Mittwoch, 30. April 2014

Leidenschaft Zeitung oder: Warum Hans-Jürgen und Rita Holst auch nach 50 gemeinsamen Jahren nicht auf ihre gemeinsame Zeitung verzichten wollen

Solch treue Leser wünscht sich eine Zeitung. 50 Jahre sind Rita und Hans-Jürgen Holst aus Styrum ein Ehepaar und genauso lange lesen sie auch schon ihre Zeitung, die NRZ. „Der Jens Feddersen war ein toller Journalist. Der fand immer klare Worte“, erinnern sich die Beiden an den 1996 verstorbenen NRZ-Chefredakteur. Unvergessen geblieben ist ihnen das legendäre Streitgespräch, das sich Feddersen 1972 in einer Fernsehsendung mit dem DDR-Journalisten Karl Eduard von Schnitzler („Der schwarze Kanal“) lieferte.

Aber auch heute schätzt das Ehepaar Holst die klaren Worte in der NRZ, sei es in den Kommentar- oder in den Leserbriefspalten. „Das, was die Leser schreiben gefällt uns oft besser, als das, was die Politiker sagen“, betont Hans-Jürgen Holst, der bis zu seiner Pensionierung als Chemikant bei der Ruhrchemie gearbeitet

„Die Zeitung ist für uns, wie das tägliche Brot. Wir nehmen uns jeden Tag nach dem Frühstück mindestens 45 Minuten Zeit für die Zeitungslektüre“, erzählt seine Ehefrau. Dabei ist die Reihenfolge immer die selbe. Sie liest als erstes den Lokal- und er den Sportteil sowie die ersten beiden Seiten mit den aktuellen politischen Nachrichten.

„Mülheim war früher eine tolle Stadt mit schönen Geschäften, in denen auch viele Menschen aus den Nachbarstädten eingekauft haben“, erinnert sich Holst. Auch mit der neuen Ruhrpromenade, inklusive Hafenbecken und dem Wegfall der Ostruhranlagen und des alten Stadtbades können sich Rita und Hans-Jürgen Holst nicht wirklich anfreunden. Das Ehepaar macht sich keine Illusionen über die eigentlichen Ursachen, die zum Niedergang der Innenstadt und zu einer Konsumkonzentration auf die großen Einkaufszentren geführt haben. „Die Leute klagen darüber, dass die Geschäfte schließen, kaufen aber immer öfter im Internet“, sagen sie und sehen auch bei den Medien eine ähnliche Entwicklung. Sie selbst kämen aber nie auf die Idee, ins Internet statt in ihre Zeitung zu gucken. „Denn“, so sagen sie einhellig: „Wir wollen etwas Richtiges in der Hand haben und gut informiert sein, vor allem darüber, was bei uns in Mülheim passiert.“

Dieser Text erschien am 23. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 29. April 2014

In Memoriam August Weilandt

Marlies Pesch-Krebs und August Weilandt im Historischen
Klassenzimmer (2012)
August Weilandt hat den Geschichtsgesprächskreis Styrum mit seiner Persönlichkeit maßgeblich geprägt und vorangetrieben. Seine Wiege, in der er am 13. Dezember 1917 das Licht der Welt erblickte, stand am Styrumer Marienplatz. Dort wuchs er mit sechs Schwestern auf. Styrum und seine Geschichte sind August Weilandt zur Lebensaufgabe geworden, auch wenn er später von Styrum nach Broich zog.


Seit über 1996 betreute er das zuletzt im Grundschulgebäude an der Schlägelstraße ansässige Historische Klassenzimmer. Hier zeigte er nicht nur Schülern wie der Schulalltag ihrer Groß- und Urgroßeltern aussah. Als Mitglied des Styrumer Geschichtsgesprächskreises hat Weilandt unter anderem mehr als 1000 historische Fotografien zusammengetragen und in Ausstellungen der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Maßgeblich wirkte er auch an den bisher vier Bänden der Stadtteilgeschichte "Styrum - ein starkes Stück Stadt" mit und stellte sich als Angehöriger der Kriegsgeneration immer wieder als Zeitzeuge zu Verfügung. 2005 wurde der fünffache Vater und zehnfache Großvater, der bis zu seiner Pensionierung als Finanzbeamter gearbeitet hatte, für sein ehrenamtliches und identitätsförderndes Engagement mit der Ehrenspange der Stadt ausgezeichnet.

Dieser Nachruf basiert auf einem Beitrag, der zu August Weilandts 90. Geburtstag am 13. Dezember 2007 in NRZ und WAZ erschienen ist.

Montag, 28. April 2014

Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies: Rückschau auf die August-Macke-Ausstellung des Mülheimer Kunstmuseums Alte Post

„Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.“ Unter diesem verheißungsvollen Titel präsentiert das städtische Kunstmuseum Alte Post noch bis zum 27. April Bilder des rheinischen Expressionisten August Macke und einige seiner künstlerischen Zeitgenossen und Wegbegleiter zeigt. Auch 100 Jahre, nachdem Macke mit gerade mal 27 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg gefallen ist, fasziniert er viele kunstinteressierte Menschen. Weit mehr als 30.000 Besucher, die seit Anfang Februar 70 seiner insgesamt mehr als 500 Gemälde sehen wollten, sprechen für sich.

Warum steht Macke bei Kunstfreunden auch heute hoch im Kurs? Die Kunsthistorikerin Beate Reese, die das Kunstmuseum Alte Post seit 2009 leitet und damit auch für die aktuelle Ausstellung verantwortlich zeichnet, erklärt das unter anderem so. „Macke spricht menschliche Grundbedürfnisse und Werte an, etwa das Grundbedürfnis nach Harmonie und Schönheit, nach Freiräumen, aber auch nach Liebe und Geborgenheit. Die Geborgenheit in einem vertrauten familiären Umfeld ist für ihn ein ganz wichtiges Thema.“ Macke selbst hat diese Geborgenheit und Stabilität in der Ehe mit der Fabrikantentochter Elisabeth Gerhardt gefunden, mit der er zwei Söhne hatte. Nicht von ungefähr hat er seine Frau mehr als 200 mal portraitiert. Sein 1910 gemaltes und unvollendet gebliebenes Gemälde Mutter mit Kind gewährt ebenso Einblick in sein Familienleben und erinnert an Maria und das Jesuskind.

Auch wenn Macke kein explizit religiöser Maler war, setzte er sich mit dem Thema Religion auseinander und war, wie seine Künstlerfreunde davon überzeugt, das Kunst eine eigene Spiritualität habe. „Für Macke und die rheinischen Expressionisten hat Kunst die Aufgabe, eine eigene Wirklichkeit und Geistigkeit zum Ausdruck zu bringen, die sich auch von der rein sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit ablöst und nach dem Wesen der Dinge sucht,“ betont Reese. Der Garten, in dem der Mensch ganz bei sich sein und sich an der Vielfalt der Schöpfung erbauen kann, ist in Mackes Werk ein immer wiederkehrendes Motiv. Hier setzt er seine Vorstellung vom Paradies, die ihn seit seiner Jugend faszinierte, ins Bild. „Es geht mir darum, die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies ausdrücken“, schreibt er 1905 an seine spätere Frau Elisabeth. Und 1913 unterstreicht er in einem Brief an seinen Gönner, Elisabeths Onkel Bernhard Koehler: „Das Arbeit ist für mich ein Durchfreuen der Natur und das Kunstwerk ein Gesang auf die Schönheit der Dinge.“ Sein Bild vom Paradies sieht Macke als Kontrapunkt zu einer zunehmend technisierten und industrialisierten Welt. Den Menschen im Spannungsfeld zwischen christlicher Tradition und technisierter und ökonomisierter Gegenwart malt er um 1910 auch, als er den Turm des altehrwürdigen Freiburger Münsters mit dem Gerüst eines Strommastes konfrontiert. Menschen flanieren an beiden Bauwerken vorbei, schauen auf das Stadtpanorama oder in die Auslagen der Geschäfte und bewegen sich so zwischen Vergangenheit und Moderne.
Sehr konkret und biblisch wird Mackes Bild vom Paradies in einem extrem hochformatigen Paradies-Fresko, das er zwischen 1910 und 1912 mit seinem Malerfreund Franz Marc geschaffen hat und das in der Mülheimer Ausstellung als Reproduktion zu sehen ist. Macke und Marc malen das Paradies ohne Schlange und Apfel, zeigen Adam und Eva im Einklang mit der Schöpfung und dem Schöpfer. Ein am Bildrand angedeuteter arabischer Reiter ist ein Ausfluss von Mackes Nordafrikareise und unterstreicht seine von Universalität und auch Exotik geprägte Paradiesvorstellung. Es ist ein Paradies ohne Sündenfall und Vertreibung.

„Vor dem Ersten Weltkrieg sind Paradiesvorstellungen weit verbreitet . Die Expressionisten malen die Sehnsucht nach unberührter Natur und das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur, das von gesellschaftlichen Zwängen befreit ist“, sagt Reese und macht damit deutlich, wie sehr der widersprüchliche Zeitgeist Mackes auch der unsere ist. Und wie Macke sind auch wir auf einer Lebensreise, die uns zuweilen in stürmische Gewässer bringt. Dieses Bild der Lebensreise, auf der wir nicht zuletzt mit Gottvertrauen unseren eignen Lebensweg und unsere eigene Balance finden müssen, sehen wir in Mackes „Seiltänzer“, aber auch in seinem Gemälde „Jesus im Nachen“ wieder, der uns den schlafenden Jesus auf dem stürmischen See Genezareth vor Augen führt, der mit im Sturm der Gezeiten Ruhe, Sicherheit und Vertrauen ausstrahlt und damit einen Kontrapunkt zu seinen hektisch mit den Segeln ihres Fischerbootes hantierenden Jüngern setzt.

