Dienstag, 15. September 2015

70 Jahre DGB: Wohin geht die Reise?: Ein Gespräch mit dem Regional-Vorsitzenden des DGBs, Dieter Hillebrandt

Dieter Hillebrand

Frage: Der DGB hat gerade sein 70-jähriges Bestehen gefeiert: Anders, als vor 70 Jahren tun sich gerade viele junge Leute schwer, sich organisatorisch an Parteien, Verbände oder Vereine zu binden? Mit welchem Argument werben die Gewerkschaften heute um neue Mitglieder und wie können Sie Mitglieder heute noch an sich binden und aktivieren.
Antwort: Die Bindungsfähigkeit ist zweifelsohne ein Problem von allen großen Organisationen und auch für die Gewerkschaften. Die Selbstverständlichkeit sich zu organisieren hat sich verändert. Dennoch ist unsere Klammer als Gewerkschaften die Solidarität. Ohne uns gäbe es den Sozialstaat in der heutigen Prägung nicht. Ohne die Arbeit des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften hätten wir heute keinen gesetzlichen Mindestlohn, der für viele Menschen die unterste Lohngrenze festlegt. Und im Konfliktfall hat jedes Mitglied Anspruch auf Rechtsschutz. Aber eines ist klar. Gewerkschaften brauchen für ihre Durchsetzungskraft Menschen die sie stark machen. Und das heißt auch: Mitglied werden
Frage: Was können und wollen die Gewerkschaften tun, um sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu sichern und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen zu helfen?
Antwort: Gewerkschaften fordern seit langem eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt. Dazu gehört unter anderem die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit. Dazu gehört die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen. Dazu gehört, dass Leiharbeitnehmer_innen beim Entgelt und allen weiteren Arbeitsbedingungen mit den festangestellten Beschäftigten im Entleihbetrieb gleichgestellt werden. Dazu gehört auch, dass die Tarifautonomie gestärkt wird, um Lohndumping zu unterbinden. Und dazu gehört letztendlich auch, die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohnes. Es gibt viel Arbeit, der wir uns aber als Gewerkschaften stellen. Unser Grundsatz lautet: „Gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Dafür streiten wir Heute und Morgen.
Frage: Wie beurteilen Sie aus Ihrer gewerkschaftlichen Sicht die aktuelle Diskussion darüber, Flüchtlinge in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, obwohl es schon jetzt in Deutschland viele langzeitarbeitslose Menschen gibt, die auf dem ersten Arbeitsmarkt haben oder bekommen?

Antwort: Wer das Recht hat, dauerhaft in diesem Land zu leben, der muss selbstverständlich auch die Möglichkeit haben, Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Grundlage für den Zugang zum Arbeitsmarkt ist immer der Rechtsstatus auf den sich der betroffene Mensch beziehen kann. Denn Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Aber selbst wenn das Recht vorliegt, müssen noch einige Hürden überwunden werden. Ausreichende Sprachkenntnisse sind zum Beispiel die Grundvoraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiter muss geprüft werden, welche Qualifikationen bei den Menschen vorhanden sind und letztendlich auch, ob sie von der Wirtschaft anerkannt werden. Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit müssen neue Wege bestritten werden. Und ein richtiger Ansatz ist der Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes. Denn viele Menschen werden aufgrund von fehlenden Qualifikationen und weiteren Vermittlungshemmnissen nicht in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Und die haben nichts mit der aktuellen Flüchtlingssituation zu tun.

Dieser Text erschien am 11. September 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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