Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld sitzt entspannt in der ersten Reihe. Sie
überlässt das Podium in der Kranhalle des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur an
diesem Abend ihren potenziellen Nachfolgern Werner Oesterwind (CDU) und Ulrich
Scholten (SPD), die sich Fragen zur Sozialpolitik von Pfarrer Justus Cohen und
dem Journalisten Detlef Schönen stellen. Gut 100 Bürger sind der Einladung der
Evangelischen Kirche gefolgt. Wer sich im Publikum umschaut, blickt vor allem in
reife Gesichter. Junge Zuhörer, so scheint es, zieht eine solche
Podiumsdiskussion offensichtlich weniger an.
Da passt die erste Frage,
wie sich die beiden Mittfünfziger „ihr Alter in Mülheim“ vorstellen. Beide sehen
sich auch an ihrem Lebensabend in einer aktiven Rolle. Beide wollen sich
ehrenamtlich engagieren. Scholten denkt über einen Einsatz als Grüner Herr im
Altenheim oder im Krankenhaus nach. Oesterwind meint spitzbübisch: „Vielleicht
mache ich ja mit 80 auch noch meinen Motorradführerschein.“ Schönens Reaktion:
„Dann sagen Sie mir vorher aber bitte Bescheid, wo Sie langfahren!“ Cohen hakt
nach: „Was ist aber, wenn ich mit 80 auf einen Rollator angewiesen bin und auf
der Schloßstraße im Schlagloch stecken bleibe?“ Die Kandidaten verstehen den
Wink und berichten von Pflegefällen, die sie in ihren Familien meistern mussten
und müssen. Sie wissen, dass schon jetzt fast jeder dritte Mülheimer über 60 ist
und die Generation 60 plus, laut Bevölkerungsprognose ab 2025 die Mehrheit der
Stadtgesellschaft stellen wird. „Viele Menschen leben heute allein und können
später nicht auf Familienstrukturen zurückgreifen. Deshalb werden wir bei ihrer
Betreuung auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sein. Denn die Stadt wird
nicht alles leisten können“, sagt Oesterwind. Während der Christdemokrat nicht
nur beim Thema Altenhilfe, sondern auch bei der Frage nach der langfristigen
Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen, die Partnerschaft von
bürgerschaftlichem Ehrenamt und öffentlicher Hand den Mittelpunkt seiner
Überlegungen stellt, macht der Sozialdemokrat Scholten mit Blick auf die
zunehmende Zahl von alten Menschen, Flüchtlingen und Zuwanderern deutlich: „Das
ist eine öffentliche Aufgabe. Die darf man nicht auf Ehrenamtliche abwälzen,
weil sie das überfordern würde.“
Vielleicht inspiriert vom Blick auf die Ausgabestelle der Tafel und
von den im Diakoniewerk aus alten Paletten gebauten Sesseln, auf denen sie
sitzen, sprechen sich Scholten und Oesterwind für einen öffentlich finanzierten
sozialen Arbeitsmarkt aus. Denn, so räumen sie ein, die gesundheitlichen und
sozialen Folgekosten perspektivloser Langzeitarbeitslosigkeit seien am Ende
höher, als der Einsatz von Fördermitteln für einen zweiten
Arbeitsmarkt.
Doch, woher das Geld für die auch im Bereich von Bildung,
Betreuung und Jugendarbeit als notwendig erkannten sozialen Projekte kommen
soll, sagen die Kandidaten nicht. Es bleibt bei Scholtens Hinweis: „Man darf
keinen Bereich gegen den anderen ausspielen.“ Solche „Politikersprache“ kam bei
vielen Zuhörern nicht gut an und auch nicht, dass keine Zwischenfragen aus dem
Publikum zugelassen werden. Die könnten sie beim Imbiss nach der
Podiumsdiskussion stellen. Ein Angebot, was viele Besucher nutzen.
Dieser Text erschien am 21. August 2015 in der NRZ und in der WAZ
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