Am Ende zeigt uns die Mülheimer Macke-Ausstellung, die mit Bildern von Franz Marc, Otto Pankok und Heinrich Campendonk auch Einblicke in die Kunst des Ersten Weltkrieges liefert, dass auch August Macke ein Kind seiner Zeit und ihrer Widersprüche war. Als Mensch sehnte er sich nach Liebe, Harmonie und Geborgenheit. Als Maler schätzte er seine französischen Kollegen und ließ sich gerne von ihnen inspirieren. Dennoch ließ er sich im August 1914 von der Kriegsbegeisterung mitreißen und kämpfte als deutscher Soldat an der Front in Frankreich.
 „Und wenn man sieht, wie gerne alle gehen, das ist herrlich. Und an sich selbst darf man unter den Millionen gar nicht denken, nur an das Land, das gerettet wird“, schreibt Elisabeth Macke damals voller Euphorie an Franz Marcs Frau Maria. Erst an der Front erkennt August Macke die mörderische Realität des Krieges und schreibt am 9. September 1914 an seine Frau: „Unser aller Gedanke ist Friede. Der Krieg ist von einer namenlosen Traurigkeit. Man ist weg, eh man es merkt. Über allem Kanonendonner schwebt nur eine sonnige Wolke, die Liebe zu euch Allen.“ 17 Tage nachdem er diese Zeilen geschrieben hat, wird Macke am 26. September 1914 bei Perthes-lés-Hurlus im Depratment Marne von einer Kugel tödlich getroffen. Sein Malerfreund Franz Marc, der 1916 bei Verdun fallen wird, schreibt in einem Nachruf: „Im Krieg sind wir alle gleich. Aber unter 1000 Braven trifft eine Kugel einen Unersetzlichen. Mit seinem Tod wird der Kultur eines Volkes eine Hand abgeschlagen, ein Auge blind gemacht. Wie viele schreckliche Verstümmelungen mag dieser grausame Krieg unserer zukünftigen Kultur gebracht haben?“

Dieser Text erschien im April 2014 in der Tagespost und im Neuen Ruhrwort 

Sonntag, 27. April 2014

Vorbilder, die Kirche beflügeln können: Auch Mülheimer sind zur Heiligsprechung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. nach Rom gefahren

„Die Atmosphäre ist großartig. Und durch die Freude und den Elan der Menschen, die dort hinkommen, wird man beflügelt, selbst den Glauben weiterzugeben und die Menschen mit Freundlichkeit und offenem Herzen für den Glauben zu interessieren.“ So beschreibt der Speldorfer Diakon Hans Georg Keller seine Motivation, bei der morgigen Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. und Papst Johannes Paul II. in Rom dabei zu sein. Begleitet wird Keller von 27 Mitgliedern einer Gebetsgruppe, die sich regelmäßig in St. Michael trifft.


„Man spürt bei einem solchen Ereignis, zu dem fünf Millionen Besucher aus aller Welt erwartet werden, etwas von der Universalität der Kirche“, findet sein Amtsbruder Pastor Herbert Rücker aus der Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt, der bereits gestern mit einem privaten Freundeskreis in Rom angekommen war. Vor allem die Begeisterung der Jugendlichen, die er dort sieht, begeistern den 70-jährigen Priester.

Sind Heiligsprechungen heute noch zeitgemäß und im Falle von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. gerechtfertigt? Keller und Rücker meinen Ja und sehen beide Päpste als Vorbilder, die die Kirche auch in Zukunft inspirieren und für die Menschen bitten können.

„Beide Päpste haben auf ihre Weise richtungsweisend gewirkt“, betont Keller. „Beide haben bewusst und konsequent die frohe Botschaft des Evangeliums gelebt“, sagt Rücker. Beide Priester erinnern daran, dass Johannes XXIII. mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Türen der Kirche geöffnet und sie mit mutigen Reformen auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit ausgerichtet habe.

Mit Blick auf Johannes Paul II. weisen sie darauf hin, dass die Kirche international an Gewicht gewonnen und in Person des Papstes aus Polen einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet habe, wie es Keller ausdrückt, „den Kommunismus in die Knie zu zwingen.“

Dieser Text erschien am 26. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 26. April 2014

Die Militärs müssen auf jeden Fall draußen bleiben: Wie der deutsch-russische Maschinenbauingenieur Andrej Korobov als Pendler zwischen Deutschland und Russland die Ukraine-Krise sieht


Der Name ist russisch. Die Sprache verrät den Franken. Vor 36 Jahren wurde Andrej Korobov in Moskau geboren, ehe er 1991 mit seinen Eltern nach Franken kam und dort aufwuchs. Seit einem Jahr ist der gelernte und studierte Maschinenbauer, der zuvor für ein Stuttgarter Unternehmen tätig war, für die internationalen Geschäftsbeziehungen des Mülheimer Planungs- und Beratungsunternehmens Agiplan (siehe Kasten) zuständig.

In dieser Funktion pendelt er derzeit regelmäßig zwischen Mülheim und Chelyabinsk im Südural, wo Agiplan für einen Hersteller von Bergbaumaschinen mit über 3000 Beschäftigten eine neue Schweißmontagehalle, inklusive neuem Lager und Logistik plant. Parallel engagieren sich die Agiplaner beim Werksaufbau eines deutschen Automobilzulieferers in der Samara-Region an der Wolga.

„Die Konflikte in der Ukraine spielen bei unseren Arbeitsgesprächen keine Rolle. Das Geschäft geht weiter wie üblich. Bisher ist kein Projekt gestoppt und kein Mitarbeiter abgezogen worden. Aber in den privaten Nebengesprächen, abends beim Bier oder beim Wodka, spürt man schon eine unterschwellige Sorge, zumal viele der russischen Kollegen vor Ort Verwandte in der Ukraine haben und nicht einsehen, dass sie demnächst vielleicht nur noch mit einem Visum dort hin fahren können, wenn die Ukraine Mitglied der Europäischen Union würde“, schildert Korobov die Stimmungslage zwischen Industrieprojekt und Weltpolitik. Und dann erinnert er sich an den Scherz eines russischen Kollegen, als man auf dem Werksgelände in Chelyabinsk an einer Gasleitung vorbeikam und dieser mit einem Augenzwinkern feststellte: „Wir bekommen unser Gas ja ganz regulär über den nächsten Verteiler ins Werk geliefert und müssen die Gasleitungen nicht auf offene Strecke anbohren, so wie die Ukrainer.“

Ob in Gesprächen mit russischen Topmanagern oder mit Mitarbeitern an der Werkbank. Immer wieder spürt Korobov, „dass die Deutschen und ihre Ingenieurskunst in Russland eine sehr hohe Wertschätzung genießen.“ Auch deutsche Autofabrikate sind bei Russen begehrt und werden manchmal mit dem Scherz-Aufkleber „Trophäe aus Berlin“ versehen. Bis heute wird der Sieg über Hitler-Deutschland am 9. Mai in Russland als Nationalfeiertag zelebriert. Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, als das Unternehmen, an dessen Modernisierung Agiplan jetzt mitarbeitet, aus der Ukraine in den Ural verlegt wurde, um es nicht in die Hände der deutschen Besatzer fallen zu lassen, ist nicht vergessen. Sie bestimmt aber nicht mehr den Blick auf das heutige Deutschland.

Korobov, der dank seiner Biografie sowohl in der russischen, wie in der deutschen Kultur zu Hause ist, weiß, „dass die Russen einen sehr ausgeprägten Nationalstolz haben und Ernstfall immer auf der Seite ihres Präsidenten stehen werden, wenn sie ihn auch nicht immer mögen.“

Dennoch ist er auch nach den jüngsten Zuspitzungen in der Ost-Ukraine zuversichtlich, dass die Krise nicht aus dem Ruder laufen wird, „weil wir heute Gott sei Dank in einer globalisierten Wirtschaft leben, in der alle aufeinander angewiesen sind.“ Voraussetzung für ein gelingendes Krisenmanagement, um das er die politischen Verantwortlichen in Washington, Brüssel, Moskau und Kiew nicht beneidet, ist aus seiner Sicht, „dass man die Militärs raus lässt.“

Auch wenn viele seiner russischen Gesprächspartner in Moskau oder Chelyabinsk die Ukraine vor dem Hintergrund der gemeinsamen Sprache und sowjetischen Geschichte so ansehen, wie die Deutschen Bayern oder Hessen und deshalb kein Verständnis für die Aufregung in der Europäischen Union haben, ist man sich auch jenseits des Projektprotokolls mit Blick auf die aktuelle Krise einig, „dass das niemand braucht und will, weil jeder ruhig leben, seine Geschäfte entwickeln und hoffentlich bald wieder zum Urlaub auf die Krim fahren will, wenn dort keine Milizen mehr patrouillieren.“ Auch im Europa des Jahres 2014, daran lässt Korobov keinen Zweifel, brauchen Handel und Wandel vor allem Frieden, damit sich russischer Optimismus und russische Improvisationskunst und deutsche Planungskunst nicht nur bei den von Agiplan betreuten Projekten auch weiterhin aufs beste ergänzen können.

