Samstag, 29. Juni 2019

Was der Versailler Vertrag für Mülheim bedeutete


Das Freikorps Schulz auf der Schloßbrücke
Foto: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
28. Juni 1919: Mit den Friedensvertrag von Versailles endet der Erste Weltkrieg. 9 Millionen Soldaten sind an seinem Fronten gefallen. 3.500 von ihnen kamen aus Mühlheim. Wie der furchtbare Krieg, so hat auch der für den Kriegsverlierer Deutschland harte Frieden unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der damals rund 125.000 Mülheimer.

Die Mülheimer Zeitung, die den Kaiseradler durch das Stadtwappen ersetzt hat, schreibt am Tag nach der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages: „Liebe Mülheimer Burger! Unser Volk ist hart geprüft. Es scheint, als müssten wir alles auskosten, was bitter und gallig schmeckt. Die Tiefen bleiben uns nicht erspart. Doch da wollen wir nicht klagen und verzweifeln, sondern der kalten, hasserfüllten Welt sagen: Wir wagen zu hoffen. Was uns trennt, das lasst uns beiseite tun und zusammenfügen. Das tut uns Not. Die Zukunft ist schwarz. Aber sie wird nicht verzweifelt sein, wenn wir uns im Weltenspiegel suchen und erforschen, was uns die Not als Lehrmeisterin zu sagen hat.“  Fünf Jahre zuvor hatte die Mülheimer Zeitung in ihrer Ausgabe vom 2. August 1914 mit der Schlagzeile aufgemacht: „Mit Gott für Kaiser und Reich! Der Herr segne die deutschen Waffen!“ Doch der Kaiser hat im November 1918 abgedankt. Deutschland ist jetzt Republik. Es muss sein Heer auf 100.000 Soldaten reduzieren und ein Großteil seiner Waffen abgeben. Das sorgt in Mülheim, das seit 20 Jahren Garnisonsstadt ist, für Krisenstimmung. Einige der in der Kaserne an der Kaiserstraße stationierten Soldaten wollen nicht wahrhaben, dass sich die Zeiten ändern. Ihr Kommandeur Siegfried Schulz sammelt 1.000 Soldaten unter seinem Kommando und bildet das Freikorps Schulz. Wie ihr Kommandeur, lehnen auch seine Soldaten die neue Republik ab. Deren Regierung besteht in ihren Augen aus „Novemberverbrechern“, die mit der Revolution im November 1918 „der im Felde unbesiegten“ deutschen Armee mit einem „Dolchstoß in den Rücken gefallen“ seien. Die „Dolchstoßlegende“, mit der vor allem die Deutschnationale Volkspartei auf Stimmenfang geht, hat mit den Fakten des Kriegsendes nichts zu tun, Heute würde man von Fake News sprechen. Im Jahr nach dem Friedensvertrag von Versailles tobt auch in Mülheim ein blutiger Ruhrkampf. In der Roten Ruhrarmee bewaffnen sich linke Arbeiter, um einen rechtsextremen Putsch gegen die junge Republik abzuwehren und die Republik gleichzeitig in ihrem sozialistischen Sinne umzugestalten. Dafür steht 1919 auch der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat.

Bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung stimmen 1919 fast 9 Prozent der Mülheimer für die deutschnationalen Volkspartei, die die neue Republik ablehnt und ihren alten Kaiser Wilhelm II. wiederhaben will. Doch Wilhelm bleibt in Holland und ausgerechnet der als „Gewerkschaftsfresser“ verschriene Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes handelt als Vertreter der deutschen Arbeitgebern mit den Führern der Arbeiterschaft ein Abkommen aus, das den Achtstundentag und die Tarifautonomie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einführt.

Die Zeit, in der Gewerkschaften illegal waren, ist ebenso vorbei wie die Zeit, in der nur Männer wählen durften. 1919 dürfen erstmals auch die Mülheimerinnen wählen und gewählt werden. 37.000 der damals 75.000 Mülheimer Wähler sind vor 100 Jahren Erstwählerin. Drei von ihnen, die Lehrerin Maria Büßemeyer, die Mutter und Soldatenwitwe Luise Blumberg und die Hausfrau Katharina Havermann zogen für die katholische Zentrumspartei und die liberale Deutsche Volkspartei als erste Frauen ins Stadtparlament ein. Schon damals war die Frauenquote im Stadtrat ausbaufähig, saßen doch mit den drei Ratsfrauen 1919 69 Ratsherrn im Stadtparlament.

Über alle Parteigrenzen hinweg waren sich die Mülheimer vor 100 Jahren einig, dass die im Versailler Friedensvertrag festgeschriebenen Reparationen ungerecht und zu hoch waren. Von einem „Diktat“ der Siegermächte war die Rede. 1923 marschierten französische Truppen auch in Mülheim ein, um dafür zu sorgen, dass Deutschland im Rahmen seiner Reparationen aus genug Ruhrkohle lieferte. Bis 1925 blieben die französischen Soldaten als Besatzer in Mülheim. Der Widerstand gegen die Vollstrecker der harten Friedensbedingungen von 1919 einte die Bürgerschaft, ruinierte aber auch Wirtschaft und Währung. Mit der Hyperinflation verloren die Mülheimer ihre Ersparnisse und die vom Oberbürgermeister Paul Lembke geführte Stadtverwaltung ließ eigenes Mülheimer Notgeld drucken, um den Zahlungs- und Investitionsverpflichtungen nachzukommen.

Es waren die Verwerfungen, die der Versailler Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 und die sozialen Folgen der 1929 Weltwirtschaftskrise, auf deren Höhepunkt 1932 6 Millionen Deutsche, darunter 17.000 Mülheimer arbeitslos waren, die der in Mülheim 1925 gegründeten NSDAP und der mit ihre verbündeten Deutschnationalen 

Geschichte auf dem Straßenschild


Die Konflikte, die auch die Mülheimer Stadtgesellschaft nach dem umstrittenen Friedensvertrag von Versailles spalteten, lassen sich im Mülheimer Stadtbild ablesen. Die heutige Friedrich-Ebert-Straße hieß bis 1949 Hindenburgstraße, benannt nach Eberts Nachfolger im Reichspräsidentenamt. Die Ratsmehrheit der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen kürten Hindenburg und den von ihm zum Reichskanzler ernannten Adolf Hitler 1933 zu Mülheimer Ehrenbürgern. Stand der Sozialdemokrat Ebert für die Demokratie von Weimar, so repräsentierte der einstige Generalfeldmarschall als „Held von Tannenberg“ und als „Ersatzkaiser“ das 1918 untergegangene Kaiserreich. Er gehörte aber als ein geistiger Vater der Dolchstoßlegende zu den Totengräbern der Weimarer Demokratie, deren Verfassung er als Reichspräsident mit seinen Notverordnungen aushebelte.


Dieser Text erschien am 28. Juni 2019 in NRZ & WAZ

Mittwoch, 26. Juni 2019

Rat und Hilfe in Sachen Sucht


Margret Busse 
Foto: Julia Blättgen
„Wir sind froh, dass wir mit Margaret Busse eine so erfahrene und kompetente Fachkraft gewinnen konnten. Das ist heute gar nicht mehr so leicht“, sagt Superintendent Gerald Hillebrand mit Blick auf die neue Leiterin des zur Diakonie gehörenden Ambulatoriums.

