später konnten wir wieder eine beschränkte Zahl von Wagenbauern hineinlassen. Doch im Moment ruht der  Wagenbau, weil wir keine Planungssicherheit für den Rosenmontagszug haben. Unter den Corona-Bedingungen mussten die Gesellschaften ihre Sommerfeste absagen, mit denen sie traditionell Geld für die kommende Session einnehmen. Auch die Sponsorengelder fließen aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage zurzeit nicht. Deshalb können die Gesellschaften auch kein Geld in die Hand nehmen und in ihren Wagenbau investieren. Aber wenn wir von der Landesregierung ein Go bekommen sollten, könnten wir unsere Wagenbauten für den Rosenmontag noch umsetzen.

Wie sieht es unter diesen Voraussetzungen mit der Motivation der rund 1300 Mülheimer Karnevalisten aus?
Markus Uferkamp: Das ist schwierig. Denn Karneval besteht nicht nur aus Erwachsenen, die lustig beisammen sitzen. Karneval, das ist auch viel Jugendarbeit gemeinsames Musizieren und Tanzsport. Aber wir haben unter den Corona-Bedingungen kaum die Möglichkeit, unsere Garden und Musikzüge trainieren und proben zu lassen. Da geht die Stimmung in den Keller. Deshalb ist es für uns wichtig, zumindest Außenveranstaltungen planen zu können, damit wir die Jugend und aktiven Karnevalisten motivieren können, ihr ehrenamtliches Engagement und Hobby weiter auszuführen. Nur dann kann ich auf das Finanzielle auf den Weg bringen und Sponsoren für den Karneval gewinnen.

Wie geht es den Sponsoren des Mülheimer Karnevals?
Markus Uferkamp: Die sind von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie hart getroffen. Da gab es wochenlange Zwangsschließungen und viele Leerstände. Ich denke hier insbesondere an unsere treuen Sponsoren aus dem Einzelhandel, aus der Gastronomie und aus dem Automobilverkauf. Fest steht, dass wir auch für die kommende Session einen anzeigenfinanzierten Narrenkurier herausgeben werden, der auch Geld in die Karnevalskassen bringen wird. Aber wir werden mit wesentlich weniger Geld und kleinen Außenveranstaltungen, die uns finanziell nicht stark belasten durch die Session durchkommen müssen.

Könnte man nicht einfach die kommende Session absagen und auf bessere Zeiten für den Karneval hoffen?
Markus Uferkamp: Keinesfalls. Denn wir müssen derzeit davon ausgehen, dass uns die Pandemie auch in den kommenden Jahren 2021 und 2022 noch begleiten wird. Und wenn wir zwei Sessionen hintereinander absagen würden, wäre der Karneval erledigt. Deshalb ist es jetzt ganz wichtig, dass wir eine kleine und abgeschwächte Session auf die Beine stellen, damit wir lernen, wie man den Karneval auch unter Corona-Bedingungen vertretbar organisieren und feiern kann.

Rücken die Karnevalsgesellschaft jetzt in der Corona-Not enger zusammen?
Markus Uferkamp: Darin sehe ich die Aufgabe des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval. Wir müssen die Gemeinschaft der Karnevalisten zusammenhalten und dafür sorgen, dass alles Karnevalsgesellschaften ohne finanzielles Risiko mit von der närrischen Partie sein können. Das kann auch sehr schön sein, wenn man in kleinerer Form und ohne Konkurrenzdruck gemeinsam Karneval feiert. Deshalb wird es in der kommenden Session auch keine Außenveranstaltungen von Gesellschaft X und Gesellschaft Y geben, sondern nur Veranstaltungen, bei denen der Hauptausschuss mit allen 12 Gesellschaft zusammenarbeiten wird. Dann werden auch die Aktiven des MKVs, des MCCs und der KG Mölm Boowenaan dabei sein, die jetzt schon aufgrund der fehlenden Planungssicherheit alle ihre Sessionsveranstaltungen abgesagt haben.

