Donnerstag, 31. August 2017

Was uns so alles in die Tüte kommt

Gestern hat für viele Kinder der Ernst des Lebens begonnen. Dabei sollte man das Schulleben ernst, aber auch nicht zu ernst nehmen, wenn man es an Leib und Seele unbeschadet überstehen will. Immerhin wird so manchem Kind der erste Schultag mit einer Schultüte versüßt. Dabei kann man die Schultüte auch als Symbol dafür nehmen, dass einem nicht nur im Schulleben so manches in die Tüte kommt, worauf man dankend verzichten könnte. Aber gerade darin ist das Schulleben eine gute Schule für das Leben jenseits der Klassenzimmer und Stundenpläne. Denn auch nach dem Ende der Schulzeit geht das Lernen weiter und es muss so mancher saure Drops gelutscht werden. Selbst, wenn es so manchem Ex-Schüler auf der freien Wildbahn der Lebensschule zuweilen schwindelig wird, weil er mit seinem braven Schulwissen immer wieder im Morast des Alltags stecken bleibt oder aneckt. Auch wenn er verzagt, weil die ihm gelehrte Moral oft nur Anspruch, aber nicht Wirklichkeit ist, sollten Er und Sie, Du und ich  mutig weiter lernen und nie vergessen, dass Gutes nicht immer gesucht, aber stets gebraucht wird, wenn wir gemeinsam das Klassenziel erreichen wollen.

Dieser Text erschien am 31. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 30. August 2017

Philosophie an der Kuchentheke

Es gibt sie noch, die süßen Bienen. Nicht nur auf der freien Wildbahn, sondern auch in der Bäckerei trifft man sie.

In der Bäckerei machen sie sich jetzt zu schaffen. Die einen wirbeln als fleißige Bienchen hinter der Theke. Und die anderen stürzen sich als gefräßige Bienchen in der Theke auf Kirsch-Streusel, Berliner Ballen oder auch auf den Pflaumen-Hefekuchen.

Als Mann habe ich eine natürliche Vorliebe für flotte Bienen.  Allerdings  musste ich auch schon so manche schmerzhafte und bestechende Erfahrung mit der einen oder anderen Biene machen, die dann flott als Unschuld vom Lande davon summte, als sei nichts gewesen. So ein Bienenstich kann wirklich unangenehme Folgen haben. Da ist mir der gebackene Bienenstich schon lieber. Den fischen die flotten und fleißigen Bienen aus der Bäckerei meines Vertrauens, wie nichts aus der Tiefe ihrer Theke. Dabei ist sie in diesen Tagen von ganzen Bienenvölkern besetzt. „Wir ärgern sie einfach nicht und lassen sie leben“, verrät mir eine flotte Biene hinter der Theke, wie sie unbestochen durch den Spätsommer kommt. Wenn das keine bestechende Lehre für das ganze Leben ist: Leben und leben lassen! Dann bleibt uns viel erspart.

Dieser Text erschien am 29. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 29. August 2017

"Wir haben doch schon seit 120 Jahren Elektromobilität!": Ein Gespräch mit dem ehemaligen Chef der städtischen Vehrkehrsbetriebe Werner Foerster-Baldenius

Werner Foerster-Baldenius
„Alle reden heute von Elektromobilität. Dabei haben wir sie doch schon seit 120 Jahren“, sagt der ehemalige Chef der Mülheimer Verkehrsbetriebe Werner Foerster-Baldenius mit Blick auf Mülheims Straßenbahnen. Bis zu seiner Pensionierung (2001) hat der Bauingenieur die öffentliche Personennahverkehrslandschaft mitgestaltet.
1936 geboren, in Bremen aufgewachsen und an der Technischen Hochschule Braunschweig ausgebildet, kam er 1966 nach Mülheim.
„Damals fuhr die Straßenbahn noch durch die Schloßstraße und man träumte von der auto-gerechten Stadt, in der die Straßenbahn unter der Erde und die Autos oben auf der Straßen fahren sollten“, erinnert sich Foerster-Baldenius.
Wie heute gab es in Mülheim damals vier Straßenbahnlinien. Von denen wurde aber die Linie 11, die von der Innenstadt bis zum Saarner Klostermarkt fuhr, 1968 stillgelegt. „Schon damals wurde darüber diskutiert, ob man den öffentlichen Personennahverkehr nur noch mit Bussen organisieren und auf die Straßenbahn verzichten sollte“, erinnert sich Foerster-Baldenius. Gleichzeitig gab es damals aber auch die Planung die Linie 8 im Fünf-Minuten-Takt von der Innenstadt über die Haltestelle Waldschlößchen mit dem Neubaugebiet auf der Saarner Kuppe zu verbinden. Dort ging man mittelfristig von 20.000 Einwohnern aus.

Als von Sparzwang noch keine Rede war

Anders, als dieser Plan, wurden in den 70er Jahren die U-Bahn-Pläne mit einer Stadtbahnverbindung nach Essen realisiert. „Das Land hat uns damals alle 16 Stadtbahnwagen zu 100 Prozent bezahlt“, berichtet der Zeitzeuge aus einer Epoche, in der es das Wort Sparzwang noch nicht gab. „Heute würde man schon aus finanziellen Gründen wohl keine U- und Straßenbahn-Tunnel mehr bauen“, glaubt Foerster-Baldenius. Auch wenn der Ruhrtunnel noch 1998 in Betrieb genommen worden sei, so Foerster-Baldenius, seien die ursprünglich damit verbundenen Netzpläne nicht in vollem Umfang realisiert worden.

„Auch damals haben wir schon mit den Verkehrsbetrieben der Nachbarstädte zusammengearbeitet und unsere neuen Busse aus Kostengründen direkt beim Hersteller abgeholt,“ schaut der ehemalige Chef der städtischen Verkehrsbetriebe in die Vergangenheit.

Vom städtischen Amt zur regionalen Verkehrsgesellschaft

Die Hauptunterschiede zur Gegenwart sieht Förster-Baldenius darin, „dass die Städte bis zur Gründung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr in den 1980er Jahren eine eigene Tarifhoheit hatten und die städtischen Verkehrsbetriebe eigenständig Nahverkehrs-Konzepte entwickeln konnten.“ Erst durch die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes, Mitte der 1990er Jahre, sei den Stadträten die Rolle des Aufgabenträgers und des Auftraggebers in Sachen ÖPNV übergeben worden. Außerdem wurden die Verkehrsbetriebe zu seiner aktiven Zeit als städtische Ämter und nicht als städtische Tochtergesellschaften geführt, so dass auch von sechsstelligen Jahresgehältern für Geschäftsführer keine Rede war.

Ein Verkehrsmittel mit Zukunft

Wie sieht der bekennende Straßenbahnfreund Foerster-Baldenius die Zukunft der Straßenbahnen? „Wenn man sie hat, sollte man sie bewahren. Umweltbewusste Großstädte, wie zum Beispiel Freiburg im Breisgau, haben ihr Straßenbahnnetz nicht um sonst in den vergangenen 20 Jahren massiv ausgebaut. Im Vergleich zu Gelenkbussen sind Straßenbahnen auch bei schwierigen Wetterlagen ein sicheres und bequemes öffentliches Verkehrsmittel“, unterstreicht der ehemalige Chef der Verkehrsbetriebe. Und was sagt er zu dem jährlichen Zuschuss-Bedarf von 30 Millionen Euro, der den Haushalt der Stadt belastet? „Diese Summe steht in keinem Verhältnis zu den unvergleichlich höheren Folgekosten des immer dichter werdenden Autoverkehrs, wenn Sie an den Straßenbau, die Umwelt und unsere Gesundheit denken“, stellt Werner Foerster Baldenius fest.

Dieser Text erschien am 24. Juli 2017 im Lokalkompass und in der Mülheimer Woche

Montag, 28. August 2017

Ruhr statt Riviera: Ein Zeitsprung am Kahlenberg

Sonntagspartie am Kahlenberg um 1900
Postlartenansicht aus dem Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
Wir schreiben das Jahr 1900. Der Herr von Welt trägt Hut und der junge Mann kleidet sich in einem Mastrosenanzug, weil die Marine des Kaisers liebstes Kind ist.

Die Postkartenansicht von einer Sonntagspartie zum Restaurant am Kahlenberg zeigt es. Der Urlaub oder die Sommerfrische fand für die meisten Mülheimer damals zu Hause statt, etwa mit Bier, Limonade und Kaffee auf der Terrasse des 1890 eröffneten Restaurants am Kahlenberg. Ab 1897 kamen die Mülheimer mit der neuen elektrischen Straßenbahn noch schneller zu dem beliebten Ausflugslokal. Ruhr statt Riviera lautete damals die Devise für Herrn und Frau Normalverbraucher. Bis zu 3000 Gäste fanden im Restaurant am Kahlenberg einen Platz und eine tolle Aussicht aufs Ruhrtal.