Margaret Busse kann auf eine lange Berufserfahrung als Diplom Sozialarbeiterin und Suchttherapeutin zurückschauen. Bevor sie Anfang 2019 in Mülheim die Leitung des 1991 gegründeten Ambulatoriums übernahm, arbeitete sie bei der Diakonie in Düsseldorf, wo sie prägende und wertvolle Erfahrungen in der Familienhilfe und in der Suchttherapie sammeln konnte. Ihr Berufsweg hat sie gelehrt , dass jede Sucht ihre Gechichte hat, die oft auch mit der Familiengeschichte und mit der eignen Lebensgeschichte zusammenhängt. „Unserer Gesellschaft ist darauf ausgelegt, dass wir arbeiten und funktionieren. Niemand setzt sich heute mehr auf eine Wiese und genieß dort einfach mal den Augenblick“, beschreibt sie eine der wesentlichen Ursachen, die dafür verantwortlich sind, dass Menschen in unserer Gesellschaft süchtig werden: süchtig nach Alkohol , nach Tabletten oder auch nach Glücksspiel. Ihre ersten Monate als Leiterin des Ambulatoriums hat Busse dafür genutzt, um die vorhandene Netzwerke, in denen sie und ihre 3 Kolleginnen des Ambulatoriums arbeiten, zu stärken und auszubauen. Die neue Abteilungsleiterin im Diakonischen Werk hat in diesem Zusammenhang viele Gespräche mit Ärzten, mit Kollegen aus anderen Beratungs- und Therapieeinrichtungen, mit den Vertretern von Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfegruppen sowie mit den Mitarbeitern der städtischen Sozialagentur, des Gesundheitsamtes und der an der Kaiserstraße 90 ansässigen Ginko-Stiftung für Prävention geführt. „Wir sind ja keine Insel. Und wir erfinden das Rad auch nicht neu. Wir leisten eine Arbeit., die das Diakonische Werk In Mülheim bereits seit seiner Gründung im Jahr 1921 hier leistet“, betont Busse. Natürlich gibt es auch neue Herausforderungen für die neue Leiterin des Ambulatoriums . 2 Kolleginnen, eine Psychologin und eine Sozialarbeiterin, Gegen Ende des Jahres In den Ruhestand. Deshalb ist Busse derzeit damit beschäftigt,  Gespräche mit der potentiellen Nachfolgern und Nachfolgerinnen zu führen. Außerdem möchte sie das Angebot Im Bereich der pathologischen Glücksspielsucht ausbauen. In diesem Bereich gibt es derzeit schon ein Beratungsangebot des Ambulatoriums, aber anders als in den Bereichen Alkohol- und Tablettensucht noch keine ambulanten Rehabilitationsangebote. Wenn es nach Busse geht, soll sich das ändern. Die ersten Gespräche mit den dafür in Frage kommenden Kostenträgern stimmen sie optimistisch. Jährlich betreuen Busse und ihre 3 Kolleginnen 56 Klienten Im Rahmen einer viermonatigen ambulanten Rehabilitation. Zu dieser Rehabilitation gehören zum Beispiel therapeutische Einzel und Gruppengespräche sowie die fachärztliche Betreuung durch einen Psychiater. Viele Menschen , die zum Beispiel durch ihren Beruf oder durch die Erziehung ihrer Kinder und die Pflege ihrer Eltern zeitlich und örtlich gebunden sind , nutzen bewusst die Möglichkeit einer ambulanten Rehabilitation.

Die Arbeit, die Busse und ihr Team im Ambulatorium der Diakonie leisten, wird, je nach Einzelfall, von der Deutschen Rentenversicherung oder von der Krankenversicherung getragen . Hinzu kommen Fördermittel des Landes, des Bundes , der Stadt und in nicht unerheblichem Maße auch Kirchensteuer Mitteln des evangelischen Kirchenkreises an der Ruhr.

„Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt und ihrem Gesundheitsamt und wir sind dankbar dafür, dass die Stadt unsere im Rahmen unserer Tarifbindung steigenden Personalkosten durch eine Dynamisierung ihrer Zuschüsse mitträgt. Auf der anderen Seite entlassen wir mit unserer Arbeit auch die Sozialkassen, da wir dafür sorgen, dass die Betroffenen weiterhin ihrer Arbeit nachgehen und Steuern zahlen können und so nicht der öffentlichen Hand finanziell zu Last fallen“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes, Birgit Hirsch-Palepu, die als Abteilungsleiterin für die sozialen Dienste des evangelischen Sozialverbandes zuständig ist.

Das Ambulatorium des Diakonischen Werkes ist im Haus an der Althofstraße 4 ansässig. Terminvereinbarungen sind unter der Rufnummer 0208 3003 223 sowie per Mail an: ambulatorium@diakonie-mülheim.de möglich.


Dieser Text erschien am 25. Juni 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Dienstag, 25. Juni 2019

Degenhardts Erben

Von links: Die Liederlichen Rolf Jahn, Hartmut Kremer und Kurt Jahn-Nottebohm
„Liederlich“! Der Name ist seit 17 Jahren Programm. Hartmut Kremer , Kurt-Jahn-Nottebohm und sein Bruder Rolf Jahn machen seit 2002 Lieder, die ihre Zuhörer zum Nachdenken und zum Schwärmen und Schwelgen einladen. Gesellschaftspolitische, kritische, fantasievolle und romantische Texte mit Gesang und Gitarre sind ihr Markenzeichen. Auch  Bernhard Grimm (Akkordeon) und Hartmut Kremers Bruder Peter Kremer (Bass und Gitarre) waren und sind bei „Liederlich“ mit von der musikalischen Partie.
Doch am kommenden Freitag geben sie in der Styrumer Feldmann-Stiftung  ihr letztes (und schon jetzt ausverkauftes) Konzert. Dabei werden sie noch einmal 20 ihrer gut 40 selbst getexteten Lieder ihrem Publikum zu Gehör bringen. Danach wird man ihre feinsinnige Lied- und Tonkunst nur noch auf den unter anderem bei Tom Täger im Tonstudio an der Ruhr aufgenommenen CDs zu hören bekommen. Diese CDs tragen so schöne Namen wie „Vollmond“, „Schutzengel“, „Liebeslieder“ und „Tanze!“.
„Wir sind Freunde und es ist noch sehr schön und es macht uns noch Spaß, aber wir wollen aufhören, bevor wir uns vielleicht irgendwann dann doch auf die Nerven gehen und uns nichts mehr einfällt . Ich könnte mir vorstellen, dass uns vielleicht mal etwas Neues einfällt, vielleicht etwas mit Kabarett und Musik, mit dem man noch aktueller auf das Zeitgeschehen reagieren könnte.“ So erklärt Liederlich-Liedtexter Hartmut Kremer den selbstbestimmten Abgesang der Gruppe, die sich in ihren auf Bühnen, Straßen und Plätzen gesungenen Liedern von den Liedermachern Franz Josef Degenhardt, Hermann von Veen, Konstantin Wecker und Hannes Wader ließen, mit denen sie aufgewachsen waren.
„Ich freue mich, meine alten Lieder mal in einer ganz neuen Fassung zu hören und auch die Lieder aus Ihrer eigenen Feder lassen sich gut hören“, hatte Franz-Josef Degenhardt den Liederlichen ins Notenbuch geschrieben, nach dem sie ihm ihre erste CD geschickt hatten. Das Lob spricht für sich und klingt in den Ohren der Liederlichen wie Musik. 

Dieser Text erschien am 24. Juni  2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Montag, 24. Juni 2019

Wo die Mülheimer Zeitung entstand


Das Mülheimer Pressehaus 1025
Postkartenansicht aus dem Mülheimer Stadtarchiv
Heute schauen wir auf das alte Pressehaus an der Eppinghofer Straße. Entworfen vom Architekten Franz Hagen, wurde es 1925 mit seinen sieben Stockwerken als erstes „Hochhaus“ Mülheims in unmittelbarer Nähe des heutigen Hauptbahnhofes errichtet. Damals firmierte dieser Bahnhof mit seinem 1910 errichteten Gebäude noch als Bahnhof Eppinghofen. Auf der linken Bildseite erkennen wir die Brücke, unter der wir auch heute noch zum Haupteingang des Hauptbahnhofes am Dieter-aus-dem-Siepen gehen.

