Dieter Hillebrand |
Frage: Der DGB hat gerade sein 70-jähriges Bestehen gefeiert: Anders, als vor 70 Jahren tun sich gerade viele junge Leute schwer, sich organisatorisch an Parteien, Verbände oder Vereine zu binden? Mit welchem Argument werben die Gewerkschaften heute um neue Mitglieder und wie können Sie Mitglieder heute noch an sich binden und aktivieren.
Antwort:
Die Bindungsfähigkeit ist zweifelsohne ein Problem von allen großen
Organisationen und auch für die Gewerkschaften. Die
Selbstverständlichkeit sich zu organisieren hat sich verändert.
Dennoch ist unsere Klammer als Gewerkschaften die Solidarität. Ohne
uns gäbe es den Sozialstaat in der heutigen Prägung nicht. Ohne die
Arbeit des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften hätten wir heute
keinen gesetzlichen Mindestlohn, der für viele Menschen die unterste
Lohngrenze festlegt. Und im Konfliktfall hat jedes Mitglied Anspruch
auf Rechtsschutz. Aber eines ist klar. Gewerkschaften brauchen für
ihre Durchsetzungskraft Menschen die sie stark machen. Und das heißt
auch: Mitglied werden
Frage: Was können und wollen die Gewerkschaften tun, um
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu sichern und
Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen zu helfen?
Antwort:
Gewerkschaften fordern seit langem eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt.
Dazu gehört unter anderem die Umwandlung von Minijobs in
sozialversicherungspflichtige Arbeit. Dazu gehört die Abschaffung
der sachgrundlosen Befristungen. Dazu gehört, dass
Leiharbeitnehmer_innen beim Entgelt und allen weiteren
Arbeitsbedingungen mit den festangestellten Beschäftigten im
Entleihbetrieb gleichgestellt werden. Dazu gehört auch, dass die
Tarifautonomie gestärkt wird, um Lohndumping zu unterbinden. Und
dazu gehört letztendlich auch, die Einhaltung des gesetzlichen
Mindestlohnes. Es gibt viel Arbeit, der wir uns aber als
Gewerkschaften stellen. Unser Grundsatz lautet: „Gute Arbeit und
soziale Gerechtigkeit“. Dafür streiten wir Heute und Morgen.
Frage:
Wie beurteilen Sie aus Ihrer gewerkschaftlichen Sicht die aktuelle
Diskussion darüber, Flüchtlinge in den ersten Arbeitsmarkt zu
integrieren, obwohl es schon jetzt in Deutschland viele
langzeitarbeitslose Menschen gibt, die auf dem ersten Arbeitsmarkt
haben oder bekommen?
Antwort:
Wer das Recht hat, dauerhaft in diesem Land zu leben, der muss
selbstverständlich auch die Möglichkeit haben, Arbeit auf dem
ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Grundlage für den Zugang zum
Arbeitsmarkt ist immer der Rechtsstatus auf den sich der betroffene
Mensch beziehen kann. Denn Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling.
Aber selbst wenn das Recht vorliegt, müssen noch einige Hürden
überwunden werden. Ausreichende Sprachkenntnisse sind zum Beispiel
die Grundvoraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiter muss
geprüft werden, welche Qualifikationen bei den Menschen vorhanden
sind und letztendlich auch, ob sie von der Wirtschaft anerkannt
werden. Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit müssen neue
Wege bestritten werden. Und ein richtiger Ansatz ist der Aufbau eines
sozialen Arbeitsmarktes. Denn viele Menschen werden aufgrund von
fehlenden Qualifikationen und weiteren Vermittlungshemmnissen nicht
in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Und die haben nichts mit der
aktuellen Flüchtlingssituation zu tun.
Dieser Text erschien am 11. September 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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