Doch 1951 war die legendäre Gastwirtschaft abgewirtschaftet und man überlegte ernsthaft das 1889 errichtete Haus am Hang abzureißen. „Da weiß ich was besseres“, sagte der damalige Stadtdirektor und Jugenddezernent Bernhard Witthaus. Die Stadt kaufte das alte Gasthaus und eröffnete dort 1952 eine Jugendherberge.

Nun kamen hier Schulklassen, Ruhrtalwanderer, Teilnehmer von musikalischen Proben-Wochenenden oder Gäste aus den Partnerstädten gut unter. Ab 1989 waren die legendären Herbergseltern Angelika und Eugen Meyer Herz und Seele dieser guten Herberge. Jährlich begrüßten und betreuten sie dort bis zu 10 000 Gäste.

Doch im Dezember 2010 mussten sie am Kahlenberg auschecken.  Denn die Stadt hatte sich aus finanzpolitischen Gründen dafür entschieden, das alte Jugendhaus für 900 000 Euro an einen Investor zu verkaufen, der dort acht Wohnungen mit Tiefgarage einrichtete. 

Dieser Text erschien am 28. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 27. August 2017

Wenn das Mittagessen nach Hause kommt: Der Menü-Service des Deutschen Roten Kreuzes

Ute Ramisch (links) und Rebecca Elsner
betreuen den Menüservice des
Deutschen Roten Kreuzes
Wie wäre es mit Paprikaschnitzel, Kartoffelpüree und Apfelmus oder hätten Sie lieber Rinderbraten mit Leipziger Allerlei und Salzkartoffeln? Das sind nur zwei von acht Mittagsmenüs, unter denen die 170 Kunden des Menüservice am 24. Juli auswählen können. Im Durchschnitt liefert der Menüservice des Roten Kreuzes täglich 150 Mahlzeiten frisch ins Haus.

Wer den Menüservice des Mülheimer Kreisverbandes bucht, bei dem klingelt zwischen 9 und 13 Uhr ein freundlicher Fahrer des DRKs, um das Mittagessen in einer Warmhaltebox frisch auf den Tisch zu stellen. „Die meisten unserer Fahrer sind Rentner, die auf 450-Euro-Basis für das Rote Kreuz arbeiten“, erzählt Ute Ramisch.

Die heute 60-jährige Bürokauffrau leitet seit 2004 den Menüservice des Mülheimer DRKs. „2004 übernahm das Rote Kreuz das Essen auf Rädern für alle Stadtteile Mülheims. Bis dahin hatte jeder Sozialverband seinen eigenen Menüservice, der lediglich Kunden in einzelnen Stadtteilen belieferte. So war das Rote Kreuz bis dahin nur für Kunden in der Stadtmitte und in Saarn zuständig“, erinnert sich Ramisch. Doch im Sinne einer wirtschaftlich vertretbaren Arbeitsteilung übertrugen die Mülheimer Wohlfahrtsverbände dem damals von Helmut Storm geleiteten Roten Kreuz den gesamten Aufgabenbereich des Menüservice.

Um der neuen Herausforderung gerecht zu werden, wechselte Ute Ramisch damals vom Sekretariat der Geschäftsführung in die Leitung des Menüservice.

„Ich kam vor 26 Jahren durch meinen im Rettungsdienst aktiven Onkel Dietmar Hoffmann von Siemens zum Roten Kreuz. Diesen Wechsel habe ich nie bereut, weil die Arbeitsatmosphäre hier sehr herzlich und familiär ist“, erzählt Ramisch aus ihrer DRK-Biografie.

In der organisatorischen Leitung des Menüservice wird Ute Ramisch seit 2014 von der beim DRK ausgebildeten Kauffrau für Bürokommunikation und Büromanagement ausgebildeten Rebecca Elsner unterstützt. Und so, wie es jetzt aussieht, wird die heute 26-Jährige, Ramisch in ihrer Leitungsfunktion nachfolgen, wenn diese in den Ruhestand geht. Doch bis dahin wird noch einiges Wasser die Ruhr hinunterfließen und einige 1000 Menüs vom DRK ausgeliefert werden.

Rebecca Elsner und Ute Ramisch organisieren zwar täglich drei Liefertouren. Sie nehmen die Bestellungen, aber auch Lob oder Tadel der Kunden entgegen. „Der Rinderbraten war köstlich, aber die Kartoffeln zu hart.“ Sie stehen aber nicht selbst am Herd. 150 bis 170 Mahlzeiten. Das würde ihre Kapazitäten bei weitem übersteigen. Deshalb lässt sich der Kreisverband vom Menüanbieter deli carte beliefern. „Der ist in Kempen am Niederrhein ansässig und beliefert auch Altenheime, Schulen, Firmen und Kindergärten“, berichtet Rebecca Elsner.

„Die Küche, in der die Mahlzeiten täglich zubereitet werden, ist so groß, wie ein Fußballfeld“, erinnern sich Elsner und Ramisch an ein Probeessen vor Ort. Wer die Speispläne von deli carte studiert, staunt über die Vielfalt. Vom Gourmetgericht bis zum Eintopf und vom Salat bis zum Reibekuchen oder Milchreis ist alles zu finden. Herzhaftes wird ebenso angeboten wie ein Imbiss aus der leichten oder aus der kalten Küche werden ebenso angeboten. Für jeden Geschmack und für jeden Geldbeutel ist etwas dabei. Die Preisspanne reicht von 4,50 Euro für eine Salatplatte bis zu 7,20 Euro für ein Gourmetgericht, a la gefüllte Hähnchenbrustroulade mit Sauce a la Hollondaise, Kaisergemüse und Zwiebelreis. Und wer dann noch 30 Cent drauf legt, bekommt auch noch ein Dessert.

„70 Prozent unserer Kunden sind Stammkunden. Die meisten von ihnen sind über 70, aber wir haben inzwischen auch einige berufstätige Kunden zwischen 30 und 50 gewinnen können, die die Zeit- und Arbeitsersparnis unseres Service zu schätzen wissen“, erzählt Ute Ramisch.

Aber sie räumt auch ein: „So ein Menüservice ist kein leichtes Geschäft, weil es immer mehr Menschen gibt, die  mit jedem Euro rechnen müssen.“ Deshalb bietet das DRK seinen Menüservice auch ohne zusätzliche Lieferkosten und mit einer hohen Flexibilität an.

Anders, als etwa bei Telefonanbietern oder Zeitschriften-Abos, gibt es keine Zwei-Jahres-Verträge. Menüs können ganz individuell bestellt oder auch wieder abbestellt werden, etwa wenn man in Urlaub fährt oder bei Familienangehörigen und Freunden zum Essen eingeladen ist. „Bestellungen oder Abbestellungen können aber nur dann berücksichtigt werden, wenn sie am Vortag bis 12 Uhr mittags bei uns eingegangen sind“, unterstreicht Rebecca Elsner.

Die Mitarbeiterinnen des Menüservice sind im DRK-Zentrum an der Aktienstraße 58 unter der Rufnummer 0208/4500636 erreichbar.

Dieser Text erschien im DRK-Magazin 3/2017

Samstag, 26. August 2017

"Das unterscheidet uns von den Fundamentalisten!" - Eindrücke von einer politischen Dialogpredigt

Pater Wener Holter (SJ) und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet
Köln. Wie kann man als Christ Politik machen? Die Dialog-Predigt, die der scheidende Pfarrer der Jesuiten-Kirchengemeinde St. Peter am Sonntagmittag vor 250 Gottesdienstbesuchern hielt, gab den Zuhörern interessante Einblicke.


"Als Politiker müssen Sie ständig Kompromisse machen. Kommen Sie dabei als Christ schnell an ihre Grenzen?" fragte der Jesuiten-Pater in seinem Predigt-Interview den NRW-Ministerpräsidenten und katholischen Christen Armin Laschet. "Ich habe schon als Integrations-Minister ab 2005 gelernt, dass sich die Dinge nicht immer schwarz-weiß darstellen, wenn man sich den betroffenen Menschen stellt und sich von ihnen ihre Lebensgeschichte erzählen lässt", antwortete der CDU-Politiker. Auch mit Blick auf sein heutiges Amt räumte der Christdemokrat ein: "Egal, zu welcher Entscheidung man am Ende auch kommt, man sollte immer wissen, dass man die Dinge auch anders sehen könnte. Diese Einsicht unterscheidet uns von den Fundamentalisten.