 

agiplan, dessen Firmenzentrale sich an der Kölner Straße 80 bis 82 befindet, wurde 1961 als technisches Beratungs- und Planungsunternehmen gegründet, Es beschäftigt inzwischen 200 Mitarbeiter vom Maschinenbauingenieur bis zum Sozialgeografen. Fünf Mitarbeiter haben russische Wurzeln. Seit 1991 hat Agiplan eine eigene Niederlassung in Moskau. Dort sind acht russische und ein österreichischer Mitarbeiter beschäftigt. Zurzeit arbeitet Agiplan in Russland nur für Auftraggeber aus der privaten Wirtschaft. Der technische Sachverstand des Unternehmens wurde aber auch schon von staatlichen Auftraggebern genutzt, um zum Beispiel Industrieparkprojekte zu begutachten, die mit Steuergeldern finanziert wurden. Grundsätzlich arbeitet Agiplan nicht nur für Wirtschaftsunternehmen, sondern auch für Städte und Regionen. Fabrikbauten und Logistiksysteme werden von Agiplan ebenso geplant und gemanagt, wie der Wettbewerb um europäische Fördermittel für regionale Entwicklung oder das aus 160 Unternehmen und 12 Forschungseinrichtungen bestehende Effizienzcluster Logistik Ruhr, in dem zurzeit 40 Projekt zur Optimierung von Transport- und Versorgungssystemen durchgeführt werden. Weitere Informationen zum Unternehmen findet man unter www.agiplan.de
 
Dieser Text erschien am 24. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
 

 

 

Freitag, 25. April 2014

Manchmal passt die ganze Welt in ein Gedicht: Die Mülheimer Lyrikerin Inge Fleischer hat einen neuen Gedichtband vorgelegt

„Frühling lässt sein blaues Band. Wieder flattern durch die Lüfte süße, wohlbekannte Düfte, streifen ahnungsvoll das Land.“

So zeitlos schön hat der Lyriker Eduard Mörike im 19. Jahrhundert die aktuelle Jahreszeit beschrieben. Doch haben Menschen im profanen Hier und Jetzt noch Sinn für solche Poesie? Drei Fragen an die Lyrikerin Inge Fleischer, die gerade ihren neuen Gedichtband vorgelegt hat.

Warum trägt ihr neue Gedichtband den Titel „Gedichte im Vorübergehen“?

Das hat mit meinen ersten Gedichten zu tun, die ich vor zwölf Jahren handschriftlich auf schönes Papier geschrieben und auf dem Adventsmarkt in der Altstadt für jeweils zwei Euro an die Menschen verkauft habe, die dort vorüberkamen.

Aber gehen die meisten Menschen heute nicht lieber vorüber, wenn sie Lyrik hören?

Auf dem Adventsmarkt sind viele stehen geblieben und waren ganz begeistert, sich dort ein Gedicht kaufen zu können. Auch zu meinen Lesungen kommen die Menschen und bleiben, um zuzuhören. Sie kommen nicht in Scharen, aber sie kommen, weil sie spüren, dass Gedichte in besonders schöner Weise Gefühle und Erlebnisse beschreiben, weil sie mit der Sprache spielen. Ich selbst schöpfe literarisch besonders gern aus meinen Erlebnissen in der Natur.

Warum plädieren Sie im Titel Ihrer nächsten Lesung für eine Rückkehr der Dichter?

Wir tun gut daran, unsere Dichter nicht zu vergessen, sondern zu lesen und zu fördern, weil sie es sind, deren Werke unsere Muttersprache erhalten und pflegen und damit kulturelle Identität schaffen und Menschen kulturell miteinander verbinden. Und manchmal passt die ganze Welt sogar in ein Gedicht.

Inge Fleischers neuer Band „Gedichte im Vorübergehen“ ist für 10 Euro in der Buchhandlung Fehst am Löhberg 4 erhältlich. Im Juni lädt Fleischer zu ihrer Lesung „Die Rückkehr der Dichter“ in einen Gartenhof an der Tilsiter Straße 31 ein.
 
Dieser Text erschien am 19. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

 

Donnerstag, 24. April 2014

So gesehen: Hühner sind auch arme Schweine

Was wäre Ostern ohne gefärbte Eier? Sicher nicht das Ei des Kolumbus. Wir wissen nicht, ob Kolumbus, der die Neue Welt entdeckte, auch den alten Brauch der gefärbten Ostereier kannte. Sicher ist nur, dass die Eier, die jetzt farbenfroh wie der Frühling auf unseren österlichen Frühstückstisch kommen oder beim Osterspaziergang versteckt und gesucht werden, nicht vom Osterhasen, sondern von Legehennen kommen.


„Ich woll`t ich wär ein Huhn. Ich hätt nicht viel zu tun. Ich legte vormittags ein Ei und nachmittags wär ich frei“, sangen die Comedian Harmonists. Doch das Leben der meisten Hühner ist kein Osterspaziergang, wenn sie ihre Eier, wie 71 Prozent ihrer Kollegen in Nordrhein-Westfalen, in der ungemütlichen Bodenhaltung legen müssen.

Vielleicht ist es mit diesen unmeschlichen Arbeitsbedingungen zu erklären, dass jede der 4,3 Millionen Legehennen des Landes im Jahr 2013 durchschnittlich nur 280 Eier und damit 3,6 Eier weniger als 2012 gelegt hat.

280 Eier pro Jahr und Henne. Das ist nicht mal ein Ei pro Tag, statistisch betrachtet. Wenn Sie sich jetzt fragen, welcher Eierkopf diese Statistik rechtezeitig zu Ostern ausgebrütet hat, dann werden Sie im statistischen Landesamt fündig.

Das hat sich als IT NRW einen modernen Anstrich gegeben, um ein besseres Bild abzugeben, genau, wie das bunte Osterei. Doch das bleibt unter der farbenfrohen Schale auch nur ein Hühnerei und kommt nur in etwas mehr als 10 Prozent aller Fälle aus Freilandhaltung oder ökologischer Erzeugung. Auch das haben die Statistiker, von IT NRW herausgefunden und uns damit gezeigt, dass die meisten Hühner arme Schweine sind. Sie brauchen nicht nur zu Ostern mehr Freigang, damit uns am Ende nicht der Appetit vergeht und wir uns unser Osterei guten Gewissens schmecken lassen können.

Dieser Text erschien am 19. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 23. April 2014

Respekt für eine Arbeit, die viele andere selbst nicht machen wollen: Die Altenpflege aus der Sicht einer Auszubildenden

Die 18-jährige Rosamunde Kamagate ist als angehende Altenpflegerin in die beruflichen Fußstapfen ihrer Mutter getreten. „Ich habe als Schülerin meine Mutter oft an ihrem Arbeitsplatz im Haus Auf dem Bruch besucht und später ein Schülerpraktikum im Haus Gloria gemacht, weil ich mir ein eigenes Bild von der Altenpflege machen wollte, die oft schlecht geredet wird“, erzählt Kamagate.


Inzwischen arbeitet sie im zweiten Ausbildungsjahr im städtischen Altenheim Haus Gracht. „Ich komme gut mit alten Menschen klar und genieße die Wertschätzung, die man von ihnen bekommt. Besonders toll finde ich es, dass man ihnen oft schon mit einer Kleinigkeit Freude machen kann“, beschreibt Kamagate die Sonnenseite ihres Arbeitsalltages. Aber auch sie spürt den Zeitdruck, der mit dem Personalmangel verbunden ist und die körperliche Belastung, die zum Beispiel das Heben oder Wenden von pflegebedürftigen Bewohnern mit sich bringt. Als Ausgleich macht sie in ihrer Freizeit unter anderem Yoga. Wenn sie mit ihren Freunden über ihren Beruf spricht, spürt sie „Respekt für das, was ich in der Altenpflege leiste, weil viele diese Arbeit selbst nicht machen wollen.“ Sie selbst arbeitet „mit Freude in der Pflege“, kann sich aber auch nicht vorstellen bis zur Rente als Altenpflegerin zu arbeiten, sondern möchte sich langfristig weiter qualifizieren, um später vielleicht als Wohnbereichs- oder Pflegedienstleiterin arbeiten zu können.

 Dieser Text erschien am 11. April 2914 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 19. April 2014

Zu viel Bürokratie und zu wenig Personal: Altenpfleger berichten aus ihrem Arbeitsalltag

„Mal sehen, ob das Geld auch bei uns ankommt“, sagt Vera Anders mit Blick auf die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, die mehr Geld in die Pflege fließen lassen und die drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzen sollen. Dass Gröhe von der Minutenpflege weg will, findet die Betriebsratsvorsitzende der Mülheimer Seniorendienste gut. Doch sie bleibt skeptisch und sagt: „Bisher sind wir von der Politik nicht gerade gut unterstützt worden.“

Diese Skepsis teilen auch ihre Berufs- und Betriebsratskollegen Christine Brüseke (47), Petra Bollig und Ulrich Gunther (beide 55). Brüseke arbeitet seit 29 Jahren als examinierte Altenpflegerin, erst im Haus Auf dem Bruch und jetzt im Haus Gracht. Bollig arbeitet seit 27 Jahren als Pflegehelferin im Haus Auf dem Bruch. Und Gunther ist seit 36 Jahren als Pflegehelfer im Haus Kuhlendahl tätig.

Alle lieben ihre körperlich und psychisch anstrengende Arbeit. „Wir wollen alten Menschen helfen und ihnen die letzte Wegstrecke ihres Lebens so angenehm und sinnvoll, wie möglich gestalten“, erklären sie ihre Motivation.

Bollig berichtet begeistert von einem Nachmittag, als sie mit Bewohnern Eierpfannekuchen gebacken hat. Auch Brüseke und Gunther berichten von der Zufriedenheit, die sie erleben, wenn sie von pflegebedürftigen Bewohnern ein „Danke“ oder ein Lächeln bekommen oder wenn sie von ihnen hören: „Das haben Sie gut gemacht. Schön, dass Sie da sind und passen Sie gut auf sich auf.“ Die 88-jährige Maria Schmidt, die im städtischen Altenheim an der Gracht lebt, weiß genau, was sie von einer guten Altenpflegekraft erwartet: „Ein Lächeln und gute Manieren.“

Doch das Lächeln ist den Pflegekräften seit Einführung der Pflegeversicherung und ihrer drei Pflegestufen (1995) schon oft vergangen. Denn seitdem sehen sie ihren Arbeitsalltag von Personalmangel und bürokratischen Dokumentationspflichten überschattet.

„Wir haben einfach zu wenig Leute, weil der Personalschlüssel in den Altenheimen von den Pflegestufen ihrer Bewohner abhängig ist. Das bedeutet: Je mehr Bewohner mit Pflegestufe 3, desto besser. Doch auch die Bewohner, die nur Pflegestufe 1 haben, sind heute oft schon sehr hilfsbedürftig“, erklärt Bollig. „Früher hatten wir hier auch Bewohner, die noch mit ihren Familien in Urlaub gefahren sind, aber das ist vorbei,“ erinnert sich ihr Kollege Gunther.