Könnte den Menschen durch die Corona-Pandemie der Spaß am Karneval vergehen?
Markus Uferkamp: Nach einer jüngst von der Bundesregierung veröffentlichten Umfrage sprechen sich 86 Prozent der Bundesbürger für eine Absage des Karnevals in der Corona-Krise aus. Ich glaube, dass dieses Ergebnis auf einem Missverständnis beruht, weil viele Menschen nicht sehen, dass der Karneval mit seinem Gemeinschaftsleben, mit seiner Jugendarbeit und seinem sozialen Engagement für Kinder und Senioren eben weit mehr ist als der Straßenkarneval zwischen Altweiber und Rosenmontag. Der Karneval ist ein kulturelles Brauchtum, dass für Lebensfreude sorgt und auf diesem Weg Menschen aus unterschiedlichen Generationen und sozialen Schichten zusammenbringt, die sich sonst nie begegnen würden. Insofern ist der Karneval für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft systemrelevant. Gerade in Krisenzeiten, wie diesen, geht es darum, dass der Karneval Freude verbreitet und Ängste nimmt. Deshalb müssen wir als Karnevalisten rüberbringen, dass wir wissen, was wir tun und das man den Karneval auch unter Einhaltung aller Hygiene- und Abstandsregeln feiern kann. Karneval braucht keine Massenveranstaltungen mit viel Alkohol. Der Karneval wird und darf kein Hotspot für die Verbreitung des Corona-Virus sein.

Gibt es auch für die Session 2020/2021 mölmsche Tollitäten?
Markus Uferkamp: Wir Karnevalisten haben die beiden Prinzenpaare für die kommende Session bereits während der vergangenen Session gewählt. Kinderprinz ist Leo-Noel Fürstenau. Kinderprinzessin wird Sophie Passmann. Und als Stadtprinzenpaar tritt das Ehepaar Kevin und Tamara Bongartz an. Sollten die Prinzenpaare aufgrund der Corona-bedingten Veranstaltungssituation nicht proklamiert werden können, haben sie die Möglichkeit in der Session 2021/2022 wieder anzutreten. Aber die Prinzenornate stehen bereit und die Vorbereitungen laufen. Auch wenn es in der kommenden Session Corona-bedingt keine Prinzenproklamation geben sollte, werden die Tollitäten bei unseren Veranstaltungen als gewählte Regenten dem Publikum vorgestellt.

Dieser Text erschien am 14. September im Lokalkompass der Mülheimer Woche


Donnerstag, 17. September 2020

Ein Denkanstoß

 Ihr Grußwort zur Preisverleihung der Bürgerstiftung im Sportpark Styrum nutzte Stiftungsvorstand Bettina Gosten für einen gesellschaftspolitischen Denkanstoß. Bei der Veranstaltung, die engagierte Jugendliche ehrt, sagte Gosten unter anderem:

"Klimawandel, weltweit 79 Millionen Flüchtlinge und viele unterschiedliche politische Krisen. Ihr als junge Generation könntet unserer Generation sagen: 'Ihr habt versagt, weil ihr zu oft nach dem Motto gehandelt habt: Es wird schon gut gehen und was geht mich das an?' Heute sind unsere Probleme nicht mehr zu übersehen. Doch ihr seid engagiert, klug und ideenreich. Ihr habt das Zeug dazu, Teil einer Bürgergesellschaft zu sein, die uns voranbringt. Leider erleben wir zurzeit in der Öffentlichkeit und in den Sozialen Medien eine Verrohung der Diskussionskultur. Viel zu viele Menschen sagen: 'Bist du nicht auf meiner Seite, mache ich dich mundtot.' So wird unser Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zerstört, in dem kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Wir werden die Probleme unserer Zeit aber nur lösen, wenn wir bereit sind, vorurteilsfrei einander zuzuhören. Sonst bleibt jeder in seiner eignen Meinungsblase. Ihr seid als engagierte Jugendliche ein hoffnungsvolles Vorbild für unsere Gesellschaft, weil ihr in der Lage seid, hart am Thema und sachlich zu diskutieren, um alle Seiten einer Sache genau zu betrachten und daraus neue Dinge zu entwickeln. Macht was daraus. Für mich waren die Gespräche mit den nominierten Jugendlichen für den Preis der Bürgerstiftung ein tolles Erlebnis, weil ich erleben durfte, dass wir viele junge und kluge Köpfe mit vielen Ideen haben."

Dieser Text erschien am 13. September 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Dienstag, 15. September 2020

Die Mischung macht’s

Er sei in der jetzigen Krise froh, dass mit der Physikerin Angela Merkel und dem Arzt Helge Braun im Bundeskanzleramt zwei Naturwissenschaftler das Sagen hätten, weil sie einen besseren Einblick in die mit der Corona-Krise verbundenen Zusammenhänge hätten als ein Politologe.

So sagte es der Unternehmensvorstand und Preisstifter Bernd Jotzo in seiner Laudatio auf die nominierten und Preisträger das von der Bürgerstiftung vergebenen Preises für besondere Nachwuchs-Leistungen in den Naturwissenschaften.