Wo das 1943 von alliierten Bomben zerstörte Pressehaus stand, sehen wir heute den Gebäude-Komplex, in dem die Sparda-Bank und die städtische Sozialagentur einquartiert sind. Dass der Architekt Franz Hagen, der in Mülheim die eine oder andere Villa entworfen hat, auch das Pressehaus plante, hatte einen guten Grund. Denn er war über viele Jahre Geschäftsführer der Mülheimer Zeitung, die seit 1873 der Familie seiner Frau Antonie Marks gehörte.

In den 1920er Jahren, das Radio, steckte noch in seinen Kinderschuhen, war die Zeitung noch das Leitmedium. Auch die zweite Mülheimer Zeitung, dieser Zeit, der Generalanzeiger gehörte, wenn auch in einem anderen Verlag erscheinend der Familie Marks. Hinter dem Generalanzeiger stand bis 1911 die Druckerfamilie Blech, deren Vorfahre Gerhard Wilhelm Blech ab 1797 für wenige Jahre eine erste Mülheimer Zeitung herausgegeben hatte. Dann übernahm der Verleger Wilhelm Marks diese Zeitung, während seine Schwestern Antonie und Wilhelmine Marks die Mülheimer Zeitung herausgaben.

Der Grund für die beiden miteinander konkurrierenden Presseverlage mit dem gleichen Familiennamen, man ahnt es, war ein Erbstreit unter Geschwistern, deren Vater Ernst die 1872 von Julius Wacker gegründete Mülheimer Zeitung 1873 erworben hatte.
Erst unter dem politischen und wirtschaftlichen Druck einer von der NSDAP beherrschten und politisch gleichgeschalten Presse bündelte die Verlegerfamilie Marks 1934 ihre Kräfte und fusionierte die beiden Lokalblätter unter dem Titel Mülheimer Zeitung. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmten die Alliierten die Pressepolitik in Deutschland. Sie schlossen die sogenannten Altverleger aus dem Pressemarkt aus und vergaben ihre Lizenzen zur Herausgabe von Zeitungen stattdessen an politisch unbelastete Neu-Verleger. So erschien ab 1946 in Mülheim die von dem Sozialdemokraten Dietrich Oppenberg herausgegebene Neue Ruhr Zeitung. Ab 1948 kam die von Erich Brost und Jakob Funke gegründete Westdeutsche Allgemeine Zeitung hinzu, die bis 1965 mit der Verlegerfamilie Marks und ihren alten Lokaltitel Mülheimer Zeitung eine Redaktion- und Anzeigengemeinschaft bildete. Doch auf lange Sicht stiegen die Erben der Mülheimer Verlegerfamilie Marks aus dem Pressegeschäft aus und verlegten sich auf die Herausgabe von Büchern und Kalendern sowie auf den Handel mit Druckereibedarf. 

Heute steht hier an der Eppinghofer Straße die Sozialagentur
Dieser Text erschien am 24. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 23. Juni 2019

Mal ganz privat

„Was machen Sie?“ Diese Frage gehört zu den klassischen Gesprächseröffnungen, wenn man sich kennen lernen will.

Nun könnte man es sich mit der Antwort auf diese Frage leicht machen und das naheliegendste sagen, nämlich das, was man eben so macht. „Ich lebe. Ich sitze hier mit Ihnen am Tisch und trinke eine Tasse Kaffee. Ich wohne in Mülheim.“ Doch damit wollen sich die meisten Zeitgenossen nicht zufrieden geben. Sie wollen wissen, was man beruflich macht. Wer auf diese Frage antwortet: „Ich bin arbeitslos!“ oder: „Ich bin Rentner!“ oder: „Ich bin Hausfrau und Mutter!“ wird von seinem Gesprächspartner ein: „Ach so. Sie machen also im Moment nichts!“, garniert mit einem mitleidigen Lächeln zu hören und zu sehen bekommen.

Wer hierzulande etwas gelten will, der kann nicht machen, was er will. Er muss was aus sich machen, koste es was es wolle. Rentner, Arbeitslose oder Hausfrauen und Mütter können noch so viel machen und rund um die Uhr an sich und für andere arbeiten. Das macht in den Augen ihrer Mitmenschen gar nichts. Wer etwas hermachen will, der muss schon was auf seiner Visitenkarte stehen haben, zum Beispiel: Rechtsanwalt, Diplom-Ingenieur, Arzt, Manager oder zur Not auch Unternehmens- oder Steuerberater. So eine elegante Berufsbezeichnung beflügelt die Phantasie des Gegenübers auf den ersten Blick und steigert das eigene Prestige.

Ob man mit dem, was man beruflich macht, erfolgreich oder erfolglos ist, also ob wirklich Gold ist, was da glänzt, spielt zumindest auf den ersten Blick keine Rolle. Die protestantische Arbeitsethik, die unseren Wert mit dem Sozialprestige unseres Berufes und unserer vermeintlichen Arbeitsleistung bemisst, hat sich tief in unseren Seelen verankert, auch wenn wir vielleicht katholisch oder Gott weiß was sind.

Deshalb beeindruckte mich jetzt ein Gesprächspartner, der mir seine Visitenkarte mit der Berufsbezeichnung Privatier überreichte. Privatier. Das hört sich doch viel mondäner an als Rentner. Was mir aber an dem Begriff besonders gut gefällt, ist die selbstbestimmte Definition der Persönlichkeit, die dahinter steht und die ihrem Gegenüber klar macht. Ich brauche keine Berufsbezeichnung, um meine Biografie und mein Selbstbewusstsein zu rechtfertigen und zur Schau zu tragen. Ich bin mir als Mensch selbst genug wert. Ich brauche kein Image, weil ich bin, was ich bin. Und was ich tue oder lasse, ist meine Privatsache, solange ich damit nicht meinem Nächsten schade. Vielleicht sollten wir ja alle Privatiers sein, wenn nicht auf der Visitenkarte, dann zumindest im Geiste und im richtigen Leben.

Dieser Text erschien am 22. Juni 2019 in der Neuen Ruhrzeitung 


Samstag, 22. Juni 2019

Ein kritischer Geist


Klaus Möltgen
Klaus Möltgen. Ältere Mülheimer kennen den Christdemokraten, der am 22. Juni seinen 80. Geburtstag feiert. Sich selbst und seiner Partei hat es der Partei- und Fraktionsvorsitzende der siebziger, achtziger und frühen neunziger Jahre nie leicht gemacht. Der pensionierte Lehrer und Hochschullehrer, der das politische Geschehen nicht nur in seiner Heimatstadt Mülheim kritisch verfolgt, zählt sich selbst zum christlich-sozialen und linken Flügel der CDU. Als Möltgen, Großvater Joseph Brüggemann 1945 zu den Gründern der Mülheimer CDU gehörte, 1993 gegen den Willen seiner Partei für das Amt des Stadtdirektors kandidierte und anschließend mit dem Wahlbündnis Unabhängiger Bürger (WUB) eine eigene Fraktion bildete und 1994 mit der WUB zur Kommunalwahl antrat, schloss ihn seine Partei aus. Doch in den Jahren seines Kölner Exils wurde er wieder in die CDU aufgenommen. Er kehrte nach Mülheim zurück. Heute wohnt er mit seiner Lebensgefährtin in Broich. Mit Sorge sieht der Historiker und Germanist den Zustand der Volksparteien und unserer Demokratie, auch in Mülheim. „Wir dürfen nie wieder Weimarer Verhältnisse bekommen“, sagt er mit Blick auf die Zersplitterung des Stadtrates. Gerne sähe er es deshalb, wenn die 1999 von den Verfassungsrichtern gekippte Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen durch eine 2,5-Prozent-Hürde in milder Form reaktiviert würde. „Es kann doch nicht sein, dass man mit 600 Stimmen schon ein Ratsmandat bekommt“, findet er. Die ebenfalls 1999 eingeführte Direktwahl des Oberbürgermeisters begrüßt er als „Stärkung der Bürger“. In diesem Sinne plädiert Möltgen für mehr Basisdemokratie. Das zum Beispiel das Friedhofskonzept der Stadt ohne Bürgerbeteiligung abgehandelt wird, bringt ihn in Rage. „Die Bezirksbürgermeister dürfen nicht nur anlassbezogen zu Bürgerversammlungen einladen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wir brauchen in den Stadtteilen regelmäßige Bürgerversammlungen, bei denen alle Bürger zu allen Themen Rede- und Antragsrecht haben. Nur so können wir alle Einwohner der Stadt wieder an die Demokratie heranführen und zur Bürgerkommune werden“, glaubt Möltgen.