Die examinierte Altenpflegerin Brüseke, die auch Bewohnerakten führen und Medikamente zusammenstellen und geben muss, erinnert sich wehmütig an ihre ersten Berufsjahre, als sie noch mehr Zeit hatte, um mit Bewohnern zu sprechen, sie in den Arm zu nehmen, mit ihnen zu spielen oder zu basteln. „Wir waren damals wie eine große Familie. Heute arbeiten wir immer mit einer Uhr und einem Zeitdruck im Kopf“, erzählt Brüseke.

Das bleibt nicht aus, wenn man von den drei Pflegekräften erfährt, dass sich heute im Durchschnitt drei Kollegen um einen Wohnbereich mit 33 Bewohnern kümmern müssen, wo sich vor der Einführung des pflegestufenabhängigen Personalschlüssels noch zehn Kollegen die gleiche Arbeit teilten.

Hinzu kommt, sagen Bollig, Brüseke und Gunther, „dass die Altenheimbewohner früher fitter waren als heute, weil sie inzwischen viel später ins Altenheim kommen und dort viel kürzer bleiben.“

Das Grundübel sieht Brüseke „im schlechten gesellschaftlichen Status, den wir als Altenpfleger haben, weil in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft Alter, Krankheit und Tod gerne verdrängt werden.“ Nicht nur sie ärgert sich darüber, „wenn viele Menschen Altenpfleger als Urinkellner bezeichnen und dabei die soziale, pflegerische und medizinische Verantwortung übersehen, die wir in unserem Beruf tragen müssen.“ Angesichts der großen Verantwortung, die Altenpfleger nicht nur bei der Medikamentengabe und der Entscheidung über pflegerische Maßnahmen tragen, sieht Brüseke ihre Kollegen und sich „manchmal mit einem Bein im Gefängnis stehen.“

Hinzu kommt, dass der hohe Kostenanteil, den Menschen für den Pflegeheimplatz ihrer Angehörigen bezahlen müssen, zu einer hohen und zuweilen auch aggressiv vorgetragenen Erwartungshaltung geführt hat. „Die Leute sehen eben oft nicht, dass das Geld, was sie bezahlen auch in Verwaltung, Küche und Bauunterhaltung fließt und nur zum geringsten Teil bei uns ankommt“, sagt Brüseke, die am Monatsende weniger als 2000 Euro netto mit nach Hause nimmt.


Dieser Text erschien am 11. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 18. April 2014

Pragmatischer Wandel: Mit unserer Gesellschaft ändert sich auch ihre Grabkultur: Eine Karfreitagsbetrachtung


Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in seine neue Gruft, die er in den Felsen ausgehauen hatte; und er wälzte einen großen Stein an die Tür der Gruft und ging weg.“ So beschreibt der Evangelist Matthäus die Beisetzung Jesu durch einen guten und gerechten Ratsherrn. In der Karwoche gedenken Christen dem Leiden und Sterben Jesu, ehe sie mit Ostern dessen Auferstehung von den Toten feiern. Ob man an ein Leben nach dem Tod glauben kann und will, ist eine persönliche Entscheidung. Sicher ist nur eines. Das irdische Leben endet mit dem Tod und wirft für die Hinterbliebenen die Frage auf, wie sie ihre verstorbenen Angehörigen beisetzen wollen.

Diese Frage beantworten inzwischen zwei Drittel aller Hinterbliebenen in Mülheim mit einer Feuerbestattung. Das zeigen die Zahlen der Friedhofsverwaltung und die übereinstimmenden Erfahrungberichte der Bestatter Stefan Helmus-Fohrmann, Hermann Mombour, Johannes Vehar und Martin Elstermeier. „Als ich vor 28 Jahren anfing, wurden rund 90 Prozent aller Verstorbenen erdbestattet. Inzwischen liegt der Anteil der Feuerbestattungen bei über 60 Prozent und wird in den nächsten Jahren sicher noch auf über 70 Prozent ansteigen“, sagt Elstermeier. Die Ursache für den Trend zu Urnengrabstellen, die für eine Liegezeit von in der Regel 25 Jahren bezahlt werden, sehen seine Kollegen und er vor allem darin, dass die Familien heute nicht mehr über Generationen hinweg an einem Ort zusammenleben und deshalb dort auch nicht mehr die Gräber ihrer Verstorbenen regelmäßig besuchen und pflegen können. „Die alten Eltern in Mülheim wollen ihren Kindern nicht die Grabpflege zumuten, wenn diese heute vielleicht im Hamburg leben“, sagt Bestatter Helmus-Fohrmann. Welch ein Unterschied zu früheren Generationen: „Vor der Eröffnung des Altstadtfriedhofes im Jahr 1812 bestatteten die Mülheimer ihre Toten rund um die Petri,- die Marien oder die Paulikirche. Wenn sie zur Kirche gingen, kamen sie an den Gräbern ihrer verstorbenen Angehörigen vorbei. Man ging regelmäßig zu den Gräbern der Verstorbenen und wusste genau, wo welcher Nachbar lag und welche Lebensgeschichte er hatte“, weiß Familienforscherin Bärbel Essers. Sie hat sich im Rahmen ihres Publikationsprojektes über die Volkszählung von 1861 mit der Mülheimer Friedhofs- und Begräbniskultur beschäftigt.

Tod und Beisetzung waren damals auch öffentlich präsenter. Verstorbene wurden vor ihrer Beerdigung zu Hause aufgebahrt und mit einer Kutsche zum Friedhof gefahren. Bestatter gab es in Mülheim erst ab den 1890er Jahren. Zuvor wurden Särge beim Schreiner angefordert, sobald ein Todesfall eingetreten war. Nur ganz wenige Menschen ließen sich damals feuerbestatten, weil das als Ausdruck einer atheistischen Weltsicht galt.

Die Evangelische Kirche gestattete die Feuerbestattung erst vor etwas mehr als 100 Jahren. Und die Katholische Kirche machte erst im Zuge des 2. Vatikanischen Konzils in den 60er Jahren ihren Frieden mit der Feuerbestattung, während es im Judentum und im Islam bis heute nur Erdbestattungen gibt.

Der katholische Pfarrer Manfred von Schwartzenberg und sein evangelischer Amtsbruder Michael Manz sagen beide, dass Feuer- und Erbestattung, dem christlichen Auferstehungsglauben nicht widersprechen, „weil wir nur die sterbliche Hülle des Körpers und nicht die unsterbliche Seele eines Menschen beisetzen“ und „die Auferstehung keine physikalische, sondern eine metaphysische Angelegenheit ist.“

Deshalb entschied sich die von Schwartzenberg geleitete Pfarrgemeinde St. Barbara auch dazu, die 2007 vom Bistum aufgegebene Kirche Heilig Kreuz als Urnenkirche, in der auch Gottesdienste und Kulturveranstaltungen stattfinden, neu zu nutzen. Immerhin 300 Menschen haben sich seit 2007 in der Urnenkirche Heilig Kreuz bestatten lassen und sich damit für eine pflegefreie Grabform entschieden.

Einig sind sich beide Pfarrer mit dem Bestatter Hermann Mombour, wenn er sagt: „Unabhängig von der Beisetzungs- und Grabform brauchen Menschen auch heute die Anlaufstelle, an der sie ihre Trauer bewältigen können. Viele Menschen, die sich für eine anonyme Beisetzung entschieden haben, werden damit später oft nicht fertig.“

Daten, Zahlen, Fakten, Hintergründe


Zurzeit sterben in Mülheim jährlich etwas mehr als 2000 Menschen. Von ihnen wurden, laut Friedhofsverwaltung 1499 (2012) und 1605 (2013) auf städtischen Friedhöfen beigesetzt. 1014 der 1499 (67,65 Prozent) der 2012 dort durchgeführten Beisetzungen waren Urnenbestattungen. 2013 waren 1081 von 1605 Beisetzungen (67,35 Prozent) Urnenbeisetzungen. Der Trend zur Feuer- und Urnenbestattung zeigt sich auch in der Relation der 7 Erdbestattungs- und 13 Urnenbestattungsformen, die auf den Friedhöfen der Stadt abgeboten werden.

Der Bestatter Johannes Vehar bestätigt, dass der Trend heute immer stärker zu Grabformen geht, die man als pflegefrei bezeichnet, weil man mit dem Kauf der Grabstelle, etwa im Buchenurnenhain, in der Urnenkirche Heilig Kreuz, unter Familienbäumen, in Gemeinschaftsgrabanlagen und Partnergräbern, Urnenkammern in Urnenwänden oder Stelen, auch einmalig für die Grabpflege bezahlt. Vehar schätzt die Spannbreite der jährlichen Grabpflegekosten, die bei einem klassischen Urnen- oder Erdgrab anfallen, je nach Größe der Grabstelle auf 100 bis 1000 Euro. Während heute eine Ruhezeit von 25 Jahren die Regel sei, weiß Vehar, dass vor dem Zweiten Weltkrieg Gräber auch für 100 Jahre und nach dem Krieg nicht selten noch für 50 Jahre gekauft wurden.
 
Dieser Text erschien am 17. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
 
 

Donnerstag, 17. April 2014

Mit Respekt und Wertschätzung kommt man besser an: Der Verkehrsverbund Via und die Mülheimer Verkehrsgesellschaft warben mit einer Plakat-Kampagne für ihre Bus und Bahnfahrer, offensichtlich nicht ohne Erfolg


„Busfahren hat bei uns Tradition“ steht auf dem Plakat. Und Busfahrer Marco Prudon steht daneben. „Ich wollte erst gar nicht aufs Plakat. Aber mein Chef hat gesagt. Doch. Geh mal dahin. Die machen gerade Fotos. Und plötzlich bekam ich einen Anruf: Du bist dabei“, erinnert sich der 38-jährige Sohn eines pensionierten Busfahrers, der selbst seit drei Jahren für die Mülheimer Verkehrsgesellschaft Bus fährt, an den Start einer plakativen Imagekampagne, mit der die MVG und ihre Schwestergesellschaften im Nahverkehrsverbund Via im zweiten Halbjahr 2013 vor allem für eines warben: Respekt und Wertschätzung für ihre Bus und Bahnfahrer.