Natürlich erwartet man von einem naturwissenschaftlichen Preisstifter das Hohe Lied auf die Naturwissenschaften. Doch sind Naturwissenschaftler, ob ihrer Profession, automatisch die besseren Politiker. Der syrische Augenarzt und Diktator Assad lässt mich daran ebenso zweifeln wie die Physiker, denen wir die Atombombe zu verdanken haben oder die in der NS-Zeit schrecklich dienstbaren Ärzte und Naturwissenschaftler.

Unser Land ist Gott sei Dank auch nicht untergegangen, als es von den Juristen Adenauer, Kiesinger und Schröder, von den Nationalökonomen Erhard und Schmidt, vom Journalisten Brandt oder vom Historiker Kohl regiert wurde. Das galt auch für unsere Stadt, als sie zum Beispiel von den Juristen Paul Lembke und Jens Baganz oder von der Deutsch- und Geschichtslehrerin Dagmar Mühlenfeld regiert wurde.

Tatsächlich gleicht die Regierungskunst auf allen staatlichen Ebenen einem Labor, in dem mit ungewissem Ausgang experimentiert und an den Problemen unserer Gesellschaft herumgedoktert wird. Dabei kann auch der eine oder andere quer- und in gesellschaftlichen Zusammenhängen denkende Politikwissenschaftler in der Versuchsanordnung nicht schaden.


Am Ende bringt uns nur eine menschlich und fachlich gute Mischung und der Verzicht auf Vorurteile und Schubladendenken voran. Das gilt auch für die Stadtverwaltung, egal ob sie künftig von der Soziologin Monika Griefahn oder vom Sozialmanager und Arbeitsvermittler Marc Buchholz geführt wird. 


Dieser Text erschien am 15. September 2020 in der NRZ

Montag, 14. September 2020

Ausgezeichneter Nachwuchs

 Unter dem Eindruck der Corona-Krise schauen viele Menschen ängstlich in die Zukunft. Was soll aus unserer Stadt und aus unserem Land werden? Da kam die Preisverleihung der Bürgerstiftung gerade richtig. Sie nominierte 24 Jugendliche für ihre Preise, die herausragendes Engagement in den Bereichen Zivilcourage, Soziales Engagement, Natur- und Geisteswissenschaften würdigen. Am Ende konnten sich fünf junge Mülheimer über ein Preisgeld von 3000 Euro freuen.

Mit Rücksicht auf Corona-bedingten Abstands- und Hygieneregeln fand die 15. Preisverleihung der Bürgerstiftung nicht im Haus der Wirtschaft, sondern in der luftigen Tengelmann-Arena des neuen Styrumer Sportparks statt.

In ihrer Begrüßung würdigte Stiftungsvorstand Bettina Gosten die Nominierten und Preisträger. "Ihr seid engagiert, ideenreich und klug. Ihr seid willens und in der Lage, ein aktiver Teil einer Bürgergesellschaft zu sein, die uns voranbringt. Deshalb bringt euch ein und kämpft um eure Ziele."

Vielseitiges Engagement

Ihre Vorstandskollegin und Unternehmerin Gabriela Grillo, die den Preis für Zivilcourage gestiftet hat, sagte in ihrer Laudatio: "Mut und die Bereitschaft, sich für andere Menschen einzusetzen, ist die wichtigste Tugend, weil nur die Mutigen die Freiheit und das Himmelreich gewinnen werden."  Stiftungs- und MWB-Vorstand Frank Esser betonte in seiner Lobrede auf die Nominierten des von ihm gestifteten Preises für soziales Engagement: "Ihr folgt nicht dem leider weitverbreiteten Schwarz-Weiß-Denken. Ihr besitzt eine differenzierte Weltsicht, die darum weiß, dass unsere Welt nicht schwarz-weiß, sondern bunt ist und das es deshalb für viele Probleme keine einfachen Lösungen gibt."

Der 21-jährige HRW-Student Gero Spinelli wurde für seine Zivilcourage ausgezeichnet, weil er im Januar 2019 einem Jugendlichen beigestanden hatte, der im Forum von drei anderen Jugendlichen zusammengeschlagen wurde. Spinelli konnte die Angreifer erfolgreich abwehren und in die Flucht schlagen.

Carol Ann Dobmann (16) und Pascal Wiesenmüller (17) von der Dümptener Hexbachtalschule wurden unter anderem für ihr soziales Engagement in ihrer Kirchengemeinde St Joseph (Oberhausen) ausgezeichnet. Die Spannbreite ihres ehrenamtlichen Einsatzes reicht von der der Organisation einer Kinderdisco über die Meßdiener- und Kommuniongruppenarbeit bis hin zum Engagement in der Jugend des Technischen Hilfswerkes und der ehrenamtlichen Mitarbeit in einem Kanuverein.