Dieser Text erschien am 22. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 21. Juni 2019

Freie Fahrt für Herrn Töpfer


Gestern musste ich an den ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer denken. Wieso das? Ich keuchte die Prinzenhöhe hinauf, einem Termin in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg entgegen. Während ich mich, mit der Uhr im Nacken, Schritt für Schritt zum Ziel kämpfte, fuhren diverse Autos an mir vorbei. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass die eiligen Herrschaften in ihren gut abgefederten Fahrzeugen über glatte und breite Wege ihrem Ziel entgegenrauschen konnten, während die Bürgersteige, auf denen ich mich mühsam fortbewegen musste, immer holpriger und schmaler wurden. Mit Blick auf die vielen eleganten Autos, die vor noch eleganteren Häusern parkten, beschlich mich das Gefühl, dass die Art der Fußgänger hier gar nicht mehr vorgesehen ist. Auf der Prinzenhöhe, der Name ist Programm, geht man nicht zu fuß. Man fährt oder noch besser man lässt sich fahren, so wie einst Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, der sich zu seinem klima- und entwicklungspolitischen Vortrag in seinem Dienstwagen zur Wolfsburg chauffieren ließ. Auf eben diesen Umstand wurde er nach seinem Vortrag denn auch von einem Umwelt-Aktivisten kritisch angesprochen. O-Ton: „Sie sind ja heute auch nicht klimaneutral mit dem Fahrrad, sondern umweltschädigend mit ihrem Dienstwagen angereist.“ Darauf antwortete der damals schon 78-jährige Klaus Töpfer: „Sicher hätte ich mit einem Fahrrad anreisen können. Doch dann wäre ich wohl nicht mehr in der Lage gewesen, Ihnen hier einen Vortrag zu halten!“ Auch wenn ich, ganz ohne Chauffeur und Dienstwagen, bis zu meinem 78. Geburtstag noch etliche steinige Kilometer auf meinem Lebensweg zurücklegen muss, hatte ich gestern sehr viel Verständnis für Klaus Töpfer. Ich muss als Fußgänger und als Fahrgast des öffentlichen Personennahverkehrs schon froh sein, wenn die meisten vollmotorisierten Stadtmütter und Stadtväter, die gegen die Verschuldung Mülheims angehen müssen, mit in Zukunft noch den einen oder anderen ebenen Gehweg gönnen können und mir am Ende nicht auch noch die Straßenbahnlinie unter meinem Sitzplatz wegsparen und ich demnächst nur noch als Anhalter oder in Tagesmärschen meine Lokaltermine erreichen kann.

Dieser Text erschien am 15. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 20. Juni 2019

Froher Feiertag

Einen frohen Feiertag hat man mir gestern gewünscht. Und ich habe diesen Wunsch erwidert. Ein froher Feiertag. Das hört sich gut an. In einer Zeit, in der man von uns erwartet flexibel und rund um die Uhr im Sinne von Arbeit und wirtschaftlicher Produktivität zu funktionieren, gönnen wir uns einen frohen Feiertag. Das könnte schön sein. Doch ich befürchte angesichts der prognostizierten Feiertagsstaus, dass viele Menschen in unserer schnellen und mobilen Leistungsgesellschaft gar nicht mehr fähig sind, sich einen frohen Feiertag mit ganz viel Ruhe und Muße zu gönnen. Ruhe an Fronleichnam? Um Gottes willen. Das hört sich nach ewiger Ruhe auf dem Friedhof an. Dafür sind wir doch viel zu jung und aktiv. Das wäre ja noch schöner, wenn wir am Fronleichnamstag nicht auf der Autobahn im Stau, sondern in einer garantiert staufreien, aber dafür betend und singend daherkommen den Fronleichnamsprozession zu stehen kämen. Wo kämen wir denn da hin? Am Ende noch zur Besinnung. Dabei feiern wir ja mit Fronleichnam „den Leib des Herrn“ und damit die Fleischwerdung Gottes in Christi. Es geht also um die Frohe Botschaft, dass wir als geliebte Kinder Gottes mehr sind als wir leisten und besitzen. Doch ich befürchte, dass das unbeschwerte und ewige Leben im Paradies, das uns die Frohe Botschaft des christlichen Glaubens verheißt, für so manchen Workaholic und erlebnissüchtigen Adrenalin-Junkie unserer Tage zur reinsten Hölle werden könnte. Ich glaube, dass wir nicht erst im Himmel, sondern auch jetzt schon auf Erden erst mal durch ein reinigendes Fegefeuer gehen müssen, ehe wir reinen Herzens froh werden und unbeschwert miteinander feiern können.

Dieser Text erschien am 20. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 19. Juni 2019

Styrum feiert


Rund um den 1892 von August Thyssen errichteten und seit 1992
von der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft RWW
als Wassermuseum betriebenen Aquarius wurde auch diesmal gefeiert.
Rund 16.000 Menschen leben in Styrum. Mindestens die Hälfte dürfte mit gestern beim Familienfest zwischen Aquarius und Schloss mit von der Partie gewesen sein. Den heißtesten Job am sonnigen Sonntag hatte der RWW-Azubi Max Rickert, der als wandelnder Wassertropfen Erwin zu den begehrtesten Fotomotiven gehörte. Vor allem kleine große Jungs ließen sich auch gerne bei seinem RWW-Azubikollegen Suad Tokbay vor der Kulisse eines Maschinenhauses in der vollen Montur eines Anlagentechnikers für Rohrsysteme fotografieren. Dabei durften sie auch schon mal mit Wasserwaage und Rohrzange hantieren.

Gleich nebenan hantierte der neugierige Nachwuchs bei Christa Schragmann vom RWW-Haus Ruhrnatur am liebsten mit dem Mikroskop, mit dem sie die aus einem Wasserbassin gefischten Kleintiere aus der Ruhr unter die Lupe nehmen konnten. „Hier erleben die Kinder, dass nicht nur das Internet und ihr Smartphone, sondern auch die Natur vor ihrer Haustür viel neues zu bieten hat“,  sagte Schragmann.

„Hier muss man einfach sein, um die Menschen aus dem Stadtteil zu treffen“, erklärte Lukaskirchengeemeindepfarrer Michael Manz, weshalb er trotz Gemeindefest auch beim Familienfest vorbeischaute und Gemeindemitglieder aus dem Bezirk rund um die Immanuelkirche unter anderem eine Hüpfburg zum abwechslungsreichen Programm beisteuerte.