Prudon war einer von 40 Bus- und Bahnfahrern, die über Nacht zum Fotomodell wurden, um zu zeigen, dass ihre Kollegen und sie auch nur Menschen sind, die sich über freundliche Fahrgäste freuen. „Ich glaube, dass die Leute früher mehr Respekt vor Bus- und Bahnfahrern hatten. Vielleicht lag es an ihrer Uniform“, glaubt Prudon, wenn er sich mit seinem Vater über dessen Arbeitsalltag am Lenkrad unterhält. Gott sei Dank kennt auch Prudon Fahrgäste, „die einen mit einem freundlichen Guten Morgen begrüßen oder das Geld für die Fahrkarte nicht einfach wortlos hinknallen.“ Doch er stellt immer wieder fest: „Der Ton ist rauer geworden, auch wenn wir selbst gar nichts dafür können, dass ein Bus mal später kommt oder ausfällt.“

Deshalb hat Via Prudon und seine Kollegen auf Bussen, Bahnen und an Haltestellen plakatiert. „Ich bin noch vor drei Wochen angesprochen worden: Sie sind doch der Mann vom Plakat“, erzählt Prudon. Er schätzt, dass er im Laufe der letzten Monate von 25 Fahrgästen (durchweg wohlwollend) auf seine Vorbildfunktion angesprochen worden ist. „Anfangs habe ich genau darauf geachtet, wo ich hänge und auf welchem Bus ich zu sehen bin. Aber irgendwann sieht man das gar nicht mehr“, beschreibt Prudon den Gewöhnungseffekt.

Via, die jetzt rund 1000 Fahrgäste in einer repräsentativen Telefonumfrage befragt hat, bekam immer hin von 13,3 Prozent der Befragten die Antwort, dass die Plakatwerbung ihr Bild von Bus- und Bahnfahrer im Sinne von mehr Wertschätzung positiv verändert habe. 78,5 Prozent bezeichneten die Kampagne als ansprechend. 51,1 Prozent räumten dem Beruf des Bus- und Bahnfahrer einen hohen Stellenwert ein, 67 Prozent bezeichneten Busfahrer als freundlich, 59 Prozent als hilfsbereit, 58 Prozent als umsichtig, 77 Prozent als seriös, aber nur 48 Prozent als geduldig. Geduldig muss man nach Prudons Ansicht auch weiterhin sein, wenn es um den höflichen und respektvollen Umgang in Bussen und Bahnen geht. „Aber ich finde es gut, sagt er, „dass unser Arbeitgeber etwas dafür tut, uns als Arbeitnehmer in der Öffentlichkeit besser darzustellen.“
 
Dieser Text erschien am 14. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Sonntag, 13. April 2014

So gesehen: Nur nicht aus dem Takt kommen

Sage noch einer, die Schloßstraße habe keinen Flair. Man muss manchmal einfach nur in die richtige Richtung schauen und hören, um sich wie auf dem Pariser Montmartre zu fühlen. Gestern Vormittag sah und hörte ich dort drei junge Musiker, die mit der Hoffnung auf einige Groschen ein Streichkonzert gaben. Und gestern Nachmittag zog mich ein alter Musiker mit seinem Akkordeon in seinen Bann. Wer seinen romantischen Klängen lauschte, konnte das graue Straßenpflaster und so manchen dissonanten Leerstand auf Mülheims einstiger Champs-Elysees glatt vergessen. Auch ein älterer Herr fühlte sich von dem Akkordeonspieler angezogen.  Aber er war so taktlos, den Musicus aus dem Takt zu bringen, in dem er ihm nicht nur zuhören, sondern im Vorbeigehen und wild gestikulierend auch noch seine halbe Lebensgeschichte erzählen wollte. Doch ehe aus der halben eine ganze Lebensgeschichte werden konnte, überspielte der Mann mit dem Akkordeon, freundlich, aber bestimmt die Zwischentöne des allzu mitteilsamen Mannes. Denn wer wüsste es besser, als ein alter Straßenmusiker. Zeit ist Geld. Und wo du nicht bist, Herr Jesus Christ, da schweigen alle Flöten. Vielleicht sollte man ja nicht nur an der Schloßstraße, sondern auch an anderen Orten öfter mal Musiker aufspielen lassen, wenn es darum geht Misstöne und Geschwätz zu überspielen und so für wohlklingende Harmonie zu sorgen.

Dieser Text erschien am 12. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 12. April 2014

Es geht um jedes Prozent: Die Eisengießerei der Friedrich-Wilhelms-Hütte profitiert von der Energiewende und wird zugleich von ihr belastet, weil ihr Gewinn auch von einer stark reduzierten EEG-Umlage abhängig ist


Private Stromverbraucher müssen derzeit eine Umlage von 6,24 Cent pro Kilowatt/Stunde bezahlen. Mit dieser sogenannten EEG-Umlage wird die Energiewende, also der Ausbau von Wind- und Solarenergie finanziert.

Energieintensive Betriebe, wie die Eisengießerei der Friedrich-Wilhelms-Hütte (Jahresumsatz 30 Millionen Euro) erhalten einen Rabatt auf diese Umlage. Der kaufmännische Geschäftsführer der FWH, Georg Stierle, spricht von einem „Nachteilsausgleich.“ Er macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Strompreise im Nachbarland Frankreich, das weiterhin massiv auf Atomstrom setzt, um etwa ein Drittel niedriger seinen, als in Deutschland.

Doch die EU-Kommission sieht den Nachteilsausgleich oder Rabatt als Wettbewerbsverzerrung. Deshalb sollen nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums (wie berichtet) 500 von 2100 energieintensiven Betrieben ihren Nachlass auf die EEG-Umlage verlieren.

Ist die FWH auch betroffen? „Nach dem, was wir aus den Beihilferichtlinien des EEG-Gesetzentwurfes wissen, werden Eisengießereien auch zukünftig zu den energieintensiven Betrieben gehören, die diesen Nachteilsausgleich auch weiterhin nutzen können“, betont Stierle.

Derzeit werden der Eisengießerei der FWH 90 Prozent der EEG-Umlage und damit 1,6 Millionen Euro pro Jahr erlassen. „Dieser Nachteilsausgleich ist für uns lebenswichtig. Bei einer Gewinnmarge von zwei bis drei Prozent, geht es um jedes Prozent, weil das darüber entscheidet, ob wir mit dem Betrieb noch einen Gewinn erwirtschaften oder schon in die Verlustzone rutschen. Eine Absenkung des Nachteilsausgleichs könnte für uns deshalb existenzbedrohend sein“, erklärt der kaufmännische Geschäftsführer der Friedrich-Wilhelms-Hütte.

Die FWH, deren Eisengießerei insgesamt 300 Mitarbeiter beschäftigt und 2013 unter anderem 24 Rotornaben und über 200 Maschinenträger für Windkraftanlagen hergestellt hat, verbraucht jährlich rund 48 Millionen Kilowatt/Stunden Strom. Vor dem Hintergrund der aktuellen Prüfung der EEG-Umlage durch die EU-Kommission, kann Stierle im Moment noch nicht sagen, ob die Eisengießerei der FWH auch für 2015 beim zuständigen Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle einen Nachlass auf die EEG-Umlage beantragen kann und in welcher Höhe sich dieser dann bewegen könnte. Im laufenden Jahr hat die Eisengießerei der FWH übrigens noch einmal 48 Maschinenträger für Windkraftanlagen herstellen können.

 

Dieser Text erschien am 9. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 10. April 2014

Ruhrbania polarisiert immer noch: Eine Umfrage zur neuen Ruhrpromenade und ihrem Hafenbecken

An diesem Mittwochnachmittag ist die Ruhrpromenade und der Platz vor dem Hafenbecken ein Platz an der Sonne, der etliche Mülheimer anzieht, die hier ihre Mittagspause oder ihren vorgezogenen Feierabend genießen. Aus den Computervisualisierungen und Modellzeichnungen ist Wirklichkeit geworden, eine Wirklichkeit, an der sich die Geister scheiden, so wie schon 2001, als das 25-Millionen-Euro-Projekt Ruhrbania auf den Weg gebracht wurde, um die Stadt an den Fluss zu bringen und damit auch die Innenstadt neu zu beleben. Ist die Rechnung aufgegangen? Hat sich der Aufwand gelohnt?


„Es hat sich 100-prozentig gelohnt. Mülheim hat durch die Ruhrpromenade und das Hafenbecken mit dem großen Platz etwas Großstädtisches bekommen. Von hier aus wird der Blick auf die Stadthalle ganz neu geöffnet. Der Blick hat was Erhabenes und ich fühle mich hier wie in Venedig. Wenn die Stadt einen Investor für den Kaufhof sucht, sollte sie ihn hier hin führen. Wenn man das sieht, muss man als Unternehmer doch etwas machen wollen“, schwärmt die Buchhändlerin Ursula Hilberath.

Ric Köneke, der sich zur gleichen Zeit mit seinem Hund das gleiche Szenario anschaut, kann ihre Begeisterung nicht teilen. „Das ist doch kahl und grausam und wirkt auf mich wie ein Parkplatz mit Wasserstelle. Das Hafenbecken müsste viel größer sein“, kritisiert Köneke. Ruhrbania 2014 bräuchte aus seiner Sicht dringend mehr Grün. „Doch dafür hat die überschuldete Stadt jetzt gar kein Geld mehr und die Kosten für Ruhrbania werden ihr über den Kopf wachsen“, befürchtet er. „Wir hätten ein besseres Ergebnis bekommen, wenn man die Bürger rechtzeitig mit einbezogen hätte“, glaubt Köneke.