Bernd Jotzo, Vorstand der Isam AG, konnte den von ihm gestifteten Preis für Naturwissenschaften an den Luisenschüler, Mark Kingsley, vergeben.  Kingsley zeichnet  sich nicht nur durch seine hervorragenden naturwissenschaftlichen Leistungen aus. Er ist auch bereit, seine Wissen in verständlicher Weise an seine Mitschüler weiterzugeben. Außerdem versteht er es, sein naturwissenschaftliches Interesse auch auf gesellschaftspolitische Fragen anzuwenden.

Obwohl Ingenieur, übernahm der Geschäftsführer der Mülheimer Entsorgungsgesellschaft, Günther Helmich, erstmals die Preisstiftung und Laudatio für die Geisteswissenschaften. Ausgezeichnet wurde hier die 17-jährige Broicher Abiturientin Constanza Sophia Victoria Zurawka. Hellmich über Zurawka. Sie ist mit herausragendem Erfolg im Bereich Literatur und Sprache(n) aktiv. Helmich: "Sie hat einen unabhängigen und selbstbewussten Geist. Sprache und Literatur sind ihre Leidenschaft. Ihre berufliche Zukunft  sieht sie in der Literatur und im Journalismus. Wir dürfen also gespannt sein, was wir von ihr noch lesen und hören werden."


Dieser Text erschien am 13. September 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Samstag, 12. September 2020

Ein Streifzug durch die Mülheimer Wahlgeschichte

 Am 13. September haben alle Mülheimer, die mindestens 16 Jahre alt sind und die deutsche oder eine EU-Staatsbürgerschaft besitzen die Wahl. Sie wählen unter zehn Bewerbern eine Oberbürgermeisterin oder einen Oberbürgermeister, den Rat der Stadt und drei Bezirksvertretungen

Das war nicht immer so: Bis zum Ende des Kaiserreiches, im Jahr 1918, galt bei preußischen Kommunalwahlen und damit auch bei den Kommunalwahlen in Mülheim ein Dreiklassenwahlrecht. Es teilte die Bürger nach ihrem Steueraufkommen In 3 Klassen ein. Das führte dazu, dass die breite Bevölkerung, die vergleichsweise wenige Steuern zahlte, drei Viertel der Bevölkerung, aber nur ein Drittel der Stimmen stellte. Umgekehrt stellten die wohlhabenden Mülheimer, die sich in der ersten und zweiten Steuerklasse wiederfanden nur ein Viertel der Bevölkerung, aber zwei Drittel der Stimmen. Hinzu kam, dass die Frauen bis 1918 gar nicht stimmberechtigt waren. Am 2. März 1919 fand die erste Kommunalwahl statt, bei der Frauen wählen durften und gewählt werden konnten. Mit Luise Blumberg von der liberalen Deutschen Volkspartei, Maria Büßmeyer und Katharina Havermann (bei dem katholischen Zentrum) zogen damals die ersten Frauen ins Stadtparlament ein. Allerdings standen sie damals einer männlichen Übermacht von 69 Ratsherrn gegenüber Zum Vergleich: Von den heute 55 Stadtverordneten sind 11 Frauen. Es sollte bis 1982 dauern, ehe mit der Sozialdemokratin Eleonore Güllenstern die erste Frau zur Oberbürgermeisterin Mülheims gewählt wurde.

Anders, als ihre ab 1999 gewählten Nachfolger, waren Güllenstern und ihre Nachkriegsvorgänger nur Vorsitzende des Stadtrates und Repräsentanten der Bürgerschaft, während die Verwaltung zwischen 1946 und 1999 von einem Oberstadtdirektor geführt wurde. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Oberbürgermeister, wie heute, Repräsentanten der Bürgerschaft, Vorsitzende des Rates und Verwaltungschef. Sie wurden damals aber nicht direkt durch die Bürgerschaft, sondern durch die von den Bürgern gewählten Stadtverordneten ins OB-Amt gewählt. Das galt auch wie die Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren der Nachkriegszeit. Sie wurden nach der von der britischen Besatzungsmacht eingeführten Kommunalverfassung von 1946 nicht direkt durch die Bürgerschaft, sondern durch das Stadtparlament gewählt.

