Freitag, 12. April 2019

Was hält unsere Gesellschaft zusammen?


Auf dem Podium im Auditorium der Bank im Bistum Essen:
 Von links: Dr. Franz-Josef Overbeck, Dr. Judith Koch und Dr. Heribert Prantl.
Das Geld kein Selbstzweck ist, sondern eine dienende Funktion haben sollte, macht der Vorstandssprecher der 1966 gegründeten Bank im Bistum Essen, Dr. Peter Güllmann, mit dem Hinweis auf die 700 Millionen Euro deutlich, die sein Haus als Mikrokredite an Existenzgründer in 37 Ländern ausgegeben hat, um sie damit aus der Armut heraus- und in die wirtschaftliche Selbstständigkeit hinein zu holen. Bildung und Sicherheit, daran lässt Güllmann keinen Zweifel, sind für ihn die wichtigsten Bausteine für eine gute Zukunft.

Doch was hält unsere Gesellschaft zusammen? Dazu befragen die Bank im Bistum Essen und ihre Ko-Gastgeberin, die Katholische Akademie des Bistums an diesem Abend Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und den Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung in einer von Judith Wolf moderierten Diskussion.

Der Journalist und der Kirchenmann sind sich einig, dass wir eine solidarische und in Europa eingebettete Gesellschaft brauchen. „Gehen Sie bei der Europawahl am 26. Mai wählen und sorgen Sie wählen. Sorgen Sie mit ihrer Stimme dafür, dass die extremistischen Populisten die Europäische Union politisch nicht in den Griff bekommen“, fordert Prantl seine Zuhörer auf. „Was kann ich denn tun, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern“, fragt eine Frau? „Sie müssen dort, wo Sie in ihren Berufs- und Privatleben stehen, aktiv werden und Farbe bekennen gegen Rassismus und vermeintlich einfache Lösungen. Und wenn Sie sich in ihrem Umfeld auch nur für eine bedürftige Person einsetzen, ist das besser als wenn Sie sich für niemanden stark machen“, legt Prantl nach.

„Wir sind die Mehrheit. Aber wir sind oft zu vornehm und müssen uns deshalb lauter und verständlicher in die gesellschaftspolitische Diskussion einbringen“, räumt Overbeck ein. Er müsse von seinem Generalvikar nicht weit gehen, so Overbeck, um ganz arme und ganz reiche Menschen zu treffen, die oft gar nichts voneinander wüssten.

Politik und Wirtschaft sieht der Bischof gefordert, wenn es „darum geht das soziale Nord-Süd-Gefälle zu überwinden, auf das man sowohl beim Arbeitsplatzangebot wie bei der medizinischen Versorgung in allen Städten des Ruhrgebietes trifft.“ Mit besonderer Sorge sieht Overbeck, dass die Ruhrgebietsstädte keinen gemeinsamen und attraktiven Öffentlichen Personennahverkehr organisiert bekommen und damit die Mobilitäts- und Arbeitsplatz-Chancen der Menschen an der Ruhr verminderten.

Heribert Prantl machte deutlich, dass auch die christlichen Kirchen gefordert seien, sich an ihren eigenen Wertmaßstäben messen zu lassen, wenn es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehe. Beispielhaft nennt der Journalist die fehlende Gleichberechtigung der Frauen in der katholischen Kirche und die auch in christlichen Altenheimen anzutreffende Tatsache, „dass eine Altenpflegerin in der Nachtschicht manchmal für 50 Bewohner alleine verantwortlich ist.“ Prantl: „Christliche Nächstenliebe muss man auch spüren. Da hilft es nicht, dass ein Kreuz an der Wand hängt.“

Overbeck räumte mit Blick auf die 64 katholischen Altenheime und die 22 katholischen Krankenhäuser des Ruhrbistums ein, „dass unsere finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind.“ Er sieht aber auch, „dass der besondere Geist und das haupt- und ehrenamtliche Engagement in diesen Häusern von deren Bewohnern und Parienten geschätzt wird.“ Dazu sagt ein in der Altenpflege aktiver Zuhörer: „Menschenwürdige Pflege kann nur durch die Beseitigung des Fachkräftemangels erreicht werden. Und dieses Problem kann die Kirche nicht alleine lösen. Hier ist unsere gesamte Gesellschaft gefordert.“  Angesichts der nicht erst seit gestern geführten Diskussion über den Zugang von Frauen zum katholischen Priesteramt stellte Moderatorin Judith Koch illusionslos fest: „Das wird unsere Kirche noch vor eine Zerreißprobe stellen.“

Aus dem Publikum heraus wird darauf hingewiesen, dass der Nationalstaat auch im gemeinsamen Europa und in einer globalisierten Welt nichts von seiner kultur- und sinnstiftenden Funktion verloren habe. Und eine Frau betont, die Kirche könne vor allem dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, in dem sie Menschen zum Glauben an Jesus Christus führe und sie damit vor geistiger Verwirrung bewahre. Dem stimmt Heribert Prantl zu, in dem er feststellt: „Wer die Bibel liest und ihre mehrdeutigen Texte interpretiert, der kann kein Extremist und Populist werden.“



INFO

Dr. Franz-Josef Overbeck (54) steht seit 2009 als Bischof an der Spitze des Bistums Essen. Seit 2010 ist er als Adveniatbischof auch für die Lateinamerika-Kontakte der Deutschen Bischofskonferenz zuständig. Gleichzeitig gehört er der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika an. 2011 wurde er zum deutschen Militärbischof berufen. Und seit 2014 leitet der Theologe und Philosoph als Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz deren Kommission für soziale und gesellschaftspolitische Fragen.

Dr. Judith Wolf (50) hat Theologie, Geschichte und Philosophie studiert. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst am Institut für christliche Sozialwissenschaft der Universität Münster, ehe sie 1998 zur katholischen Akademie wechselte. Seit 2010 ist sie stellvertretende Direktorin der Akademie, deren Leitung sie zum 1. Juli (als Nachfolgerin von Dr. Michael Schlagheck) übernehmen wird.

Dr. Heribert Prantl (65) ist Jurist, Journalist und Buchautor. Als Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung leitet er seit 2011 deren Meinungsressort. Prantl hat nicht nur Rechtswissenschaft, sondern auch Geschichte und Philosophie studiert und neben seinem Jura-Studium auch eine journalistische Ausbildung als Stipendiat des katholischen Institutes zur Förderung des publizistischen Nachwuchses absolviert. Nach seinem Studium war er zunächst am Landgericht Regensburg tätig, ehe er 1988 als innenpolitischer Redakteur zur süddeutschen Zeitung wechselte.


Dieser Text erschien am 16. Februar 2019 im Neuen Ruhrwort



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