Die beiden Rathaus-Mitarbeiterinnen Sandra Gaetke und Annette Lattberg sehen die Ruhrpromenade und das Hafenbecken „als Fortschritt gegenüber den alten Ostruhranlagen.“ Sie glauben, „dass viele Leute Ruhrbania gerne annehmen werden, wenn hier noch einige Restaurants, Eisdielen und Boutiquen eröffnen.“

Amira Zahirovic, die sich mit ihrem Hund Aron auf den Treppen des Ruhrbania-Platzes niedergelassen hat, findet, „dass man den Aufwand, der hier betrieben worden ist, gar nicht sieht.“ Ihr erster Eindruck: „Trist und viel Beton.“ Sie würde sich Ruhrbania mit mehr Grün, Geschäften, Cafés und Restaurants wünschen.

„Der Aufwand hat sich nicht gelohnt, weil man in den alten Ostruhranlagen auch ganz nett an der Ruhr sitzen konnte. Und eine Verbindung zur Innenstadt fehlt auch, weil der ungenutzte Kaufhof und das Parkhaus den Weg dort hin versperren“, meint Alexandra Ilievski

. „Das sieht ja ganz nett aus“, findet dagegen Reiner Deckers. Ruhrbania wird aber aus seiner Sicht nur mit einem gut funktionierenden Kaufhof und einer lebendigen Gastronomie an der Ruhrpromenade zur Erfolgsgeschichte werden.

„Das ist doch Schwachsinn, weil die Innenstadt tot ist“, ärgern sich  Dirk Vormum und Irmgard Monreal. Sie glauben, dass mit Ruhrbania Steuergeld verschleudert worden sei, das man lieber in die Belebung der Innenstadt hätte investieren sollen, statt „den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen“ und ein neues Quartier an der Ruhr zu bauen.

„Wir wollen hoffen, dass sich die Mühe auch gelohnt hat“, üben sich Jörg und Nicole Fischer
am Rande des Hafenbeckens in Zweckoptimismus. Nicole Fischer hofft auf nette Cafés und Restaurants an der Ruhrpromenade. Dann kann sie sich durchaus vorstellen, „dass wir auch abends öfter hier sein werden.“

Doch ihr Mann Jörg macht klar: „Aber ich darf nicht nach links gucken, denn der leerstehende Kaufhof geht mir auf die Nerven. Zur Not muss man den abreißen, um mit einer neuen Einkaufspasssage einen Durchgang zur Innenstadt zur schaffen.“

Dieser Text erschien am 3. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 9. April 2014

Ist es wirklich schon so spät? Die Zeitumstellung wirkt auf unsere innere Uhr wie ein Jetlag


Wer Sonntagmorgen (30. März) aufwacht(e) und das Gefühl hat, es sei später, als gedacht, liegt genau richtig. Denn um 2 Uhr wird die Uhr um eine Stunde vorgestellt. Die mitteleuropäische Sommerzeit macht es nötig. Dabei werden bei 90 Prozent aller städtischen Uhren gar keine Zeiger vorgestellt, wie Stadtsprecher Volker Wiebels zu berichten weiß. „Denn bei ihnen handelt es sich um Funkuhren, die automatisch mit einem Funksignal aus der deutschen Funkuhrzentrale in Frankfurt am Main umgestellt werden. Das ist bei der Uhr am Rathausturm genauso, wie beim Funkwecker zu Hause.“ Eine der wenigen Uhren, die noch, wie zu Großvaters Zeiten, per Hand umgestellt werden, ist die der 1897 eröffneten Alten Post, in der seit 20 Jahren das städtische Kunstmuseum beheimatet ist.

Der volkswirtschaftliche Vorteil (Energieeinsparung) und mögliche gesundheitliche Auswirkungen der Zeitumstellung sind umstritten. Zuletzt hat der Vizepräsident des Bundesumweltamtes, Thomas Holzmann, und die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) darauf hingewiesen, dass die Zeitumstellung keine Nettoeinsparung bei den Energiekosten mit sich bringt, dafür aber den Wach-Schlaf-Rhythmus. Nach einer Langzeituntersuchung der DAK steigt die Zahl der Herzinfarkte in den Tagen nach der Zeitumstellung um bis zu 25 Prozent an.

Der an der Aktienstraße praktizierende Neurologe Jakob Milkereit bestätigt, dass vor allem Patienten, die in Folge einer Depressions- oder einer Burnout-Erkrankung unter Schlafstörungen leiden, mit der Zeitumstellung einer besonderen Belastungssituation ausgesetzt werden, die zu Stresssymptomen und erhöhtem Blutdruck führen könnten.

Bei gesunden Menschen sehen Milkereit und seine allgemeinmedizinischen Kollegen Peter Ramme und Uwe Brock zwar eine belastende Ausnahmesituation, die man mit einem Jetlag vergleichen könne. Nach Flugreisen in andere Zeitzonen führt der Jetlag zur Beeinträchtigung des Biorhythmus. Schlafstörungen, Gereiztheit, Konzentrationsschwäche, Appetitlosigkeit und Verdauungsprobleme können die Folge seien.

„Es kann durchaus ein- bis zwei Wochen dauern, bis sich unser Schlafrhythmus auf die neue Sommerzeit eingestellt hat“, betont Ramme. Während Milkereit die Zeitumstellung infrage stellt, sieht Ramme aus medizinischer Sicht weder Vor- noch Nachteile der Sommerzeit. Brock sieht dagegen einen gesundheitsfördernden Aspekt darin, dass es während der Sommerzeit abends länger hell bleibe. „So werden die Leute motiviert, abends rauszugehen und sich zu bewegen statt vor dem Fernsehen zu sitzen“, glaubt der Hausarzt und Internist.

Dieser Text erschien am 29. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Kameradschaft und rote Ohren: Thorsten Drewes ist seit 30 Jahren Feuerwehrmann: Er liebt seinen Beruf, auch wenn er manchmal hart ist. Denn er erlebt ihn als sinnvoll. Und seine Kollegen sind für ihn, wie eine große Familie sind, auf die Verlass ist

Versonnen schaut Thorsten Drewes, den 14 neuen Kollegen nach, die am 1. April 2014, dem 90. Geburtstag der Berufsfeuerwehr , dort ihre Ausbildung beginnen. Am Anfang steht eine Sportübung. „Sport wird hier groß geschrieben“, sagt der 51-jährige Brandinspektor. Vor 30 Jahren war er an ihrer Stelle und wurde mit einem Kollegen in voller Montur mit Atemschutzmaske und Atemschutzgerät durch einen dunklen und beschallten Käfigtunnel geschickt. „Da muss man durch, um zu lernen, nicht in Panik zu verfallen und in so einer Ausnahmesituation Vertrauen zu seinem Kollegen, seinem Gerät und zu sich selbst zu entwickeln“, sagt Drewes.

Ausnahmesituationen hat er in 30 Feuerwehrjahren viele erlebt. „Meinen ersten Einsatz in Mülheim werde ich nie vergessen. Ich kam um 7.50 Uhr zum Dienst und sollte um 8 Uhr den Kollegen offiziell vorgestellt werden. Doch dann kam ein Alarm und mein Wachführer sagte einfach: „Komm mit!“ Drewes kam und machte mit. Im Hafen brannte eine Kunststofffabrikation und der Einsatz dauerte drei Tage, genug Zeit, um die Kollegen kennenzulernen. „Feuerwehrleute sind wie eine große Familie. Die ticken einfach alle gleich. Man kann sich blind auf sie verlassen“, schwärmt Drewes. Es war diese Kameradschaft, von der ihm sein Schwiegervater und Vorbild als Feuerwehrmann erzählt hatte, die den gelernten Elektriker nach der Bundeswehrzeit zur Feuerwehr brachte.

Heute gehört ein Orientierungsmarsch, bei dem ein Feuerwehrmann seine durch Augenklappen blind gemachten Kollegen durch ein Waldstück führen muss, zu den ersten Ausbildungsübungen, die angehende Brandmeister hinter sich bringen müssen. „Man muss begreifen, dass man als Einzelkämpfer bei uns keine Chance hat“, betont Drewes.

Über viele Jahre gehörte er zu den Angriffstrupps, die bei der Brandbekämpfung und im Rettungsdienst in der ersten Reihe stehen. Seit 2010 zählt er zu den 15 Einsatzleitern der Berufsfeuerwehr. „Ich stehe heute auf dem Feldherrnhügel“, sagt er mit einem Augenzwinkern und lässt keinen Zweifel daran, dass die lange Zeit an der vordersten Front der Brandbekämpfung für ihn eine harte, aber notwendige Schule war. „Denn nur so kann ich heute Verantwortung für Kollegen tragen und weiß genau, worauf es ankommt und was geht und was nicht und wann man einen Kollegen auch mal aus dem Rennen nehmen muss“, unterstreicht Drewes.

Schon bei einem seiner ersten Einsätze musste er lernen, dass man als Feuerwehrmann auch dem Tod begegnet. Bei einem Brand in einem alten Haus konnten seine Kollegen und er drei Kinder nur noch tot bergen, weil man sie in Qualm und Feuersbrunst zu spät fand. Sie hatten sich unter einem Tisch und in einem Schrank versteckt, statt sich am Fenster bemerkbar zu machen.

Nach einem Unfall auf der A 40 konnten Drewes und seine Kollegen drei Menschen mit Hydraulikschere und Metallspreizer aus einem brennenden Fahrzeug retten, während ein vierter Insasse bis zur Unkenntlichkeit verbrannte. Vor etwa 20 Jahren gehörte er zu den Feuerwehrleuten, die im Uhlenhorst die brennende Villa Grillo löschten, aber die Hausherrin nicht mehr retten konnten. „Einige Gebäudeteile waren durch das Feuer eingestürzt und wir hatten keine Hydranten vor Ort, so dass das Wasser im Pendelverkehr der Tankfahrzeuge dort hin gebracht wurde.“, erinnert sich Drewes.

