Donnerstag, 28. Januar 2010

Ein Hauch von alter Burschenherrlichkeit: Verbindungsstudenten feierten im Schloss Broich den 110. Geburtstag der Vereinigung Alter Corpsstudenten




Alte Burschenherrlichkeit. Die verströmt der Festkommers, mit dem die Mülheimer Vereinigung Alter Corpsstudenten an diesem Abend im Rittersaal von Schloss Broich ihren 110. Geburtstag feiert. Bunte Mützen und Bänder, wo man hinschaut. Sie dokumentieren die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Studentenverbindung. Der Präsident der Vereinigung, Heinz Wilhelm Auberg (Foto ben: Mitte), selbst Mitglied der Verbindung Franconia Fribergensis, schätzt, dass die gut 100 Teilnehmer des Festkommers aus 80 verschiedenen Verbindungen kommen. „Bei uns spielen politische oder konfessionelle Unterschiede keine Rolle. Wir arbeiten über alle Grenzen hinweg zusammen", erklärt der Ingenieur aus dem Bergfach den wichtigsten Grundsatz seiner Vereinigung.

Zu ihren Gründern gehörte anno 1900 der Mediziner August Bispinck. Sein Urenkel Edgar D., der selbst Hüttenkunde studiert hat und zur Verbindung Montania Aachen gehört, feiert mit. Obwohl erst 46, gilt der Ingenieur im Jargon der Studentenverbindungen als „alter Herr." Denn diesen Status erlangt man, sobald man sein Studium abgeschlossen hat. Dagegen ist der 26-jährige Rob Förster ein „Aktiver." Er studiert in Aachen Architektur und gehört zur selben Verbindung, wie der 78-jährige Kommers-Präside Auberg. Wer einer Studentenverbindung beitritt, wird Mitglied eines Bundes auf Lebenszeit. „Wir wollen ein Brücke zwischen Jung und Alt schlagen", betont Auberg. Die Festversammlung beweist es. Das sitzen junge und alte Männer ganz selbstverständlich beim Bier und diskutieren zum Beispiel über die Vor- und Nachteile der neuen Master- und Bachelor-Studiengänge. Frauen sucht man im Rittersaal an diesem Abend vergebens. Denn die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung bleibt bis heute in aller Regel männlichen Studierenden vorbehalten.

Allerdings gibt es inzwischen auch rein weibliche Studentenverbindungen. Trotz der antiquierten Geschlechtertrennung weist Edgar D. den Verdacht zurück, Studentenverbindungen hätten etwas gegen Frauen. „Das ist wie in einem Fußballverein. Da sind auch Männer unter sich, können aber trotzdem gemeinsam mit Frauen feiern und Spaß haben," sagt er und verweist auf die Feste und Bälle, zu denen Studentenverbindungen regelmäßig einladen. Und so hält es auch die Vereinigung Alter Corpsstudenten. Während (Mann) beim Kommers im Januar unter sich bleibt, sind die Damen der Aktiven und der Alten Herren beim Sommerfest in Dicken am Damm gern gesehene Gäste.

Warum schließt man sich als junger Mann heute einer Studentenverbindung an? Der 26-jährige Förster lobt vor allem „den Zusammenhalt und die kameradschaftliche Zusammenarbeit." Auch wie man bei einem Konvent Reden hält oder Feste organisiert hat er in seiner Verbindung gelernt. Egard D. hat im Rückblick keinen Zweifel, dass die Mitgliedschaft in seiner Verbindung seinen Charakter geschult habe. Das hat er auch beim Fechten, der Mensur, erfahren, die bei den schlagenden Studentenverbindungen zum Pflichtprogramm zählt. Charakter- und Lebensschule!? Das hört man auch vom CDU-Stadtverordneten und Maschinenbau-Ingenieur Henner Tilgner oder vom Saarner Zahnarzt Hans Joachim Bruns, die zu den Studentenverbindungen Rheno-Borussia und Palaio Alsatia gehören. „Da entstehen lebenslange Freundschaften. Obwohl die Geselligkeit im Vordergrund steht, sind die Vorträge, Exkursionen und Konvente der Verbindung eine gute Schulung", sagt Tilgner. Bruns unterstreicht, dass er als Student in seiner Verbindung neben dem kleinen Einmaleins gesellschaftlicher Umgangsformen „Empathie, Engagement und Verantwortungsbereitschaft" gelernt habe. „Ich habe gelernt, zu organisieren und frei zu argumentieren" beschreibt der Agiplan-Gesellschafter Helmut Schulte seine wichtigste Verbindungserfahrung bei der Normania Karlsruhe. Sein geschliffener und pointierter Festvortrag, in dem Schulte erklärt, wie Deutschland im globalen Wettbewerb gewinnen kann, zeigt, dass er den Mund nicht zu voll genommen hat.

Obwohl Schulte einräumt, dass Studentenverbindungen auch der persönlichen Netzwerkbildung dienen können, warnt er davor, sie als Karriereschmieden misszuverstehen. Diesen Ruf führt auch Edgar D. auf die Zeit zurück, als Akademiker noch eine kleine Elite waren und fast jeder Student einer Verbindung angehörte. Heute, so sind sich Schulte und Edgar D. einig, zähle in der Wirtschaft nicht Herkunft und Verbindung, sondern Leistung und Qualifikation. Wer den Festkommers miterlebt, merkt, dass man unter aktiven und alten Verbindungsstudenten auch Trinkfestigkeit und Sangesfreude lernt. Das Bier, auch alkoholfreies, fließt reichlich. Und ein 20-seitiges Liedheft will zwischen 20 und 24 Uhr durchgesungen sein. Immer wieder unterbricht Konpräside Joachim Kurt Schmidt die angeregten Gespräche mit einem unüberhörbaren „Silentium", wenn wieder ein Lied wie: „Student sein, wenn die Veilchen blühen" oder „Die Gedanken sind frei" und zu guter letzt: „Glück auf, der Steiger kommt" angestimmt werden soll.

Dieser Text erschien am 20. Januar 2010 in der NRZ

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