Eine neue und besondere Sicht forderte der NRW-Ministerpräsident auch bei den Politikfeldern Ökonomie, Ökologie und Integration ein.
Von Pater Holter auf die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Armen und Reichen angesprochen, reagierte Laschet mit dem Appell "der Arbeit einen eigenen moralischen Wert zu geben" und diesen nicht nur dem Umweltschutz zuzugestehen. Der absolute moralische Vorrang für die Ökologie, so der CDU-Politiker, "gefährdet auf Dauer unsere Industriearbeitsplätze, die wir auch dann brauchen, wenn sie, wie in der chemischen Industrie, nicht immer nur schön sind." Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung des Arbeitsmarktes machte Laschet deutlich, "dass wir in unserem Land auch wieder mehr einfache Arbeitsplätze brauchen." Die Politik, so Laschet weiter müsse konkrete Antworten auf die Fragen liefern, die sich etwa aus dem von Wissenschaftlern der Universität Cambrige entworfenen Szenario ergäben, "dass die Digitalisierung in den nächsten 20 Jahren etwa 700 Berufe verschwinden lassen wird und wir plötzlich vor der Frage stehen: Was machen wir, wenn niemand mehr Taxifahrer werden kann, weil wir dann selbstfahrende Autos haben werden."

Der Christdemokrat erinnerte in diesem Zusammenhang an die 1891 von Papst Leo XIII. "viel zu spät" formulierte katholische Soziallehre und ihre Bekräftigung durch Papst Johannes Paul II. im Jahre 1991. Nach der von ihm mit vorangetriebenen weltpolitischen Wende von 1989/90 habe der Papst aus  Polen den Westen zurecht ermahnt: "Dies war eine Niederlage des Kommunismus, aber kein Sieg des Kapitalismus."

Pater Werner Holter fragte auch nach den Herausforderungen, die sich aus der Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen nicht nur für NRW ergeben. Hierzu stellte der Ministerpräsident fest: "Wir sind ein Einwanderungsland und müssen deshalb mehr dafür tun, dass Kinder, unabhängig von ihrem Elternhaus, durch Bildung eine soziale Chancengleichheit bekommen. Dabei sehe ich Bildung nicht als eine Frage der etnischen Herkunft, sondern als eine soziale Frage an. Denn oft kann das Kind des türkischen Rechtsanwaltes viel besser deutsch sprechen, als manches deutsche Kind, weil in vielen Familien heute leider zu wenig vorgelesen wird."

Vor dem aktuellen Hintergrund des islamistischen Terroranschlages in der Kölner Partnerstadt Barcelona, nannte es Armin Laschet ein "ermutigendes Zeichen, dass Christen und Muslime dort gemeinsam um die Opfer getrauert und die Täter verurteilt haben."

Dieser Text wurde am 20. August 2017 über die Katholische Nachrichtenagentur KNA verbreitet


Freitag, 25. August 2017

Die Bürger-Energie-Genossenschaft Ruhr-West nimmt ihre erste Photovoltaikanlage an der Elbestraße in Betrieb

Die erste Photovoltaik-Anlage der Bürger-Energie-Genossenschaft
Ruhr-West (BEGRW) auf dem Firmendach von Dachdeckermeister
Kurt Essers an der Elbestraße im Speldorfer Hafen
(Foto: begrw)
Alle sprechen über Klimaschutz und Energiewende. Die 74 Mitglieder der 2016 gegründeten Bürger-Energie-Genossenschaften Ruhr-West machen sie. Im Juni erwarb die Genossenschaft eine erste Windkraftanlage. Jetzt konnte auf dem Firmendach des Dachdeckermeisters Kurt Essers an der Elbestraße im Speldorfer Hafen die erste Photovoltaikanlage in Betrieb genommen werden.

„Jetzt haben wir das erste Projekt am Start und hoffen auf die Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt der Genossenschaftsvorstand und Projektleiter Dr. Volker Thiele.

Zurzeit plant und finanziert die Bürgergenossenschaft, die sich über jeden neuen Genossen freut, bereits zwei weitere Anlagen.

Genossenschaftsvorstand Peter Loef geht davon aus, dass man ein Drittel des örtlichen Energiebedarfs mit Photovoltaikanlagen abdecken könnte, wenn man gezielt alle dafür geeigneten Dächer nutzen würde. Große Dächer von Firmengebäuden eignen sich für die Montage von Photovoltaikanlagen besonders gut. Aber auch private Hausdächer kommen in Frage.

„Ich möchte mit meinem Beispiel andere Bürger dazu animieren, es mir gleichzutun“, sagt Kurt Essers, der selbst Gründungsmitglied der Bürger-Energie-Genossenschaft Ruhr-West ist. Auch beruflich haben seine Mitarbeiter und er schon manche Photovoltaikanlage auf Hausdächern montiert.

Die 300 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage auf seinem Firmendach mietet er von der Bürger-Energie-Genossenschaft für jährlich 3400 Euro. Dafür hat die Genossenschaft die Anlage geplant, finanziert und montiert. Außerdem kann sich Essers auf einer jährliche Energie-Einspeise-Vergütung von 2100 Euro und eine Stromeinsparung von 1400 Euro freuen. Natürlich tut seine Photovoltaik-Anlage auch dem Klima gut, in dem sie jährlich 15 Tonnen CO-2 einspart.

Die Anlage liefert ihm jährlich 7500 Kilowatt/Stunden für den Eigenverbrauch und speist darüber hinaus 17.500 Kilowatt/Stunden ins Stromnetz ein.


Von den Mülheimer Bürgern wünschen sich die Genossenschaftsvorstände Loef, Thiele und Dr. Thomas Tschiesche, dass sie der 
Energiegenossenschaft mit einer Mindesteinlage von 250 Euro beitreten und, wenn möglich, ihr Dach für eine Photovoltaik-Anlage zur Verfügung stellen. „Damit unterstützen Bürger nicht nur die Energiewende. Sie profitieren auch wirtschaftlich von ihr“, betont Loef. Von der Politik wünschen sich die Vorstände der Bürger-Energie-Genossenschaft Ruhr-West, dass sie den Ausbau von Speichermedien für erneuerbare Energieträger fördert und die Produzenten der erneuerbaren Energie von der EEG-Abgabe zur Förderung der erneuerbaren Energieträger befreit. „Denn wer investiert, um zum Beispiele eine Photovoltaik-Anlage zu betreiben, der leistet schon einen finanziellen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende“, begründet Tschiesche die Forderung der Bürger-Energie-Genossenschaft Ruhr-West.

Weitere Informationen zum Thema bietet die Internetseite: www.begrw.de  

Dieser Text erschien am 23. August 2017 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Donnerstag, 24. August 2017

Die Physiotherapeutin Silke Timmermann: Seit 25 Jahren betreibt sie ihre Praxis an der Schloßstraße

Silke Timmermann im Beratungsgespräch. Foto: privat
Es gibt sie noch, die Erfolgsgeschichten an der Schloßstraße. Eine von ihnen hat die 49-jährige Physiotherapeutin Silke Timmermann geschrieben. Seit 25 Jahren betreibt sie im Haus an der Schloßstraße 8 bis 10 eine physiotherapeutische Praxis.

„Als ich vor 25 Jahren als selbstständige Krankengymnastin begann, habe ich hier zunächst ganz allein gearbeitet. Anmeldung, Buchhaltung, Therapie, Räume putzen und Wäsche waschen, alles habe ich im ersten halben Jahr ganz alleine gemacht“, erinnert sich Timmermann an ihre Anfänge. Nach sechs Monaten lief die Praxis so gut, dass sie ihre erste Mitarbeiterin anstellen konnte. Heute beschäftigt Timmermann in ihrem Therapie-Team acht Mitarbeiterinnen und zwei Mitarbeiter.

„Das wichtigste für uns ist die Mund-zu-Mund-Propaganda. Denn zufriedene Patienten bringen die nächsten Patienten in die Praxis“, sagt Timmermann. Auch wenn Freizeit und Urlaub mit der Familie für die selbstständige Physiotherapeutin Seltenheitswert haben, hat die Mutter von zwei Söhnen den Sprung in die unternehmerische Selbstständigkeit nie bereut. „Man muss diesen Beruf leben und lieben. Und ich wusste, schon als Jugendliche, dass ich diesen Beruf ausüben wollte, weil ich mich für Menschen und für Medizin interessiere“, betont Timmermann. Auch in ihrer knappen Freizeit lässt die Physiotherapeutin ihre Profession nicht los. Denn dann betreut sie am Wenderfeld die Spieler des Mülheimer American-Football-Clubs Shamrocks, zu denen auch ihre Söhne Ole (19) und Thore (13) gehören.

