Mittwoch, 11. September 2019

Erbe und Aufgabe

Auch wenn die Zahl der noch lebenden Verfolgten des NS-Regimes immer überschaubarer wird, sind sich Silvia Rölle, Doris Doetsch, Karl-Heinz Zonbergs und Inge Ketzer von der Vereinigung der Verfolgten des NS-Regimes VVN einig, dass die Arbeit ihrer Organisation auch 74 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur noch lange nicht erledigt ist.
Deshalb hat sich die Vereinigung, die in Mülheim 45 Mitglieder hat, seit den 1970er Jahren auch für Menschen geöffnet , die sich dem Kampf gegen den Rechtsextremismus und der damit verbundenen Erinnerung an die NS-Diktatur und ihre Opfer verpflichtet fühlen.

Wegweisende Spurensuche

Es war ihre Vereinigung, die zusammen mit Studenten in den 1970er und 1980er Jahren Im Rahmen eines Kurses das bis dahin unterbelichtete Kapitel „Verfolgung und Widerstand im Mülheim des Nationalsozialismus beleuchtete und dokumentierte. Vor diesem Hintergrund macht VVN-Vorstand Karl-Heinz Zonbergs keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, dass die nach dem Sozialdemokraten und Hitler-Gegner Heinrich Thöne benannte Volkshochschule nicht mehr für die historische und politische Bildung tut, wenn es um die NS-Zeit in Mülheim und ihre politischen Lehren für die Gegenwart geht. Hintergrund: Heinrich Thöne, der von 1948 bis 1969 Mülheims Oberbürgermeister war, hatte im März als 1933 als SPD-Stadtverordneter dagegen gestimmt, Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft der Stadt zu verleihen. Deshalb litt er in der Folge unter den Repressionen des NS-Regimes.
Die erstmals 1987 herausgegebene Dokumentation „Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr“  erfährt jetzt  mit 3000 Exemplaren ihre 3. Auflage. 
„Allein im abgelaufenen Schuljahr haben wir mit unserer Dokumentation, die wir kostenfrei an Schulklassen verteilen und mit unseren Zeitzeugen, die aus den Jahren 1933 bis 1945 berichteten, 350 Mülheimer Schüler erreichen können“
berichtet Inge Ketzer. Ihr Großvater wurde als Mitglied der kommunistischen Partei von den Nationalsozialisten drangsaliert und ihre an Epilepsie leidende Großmutter auf Befehl der NS-Regierung zwangssterilisiert. Auch ihre Vorstandskollegin Doris Doetsch trägt mit ihrer Familiengeschichte ein Stück Widerstand gegen Hitler mit sich. Der Großvater ihres Mannes war Johann Doetsch. Auch seine Lebens- und Leidensgeschichte wird in der jetzt neu aufgelegten Broschüre „Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr 1933 bis 1945“ erzählt. 1880 in Köln geboren und 1960 in Mülheim gestorben, war Johann Doetsch vor 1933 als Redakteur und Politiker der katholischen Zentrumspartei aktiv. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er seiner beruflichen Existenz beraubt und mehrfach inhaftiert. Seine Erfahrungen im Nationalsozialismus schrieb er unter dem Titel „Volk unter dem Hammer“ auf. Nach dem Krieg saß Doetsch für die CDU im Rat der Stadt.

Wie könnte es weitergehen?

Die jetzt neu aufgelegte Broschüre der VVN sollte für alle Schüler und geschichtsinteressierten Mühlheimer eine Pflichtlektüre sein. Denn sie beleuchtet wie die Machtübernahme der Nationalsozialisten auch mit Hilfe von Mülheimer Unternehmern wie Emil Kirdorf oder Fritz Thyssen möglich wurde und weil sie zeigt, welche Opfer die NS-Diktatur zum Beispiel unter Sozialdemokraten, Kommunisten, Juden und aufrechten Christen forderte. Die 52 Seiten starke Broschüre verschriftlicht die gleichnamige Wanderausstellung über Widerstand und Verfolgung im Mülheim unter dem Hakenkreuz. Sie war zuletzt in der Polizeidirektion an der Von-Bock-Straße zu sehen.
Die VVN-Aktivisten sind sich einig, dass die Broschüre und die Ausstellung um weitere und neue Erkenntnisse rund um den Mülheimer Widerstand gegen Hitler ergänzt werden müsste. So fehlen bisher zum Beispiel Angaben über den in Mülheim aufgewachsenen Generalstabsoffizier Günther Smend, der zum militärischen Widerstand um den Grafen von Stauffenberg gehörte und 1944 hingerichtet wurde. Auch die Rollbanner mit den Text- ein Bild Informationen der Wanderausstellung müssten dringend aufgearbeitet werden. Doch dafür reichen die Finanzen des kleinen Vereins nicht aus, der deshalb dringend auf Menschen angewiesen ist, die bereit sind, Geld in die Erweiterung der Ausstellung und in deren schriftlichen Dokumentation zu investieren.
Wer die Broschüre bekommen möchte oder helfen kann und will, erreicht die VVN-Vorsitzende Silvia Rölle unter der Rufnummer  386 801 02 oder per E-Mail an: info@vvn-bda-mh.de Weitere Informationen zum Thema findet man auch auf der Internetseite: www.vvn-bda-mh.de. Die Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Mülheim 1933 bis 1945“ wird ab November im evangelischen Gemeindehaus an der Koloniestraße 41 in Broich zu sehen sein.


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