Vor 1918 führte das preußische Dreiklassenwahlrecht dazu, dass es im Stadtrat ausschließlich liberale und konservative Ratsherrn gab, die die Interessen des Bürgertums vertraten. So konnten die Sozialdemokraten erst mit der Einführung des allgemeinen Und demokratischen Kommunalwahlrechtes ab 1918 Einfluss auf die Mülheimer Kommunalpolitik gewinnen. Allerdings verteilten sich die Stimmen der Arbeiterschaft nicht nur auf die Sozialdemokraten, sondern auch auf das katholische Zentrum und die Kommunisten, die bis zu ihrem Verbot (1933 und 1956) im Stadtrat vertreten waren. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit, 1933 waren rund 17.000 der damals insgesamt 128.000 Mülheimer erwerbslos erhielten auch die Nationalsozialisten immer mehr Stimmen. Sie konnten 1929 erstmals mit einem Stadtverordneten Ins Stadtparlament einziehen

4 Jahre später stellten sie nach der Kommunalwahl im März 1933 mit 23 von 51 Ratsmitgliedern die stärkste Fraktion und bildeten mit den 6 Stadtverordneten ihrer Bündnispartner von dem Deutschnationalen Volkspartei erstmals die Ratsmehrheit. Diese nutzten sie, um den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und den von ihm ernannten Reichskanzler Adolf Hitler zu Ehrenbürgern der Stadt zu erklären. Gleichzeitig beschloss die neue Ratsmehrheit eine Verordnung zu verabschieden , die jüdische Unternehmen Von städtischen Aufträgen ausgeschlossen. Außerdem waren die gewählten Stadtverordneten der KPD bereits vor der konstituierenden Ratssitzung verhaftet worden. Mit dem Sozialdemokraten  Wilhelm Müller und den Kommunisten Fritz Terres und Otto Gaudig mussten 1944 und 1945 drei Stadtveordnete ihren Widerstand gegen Hitler mit dem Leben bezahlen. 1946 und 1995 beschloss der Rat der Stadt, alle in der NS-Zeit verliehenen Ehrenbürgerschaften abzuerkennen.

Mit dem Eisenbahninspektor Wilhelm Maerz wurde damals ein Nationalsozialist zum Oberbürgermeister gewählt . Er war als Verwaltungschef allerdings überfordert. Deshalb sahen sich die vom Stadtverordneten Karl Kamphausen geführten Nationalsozialisten gezwungen, ihren eigenen Parteigenossen durch den Verwaltungsfachmann, Edwin Hasenjaeger, zu ersetzen. Hasenjaeger sanierte die Stadtfinanzen und stärkte dem von den Nazis verfemten  Mülheimer Künstler Otto Pankok den Rücken, indem er seine Werke für das Kunstmuseum der Stadt ankaufte. Er musste aber 1937 auf Druck der Nationalsozialisten, die gleich gegenüber dem Rathaus im Horst-Wessel Haus an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, residierten, in die NSDAP eintreten. Das wurde ihm zum Verhängnis. Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 11. April 1945 wurde Hasenjaeger abgesetzt und interniert. Er wurde zwar später von der alliierten Militärregierung wiedereingesetzt, musste aber 1946 aufgrund des politischen Drucks von SPD und KPD endgültig zurücktreten.

Nach der ersten Kommunalwahl vom 13. Oktober 1946 stellte die Christdemokraten in dem bis dahin von der britischen Militärregierung ernannten Stadtrat, die Mehrheit und wählten damit ihren Vorsitzenden Wilhelm Diederichs zum Oberbürgermeister. Doch schon 2 Jahre später begann mit dem Wahlsieg der Sozialdemokraten und dem Amtsantritt ihres Oberbürgermeisters Heinrich Thöne eine über 40 Jahre währende Ära, in der sozialdemokratische Ratsmehrheiten, Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren die Geschichte der Stadt bestimmten. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister Heinrich Thöne und der christdemokratische Bürgermeister Max Kölges wurden zu populären Galionsfiguren des Mülheimer Wiederaufbaus. Beide wurden deshalb 1960 und 1962 vom Rat der Stadt zu Ehrenbürgern der Stadt ernannt. Die gleiche Ehre wurde der nationalliberalen Oberbürgermeister Paul Lembke am Ende seiner 24-jährigen Amtszeit 1928 zu Teil.