„Als Schülerin habe ich die Krankengymnastik, die man heute als Physiotherapie bezeichnet, durch Schülerpraktika in Krankenhäusern kennengelernt. Leider konnte ich damals kein Praktikum bei einem Krankengymnasten machen. Deshalb biete ich heute in meiner Praxis interessierten Schülern und Schulabgängern gerne auch ein Praktikum an.“
Timmermann, die ihren Beruf nach der Mittleren Reife und einer Ausbildung zur orthopädischen Arzthelferin in der Duisburger Schule für Krankengymnastik und anschließend als angestellte Krankengymnastin in einem einer integrativen Kindertagesstätte und in einer physiotherapeutischen Praxis gelernt hat, macht keinen Hehl daraus, „dass es heute extrem schwierig geworden ist, gut ausgebildete Physiotherapeuten zu finden.“
Um ihre acht Mitarbeiterinnen und ihre zwei Mitarbeiter an die Praxis zu binden, setzt sie auf einen angenehmen Arbeitsplatz. Ein freundlicher und wertschätzender Umgangston, ein offenes Ohr für Sorgen, helle und freundliche Therapieräume, eine 30-minütige statt eine 15-minütige Termintaktung und regelmäßige Fortbildungen zu Therapieformen und medizinischen Geräten kommen nicht nur den Kolleginnen und Kollegen im Team, sondern auch den Patienten zugute, die nicht nur eine Physiotherapie, eine Massage oder eine Lymphdrainage, sondern auch Zeit und Zuwendung bekommen. Obwohl sich das auf den ersten Blick betriebswirtschaftlich nicht rechnet, zahlt es sich offensichtlich am Ende für Timmermann und ihr Praxis-Team doch aus. Dankbare und treue Patienten, die als Krankenversicherte zehn Prozent der Therapie-Kosten selbst bezahlen müssen, sprechen für sich.
Was Timmermann, die auf Einladung der Stadtverwaltung, des Mülheimer Sportbundes und zahlreicher Unternehmen, im Rahmen der Gesundheitsvorsorge auch zu Vorträgen, eingeladen wird, immer wieder ärgert, ist die zunehmende Bürokratisierung ihres Berufsalltages.

„Die Patienten beschweren sich immer wieder bei uns, dass wir ihnen, neben ihrem Rezeptanteil auch die zehn Euro abnehmen müssen, die wir als Bearbeitungsgebühren an die Krankenkassen weiterleiten müssen. Davon haben wir nichts, außer Arbeit und Ärger“, berichtet Timmermann. Allein drei Mitarbeiterinnen ihrer Praxis müssen sich heute nur mit Verwaltungsaufgaben beschäftigen und zum Beispiel anhand eines Zwölf-Punkte-Katalogs genau überprüfen, ob das Rezept auch allen formalen Kriterien der Krankenkassen entspricht. Damit sie bei der Abrechnung rechtlich und organisatorisch im grünen Bereich bleibt, muss Timmermann mit einem auf medizinische Berufe spezialisierten Rechenzentrum zusammenarbeiten. All das bindet Geld und Arbeitszeit, die die Physiotherapeutin lieber ihren Patienten zu Gute kommen lassen würde. Erfreut nimmt sie dagegen den Trend zur Kenntnis, „dass immer mehr Menschen sich auch auf eigene Rechnung eine vorbeugende 
Krankengymnastik, eine Massage oder eine Lymphdrainage,gönnen, bevor die Knochen, Muskeln und Gelenke krankhaft degenerieren. Obwohl Timmermann und ihre Team auch Kinder behandeln, sind die meisten ihrer Patienten über 40. Sie kommen in der Regel nach einem Unfall oder einer Operation oder auch in Folge einer chronischen Erkrankung in die Praxis an der Schloßstraße 8 bis 10.


Weitere Informationen rund um die physiotherapeutische Praxis Timmermann, die im September ihr 25-jähriges Bestehen feiern kann, bietet die Internetseite: www.team-timmermann.de 

Dieser Text erschien am 23. August 2017 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Mittwoch, 23. August 2017

Glück ist Ansichtssache

Worüber kann man glücklich sein? So fragt sich mancher Zeitgenosse. Ich war glücklich, als ich jetzt beim Bürgerfest der Sparkasse mit Mühe und Muskelkraft einen Rollstuhlparcours bewältigen und danach wieder aufstehen und auf meinen beiden gesunden Beinen meiner Wege gehen konnte. Es macht auf jeden Fall glücklicher, wenn man erkennt, was man hat, statt sich stetig darüber zu ärgern, was einem fehlt.

Und wenn wir, die wir durchs Leben gehen und vielleicht auch rollen müssen einfach mal aufeinander zugehen statt achtlos aneinander vorbei, könnten wir vielleicht erleben, dass es unserem Mitmenschen auch nicht viel besser geht, als uns. Und wenn wir dann noch im miteinander reden und im Mitdenken und im gemeinsamen Tun sähen, dass uns der Neid und die Angst, zu kurz zu kommen, ausbremst, dann kämen wir gemeinsam weiter und wirklich voran.

Dieser Text erschien am 23. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 22. August 2017

Der Tagespflge-Bedarf wächst: Deshalb geht die Familie Behmenburg mit einem neuen An gebot an den Start

Obwohl es, laut Stadtverwaltung, in Mülheim derzeit bereits sieben Tagespflegeanbieter mit jeweils 12 bis 18 Plätzen gibt, hat sich die Familie Behmenburg, die seit 1992 den ambulanten Pflegedienst Pflege zu Hause betreibt, dazu entschlossen, in ihrer Firmenzentrale am Flughafen eine achte Tagespflegestation mit 18 Plätzen einzurichten.

„Der Bedarf ist groß und er wächst mit dem demografischen Wandel. Wir bräuchten in Mülheim so viele Tagepflegestationen, wie Kindertagesstätten“, betont Martin Behmenburg. Zum Vergleich: Derzeit gibt es in Mülheim 87 Kindertagesstätten. 
Behmenburgs Tochter Felicitas übernimmt die Pflegedienstleistung der neuen Tagespflege am Flughafen. Neun Fachkräfte werden sich um die  bis zu 18 Tagesgäste kümmern. „Wir haben schon einige Kunden für unseren Tagespflegedienst gewonnen, der am 4. September an den Start geht und montags bis freitags zwischen 7.30 Uhr und 17 Uhr für seine Kunden dasein wird“, nennt Behmenburg die Eckdaten. „Unser Konzept heißt nicht satt und sauber. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, erklärt Feliciats Behmenburgs Mutter Andrea.

Das bedeutet: In der Tagespflegestation an der Brunshofstraße 6/8 wird es neben der Verpflegung und Ruheräumen auch Therapieräume sowie ein Außengelände mit Terrasse und einem Rundgang mit einem Hochbeet im Grünen geben. Die aktivierenden Mitmach-Angebote reichen von Gymnastik über Gedächtnistraining bis hin zum gemeinsamen Bastel und Spielen. 

Das Spektrum wird, je nach Bedarf, erweitert. „Wir haben schon einige Kunden gewonnen, aber es sind auch noch einige Plätze frei“, betont Pflegedienstleiterin Felicitas Behmenburg.
Die Kosten der Tagespflege werden durch die Pflegeversicherung finanziert. Allerdings müssen Gäste, die auch einen Fahrdienst nutzen können, einen Eigenanteil von 20 Euro pro Tag zahlen.
Auskünfte gibt es unter s 49 30 66 oder online unter: www.pzh.de oder per Mail an: info@pzh.de

Dieser Text erschien im August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 21. August 2017

Rudern und genießen: Ein Zeitsprung zwischen dem Leinpfad und der Mendener Straße

Das alte Boots- und Gasthaus Ruhrtal um 1900
Eine Postkartenansicht aus dem Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr 
Als diese Postkartenzeichnung aus dem Stadtarchiv entstand, wurde auf der Ruhr bereits gerudert. Und die Gäste der Gaststätte Ruhrtal genossen vom Bootshaus zwischen der Mendener Straße und dem Leinpfad die Aussicht auf die Ruhr.

Anno 1906 taten sich zwölf ruder-begeisterte Mülheimer zum Wassersportverein zusammen, der sportlich erfolgreich, bis heute an der Mendener Straße 68 zu Hause ist. 1921 kaufte der Verein das Gasthaus und machte es zu seinem Vereinshaus. War das Rudern beim WSV zunächst reine Männersache, so wurden ab 1913 auch Ruderinnen zugelassen, die ab 1930 die erste Damenriege des Vereins bildeten. Auf der Poskartenansicht aus dem frühen 20. Jahrhundert sieht man noch keine Mendener Brücke. Sie wurde erst 1938 als Hermann-Göring-Brücke eingeweiht und zerschnitt damit das Vereinsgrundstück des Mülheimer Wassersportvereins. 

Die Bomben des Zweiten Weltkrieges zerstörten 1943 auch das Vereinshaus an der Ruhr. Die Ruderer des WSVs mussten bei Null anfangen. Obwohl es bereits in den 50er Jahren Pläne für den Neubau eines Vereinshauses gab, wurde diese Vision erst 1965 Wirklichkeit. Obwohl die Vereinsmitglieder reichlich spendeten und selbst Hand anlegten, brauchte es seine Zeit, bevor die Bausumme zusammengebracht werden konnte. Auch nach der Eröffnung des neuen Bootshauses teilte sich der WSV sein Haus aus finanziellen Gründen immer wieder mit Mietern. Mal war es ein Ingenieurbüro und dann wieder eine Tanzschule.  Heute kann man dort im griechischen Restaurant Ruhrterrasse, der Name ist Programm, mit bester Aussicht auf die Ruhr, speisten. Zurück zu den Wurzeln. Das Gasthaus Ruhrtal lässt grüßen. 