Vor allem auf der Bühne am Aquarius jagte ein Programmpunkt den nächsten. Tanzshow, Theater, Live-Musik. Für jeden Geschmack und jedes Temperament war etwas dabei. Auch kulinarisch glänzte Styrum mit seiner ganzen multikulturellen Vielfalt. Wer beim Gang über die Festmeile mit Eltern ins Gespräch kam, hörte Sätze wie diese: „Schön, dass es so viele Angebote für Kinder gibt, die dann auch mal nichts kosten. Hier kann man seine Nachbarn treffen und seine Kinder in Ruhe spielen lassen.“ Oder: „Auch was hier an Getränken und Speisen angeboten wird, kostet nicht die Welt!“

Kein Wunder, dass die vor allem aus Willy-Brandt-Schülern bestehende Theatertruppe um Martina Krall und Peter Eisold, am Ende ihrer irrwitzigen Zeitreise in Styrum den schönsten und lebenswertesten Ort fand. Und der im Rahmen eines Bildungsprojektes vom Verein „NRW macht Schule“ unterstützte musikalische Auftritt der Kinderkönige um Suppi Huhn mit dem Lied „Demokratie. Wir stehe auf diese Freiheit!“, zeigte, dass man auch gesellschaftspolitische Botschaften unterhaltsam unters Volk bringen. Und wenn 52 Gruppen, Vereine und Einrichtungen aus dem Nord-Stadtteil auch diesmal das Familienfest in Styrum zu einer Erfolgsgeschichte machten, ist das ein Stück gelebte Demokratie.


Dieser Text erschien am 18. Juni 2019 in NRZ/WAZ

Dienstag, 18. Juni 2019

Remberg rockt


Ganz klar. Wer nicht dabei war, hat was verpasst. „Remberg rockt“ war mehr als ein Schülerbandfestival. Hier ging es nicht nur um Musik, sondern auch darum, das Leben zu feiern.

Auf dem Förderschulgelände an der Rembergstraße machte sich am Samstagnachmittag so etwas wie die Stimmung bei einem Familienpicknick breit.

„Remberg rockt“. Das waren nicht nur 120 junge Musiker und Sängerinnen aus neun Bands und einem Vokal-Ensemble, die auf zwei Bühnen das in der goldenen Mitte platzierte Publikum mit einem abwechslungsreichen und schwungvollen Musik-Mix á la Jazz, Rock und Pop zum Mitswingen, Mitklatschen und zum Teil sogar zum Mittanzen brachten. Das Schülerbandfestival, das trotz zwischenzeitlicher Wolken und vereinzelter Regentropfen von der Sonne beschienen wurde, war ein schönes Fest der Generationen vom Kinderwagen bis zum Rollator. Hier konnte jedes Alter und jedes Temperament etwas für sich finden, egal, ob man in der Cafeteria oder auf dem Spielplatz und im Spielparcours zwischendurch etwas Abstand von der nicht nur professionell vorgetragenen, sondern auch von Piet Wiesenmüller und Sebastian Weber tontechnisch exzellent inszenierten Musik nehmen wollte. So vergingen vier Festivalstunden wie im Flug. Jeder Auftritt war für die Zuhörer und Zuschauer ein Genuss. Deshalb geizte das begeisterte Publikum auch nicht mit Applaus. Alle Musiker und Sänger überzeugten mit professioneller Klangkunst oder mit Enthusiasmus oder mit beidem.

„Hier schafft Musik Emotionen und Gemeinschaft. Und alle auf und vor den beiden Bühnen haben ihren Spaß“, freute sich Bürgermeisterin Margarete Wietelmann, die im Namen der Stadt den Festivalorganisatoren Petra Metelmann von der Rembergschule und Bernhard Fuchs von der städtischen Musikschule und den Festival-Sponsoren, der Cläre- und Hugo-Stinnes-Stiftung, der Sparkassen-Stiftung und der Stadtbäckerei Hemmerle dankte.

Fuchs und Metelmann bringen als Musik- und Sonderpädagogen nicht nur Professionalität, sondern auch Leidenschaft mit, die man auch bei ihren eignen Bühnenauftritten sah, hörte und spürte. „Dieses Festival zeigt, wie Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und auf unterschiedlichen Leistungsniveaus gemeinsam etwas auf die Bühnen bringen, das sich hören und sehen lassen kann“, sagte Fuchs. Und für seine Kollegin Metelmann, die vor drei Jahren als Nachfolgerin von Peter Klade an der Förderschule für Menschen mit geistigem Förderbedarf in die Festival-Organisation einstieg, ist „Remberg rockt“ für „unsere Schüler ein riesiges Erfolgserlebnis, dem sie immer wieder gespannt entgegenfiebern, weil sie hier als Gastgeber einem großen Publikum unter professionellen Bedingungen zeigen können, was wir gemeinsam erarbeitet haben.“

Für Remberg-Rektorin Anne Schwarz bedeutet das Festival an ihrer Schule, „dass uns die Musik zusammenbringt und uns allen Freude macht und wir einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung der Mülheimer Schülerbands leisten können.“ (T.E.)

Musikalisch mit dabei waren diesmal: Die Gustav Voices von der Gustav-Heinemann-Schule, Terry and the Gang sowie All inclusive, Patchwork und Puzzle von der städtischen Musikschule, Remix und die Ohrwürmer von der Rembergschule, die Bigband der Otto-Pankok-Schule, die Junior-Band der Luisenschule sowie die Willy-Brandt-Schulband Willy B. „Remberg rockt“ wurde 1997 vom damaligen Rektor der Rembergschule, Peter Kalde, und vom Musikschullehrer Bruno Szordikowski als integratives Schülerbandfestival ins Leben gerufen. Bruno Szordikowski hatte 1983 mit Brunos Band die erste integrative Band der Stadt gegründet, die landesweit als Modellprojekt beachtet wurde.


Dieser Text erschien am 17. Juni 2019 in NRZ/WAZ

Samstag, 15. Juni 2019

Ansichten eines Wadenbeißers

Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen. Wir sind auf den Hund gekommen. Dabei meine ich nicht uns persönlich, Sie und mich, die wir gar keine Tiere halten. Die Rede ist von unserem Revier und der gestern in der NRZ berichteten Tatsache, dass die großen Tiere, die Mülheimer und Oberhausener Gehege die Richtung des Rudels bestimmen, sich tierisch schwer damit tun, die notwendige Sanierung des gemeinsamen Tierheims an der Horbeckstraße zügig ins Werk zu setzen, um unseren vierbeinigen Mitgeschöpfen eine artgerechte Unterkunft zu schaffen. Könnten die tierischen Insassen an der Horbeckstraße ihr Leid nicht nur dort herausbellen, sondern vielleicht mit Plakaten bei einer Dogs-am-Donnerstag-Demo vor die Rathäuser in den tierisch verschuldeten Ruhrstädten Mülheim und Oberhausen hinaustragen. Dann müssten sich die Leidhengste und Wadenbeißer, die jetzt beim Finanzierungsstreit ums Tierheim speziell im Oberhausener Rathaus ihr kommunalpolitischen Duftmarken setzten wollen und  wie Hund und Katz an der Horbeckstraße als arme Schweine auf ein artgerechtes Obdach allzu lange warten lassen, aber was anhören. Da würde so manches große Tier im Rathaus-Revier als Schweinehund an den Pranger gestellt. „Bellende Hunde beißen nicht und haben schon gar kein Wahlrecht!“, mag mancher Zweibeiner auf seinem gut gepolsterten Ratssessel heimlich und hundsgemein denken. Doch wer so kurzsichtig wie eine Blindschleiche denkt. Der darf sich nicht wundern, wenn er am Wahltag nicht zu den Ersten, sondern zu den Letzten gehört, den bekanntlich die Hunde beißen, weil ihnen die vielen Tierfreunde, die bereits großzügig für die Sanierung des Tierheims an der Horbeckstraße gespendet haben, auf ihrem Kommunalwahlzettel einen Strich durch ihre politische Rechnung machen. Und dann nützt es ihnen auch nichts mehr, wenn sie mit den Hunden in den unsanierten Zwingern des Tierheims heulen 

Dieser Text erschien am 15. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 14. Juni 2019

Der Preis der Demokratie


Ich traue meine Ohren und Augen nicht. Aber die elektronischen Anzeigetafeln und die Lautsprecherdurchsagen an der zentralen Haltestelle lassen mich wissen: „Wegen einer Betriebsversammlung der Ruhrbahn kommt es heute zu Ausfällen und Unregelmäßigkeiten im öffentlichen Personennahverkehr!“ Na, das ist ja mal was neues. Bisher kannte ich nur klimatische Kapriolen, Unfälle aller Art oder auch schon mal eine heruntergerissene Oberleitung als Begründungen für Verspätungen und Ausfälle. Mit Naturgewalten oder menschlichem Versagen muss man ja immer rechnen. Aber mit einer Betriebsversammlung am hellichten Tag?