Im Gedächtnis geblieben ist ihm auch der Brand in einem Mehrfamilienhaus am Dickswall, bei dem die Feuerwehr 21 Menschen retten konnte, aber zwei Bewohner starben. Ein Bewohner war aus dem zweiten Stock gesprungen und hatte dabei das von der Feuerwehr ausgebreitete Sprungtuch verfehlt.

„In solchen Extremsituationen kann man nur funktionieren. Man muss einen Hebel im Kopf umlegen und sich ganz auf seine Aufgabe konzentrieren“, weiß Drewes.

Dass er sich bei seinen Einsätzen an der Feuer- und Rettungsfront nur einige „rote Ohren“ und Schnittverletzungen, aber keinen dauerhaften seelischen Schaden geholt hat, verdankt er vor allem seiner Frau, die selbst in einer Feuerwehrfamilie aufgewachsen ist und ihn nach belastenden Einsätzen immer wieder aufgefangen hat.

Ausgesprochen dankbar ist Drewes dafür, dass es, anders, als in seinen ersten Jahren bei der Feuerwehr heute Notfallseelsorger gibt, die auch nach dem Einsatz für Gespräche zur Verfügung stehen. Auch als diensterfahrener Vorgesetzter bietet er jungen Kollegen nach belastenden Einsätzen immer wieder das Gespräch an. „Heute sagt niemand mehr: Wenn du das nicht vertragen kannst, bist du hier falsch“, beschreibt er die Sensibilisierung und den Mentalitätswandel bei der Berufsfeuerwehr.


Schlaglichter


Am 1. April 1924 traten 17 Feuerwehrleute an der Aktienstraße ihren Dienst bei der neuen Berufsfeuerwehr an.

Sie rückten im ersten Jahr zu 70 Einsätzen aus.

Heute hat die Berufsfeuerwehr Mülheim rund 230 Mitarbeiter, von denen rund 190 Feuerwehrleute sind.

Die Berufsfeuerwehr leistet jedes Jahr rund 30.000 Einsätze, von denen aber nur rund 500 auf die Brandbekämpfung entfallen. Der Großteil der Einsätze wird im Bereich des Rettungsdienstes, des Krankentransportes und der technischen Hilfeleistungen absolviert.

Mal muss Hilfe am Unfallort geleistet werden. Mal muss eine Katze vom Baum geholt werden oder eine undichte Gasleitung ist abzusperren und die betroffenen Anwohner rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

Vor 1924 gab es in Mülheim nur eine freiwillige Feuerwehr. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst, aber 2001 neu begründet.

Wer bei der Berufsfeuerwehr arbeiten möchte, muss übrigens eine abgeschlossene Handwerksausbildung haben.

Dieser Text erschien am 2. April 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 6. April 2014

So gesehen: Die Zeiträuber sind unter uns

Wenn Bürokraten und Politiker nichts zu tun haben, entwickeln sie Ideen und Systeme, die die Menschheit beglücken sollen, tatsächlich aber viele Zeitgenossen eher verwirrt oder sogar unglücklich zurücklassen.

So ist es auch mit der Zeitumstellung. Sie soll Energie sparen. Wohl gemerkt: Soll?! Tatsächlich stiehlt sie den Menschen, die heute alles haben, nur keine Zeit, eine Stunde ihrer Lebenszeit. Im Namen der Energieeinsparung werden sie unter Strom gesetzt und aus dem Rhythmus gebracht.

Als wäre unsere Zeit nicht schon schnelllebig genug, wird durch die Zeitumstellung ohne Not an der Uhr gedreht und so die Zeit weiter beschleunigt.

Wenn Ihnen jemand am Samstag 50 Euro wegnimmt und Ihnen verspricht, sie Ende Oktober wieder zurückzugeben, rufen Sie im Zweifelsfall die Polizei. Doch wer beschützt uns vor den Zeitdieben, die nicht nur Ende März an der Uhr drehen?

Das müssen wir wohl selbst tun, indem wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen, um gesund zu bleiben, und die Rückgabe der uns gestohlenen Stunde auch zu erleben. So viel Zeit muss sein.


Dieser Text erschien am 29. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Samstag, 5. April 2014

Wettlauf mit den Cyber-Gangstern: Die Datensicherheit ist in der Stadtverwaltung zu einem Dauerthema geworden


Der Computerfachmann Tobias Morsches hat die Computernetze von 15 Kommunen in NRW untersucht und dabei zum Teil erschreckend niedrige Sicherheitsschwellen aufgedeckt (die NRZ berichtete). 80 Prozent seiner fingierten Attacken waren erfolgreich. Über öffentlich zugängliche Netzwerkdosen oder unter dem Vorwand der IT-Wartung konnte er sich Zugang zu Computernetzwerken und sogar Administrationsrechte verschaffen. Und zuletzt machte der Hacker-Angriff auf einen Verwaltungsrechner in Oberhausen Schlagzeilen. Doch wie sicher ist eigentlich das Computernetzwerk der Stadt Mülheim, das täglich zum Teil sensible Bürgerdaten bearbeitet und speichert. Im Gespräch mit der Leiterin des zuständigen Amtes für Zentrale Dienste, Claudia Nowak, dem Teamleiter für System und Netzwerkadministration, Dirk Scheer und dem Internetteamleiter Niels Gründel suchte ich für die NRZ nach Antworten.

Frage: Wie ist das Computernetzwerk der Stadt aufgebaut?
Antwort: Das Rechenzentrum der Stadtverwaltung besteht aus einem 90 Quadratmeter großen Raum, in dem rund 30 Serverschränke stehen. Den Kern bilden 60 physikalische (Hardware) und 120 virtuelle (Software) Serversysteme, die einen Arbeitsspeicher von rund 30.000 Gigabyte haben, der zurzeit nur zu 50 Prozent ausgenutzt ist. Insgesamt 2300 Verwaltungsrechner sind mit dem Rechenzentrum verbunden.

Frage: Wer hat Zugang zum Rechenzentrum?
Antwort: Nur der Teamleiter für System- und Netzwerkadministration und seine 15 Mitarbeiter. Er selbst oder einer seiner Kollegen ist auch dann dabei, wenn externe Mitarbeiter von Fachfirmen das Rechenzentrum betreten, mit denen die Stadt Pflege- und Wartungsverträge abgeschlossen hat.

Frage: Wie sind die Netzwerkdosen im Rathaus abgesichert?
Antwort: Die öffentlich zugänglichen Netzwerkdosen im Ratssaal, im Medienhaus oder im U-25-Haus sind nicht mit dem internen Computernetzwerk der Stadtverwaltung verbunden. Im Medien- und im U-25-Haus handelt es sich um unabhängige externe Netzwerke. Auch die Stadtverordneten haben mit ihren I-Pads nur Zugriff auf das Internet, aber nicht auf das Intranet der Verwaltung. Aufgeschaltet, dass heißt per Kabel mit dem städtischen Computernetzwerk verbunden, sind nur die Netzwerkdosen in den Büros der Verwaltungsmitarbeiter. Netzwerkdosen in nicht regelmäßig genutzten Besprechungsräumen sind grundsätzlich abgeschaltet, also nicht mit dem Computernetzwerk der Verwaltung verbunden. Sie können nur auf Anfrage und bei Bedarf vom Amt für zentrale Dienste aufgeschaltet und mit dem Netzwerk verkabelt werden.

Frage: Wie werden sensible Bürgerdaten vor dem Zugriff unbefugter Dritter geschützt?
Antwort: Alle Mitarbeiter müssen vor ihrem Eintritt in die Verwaltung eine Datenschutzerklärung unterschreiben, die sie dazu verpflichtet, dienstliche Daten nicht an unbefugte Dritte weiterzugeben. Außerdem sind alle Verwaltungsrechner grundsätzlich so eingerichtet, dass man keine internen Daten einfach auf einen USB-Stick oder eine CD-Rom herunterladen kann. Alle Verwaltungsrechner werden zudem mir sich regelmäßig ändernden Passwörtern vor dem Zugriff Unbefugter geschützt. Außerdem müssen Verwaltungsmitarbeiter ihren Computer mit einer bestimmten Tastenkombination sperren, sobald sie ihren Arbeitsplatz verlassen. Grundsätzlich gilt bei sensiblen Daten, wie etwa rund um Sozialleistungen oder Bauanträge: Nicht alle Mitarbeiter haben Zugriff auf alle Daten, sondern der Zugang wird über eine Codierung immer nur einem überschaubaren Kreis von mit der Sache befassten Mitarbeitern zugänglich gemacht.

Frage: Wurde das Computernetzwerk der Stadt schon angegriffen?
Antwort: Allein im Februar registrierte die Stadt 700 Angriffe auf ihr Computernetzwerk. 85 Prozent der 3,7 Millionen E-Mails, die die Verwaltung erreichten, wurden als nicht eindeutig identifizierbar zurückgewiesen. 50 Prozent der in einem zweiten Schritt klassifizierten 550.000 E-Mails wurden dann noch einmal als Spam-Mails aussortiert. Die größte Gefahr geht zurzeit vom Aufruf virenverseuchter Internetseiten aus. Dies wurde allein in den letzten 30 Tagen 10.000 mal registriert und abgeblockt..

Frage: Wie werden Cyber-Attacken abgewehrt?

Antwort: Die Stadt setzt regelmäßig aktualisierte Abwehrsysteme ein, wie ein Angriffserkennungssystem, Firewalls, Virenscanner, Mail-Gateways und PC-Schnittstellenkontrollprogramme. Diese Abwehr,- Sperr- und Filtersysteme bestehen nicht nur aus einer Software, sondern aus einer Kombination von Soft- und Hardware. „Unser Abwehrsystem erkennt Angreifer aufgrund bestimmter Auffälligkeiten, wie eine Frau, die mit ihrem roten Hut in einer großen Menschenmenge auffällt“, erklärt Niels Gründel.