Dieser Text erschien am 21. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 20. August 2017

Der Postmann vom Land: 2011 kam Georg Jurga als Zusteller zur Deutschen Post-Tochter DHL: Heute gehört er zu den neun Verbund-Zustellern der DHL, die für den Mülheimer Süden zuständig sind: Er bringt und holt Briefe und Pakete

DHL-Zusteller Georg Jurga bei seiner Tagestour durch Selbeck
150 Männer und Frauen sorgen als Post- und Paket-Zusteller dafür, dass täglich 100.000 Briefe und bis zu 10.000 Pakte in Mülheim ankommen. Einer von ihnen ist der 49-jährige Georg Jurga. 2011 kam der gelernte Einzelhandelskaufmann, der zwischenzeitlich für einen Süßwarenspediteur gearbeitet hatte, als Zusteller zur Deutschen Post und ihrer Tochter DHL.

Den Arbeitsplatzwechsel hat der dreifache Familienvater nicht bereut. „Die Arbeitsbedingungen sind fair. Man kann sehr selbstständig arbeiten und ist fast immer an der frischen Luft. Und wir sind ein gutes Team, in dem jeder dem anderen hilft, wenn es nötig wird“, beschreibt Jurga seinen Arbeitsplatz beim Post-Zusteller DHL.

Wenn er von „seinem“ oder von „unserem“ Team spricht, dann meint Georg Jurga die neun Verbund-Zusteller, die, wie er, im Mülheimer Süden unterwegs sind. Dort, wo es in Mülheim ländlich wird, wie auf Jurgas Tour durch Selbeck, müssen die Postler vielseitig sein. Sie stellen Briefe und Pakete zu. Oft nehmen sie auch Pakte mit. Denn die nächste Poststelle ist für die Menschen im grünen Südzipfel der Stadt weit weg.

In der Hauptpoststelle hinter der Deutschen Postbank am Hauptbahnhof bepacken Jurga und seine Kollegen morgens ab sieben Uhr ihre Sonnenblumen-gelben Posttransporter. „60 bis 70 Pakete und 350 Briefe“, schätzt Jurga seine Tagesladung. Bevor er seinen Lieferwagen über Selbecks zum Teil äußerst engen Feld- und Waldwege steuert, wo man unter anderem Pferden, Gänsen, Reitern, Landwirten, Radfahrern und Spaziergängern begegnet, muss er erst die lange Kölner Straße abarbeiten.

Diese Straße hat es in sich. Auf den Vorbeifahrenden wirkt sie, wie eine lange Strecke mit einigen Wohnhäusern, Geschäften und Gaststätten. Doch Jurga kennt das Terrain besser. Er weiß: Hier muss er viel Fersengeld bezahlen. Denn hinter der langen Straßenfront verbergen sich zuweilen labyrinth-ähnliche kleine Wege, die zu vielen versetzt stehenden Häusern führen. Es sind Häuser, die man auf den ersten Blick von der Straße aus nicht sieht.

Man glaubt es nicht, wenn man Jurga nicht begleitet hat. Aber man kann problemlos sechs- bis sieben Stunden zwischen Kölner Straße, Erzweg, Stooter Straße, Stockweg und Brucher Hof unterwegs sein, ohne dass es langweilig würde. Fahren, zu Fuß gehen, aussteigen, wieder einsteigen, Pakete ein- und auspacken, Treppe auf, Treppe ab, schnell die Straßenseite wechseln und aufpassen, dass man nicht überfahren wird. Das ländliche Revier ist für Georg Jurga, wie gemacht. Denn der Postzusteller, der nicht von ungefähr Sportschuhe und eine trikot-ähnliche gelb-schwarze Dienstkleidung trägt, ist ein drahtiger und sportlicher Mann.

Spätestens, als Jurga, mit der Mitarbeiterin eines Online-Handels 21 Pakete voller edler Spirituosen in seinen Lieferwagen wuchtet und später noch bei einem Handel für Campingbedarf weitere Pakete für die Hauptpoststelle mit nimmt, glaubt man Jurga, wenn er sagt: „Ich brauche kein Fitnessstudio und kein Solarium.“

An diesem Tag zeigt sich Selbeck seinem Postzusteller mal von der regnerischen und mal von seiner sonnigen Seite. Jurga ist auf alles vorbereitet. Eine Regenjacke ist griffbereit. Neben sich hat er die Kiste mit den Briefen postiert, die als nächstes dran sind. Mal muss er nur den Brief durch den Briefkasten-Schlitz stecken. Mal trägt er ein Paket in die Wohnung der älteren Empfängerin. „Hundefutter ist die Hölle“, scherzt Jurga. Viele Kunden seines ländlichen Reviers, in dem man auch schon mal über Stock und Stein muss oder für den Gegenverkehr Platz machen muss, gibt es auch viele Hundehalter, die sich das Hundefutter für ihre Vierbeiner online bestellen und per Post ins Haus liefern lassen. Dann müssen Jurga und seine Kollegen besonders kräftig zupacken.

Apropos Hunde! Obwohl es in Selbeck viele Haus- und Hofeinfahrten mit Hinweisen, wie: „Vorsicht! Pflichtbewusster Hund!“ gibt, ist der Postzusteller, bisher noch nie gebissen worden. Der kluge Mann baut vor und hat Hundekuchen an Bord. Das hilft und macht den Wachhund zu seinem besten Freund, wie man es auch auf dieser Tagestour Jurgas sehen kann.

Obwohl der Zeitplan des Postzustellers eng getaktet ist und das mitgebrachte Butterbrot erst am Ende der Schicht verzehrt wird, nimmt sich der freundliche Wahl-Mülheimer aus Oberschlesien gerade bei älteren Post-Kunden die Zeit für freundlichen Small-Talk über dies und das. Das wissen die Leute, die Jurga ansprechen und bei ihm ein offenes Ohr finden, zu schätzen. Und so kommen sie ihm auch schon mal entgegen, öffnen Tore und räumen Hindernisse aus dem Weg. Doch Pferde und Reiter haben in Selbeck immer Vorfahrt. Dann heißt es für Jurga in seinem gelben Postauto: „Schritttempo!“

Apropos Schritt. Der Mann hat einen flotten Schritt, wenn er seinen Posttransporter verlässt, um über unbefahrbare enge Wege entlegene Häuser und Höfe zu erreichen. Er könnte als Geher bei den Olympischen Spielen antreten. Doch das will er nicht. Lieber ist er in seiner Freizeit mit dem Rad oder zu Fuß, als Spaziergänger unterwegs, am liebsten in Begleitung seiner Frau Monika, seiner drei erwachsenen Kinder Cassandra, Marco-Lukas und Patrick und seiner von ihm im Kinderwagen geschobenen Enkelin Chloeé. Für sie ging vor 18 Monaten die Post des Lebens ab.

Dieser Text erschien am 19. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 19. August 2017

Zeitzeugen erinnerten sich: Horst Heckmann und Horst Rübenkamp erzählten in der Buchhandlung Fehst aus ihrer Kindheit und Jugend im Dritten Reich: 30 Zuhörer kamen zur Zeitzeugenbörse in der Buchhandlung Fehst

Nichts ist lebendiger, als Zeitgeschichte, die von Zeitzeugen erzählt wird. Das konnten jetzt 30 Zuhörer bei einer Zeitzeugen-Lesung mit Horst Heckmann (Jahrgang 1928) und Horst Rübenkamp (Jahrgang 1932) erleben.

Im angenehmen Ambiente der Buchhandlung am Löhberg berichteten Rübenkamp und Heckmann kurzweilig und zugleich berührend über ihre Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus.
Gemeinsam erinnerten sie sich an eine Zeit, die sich als „abenteuerlich“ und auch „fröhlich und vergnüglich“, dann aber wieder als „furchtbar“ erlebt haben.

Die schönen Seiten. Das waren die Fußballspiele auf der Straße, die nur selten von Lieferwagen und Pferdefuhrwerken unterbrochen wurden. Das waren die Ernteeinsätze auf dem Land und die ersten Kino-Erlebnisse mit „Die Frau meiner Träume“ oder „Quax, der Bruchpilot“ im Ufa-Palast oder im Löwenhof oder auch die Geländespiele beim Jungvolk und später bei der Hitler-Jugend. Die schlechten Seiten: Das waren die Luftangriffe, die sie in Kellern und Bunkern überlebten, manchmal nur um Haaresbreite. Das waren der Hunger und das oft vergebliche Schlangestehen vor Geschäften oder die manchmal ergebnislosen Hamsterfahrten aufs Land. Das war das Chaos nach den Luftangriffen. Die brennenden Häuser und die Toten, die sie als Jugendlichen sehen und zum Teil auch selbst aus verschütteten Kellern herausziehen mussten, haben sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Horst Rübenkamp erinnert sich an einem Bomben-Nacht im Keller, in der jemand ein Gramophon dabei hatte und plötzlich getanzt wurde, während draußen die Bomben fielen. Horst Heckmann erinnert sich an einen Heimatnachmittag, den er als Zugführer bei der HJ zum Thema „Friedrich der Große und Adolf Hitler“ organisieren musste.