Natürlich am hellichten Tag. Nachts müssen die Bus- und Bahnfahrer ja schlafen, damit sie tagsüber am Steuer nicht einschlafen und dann wieder Unfälle bauen, die wieder zu Verspätungen und Ausfällen im öffentlichen Personennahverkehr führen. Und während ich Bahn, Bahn sein lasse und ein Taxi nehme, um pünktlich zu meinem Termin zu kommen, denke ich darüber nach wie ich mein Taxigeld von der Ruhrbahn zurückbekommen könnte. Aber dann fällt mir ein, dass sich die Damen und Herrn Bus- und Bahnfahrer vom Sitzstreik eines chronisch unpünktlichen und unterbezahlten  Fahrgast nicht beeindrucken lassen werden, zumal ich als Steuerzahler ohnehin auch die Millionenzuschüsse für Busse und Bahnen mitbezahlen muss. Dann sehe ich es mal staatstragend und begreife mein betriebsversammlungsbedingt bezahltes Taxigeld als Preis der Demokratie. Auch mit ihr muss man ja Gott sei Dank rechnen und hoffen, dass sie in Fahr kommt oder in Fahrt bleibt und ihre Steuerleute unser Stadt- und Staatsschiff auf Kurs halten und in die richtige Richtung und nicht gegen die Wand, auf den Holzweg oder in eine Sackgasse fahren. Denn sonst müssen wir alle draufzahlen. 

Dieser Text erschien am 14. Juni 2019 in der Neuen Ruhr

Mittwoch, 12. Juni 2019

Lesen fürs Leben

Das Vereinslogo unter:
www.dear-ghana.de
Auch wenige können viel erreichen. Dafür stehen die 16 Frauen und Männer, die 2013 den gemeinnützigen Verein Dear e.V. ins Leben gerufen haben. Dear. Das steht in diesem Fall für „Drop everything and read.“ Auf deutsch: „Lass alles stehen und lies.“
Der Verein hat seit seiner Gründung fünf Schulbüchereien in Accra (Ghana) mit insgesamt 20.000 Büchern und Spielen ausgestattet. Derzeit wird die Ausstattung der sechsten Schulbücherei in Accra in Angriff genommen. Spenden und Mitgliedsbeiträge haben das möglich gemacht. „Die Austattung einer Schulbücherei kostet rund 4000 Euro. In diesem Betrag enthalten sind die Transportkosten der meistens gespendeten, manchmal aber auch gekauften Bücher sowie die Einrichtung mit Tischen, Stühlen und Regalen, die von einheimischen Schreinern hergestellt werden“, erklärt der Vorsitzende von Dear e.V. Paul Raasch.
Er war es, den die aus Ghana stammenden Schwestern Hanni Schroers, Cecile Mölter und Johanna Leisch 2013 die Frage stellten: „Wie gründen wir einen gemeinnützigen Hilfsverein?“

„Wir waren fasziniert wie kurz hier der Weg zur nächsten öffentlichen Bücherei war. Das kannten wir aus unserem englischsprachigen Heimatland Ghana nicht, wo vor allem Büchereien in öffentlichen Schulen eine Seltenheit sind“, erklärt Johanna Leisch ihre Motivation zur Vereinsgründung. Und ihre Schwester Cecile Mölter ergänzt: „Wer liest, weiß mehr und versteht mehr und hat deshalb in seinem Leben viele Vorteile. Denn Wissen ist immer auch Macht.“ Bei ihrem Lehrer liefen die drei von Hause aus belesenen Schwestern aus Ghana offene Türen ein. „Für mich ist unser Engagement private Entwicklungshilfe, die einen kleinen Beitrag dazu leistet, die wirtschaftlichen Nachteile Afrikas im Verhältnis zu Europa auszugleichen“, erklärt Paul Raasch seine Motivation, bei Dear mitzuarbeiten und für die Leseförderung des Vereins um Spenden zu werben.

Dass Johannas und Ceciles Schwester inzwischen nicht mehr in Mülheim, sondern in New York lebt, hilft Dear e.V. dabei englischsprachige Literatur zu beschaffen. Aber es bleiben die Transport- und die Einrichtungskosten. „Da die Schulgeld verlangenden Privatschulen in Ghana ohnehin besser ausgestattet sind, konzentrieren wir unsere Unterstützung auf die kostenfreien und öffentlichen Primary Schools, die wie eine erweiterte Grundschule von der ersten bis zur sechsten Klasse besucht werden“, erklärt der Vereinsvorsitzende. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes gibt das westafrikanische und englischsprachige Ghana derzeit 4,4 Prozent (1,88 Millionen US-Dollar) seines Bruttoinlandsproduktes, das sind ¼ seiner staatlichen Finanzmittel, für Bildungsaufgaben aus und hat damit eine inzwischen über 90 Prozent liegende Alphabetisierungsrate erreicht. Wie in Deutschland, gilt in Ghana die Schulpflicht. Zum Vergleich: Deutschland investiert nach Angaben des statistischen Bundesamtes aktuell 133,4 Milliarden Euro (3,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) in den Bildungssektor.
Wer mehr über die Arbeit von Dear e.V. erfahren und diese finanziell unterstützen möchte, erreicht Cecile Mölter unter der Rufnummer: 0162-6986192 und ihre Schwester Johanna Leisch unter der Rufnummer: 0162-6322906. Außerdem kann man den gemeinnützigen Verein per E-Mail an: info@dear-ghana.de kontaktieren und weitere Informationen auf seiner Internetseite: www.dear-ghana.de abrufen.


Dieser Text erschien am 11. Juni 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Dienstag, 11. Juni 2019

Mehr als ein Debattierclub


Heinz Oskar Vetter
Foto: DGB
10. Juni 1979. Auch in Mülheim sind die Menschen zum ersten Mal aufgerufen das Europäische Parlament direkt zu wählen. Die Direktwahl ist ein Demokratieversprechen. Sie soll dem Parlament, das damals eine rein beratende Funktion hat, die Macht verschaffen, die in der Demokratie vom Volke ausgeht. Bei dieser ersten Europawahl machen 65 Prozent der damals 143.000 wahlberechtigten Mülheimer Gebrauch von ihrem Stimmrecht.

40 Jahre später gehen 62,6 Prozent der jetzt noch 123.000 wahlberechtigten Mülheimer zur 9. Direktwahl des Europäischen Parlaments. Während 1979 der Spruch die Runde macht: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa!“, ist das Parlament der Europäischen Union heute längst mehr als ein Debattierclub grauer Eminenzen. Keine Verordnung, keine Richtlinie, kein Haushalt der EU kann heute ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft treten. Kein EU-Kommissar kann ohne Zustimmung der Europaparlaments sein Amt antreten. Und wenn das Parlament, das in Straßburg und Brüssel tagt, mit der Arbeit der EU-Kommissare unzufrieden ist, kann es diese zum Rücktritt zwingen.