Dieser Text erschien am 21. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Freitag, 4. April 2014

So gesehen: Die Kunst der Komödie

Das ganze Leben ist ein Schauspiel, in dem man oft nicht weiß, ob man gerade die Rolle des Helden oder die des Narren spielt. Wer am Samstag im Evangelischen Krankenhaus die vom Backsteintheater auf die Bühne gebrachte Molière-Komödie Tartuffe gesehen hat, weiß: Die Menschen, die mehr scheinen wollen als sie sind, befinden sich wie vor 350 Jahren weiterhin mitten unter uns.


Die Ironie der Geschichte: Gerade die scheinheiligen Apostel des positiven Denkens machen uns das Leben oft schwer, weil sie alles objektiv Negative negieren und uns damit vergessen lassen, dass es nicht die Einbildung, sondern der Humor ist, der uns an den Widersprüchen der Wirklichkeit nicht verzweifeln lässt. Lachen ist eben eine wichtige Bewältigungsstrategie im Leben. Das Theater Backstein und Molière erinnern uns daran. Ein Narr, wer sich diese Lebensfreude entgehen ließe und stattdessen lieber vor dem schönen Schein so mancher Fernsehmattscheibe sitzen bliebe.

Dieser Text erschien am 31. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 3. April 2014

Eine Komödie über Schein und Sein: Das Backsteintheater und sein Regisseur Heribert Lochthove übersetzten Molieres Schauspiel Tartuffe sehr ambitioniert ins Hier und Heute

Die Perücken erinnern an Molière. Ansonsten lassen die Backstein-Schauspieler vergessen, dass Tartuffe, seine Komödie um Schein, Sein und die zweifelhafte Kunst der Blendung schon 350 Jahre alt ist. Habitus, Sprache und die Musik, zu der getanzt wird, erinnern über weite Strecken eher an Gegenwärtiges als an Vergangenes.


Das ist von Regisseur Heribert Lochthove auch so gewollt und wird dadurch unterstrichen, dass er in einer Videoeinspielung die Schauspieler ohne ihre Kostüm in die Rolle ihrer Charaktere schlüpfen und im Stile einer Doku-Soap erklären lässt, warum ihnen der scheinheilige Tartuffe auf die Nerven geht.

Wer nach der Berichten über den Spielverderber, der im Namen Gottes keinen Spaß versteht, geschweige denn, ihn anderen gönnt, einen predigenden Frömmler im weiten Gewand erwartet, wird ein zweites Mal überrascht und in die Gegenwart zurückgeholt.

Tartuffe tritt, sehr einnehmend und glaubwürdig von Katharina Schallenberg verkörpert, als Motivationstrainer auf, wie man ihn aus zweifelhaften Verkaufs- und Persönlichkeitsseminaren kennt.

„Seien Sie ein Siegertyp“, fordert er seine Zuschauer auf und lässt sie erst mal aufstehen und einige seiner suggestiven Coachingübungen machen: „Sagen Sie auch Ihrem Nachbarn: Du bist ein Siegertyp.“

Herrlich vorwitzig gespielt von Alexandra Glienke versucht die Zofe Dorine ihrem verblendeten Dienstherrn Orgon, wunderbar naiv gespielt von Oliver Jakowiak, die Augen über seinen scheinheiligen Günstling Tartuffe zu öffnen. „Eure Tollheit bringt euch noch um den Verstand. Die wahrhaft Frommen brüsten sich nicht mit ihrer Tugend. Vertraut nicht den falschen Frommen und den falschen Helden.“

Doch Orgon kann sich Tartuffes Charisma einfach nicht entziehen und will dem scheinbar frommen Mann, dem „nichts an den Dingen dieser Welt liegt“ zunächst nicht nur sein Vermögen, sondern außerdem auch seine verzweifelte Tochter Mariane (Andrea Krause) geben.

Auch sein Schwager Cléante (Jost Schenck), der sich mit Wasser und Traubensaft, die wie Wein und Schnaps anmuten, sehr glaubhaft fast um den Verstand trinkt, kann weder den verzückten Orgon noch den scheinheilig gerissenen Erbschleicher Tartuffe zur Vernunft bringen. Das muss am Happy End Orgons Frau Elmire (Simone Adelhütte) mit vollem Körpereinsatz erledigen.

Dieser Text erschien am  31. März 2014 in NRZ und WAZ

Mittwoch, 2. April 2014

Die neue Terminvergabepraxis im Bürgeramt kommt nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei den Mitarbeitern gut an

Das ist wirklich viel besser als früher. Wenn man früher Pech hatte, konnte man auch schon mal stundenlang warten“, erzählt Beate Völker. Doch an diesem Dienstagnachmittag ist die 48-Jährige, die sich im Bürgeramt an der Löhstraße einen neuen Personalausweis besorgt, in fünf Minuten durch. „Auch die Mitarbeiter sind viel lockerer“, findet Völker und strahlt.

Auch der 40-jährige Berufskraftfahrer Florian Eitel, der sich um 16 Uhr im Bürgeramt einen neuen Führerschein abholt, in dem jetzt auch eine gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung verzeichnet ist, erinnert sich an Wartezeiten von zweieinhalb bis drei Stunden. „Doch jetzt war es wirklich wunderbar und die Frau vom Amt war sehr qualifiziert“, macht Eitel den Unterschied zwischen der tristen Vergangenheit und der bürgerfreundlichen Gegenwart deutlich.

Die Vergangenheit. Das war die Zeit vor dem 10. März, als das Bürgeramt am Montag,- Dienstag- und Donnerstagnachmittag das Prinzip der Terminvereinbarung eingeführt hat. Seit diesem Tag kann man sich telefonisch oder online auf der städtischen Internetseite beim Bürgeramt einen individuellen Termin buchen und bekommt eine entsprechende Terminnummer und eine Auskunft über die mitzubringenden Unterlagen zugewiesen. Denn ohne vollständige Unterlagen kein Termin. Die Terminnummer wird kurz vor dem Termin auf Monitoren im Wartebereich des Bürgeramtes angezeigt. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem der Bürger dran ist, mit seinem Personalausweis oder Reisepass, mit seinem Führerschein, mit seiner Ummeldung oder seiner Fahrzeugzulassung blinkt neben der Terminnummer, der Name der zuständigen Sachbearbeiterin und die Nummer ihres Arbeitsplatzes auf.

„Es ist ruhiger geworden und die Leute sind entspannter als früher, weil ihre Wartezeiten absehbar sind und ihre Anliegen direkt bearbeitet werden können“, bestätigt Mitarbeiterin Manuela Huppenkothen. Tatsächlich fällt das Fehlen von Warteschlangen auf. Auch im Warteraum sitzen nur wenige Bürger und beobachten den dortigen Monitor. Doch in der Regel sitzen sie dort nur kurz, ehe ihre Terminnummer aufgerufen wird. Für manche geht es sogar so schnell, dass sie den Aufruf ihrer Terminnummer verpassen und von ihrer zuständigen Sachbearbeiterin im Warteraum abgeholt werden müssen.

Das Bürgerecho auf den neuen Bürgerservice scheint einhellig positiv. „Das ist wirklich super. Ich kenne das schon aus Berlin und brauche jetzt endlich auch keine langen Parkzeiten zu bezahlen“, freut sich Helga Ackermann. „In zehn Minuten war ich durch. Das war wirklich überfällig“, findet Frank Hotzel. „Mit meinem Ausweis hat es reibungslos geklappt. Schneller geht es nicht. Die Änderung hat sich bewährt. Das ist ein guter Weg“, meint Thomas Jansen. „Das war nett und schnell. In fünf Minuten hatte ich meinen neuen Personalausweis beantragt“, berichtet Sajae Jaber. „Das gefällt mir sehr gut. Ich hatte um 15.35 Uhr meinen Termin und war um 15.35 Uhr dran. Das war nicht wie beim Arzt, wo man trotz Termin oft lange warten muss“, lobt Alina Julius. Auch die Terminvereinbarung via Internet oder Telefon wurde von den befragten Bürgern als problemlos beschrieben.

Allerdings geben der Leiter des Bürgeramtes, Reinhard Kleibrink und sein für Meldewesen, KFZ-Zulassungen, Ausweise, Reisepässe und Führerscheinangelegenheiten zuständiger Abteilungsleiter Uwe Schrader zu, dass sie es am Montag, Dienstag und Donnerstagnachmittag immer wieder auch mit enttäuschten und wütenden Bürgern zu tun haben, die die neue Terminvereinbarungspraxis noch nicht verinnerlicht haben und nicht wissen, dass es im Bürgeramt jetzt nur noch vormittags offene Sprechzeiten ohne Termin gibt.

Nach bisher 525 Nachmittagsterminen im Bürgeramt ist Amtsleiter Kleibrink positiv überrascht, „dass alle Kunden sehr termintreu gewesen sind und nur ein Bürger seinen vereinbarten Termin nicht einhalten konnte, ihn aber telefonisch absagte, weil er im Stau steckte“.

Der zuständige Abteilungsleiter Schrader schätzt, dass zwei Drittel der Bürgertermine online vereinbart werden. Ob die neue Terminvergabepraxis zur Dauereinrichtung wird oder zu Lasten der offenen Sprechzeiten, die weiter vormittags ohne Termine, aber dafür mit Wartezeit angeboten werden, ausgebaut wird, will man im Bürgeramt nach einer Testphase von eineinhalb bis zwei Jahren entscheiden.

Die Nagelprobe sieht man dort in den Hauptreisezeiten auf sich zukommen, wenn die Verlängerung oder Neuausstellung von Personalausweisen und Reisepässen regelmäßig zu einem Massenansturm führt.

Weitere Informationen zur neuen Termivergabepraaxis im Bürgeramt bietet die städtische Internetseite www.muelheim-ruhr.de

Dieser Text erschien am 27. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Ihre Wiege stand in Mülheim

  Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die  Internets...