Für ihn war die Jugend unter dem Hakenkreuz „ein ständiger Spagat.“

Denn der Vater, ein linker Gewerkschafter und die Mutter, Mitglied der regimekritischen Bekennenden Kirche, waren Gegner des NS-Regimes. „Wir haben als Kinder und Jugendliche nicht über Politik nachgedacht“, sagt Heckmann, der seine Freizeit mal mit der evangelischen Jungschar und dann wieder im Jungvolk und in der Hitler-Jugend verbrachte.

„Beim großen Luftangriff vom 22. und 23. Juni, fielen innerhalb einer Stunde mehr als 3000 Bomben auf die Stadt und töteten 500 Menschen“, erinnerte sich ein anderer Zeitzeuge, Ernst von Megern (jahrgang 1933), aus dem Publikum.

„Wir konnten uns endlich satt essen und brauchten nicht ständig Angst vor Bomben zu haben“, erzählte Rübenkamp aus seiner Zeit der Kinderlandverschickung, die für ihn im Sommer 1943 begann und ihn nach Böhmen und Mären führte. Heckmann wurde nach Thüringen evakuiert. Rübenkamp musste zu Beginn des letzten Kriegsjahres 1945 vor der heranrückenden Roten Armee nach Westen fliehen. Zu Fuß und später in Güterwagen der Reichbahn trat er den Heimweg an. Entlaust und zum Teil mit umgenähten Wehrmachtsuniformen bekleidet, begann für ihn im Sommer 1945 ein neues Leben im zunächst harten Frieden, in dem es, etwa mit Hilfe der Quäcker-Speise, zu überleben galt. Horst Heckmann verbrachte noch einige Jahre in Thüringen, ehe er heimkehren konnte.

Dieser Text erschien am 19. August in NRZ/WAZ

Freitag, 18. August 2017

Die Gnade der frühen Geburt

Wer sich die Zeit nimmt, um in alten Zeitungen, etwa anno 1900, nachzulesen, wie die damaligen Zeitgenossen, ihre noch wesentlich knapper bemessene Freizeit verbrachten, lernt viel über unsere Zeit. Man stößt auf eine Unmenge von Gaststätten, geselligen Veranstaltungen und Vereinen. Das reicht vom Raucherclub über den Gesangverein bis hin zur Literaturgesellschaft. Man fragt sich: Woher nahmen die Menschen bloß die Zeit für all diese Aktivitäten. Und dann kommt man darauf, dass sich unsere Vorfahren die Zeit nahmen, die wir heute oft mit Fernsehen, Internet, Hörfunk, Smartphones, Computerspielen, Staufahrten in den Urlaub und anderen Zerstreuungsmöglichkeiten vergeuden. Natürlich lebten auch die Zeitgenossen um 1900 nicht im Paradies. Aber sie wurden dank ihrer frühen Geburt von weitaus weniger Zeitfressern daran gehindert, sich Zeit für die wichtigen Dinge zu nehmen. Früher war nicht alles, aber manches besser. Aber zum Glück kann man als Zeitgenosse ja aus der Geschichte lernen. Und einfach mal ab- und sich ins richtige Leben einschalten.
Wer sich die Zeit nimmt, um in alten Zeitungen, etwa anno 1900, nachzulesen, wie die damaligen Zeitgenossen, ihre noch wesentlich knapper bemessene Freizeit verbrachten, lernt viel über unsere Zeit. Man stößt auf eine Unmenge von Gaststätten, geselligen Veranstaltungen und Vereinen. Das reicht vom Raucherclub über den Gesangverein bis hin zur Literaturgesellschaft. Man fragt sich: Woher nahmen die Menschen bloß die Zeit für all diese Aktivitäten. Und dann kommt man darauf, dass sich unsere Vorfahren die Zeit nahmen, die wir heute oft mit Fernsehen, Internet, Hörfunk, Smartphones, Computerspielen, Staufahrten in den Urlaub und anderen Zerstreuungsmöglichkeiten vergeuden. Natürlich lebten auch die Zeitgenossen um 1900 nicht im Paradies. Aber sie wurden dank ihrer frühen Geburt von weitaus weniger Zeitfressern daran gehindert, sich Zeit für die wichtigen Dinge zu nehmen. Früher war nicht alles, aber manches besser. Aber zum Glück kann man als Zeitgenosse ja aus der Geschichte lernen. Und einfach mal ab- und sich ins richtige Leben einschalten.

Dieser Text erschien am 14. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 17. August 2017

170 Jahre Pfarrbücherei St. Mariae Geburt: Ihr ehrenamtliche Leiterin Maria Baumgarten erzählt

Maria Baumgarten leitet die Pfarrbücherei von St. Mariae Geburt
seit 30 Jahren, ehrenamtlich.
170 Jahre. So lange gibt es in der Stadt-Pfarrei St. Mariae Geburt eine Pfarrbücherei. Damit dürfte sie zu den landesweit ältesten ihrer Art gehören. Seit 30 Jahren wird die kleine und gemütliche Bibliothek an der Pastor-Jakobs-Straße von Maria Baumgarten geleitet.
Wie ihre acht Kolleginnen, arbeitet Baumgarten, ehrenamtlich.
Ich investiere 10 bis 15 Stunden pro Woche. Aber das mache ich gerne. Denn meine Kolleginnen und ich lernen interessante Menschen kennen, die nicht nur Bücher, sondern oft auch ein offenes Ohr und ein gutes Gespräch suchen“, erzählt Baumgarten.
Die 80-Jährige, die früher auch als ehrenamtliche Katechetin und Pfarrgemeinderätin aktiv war, kennt noch die Zeiten, in denen die Regale der Pfarrbücherei nur mit frommen Büchern gefüllt waren. Doch das ist Vergangenheit. „Wir sind eine Katholische öffentliche Bücherei und haben inzwischen auch viele muslimische Nutzer. Wir fragen niemanden nach seiner Konfession“, betont Baumgarten.
Und so finden sich neben religiösen Büchern auch Romane, Biografien, Zeitschriften, Gesellschaftsspiele, Hörbücher, Sachbücher und Lesestoff für alle Geschmäcker in den Regalen der Bücherei. Das zwischen Buchdeckeln gedruckte Wort steht hier noch hoch im Kurs. Einen Internet-Arbeitsplatz sucht man vergebens. Wer unter den 10.000 Medien einen ganz bestimmten Titel sucht, muss mit dem guten alten Karteikastenschrank Vorlieb nehmen.
Das wir hier noch ohne Computer und mit echtem Papier und echten Büchern arbeiten, kommt aber auch bei unseren jüngeren Nutzern gut an. Bei der Ausleihe sind Kriminalromane und Biografien besonders gefragt“, berichtet Baumgarten. Das Bistum und die Pfarrgemeinde stellen jährlich 1600 Euro für den Ankauf neuer Titel zur Verfügung. Hinzu kommen Spenden und Kollekten zwischen 200 und 400 Euro. Welche neuen Bücher sie sich in ihrer Pfarrbücherei wünschen, dürfen ihre Nutzer in deren Wunschbucheintragen Außerdem lässt sich Baumgarten bei den Neuanschaffungen vom örtlichen Buchhändler Michael Fehst beraten.

Auch wenn das katholische Milieu, das 1847 die Gründung der Pfarrbücherei nötig und möglich machte, so heute nicht mehr existiert, hat Baumgarten keine Existenzängste. „Wir werden auch künftig als wohnortnaher und niederschwelliger sozialer und kultureller Treffpunkt gebraucht“, ist Baumgarten überzeugt. Wenn sie die Bücherei dienstags um 9.30 Uhr und um 15 Uhr und freitags um 15 Uhr öffnet, dann wird dort nicht nur gelesen und geplaudert, sondern auch die eine oder andere Tasse Kaffee getrunken. Ein Frauenkreis aus der Gemeinde trifft sich hier ebenso regelmäßig, wie die Kinder aus der benachbarten Gemeinde-Kita Lummerland. Die Kita-Kinder lassen sich von Maria Baumgarten und ihren Kolleginnen nur zu gerne vorlesen. Und manchmal wird auch gemeinsam gebastelt. „Die meisten unserer Stammbesucher, die täglich zwischen 40 bis 120 Medien ausleihen, gehören aber zur Generation 50 Plus“, betont die ehrenamtliche Leiterin der alten, aber immer noch gefragten Pfarrbücherei. 

Dieser Text erschien im August 2017 im Neuen Ruhrwort und in NRZ/WAZ

Mittwoch, 16. August 2017

Die Wiederauferstehung einer Kaufhaus-Legende: Ein Zeitsprung an der unteren Schloßstraße

Als das Foto aus dem Stadtarchiv entsteht schreibt man das Jahr 1935. Das Woolworth-Kaufhaus, das heute mit Gastronomie, Einzelhandel und Wohnraum wiederbelebt werden soll, steht damals erst  seit acht Jahren.