Welch ein Unterschied zur ersten Direktwahl vor 40 Jahren, auch mit Blick auf die Wahlergebnisse.

Zog der Sozialdemokrat und damalige DGB-Chef Heinz Oskar Vetter 1979 mit 53,1 Prozent der Stimmen ins Europäische Parlament ein, so gewannen seine Mülheimer Genossen 40 Jahre später nur noch 21,2 Prozent der Wählerstimmen und wurden damit nur noch drittstärkste Kraft. Die Christdemokraten, die 1979 mit 35,6 Prozent nur auf dem zweiten Platz landeten, konnten bei der jüngsten EU-Wahl mit nur 23,9 Prozent der abgegebenen Stimmen zur stärksten Kraft avancieren. Gleichzeitig haben die Grünen, die bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments mit 3,5 Prozent unter der damals noch geltenden Fünf-Prozent-Hürde blieben, bei der Wahl am 26. Mai 2019 mit 22,9 Prozent der Stimmen ihre Platz als zweitstärksten Kraft.

Dagegen ist die FDP, die in Mülheim traditionell eine ihrer Ruhrgebiets-Hochburgen hat mit 7,6 Prozent (2019) und 6,7 Prozent (1979) vergleichsweise stabil geblieben.

Die Linke, die am 26. Mai 4,2 Prozent und die nationalkonservative AFD, die 9,7 Prozent der Stimmen gewinnen hat, hatte damals noch niemand auf dem Schirm. Man sieht im Vergleich: Die traditionellen Volksparteien haben massiv an Gewicht und politischer Integrationskraft verloren. Die Grünen könnten zur Volkspartei werden. Das politische Spektrum ist bunter und breiter geworden wie man es auch für den Rat der Stadt feststellen kann. Aus den drei Ratsfraktionen des Jahres 1979 sind inzwischen neun Fraktionen und Gruppen geworden. Vor allem die von Verfassungsrichtern zur Disposition gestellte Fünf-Prozent-Sperrklausel, die bei Bundestagswahlen noch gilt, hat den politischen Diskurs in den Parlamenten erweitert und demokratisiert, auf der anderen Seite, die Weimarer Republik lässt grüßen, die parlamentarische Mehrheitsbildung erschwert.

Standen bei der Europawahl 1979 acht Parteien auf dem Stimmzettel, so waren es diesmal 41. War das Thema Umweltschutz 1979 noch ein Randthema, das von den Themen der sozialen Sicherheit, der Arbeitnehmerrechte und der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Interesse des wirtschaftlichen Wohlstandes überlagert wurde, so hat sich der von Wissenschaftler bereits in den 1970er Jahren angemahnte Klimawandel als zentrales Thema in die politische Diskussion eingeführt. Bemerkenswert: Der erste Mülheimer Europaabgeordnete Heinz Oskar Vetter (1917-1990) kümmerte sich in seiner Parlamentszeit, die bis 1989 dauern sollte, unter anderem um eine gerechte Lastenteilung der Asylkosten in der damaligen Europäischen Gemeinschaft. Und sein Mülheimer Mitbürger Otmar Franz (CDU) wurde während seiner Zeit als Europaabgeordneter (1981-1989) zu einem parlamentarischen Wegbereiter der 1999 bis 2002 eingeführten EU-Währung Euro. Damals wie heute gilt der 1989 von Heinz-Oskar Vetter in einem Interview mit der NRZ ausgesprochene Satz: „Ein Europa ohne Grenzen wird nicht nur wirtschaftlich funktionieren.“ 


Dieser Text erschien am 11. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

Montag, 10. Juni 2019

Neues auf altem Grund

Das alte Kesselhaus und der Schornstein der Lederfabrik Lindgens sollen als historische Landmarken am zentralen Platz des neuen Wohn- und Gewerbequartiers am Kassenberg erhalten bleiben. Das sieht der Siegerentwurf des Stadtplanungswettbewerbs vor, den die von der Sparkasse und der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft getragene Projektentwicklungsgesellschaft SMW Mitte Februar ausgeschrieben hatte.
Am 28. Mai kürte eine 14-köpfige Fachjury, der auch die SMW-Geschäftsführer Jürgen Steinmetz und Thomas Weber und Planungsamtsleiter Felix Blasch angehörten, den Gemeinschaftsentwurf des Aachen Architektenbüros RHA Reicher Haase und des Kölner Landschaftsarchitekturbüros Club L 94 zum Wettbewerbsgewinner.
Blasch, Steinmetz, Weber und Ellen Wievelhove vom Dortmunder Büro Post-Welters & Partner, das den Planungswettbewerb organisiert hat, würdigten den von Joachim Haase und Nikolai Werner federführend erarbeiteten Entwurf der Wettbewerbssieger als eine gelungene Mischung aus großzügigen Freiräumen und vier Wohnarealen, "die in eigenständigen Bauabschnitten errichtet werden können und eigene nachbarschaftliche Bezüge ermöglichen."
Gelobt wurden vom Preisgericht auch die "klare räumliche Gliederung und eine Entzerrung von Gewerbe und Wohnen, die doch harmonisch miteinander korrespondieren."
Der jetzt in der Sparkasse am Berliner Platz vorgestellte Entwurf sieht ein generationsübergreifendes Wohnen in frei finanzierten und geförderten Wohnungen vor, die in drei- bis fünfgeschossigen Häusern errichtet werden. Die Wohnhäuser werden zur Ruhrseite, die gewerblich genutzten Gebäude werden zur Straßenseite stehen und an die vorhandene Bebauung anschließen. Jürgen Steinmetz und Joachim Haase könnten sich im alten Kesselhaus der Lederfabrik Lindgens zum Beispiel ein Café oder einen anderen kommunikative Quartierstreffpunkt vorstellen.
Blasch und Wievelhove machten bei der Präsentation deutlich, dass der jetzt abgeschlossene Planungswettbewerb lediglich den ersten Schritt eines voraussichtlich zwei Jahre dauernden Bauplanungsprozesses darstellt, der jetzt mit einer ersten Beratung im Planungsausschuss des Stadtrates am 4. Juli fortgesetzt wird.
Dieser Text erschien am 3. Juni 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche


Sonntag, 9. Juni 2019

Freunde des Buches

Nach 20 Jahren an der Spitze des Freundeskreises der Stadtbibliothek hat dessen Vorsitzender sein Amt an Brigitte Jaenigen abgegeben. Die neue  Vorsitzende gehört dem Freundeskreis seit dem Jahr 2000 an, in dem der Förderkreis einen letztlich gescheiterten Bürgerentscheid zum Erhalt der damaligen Stadtteilbibliotheken am Schildberg und an der Alten Straße angestrengt hatte. Seit 2008 gehört Jaenigen dem ehrenamtlichen Mitarbeiterteam der Schmökerstube an.
Zusammen mit ihren Vorstandskollegen möchte Brigitte Jaenigen die Öffentlichkeitsarbeit und insbesondere die Internetpräsenz des Freundeskreis verstärken. "Die Arbeit des Freundeskreises zeigt, dass die Öffentlichkeit hinter der Stadtbibliothek steht", sagt Jaenigen. Ihr Vorgänger Bernhard Haake, der die Leitung der Schmökerstube im vergangenen Jahr an die beiden stellvertretenden Vorsitzenden des Freundeskreises, Monika Gobs und Andrea Splittstößer abgegeben hat, bleibt vorerst Sprecher der 2010 ins Leben gerufenen Interessengemeinschaft der Mülheimer Kulturfördervereine. "Aber auch diese Aufgabe möchte ich langfristig gerne in jüngere Hände geben", sagt der 8-Jährige.