Lembke ging als der Vater der Mülheimer Großstadt in die Geschichte ein. Vieles von dem, was heute zu den Identifikationspunkten der Stadt gehört, geht auf seine Initiative zurück. Das gilt für den Bau des Rathauses und der Stadthalle ebenso wie für die Einrichtung des  Raffelbergparks, zu dem  bis 1992 ein Solbad gehörte, für die Eröffnung der Rennbahn am Raffelberg, für den Bau des Wasserbahnhofes und die Einrichtung der Weißen Flotte sowie für die Schaffung des Speldorfer Hafens . Unter Lembke wurde Mühlheim auch zum Standort das Kaiser Wilhelm-Instituts für Kohleforschung, das wir heute als Max-Planck-Institut kennen. Durch eine geschickte Eingemeindungspolitik überschritt Mülheim während seiner Amtszeit Im Jahr 1908 die 100.000-Einwohner -Grenze zur Großstadt. Unterstrichen wurden die Ambitionen der Großstadt auch durch die 1925 eröffneten Flughafen .

In den 1970er Jahren schlug sich der von Bundeskanzler Willy Brandt 1969 formulierte Anspruch: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ auch in der Kommunalpolitik nieder. Damals wurde das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Und mit den Bezirksvertretungen wurden erstmals bürgernahe Stadtteilparlamente gewählt. Für mehr demokratische Bürgernähe und politische Transparenz traten auch die Mülheimer Grünen ein, die erstmals 1984 neben Sozial,- Christ,- und Freidemokraten als vierte Fraktion ins Stadtparlament einzogen. Mit der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes wurde 1999 bei den Kommunalwahlen die bis dahin geltende 5%-Hürde abgeschafft. In der Folge wurde die Mehrheitsbildung in einem immer bunteren und damit auch repräsentativeren Rat immer schwieriger. Um die demokratische Repräsentation der Bürger zu stärken, beschloss der Landtag 1994 Reform der Kommunalverfassung. Wie in Süddeutschland, wurden ab 1999 auch in Nordrhein-Westfalen die Oberbürgermeister direkt durch die Bürger gewählt. Gleichzeitig wurde ihre Position gestärkt, indem sie in ihrem Amt den Ratsvorsitz und die Repräsentation der Bürgerschaft mit der Führung der Verwaltung vereinten. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die gut gemeinten Kommunalwahlreformen nicht nur mehr Demokratie, sondern auch mehr Probleme Im Sinne einer Mehrheitsfindung im Rat und einer professionellen Stadtregierung mit sich gebracht haben. Gleich mit der ersten Direktwahl seines Oberbürgermeisters machte Mülheim im September 1999 bundesweit Schlagzeilen. Nachdem der Sozialdemokrat Thomas Schröer zunächst mit einem Vorsprung von 33 Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt worden war, ergab eine Nachzählung der Stimmen, dass sein Gegenkandidat Jens Baganz von der CDU die OB-Wahl mit einem Vorsprung von 58 Stimmen gewonnen hatte. Zuvor hatten Christdemokraten und Grüne mit einer damals noch ungewöhnlichen schwarz-grünen Zusammenarbeit unter Führung von Oberbürgermeister Hans-Georg Specht (CDU) und Bürgermeister Wilhelm Knabe (Grüne) für bundesweites Interesse an der Mülheimer Kommunalpolitik gesorgt.

Hintergrund 

Carl von Bock und Polach war 1895 der erste Mülheimer Oberbürgermeister. Obwohl Mülheim damals noch keine 100.000 Einwohner hatte, verlieh ihm die preußische Regierung diesen Ehrentitel aufgrund seiner besonderen Verdienste um die Stadt . Der ehemalige Offizier und Verwaltungsbeamte hatte in seiner Amtszeit von 1879 bis 1902 unter anderem dafür gesorgt, dass Mülheim grüne Ruhranlagen, eine elektrische Straßenbahn, eine wirtschaftlich einträgliche Militärgarnison und ein Amtsgericht bekam. Ihm folgten die Oberbürgermeister Paul Lembke (1904 – 1928), Alfred Schmidt (1930- 1933), Wilhelm Maerz (1933 – 1936), Edwin Hasenjaeger (1936 bis 1946), Wilhelm Diederichs 1946 bis 1948, Heinrich Thöne (1948 bis 1969), Heinz Hager, 1969 bis 1974, Dieter aus dem Siepen (1974 bis 1982), Eleonore Güllenstern (1982 bis 1994), Hans-Georg Specht 1994 - 1999, Jens Baganz (1999 bis 2002), Dagmar Mühlenfeld (2003 bis 2015) und Ulrich Scholten (seit 2015).