Wie man sieht, ist die Schloßstraße damals noch eine Durchbruchstraße. Das Haus, das man im Hintergrund, quer zum Straßenverlauf,  sieht, wird schon ein Jahr später verschwinden. Die Schloßstraße wird das Bild annehmen, das wir heute von ihr kennen. „1938 fuhr die erste Straßenbahn über die Schloßstraße“, weiß der 1936 geborene Walter Neuhoff von seinem Vater Wilhelm.

Auch als die Schloßstraße 1974  zur Fußgängerzone wird, bildet das vom Bauhausstil der 20er Jahre  inspirierte Kaufhaus das Eingangstor zur Geschäftsstraße. Doch 90 Jahre, nachdem Woolworth erstmals seine Türen an der Schloßstraße öffnete, ist für die zuletzt 19 Mitarbeiter des Kaufhauses für immer Feierabend.

Das Geschäftsmodell alles kaufen unter einem Dach steckt in der Krise. Drei Jahre nach Woolworth schließt auch der gleich gegenüber  gelegene Kaufhof. Während der 1953 eröffnete Kaufhof sieben Jahre leer steht, ehe er abgerissen wird, um 2019 dem neuen Stadtquartier Schloßstraße Platz zu machen, versuchen sich im ehemaligen Woolworth-Gebäude zeitweise neue Geschäfte, ehe der kommerzielle Lehrstand, kulturell mit dem Art-Square oder dem Theater der Ruhrorter gefüllt wird. Jetzt machen sich neue Investoren auf den Weg, um im alten Woolworth-Kaufhaus und auf dem ehemaligen  Kaufhof-Grundstück neue Anziehungspunkte an der unteren Schloßstraße zu schaffen. Die Geschichte geht auch in der Innenstadt weiter.

Dieser text erschien am 14. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 15. August 2017

Worüber man so redet

Sage mir, worüber du redest und ich sage dir, wer du bist. Wenn man über die Schloßstraße schlendert und hier oder dort ein Rentner-Clübchen sitzen und stehen sieht, hört man entweder etwas über den letzten Urlaub oder über den nächsten Arztbesuch.

Wenn man eine Gruppe oder ein Pärchen nadelgestreifter Anzugträger beim Mittags-Meeting im Bistro sitzen sieht, sprechen sie garantiert über ihren Chef, ihr aktuelles Projekt oder über den nächsten Karrieresprung. Wohl beleibte Menschen haben natürlich nur ein Leib- und Magen-Thema: Gutes Essen und Trinken. Entweder tauschen sie sich über Rezepte oder Restaurants aus. Da bleib ich auch schon mal gerne stehen und höre mit. Wirklich begeistert hat mich aber eine hoch betagte Dame, der ich jetzt zum Geburtstag gratulieren durfte. Meine Eingangsfrage, was aus ihrer lebenerfahrenen Perspektive das Schönste im Leben sei, beantwortete sie mir prompt mit: „Sex, natürlich!“

Wenn sie es mit ihrer langen Lebenserfahrung sagt, muss es stimmen. Wenn das keine ermutigende Einsicht für alle unfreiwilligen Singles und Mauerblümchen ist. Es ist nie zu spät für den Spaß an der Freude, egal, ob wir den Generationen Ü30, Ü40, Ü50, Ü60, Ü70 oder UHu („unter 100“) angehören. Also, haben wir Mut, mal wieder zu kuscheln, statt uns ständig über die Idiotien und die Idioten des Lebens zu ärgern. 

Dieser Text erschien am 15. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 14. August 2017

Loch an Loch und hält doch

Kennen Sie noch Alfred Zerban? Der Mann machte einst für den WDR-Hörfunk Testfahrten mit Autos der verschiedenen Hersteller. Der Härtetest für die Fahrzeuge und den Fahrer war die sogenannte „Folterstrecke“, bei der es auf vier Rädern über mehr als nur über Stock und Stein ging,

Gestern fühlte ich mich wie Zerban auf der Folterstrecke. Dabei habe ich noch nicht mal einen Führerschein und bin deshalb oft zu Fuß unterwegs. Als Innenstadt-Bewohner dachte ich bisher,
das Fußgänger-Pflaster auf der Leineweber-Straße sei die größtmögliche aller Zumutungen und Stolperfallen. Seit gestern ist für mich in diesem Punkt aber der untere Steinknappen rekordverdächtig. Neben der wunderbar glatten Fahrbahn fühlt man sich als Fußgänger auf dem so genannten Gehweg wie ein Hindernisläufer oder ein Trabi in der DDR.

Die DDR und ihr real existierender Sozialismus sind nicht nur, aber auch an ihren Straßenzuständen gescheitert. Das sollte unserer Stadt zu denken geben. „Loch an Loch und hält doch“ An diesem Prinzip Hoffnung sollte man sich nicht zu lange festhalten, wenn man als Stadt mit erstklassigen Gewerbesteuersätzen, aber mit stellenweise drittklassigen Straßenverhältnissen keinen Schiffbruch oder besser gesagt Hals- und Beinbruch erleiden will.

Dieser Text erschien am 11. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 13. August 2017

St. Mariae Rosenkranz: Die Kirche der kleinen Leute ist ein großes Kunstwerk

Nicht nur der Bild-Altar von St. Mariae Rosenkranz ist sehenswert.
Kirchen kann man nicht nur während des Gottesdienstes besuchen. Jetzt führte Gemeindemitglied Beate Düster Kultur- und Kunstinteressierte durch St. Mariae Rosenkranz, um ihnen zu zeigen welche geistlichen Kulturschätze St. Mariae Rosenkranz zu bieten hat. Die nächsten kostenlose Kirchenführung am Marienplatz in Styrum bietet Gemeindemitglied Hans Hanisch am 27. August um 12.30 Uhr an.
"Mir liegt diese Kirche ganz besonders am Herzen, weil sich hier ganz einfache Menschen krumm gelegt haben, um sich einen würdigen Ort der Seelsorge zu schaffen", erklärt Beate Düster. Deshalb führt sie interessierte Menschen nicht nur sonntags in den Sommerferien durch die sehenswerte Kirche ihrer 3000-Seelen-Gemeinde im Mülheimer Norden.

Sie hat den wenigen, aber umso interessierter zuhörenden Teilnehmern der Kirchenführung viel zu zeigen und zu erzählen. "Wir hätten niemals gedacht, dass eine Arbeiter-Kirche so viele Schätze in sich birgt", sind sich Oliver Birnkammer und Urszula Chanko nach dem einstündigen Kirchen-Rundgang einig.

Schon vor dem Kirchenportal lohnt sich der Blick nach oben. Gleich über der Pforte zeigt ein Relief im Mauerwerk der neugotischen Kirche den heiligen Dominikus, der von der Mutter Gottes einen Rosenkranz überreicht bekommt. Auf der anderen Seite sieht man die mittelalterliche Kirchenreformerin Katharina von Siena. Darüber sieht man ein Rosettenfenster und eine 1982 überarbeitete Marienfigur. Geht man durch das Portal in die Kirche hinein, stößt man auf kunstvoll gestaltete Boden-Kacheln. Die Architektin Beate Düster, die hauptberuflich als Denkmalschützerin in Gelsenkirchen arbeitet, lenkt den Blick der Besucher auf ein Bodenrelief. Das zeigt Sankt Georg, der mit einem Drachen das Sinnbild des Bösen besiegt. "Das Böse soll draußen bleiben, wenn die Gottesdienstbesucher sich in der Kirche auf das Gute besinnen", erklärt Düster die Symbolsprache. Das damals beim Bau der neuen Kirche nicht gespart wurde, zeigt die Tatsache, dass das Styrumer Gotteshaus mit den Villeroy & Boch-Kacheln gefliest wurde. Sie hatte man auch im 1880 eingeweihten Kölner Dom verwendet.

Thyssen und seine Arbeiter zogen an einem Strang

Auch wenn die 1894 eingeweihte Kirche nach den Plänen des Architekten und Wiener Dombaumeisters Franz Schmidt im neugotischen Stil gebaut worden ist, vermittelt die allgegenwärtige biblische Bildersprache einen geradezu barocken Eindruck. Das gilt für den 1904 von Peter Schneider geschaffenen Bilderltar ebenso, wie für den 1902 von Josef Kannengießer gemalten Kreuzweg oder die 1904 gebaute Kanzel.

Komplettiert wird der religiöse Bilder-Reigen durch die in den frühen 1950er Jahren neu geschaffenen Chorfenster. Der Bilderaltar, die Holzkanzel und die Chorfenster zeigen uns unter anderem  das Abendmahl und die Evangelisten, die Jünger von Emaus, Marias Empfängnis und Marias Himmelfahrt, die Apostel und Kirchenlehrer Johannes, Magdalena, den ungläubigen Thomas und Thomas von Aquin oder die pfingstliche Erleuchtung und Entsendung der Jünger Jesu. Aber auch die Stahlarbeiter, die in August Thyssens 1870 gegründeten Styrumer Stahlwerk arbeiteten, sind in einem der Chorfenster verewigt.