10.000 Euro im Jahr an die Stadtbibliothek

Haake und Jaenigen freuen sich darüber, dass der 1997 gegründete und derzeit 190 Mitglieder zählende Freundeskreis die Stadtbibliothek bisher  jährlich mit rund 10.000 Euro unterstützen konnte. Spenden, Mitgliedsbeiträge und der Verkauf gespendeter erstklassiger Bücher aus zweiter Hand mit Hilfe der 2007 gegründeten und heute im Medienhaus (Eingang Wallstraße) ansässigen Schmökerstube machen es möglich. "In den ersten 20 Jahren seines Bestehens konnte der Freundeskreis der Stadtbibliothek insgesamt 135.000 Euro zur Verfügung stellen und damit unter anderem einen wesentlichen Beitrag für die Medienbeschaffung, für die Einführung der Onleihe und zur zeitgemäßen Einrichtung der Kinder- und Jugendbibliothek sowie der Bibliotheksterrasse leisten", blickt Haake zurück.

Medienhaus ist ein wichtiger Treffpunkt

"Als Ort der Kommunikation und der Leseförderung bleibt die Stadtbibliothek ein unverzichtbarer Grundstein der Kultur und des kulturellen Lebens", formuliert der scheidende Vorsitzende des Freundeskreises sein Vermächtnis. Und seine Nachfolgerin stellt fest: "Die Stadtbibliothek bringt Menschen zum Lesen. Und wer liest, kann sich auch gut ausdrücken, seine Fantasie entfalten und sich in andere Situationen, Menschen und Länder hineinversetzen." Mit Sorge betrachtet Bernhard Haake finanzpolitisch motivierte Überlegungen, die Öffnungszeiten der Stadtbibliothek einzuschränken. "Man darf nicht vergessen, dass die Stadtbibliothek im Medienhaus am Synagogenplatz ein wichtiger Treffpunkt ist, der die Innenstadt belebt, weshalb man in anderen Städten die Öffnungszeiten der Bibliotheken inzwischen sogar auf den Sonntag ausgedehnt hat", unterstreicht Haake.


Dieser Text erschien am 27. Mai 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Samstag, 8. Juni 2019

Schüler machen Theater

Szene aus "Stadt unter" (Foto: Matthias Kocks)
"Ich bin stolz darauf, was die Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrer Theaterpädagogin Hildegard Schroeter-Spliethoff geleistet haben. Ich habe die beteiligten Schülerinnen und Schüler mit ganz neuen Facetten ihrer Persönlichkeiten erlebt", schwärmt Willy-Brandt-Schulleiterin Karin Rinn. Die Rede ist von der Theaterproduktion "Stadt unter", die 16 Zwölftklässler aus dem von Lehrerin Hildegard Schroeter-Spliethoff geleiteten Projektkurs Darstellen und Gestalten beim Landes-Theaterfestival-Maulhelden im Gelsenkirchener Consoltheater auf die Bühne gebracht haben.
"Man hat uns eine nachdenkliche, facettenreiche und lyrische Sprache bescheinigt", freut sich Schroeter-Spliethoff, die sich neben ihrem ursprünglichen Lehramt in den Fächern Geschichte und Textiles Gestalten schon vor Jahren zur Theaterpädagogin ausbilden ließ. Denn sie weiß als Lehrerin im Fach Darstellen und Gestalten um die pädagogische Kraft des gemeinsamen Theaterspiels.
"Wir spielen nicht irgendein Stück nach. Unser Theater ist ein forschendes Theater, das sich von Themen inspirieren lässt und Themen aus unserer persönlichen Perspektive entdeckt", sagt sie. Luca Stapf (16) und Maja Bitter (15) für die Darstellen und Gestalten seit vier Schuljahren zu ihrem Stundenplan steht, bestätigen, dass ihnen das Theaterfach mehr bringt als eine Note auf ihrem Zeugnis und den Beifall des gewogenen Publikums. "Wir machen bei den Proben auch viel Blödsinn. Aber wenn wir dann gemeinsam auf der Bühne stehen und so etwas wie Verantwortung für uns und unser Stück spüren, dann sind wir sehr diszipliniert", sagt Luca Stapf. "Man wird selbstbewusster, in dem man lernt vor Publikum aufzutreten und zu sprechen. Das kann man auch in anderen Situationen wie etwa beim Halten eines Referates gut gebrauchen", erklärt Maja Bitter.
Nicht unerwartet und doch immer wieder neu erstaunt erlebt die Theaterpädagogin Hildegard Schroeter-Spliethoff wie ihre Schüler durch die gemeinsame Bühnenarbeit in ihrer Persönlichkeit reifen, weil sie durch das Theaterspiel sensibler für sich selbst und ihre eigenen Emotionen, aber auch aufmerksamer für ihre Mitmenschen und ihre Umwelt werden.
So waren es in der jüngsten Theaterproduktion der jungen Darsteller und Gestalter, die eng mit dem Jungen Theater an der Ruhr zusammenarbeiten Liedtexte über das Leben in der Stadt, die sie zum gemeinsamen Schreiben und Inszenieren inspirierten. O-Ton aus dem Stück "Stadt unter": Es ist so viel 
So viel zu viel. Alle Straßen sind befahren. Keiner kann Gedanken lesen. Ich bau ´ne Stadt. Eine Stadt Haltung, In der es – vielleicht - keine Angst gibt: Aus Glas und Stein Wo ich Halt‘ find. Wo ich Schutz find. Das Glück hat keinen Namen
Ich bau `ne Stadt – perfekt."
Nach drei Gastspielen beim Maulhelden-Festival in Aachen, Düsseldorf und Gelsenkirchen, wollen die Darsteller und Gestalter von der Willy-Brandt-Schule beim nächsten Landes-Schultheater-Festival in die Rolle der Gastgeber schlüpfen. Das Schul- und das Kulturministerium haben bereits grünes Licht dafür gegeben. Wiedersehen kann man die jungen Schauspieler und ihre Stück "Stadt unter" bei der Eröffnung der Mülheimer Schülertheatertage, die am 26. Juni um 10 Uhr im Theater an der Ruhr über die Bühne gehen wird.


Dieser Text erschien am 4. Juni 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Donnerstag, 6. Juni 2019

Alte Liebe rostet nicht


Es gibt noch Inseln der Menschlichkeit, zum Beispiel in der Straßenbahn. Ein altes Ehepaar steigt ein. Sie, schon etwas wackelig, steuert den nächsten freien Sitzplatz an und lässt sich neben einem jungen Mann nieder. Ihr noch rüstiger Gatte wird einige Sitzplätze weiter sesshaft. Der junge Mann neben der alten Dame erkennt die Lage und bietet dem alten Ehemann seinen Platz an, damit dieser neben seiner besseren Hälfte sitzen kann. Doch der alte Herr winkt von weitem ab und lässt  den hilfsbereiten Geschlechtsgenossen wissen: „Lassen Sie mal, junger Mann. Meine Frau und ich kennen uns schon lange genug.“ Alle Fahrgäste lachen. So heiter kann Nahverkehr sein. Und als Er Sie einige Haltestellen später an die Hand nimmt, um ihr beim Ausstieg aus Tram zu helfen, weiß ich, dass etwas daran ist, dass sich neckt, was sich liebt und alte Liebe nicht rostet. Schön, dass es solche An- und Aussichten noch gibt, die einen Augenblick der Zuversicht und der Herzenswärme schenken.

Dieser Text erschien am 6. Juni 2019 in der Neuem Ruhr Zeitung

 1929 als Gasbehälter errichtet, dient der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen seit 30 Jahren als extravaganter Ausstellungsraum. Dieser ...