Dieser Text erschien in NRZ & WAZ vom 10. September 2020



Freitag, 11. September 2020

Klare Ansage

Der Wilde Westen beginnt manchmal schon in Mülheim. Das erlebte ich jetzt als ich im Mülheimer Westen an der Duisburger Straße in Speldorf in die Straßenbahn der Linie 901 einsteigen wollte. Um ein Haar wäre meine Lebensreise plötzlich und unerwartet vorbei gewesen, weil ein Geländewagen-Fahrer in Wild-West-Manier und entgegen der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht an der haltenden Bahn anhielt, sondern einfach durchfuhr, so dass ich auf halbem Weg zwischen Bürgersteig und Straßenbahn in letzter Sekunde zur Seite springen musste. Als ich mit schlotternden Knien in der Straßenbahn Platz genommen hatte, überraschte mich der Straßenbahnfahrer, indem er seine Außenlautsprecheranlage anwarf und dem Verkehrsrowdy unmissverständlich und unüberhörbar wissen ließ, was er von seinem Verkehrs-Rowdytum hielt. Die Gardinenpredigt aus dem Straßenbahn-Mikrofon überzeugte mich mit ihrer aus dem heiligen Zorn gespeisten Wortgewalt.

Tatsächlich würde ich mir auch auf anderen Lebenswegen und in anderen Lebenslagen manchmal eine solch klare Ansage von unseren Steuerleuten an jene Zeitgenossen wünschen, die glauben, dass die bewährten Grundregeln des Respekts und der Rücksichtnahme im menschlichen Verkehr nur für die anderen, aber nicht für sie selbst gelten. Heute zeigt uns in ungewollt drastischer Form das Coronavirus, dass eben diese Frage von Respekt und Rücksichtnahme keine Sekundärtugend ist, sondern manchmal über Leben und Tod entscheiden kann. 


Dieser Text erschien am 7. September 2020 in der NRZ


Montag, 7. September 2020

Bestechendes Kleingeld

Geht es Ihnen auch so? Kleingeld macht mich nervös. Es beschwert mein Portemonnaie, ohne mich finanziell wirklich weiter zu bringen. Mit der Redensart: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert, konnte ich bisher nicht viel anfangen.

Doch in der Zeit des Pflaumenkuchen-Essens auf dem Balkon oder auf der Terrasse hat die Apothekerin meines Vertrauens das kleine und oft nervige Kupfer-Kleingeld in meiner Wertschätzung enorm steigen lassen. Sie verriet mir, dass die oft nervigen Wespen selbst nervös werden, wenn sie im Anflug auf ihre süßen Zielobjekte kleines Kupfergeld sehen. Tatsächlich hatte ich nach dem Selbstversuch, bei dem ich die kleinen ansonsten ungeliebten Kupfermünzen auf unserer Kaffeetafel platzierte, das Gefühl, dass die bestechenden Insekten einen Bogen um unseren Kaffee- und Kuchen-Tisch machten.


Ich hätte nie gedacht, das mich Kleingeld mal so beruhigen könnte, weil es die Wespen nervös macht, die mich sonst nervös gemacht und mir den Appetit an der Kaffeetafel verdorben haben. 


Dieser Text erschien am 5. September 2020 in der NRZ

Dienstag, 1. September 2020

Kultureller Knotenpunkt

Der peruanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Mario Pedro Vargas Llosa hat es drastisch formuliert: „Das Leben ist ein Sturm aus Scheiße und die Kunst ist der einzige Regenschirm dagegen.“ Deshalb wagen jetzt das Theater an der Ruhr, der Ringlokschuppen, die Mülheimer Theatertage Stücke im Verein mit dem Bildungsnetzwerk Innenstadt und der Silent University im Sturm der Corona-Krise einen neuen Aufbruch.  In einer Zeit, in der auch das Kulturleben hart getroffen wird machen die Partner aus der Dezentrale an der Leineweberstraße 15 eine Vierzentrale. Hier soll man sich begegnen können. Hier soll man Theater, Kultur und Bildung gemeinsam erleben können. 