"Auch wenn der katholische Unternehmer August Thyssen 100.000 Goldmark für den Kirchenbau gestiftet hat, darf man nicht vergessen, dass es damit bei weitem nicht getan war. Auch die einfachen Leute, Arbeiter und Bauern, haben als Gemeindemitglieder ihren Beitrag dazu geleistet. Nur so konnte die  Kirche zu dem geistlichen Kunstwerk werdent, das sie heute ist", betont Beate Düster.

Als ein Beispiel nennt sie die wertvolle und an Relief-Bildern reiche Holzkanzel. Sie, die heute nur noch symbolischen Wert hat und nur in selten Ausnahmen als Predigt-Plattform genutzt wird. Sie wurde dem ersten Pfarrer von St. Mariae Rosenkranz, Reinhold Bergmann, von seiner Schwester Elisabeth im Jahr 1904 zum silbernen Priester-Jubiläum geschenkt.

Der Papst spendierte einen Altar

Besonders sehenswert sind auch die beiden Seitenaltäre mit mächtigen und zugleich filigran geschnitzten Figuren der Mutter Gottes mit dem Jesus-Kind und ihrem Gemahl Josef. "Früher wurden in dieser Kirche an ihrem Hauptaltar und ihren beiden Nebenaltären bis zu drei Gottesdienste gleichzeitig gefeiert", weiß Beate Düster aus der Pfarrchronik zu berichten. Priester-Mangel und nachlassender Gottesdienstbesuch waren in der Gründungsphase der Styrumer Gemeinde kein Thema. "Es waren vor allem die katholischen Zuwanderer aus Polen, Schlesien, Westfalen und aus dem Sauerland, die bei Thyssen Arbeit fanden, die die ersten Gemeindemitglieder stellten", berichtet Düster.

Besonders stolz ist die Gemeinde, die heute von Constant Leke, einem Pastor aus Kamerun, betreut wird, auf den Josefs-Altar. Den Josef ist der Schutzpatron der Arbeiter und sein Altar wurde der Gemeinde in ihrer Gründungsphase vom damaligen Papst Leo XIII. geschenkt. Dieser Papst, der von 1878 bis 1903 der Nachfolger Petri war, gilt mit seiner 1891 veröffentlichten Sozial-Enzyklika Rerum Novarum als Begründer der katholischen Soziallehre.

Wie ein Wunder

Wie ein Wunder wirkt es in der Rückschau, dass die Arbeiter-Kirche im Industrieort Styrum während des Zweiten Weltkrieges fast unzerstört blieb. Nur ihre Fenster mussten nach dem Krieg erneuert werden. "Da hat jemand seine schützenden Hände über diese Kirche gehalten", glaubt Beate Düster. Auch außerhalb der Sommer-Führungen macht die Denkmalschützerin interessierte Gruppen gerne mit der besonders sehenswerten und inspirierenden Kirche am Styrumer Marienplatz vertraut. Weitere Auskünfte bekommt man im Gemeindebüro am Marienplatz unter der Rufnummer gibt sie unter der Rufnummer 0208-400060

Dieser Text erschien im August 2017 in der Mülheimer Woche und im Neuen Ruhrwort

Samstag, 12. August 2017

Hungern und sterben für Kaiser und Reich: Vor 100 Jahren gibt es Lebensmittel auch in Mülheim nur auf Karte. Die Mülheimer gehen zum Hamstern aufs Land oder essen Maisbrote, Brennsuppe und Steckrüben: Der Erste Weltkrieg fordert viele Opfer

Schlange stehen, nicht nur an der Leinewebrstraße
Foto: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
Wer heute am Sinn der Europäischen Union zweifelt, sollte 100 Jahre zurückschauen. Im Sommer 1917 wird auch in Mülheim gehungert. Denn das auf Lebensmittel- und Rohstoff-Importe angewiesene Deutschland steht im Krieg. Um das Kaiserreich in die Knie zu zwingen, hat der Kriegsgegner Großbritannien eine Seeblockade verhängt.

Lebensmittel und Rohstoffe werden knapp. Seit 1915 sind Lebensmittel rationiert. Bezugskarten werden zur neuen Währung beim Einkauf. Nicht nur vor dem Lebensmittelgeschäft Zorn an der Leineweberstraße kommt es immer wieder zu Menschenaufläufen. Ein halbes Pfund Butter kostet damals 15 Mark. Die von Oberbürgermeister Paul Lembke geführte Stadt richtet in ihrem Schlachthof eine Konservenfabrik und eine Gemüsedörranstalt ein, um Lebensmittelvorräte für den Winter anzulegen.

Es fehlt am nötigsten, auch am Mehl. So ist der Brotbezug auf 14-täglich zwei Brote und 20 Brötchen pro Person begrenzt. War die Kriegsbegeisterung im August 1914 noch groß und die Mülheimer Zeitung titelte zum Kriegsbeginn am 2. August 1914: „Mit Gott für Kaiser und Reich. Der Herr segne die deutschen Waffen“! Doch 1917 schlägt die Stimmung im dritten Kriegsjahr um. Es kommt zu Hunger-Streiks und Protesten.

Obwohl der damalige Papst Benedikt XV. zum Frieden aufruft und auch im Deutschen Reichstag eine Mehrheit der Abgeordneten für einen raschen Verständigungsfrieden eintritt, kommt es nicht dazu.
Denn damals haben nicht die Politiker, sondern Kaiser Wilhelm II. und seine obersten Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff das Sagen. Sie halten an  ihrer unrealistischen Vision eines deutschen Siegfriedens mit umfangreichen Gebietsgewinnen fest.

Obwohl auch die Mülheimer Bevölkerung unter den Kriegsfolgen leidet und immer öfter Maisbrot und Steckrüben aufgetischt bekommt, bleibt vor allem Paul von Hindenburg sehr beliebt. Nach dem General, der 1914 russische Truppen aus Ostpreußen vertrieben hat,  benennen die Mülheimer 1916 eine ihrer Hauptstraßen. 17 Jahre später werden sie den Reichspräsidenten von Hindenburg zusammen mit dem von ihm ernannten Reichskanzler Adolf Hitler sogar zum Ehrenbürger der Stadt machen. Aus dem Notweg wird die Hindenburgstraße und erst 1949 die Friedrich-Ebert-Straße.

Anders, als die Zivilbevölkerung müssen die Generäle im Ersten Weltkrieg nicht hungern. Hamsterfahrten aufs Land, wie sie viele Ruhrstädter in diesen Kriegszeiten unternehmen müssen, um das Überleben ihrer Familien zu sichern, kennen sie nur vom Hörensagen. Eine Mülheimer „Hamsterfahrerin“ schreibt damals in den Vaterstädtischen Blättern: „Die Fahrt war beschwerlich und viel zu unergiebig. Auf den Feldern arbeiteten französische Kriegsgefangene. Man freute sich doch auch über das Wenige, das man bekommen hatte.“ Um den Hunger zu lindern, gehen die Stadtpfarrer aufs Land, um dort mit „Kartoffelpredigten“ die Herzen der Landbevölkerung für die hungernden Städter  zu öffnen.

Mit den Folgen des Krieges werden die Mülheimer auch konfrontiert, wenn sie am Garnisonslazarett an der Dimbeck vorbeikommen. Hier werden vor 100 Jahren die verwundeten Kriegsheimkehrer versorgt. 3500 Mülheimer Soldaten werden ihre Heimat nicht mehr wiedersehen. Sie fallen zwischen 1914 und 1918 auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges für Kaiser und Reich. Das Kaiserreich wird nach der deutschen Niederlage im November 1918 zur Republik. Ab 1919 dürfen auch die Mülheimerinnen erstmals wählen und gewählt werden. Doch viele der Soldaten des Mülheimer Infanterieregiments 159, die am 13. Dezember 1918 nach Mülheim zurückgekehrt sind, können sich mit der Kriegsniederlage nicht abfinden und schließen sich deshalb dem rechtsextremen und republikfeindlichen Freicorps  von Siegfried Schulz an.

Das Geld ihrer Kriegsanleihen sehen die Mülheimer nicht wieder. Der Krieg hat die Wirtschaft ruiniert. Hinzu kommen die Reparationsverpflichtungen des Versailler Friedensvertrages. Die Folge ist eine Hyperinflation, in der auch die Mülheimer ihre Ersparnisse verlieren. Der Erste Weltkrieg war furchtbar und der Frieden ist hart. Und 21 Jahre nach dem Ende des ersten beginnt der Zweite Weltkrieg. Wieder wird in Mülheim gehungert und gestorben, diesmal nicht für Kaiser und Reich, sondern für Führer und Reich. 

Dieser Text erschien am 12. August 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Ihre Wiege stand in Mülheim

  Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die  Internets...