Die Hygiene- und Abstands-Regeln der Corona-Zeit zwingen das Theater an der Ruhr, den Ringlokschuppen und den städtischen Theater- und Konzertbetrieb, inklusive der Stücke, zu einem quantitativen Schmalspur-Programm. Sowohl im Theater an der Ruhr als auch im Ringlokschuppen oder im Theatersaal der Stadthalle können zurzeit nur ein Bruchteil der ursprünglichen Zuschauer und Zuhörer Kultur erleben. Das Theater am Raffelberg bietet zurzeit maximal 50 Zuschauern Platz, wo sonst bis zu 200 Theaterfreunde Platz nehmen können. Im Theatersaal der Stadthalle dürfen zurzeit maximal 220 Zuschauer Platz nehmen, wo sonst 1040 Kulturfreunde Platz finden. Und im Kammermusiksaal können maximal 40 von insgesamt 200 Sitzplätzen besetzt werden. Und im großen Saal des Ringlokschuppen finden zurzeit maximal 220 statt 550 Gäste Platz.
„Dennoch ist es uns wichtig gerade jetzt einen zentralen Ort für Kultur Bildung und Begegnung zu schaffen. Denn gerade jetzt ist der Hunger nach gemeinsam erlebter Kultur sehr groß“, sagt Stephanie Steinberg, die die Mülheimer Theatertagen Stücke leitet. Deshalb bilden der städtische Kultur- und Theaterbetrieb, das Theater an der Ruhr, der Ringlokschuppen und die bereits vor Ort ansässige Silent University und das ebenfalls bereits dort ansässige Bildungsnetzwerk Innenstadt in der neuen Vierzentrale an der Leineweberstraße 15 eine kreative Hausgemeinschaft. "Wer sich für die Bildungsangebote der Silent University und des Netzwerkes Bildung Innenstadt interessiert, interessiert sich vielleicht auch für Kultur,- Bildungs- und Theaterangebote an anderen Stellen der Stadt“, beschreibt Projektkoordinatorin Anna Bründl den Mehrwert der Vierzentrale im Herzen der Innenstadt.

Ein Kultur-Ort für alle Fälle

Stücke-Chefin Stephanie Steinberg und Helmut Schäfer, Geschäftsführer des Theaters an der Ruhr, können sich nicht nur kleine Theateraufführungen, sondern auch Lesungen, Konzerte und Ausstellungen in der zur Vierzentrale erweiterten Dezentrale vorstellen. Für Dr. Bridget Fonkeu und ihren Mann und Mitarbeiter Justin Fonkeu von der Silent University sehen die Theaterbetriebe in der Stadthalle und im Ringlokschuppen und das Theater an der Ruhr im Theater am Raffelberg als natürliche Verbündete. Gemeinsam, so Bridget Fonkeu, gehe es darum, „in einem produktiven Labor  Ideen und Konzepte für die multikulturelle Zukunft Mülheims und Deutschlands zu entwickeln und zu erkennen, dass das gesamte Leben eine Bühne ist." Auf dieser Bühne des Lebens gehe es darum, die eigenen Fähigkeiten einzubringen und die Fähigkeiten der anderen Mitmenschen zu betrachten und widerzuspiegeln.
 
Helmut Schäfer dankt dem Land Nordrhein-Westfalen, das mit seinem insgesamt 9,2 Millionen Euro schweren und bis 2022 laufenden Programm "Neue Wege" landesweit 13 Theater und Orchesterprojekte fördert. Unter der Rubrik Theater an der Ruhr und Theaterstadt Mülheim weist das von Isabel Pfeiffer-Poensgen geführte Kulturministerium insgesamt rund 1,1 Millionen Euro für die entsprechende Theater- und Kulturarbeit in Mülheim aus.

Start am 5. September

Die Dezentrale a wird m 5. September, zwischen 12 und 18 Uhr mit einem Walk-and-Talk-Kultur-Programm rund um eine Raum-Installation unkonventionell und kommunikativ eröffnet. Die Vierzentrale wird ab dem 8. September dienstags bis sonntags zwischen 10 und 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 14 Uhr geöffnet sein. Als Ansprechpartner ist Felix Margraf vor Ort.

Als weiterer Programmpunkt wird zum Start der Vierzentrale das von Tobias Stötting und dem Team des Theaters an der Ruhr inszenierte Jean-Paul-Satre-Stück „Schmutzige Hände“ als Audiowalk über die Bühne gehen. Die ersten beiden Aufführungen in der Vierzentrale beginnen am 6. September um 20 Uhr und am 10. September um 19.30 Uhr. Da die Vierzentrale Corona-bedingt zurzeit nur 20 Zuschauern Platz gibt, sind insgesamt neun Aufführungen des Stücks geplant.

Mit Blick auf die Ausnahmesituation der Corona-Krise sprechen alle Beteiligten mit einem Augenzwinkern von einer Nichteröffnung. Die Projektpartner machen allerdings deutlich, dass die Vierzentrale als ein Knotenpunkt für Stadt, Theater und Gesellschaft schon für die Zeit nach Corona eingerichtet worden ist. Deshalb dient sie langfristig auch als Kulturticket-Zentrale für die Kulturangebote der Stadt. Mehr Infos findet man im Internet unter: www.vier.ruhr.de

Dieser Text erschien am 29. August 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche


 1929 als Gasbehälter errichtet, dient der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen seit 30 Jahren als extravaganter Ausstellungsraum. Dieser ...