Montag, 9. Januar 2017

Der Dienstleister: Früher verkaufte Edwin Eder Autos. Heute fährt er den Lieferwagen von Shop & Go. Seine Dienstleistung wird immer gefragter, nicht nur bei alten Menschen und er freut sich auf jeden Arbeitstag

„Ich habe mich schon als Junge für Autos und Technik interessiert“, erzählt Edwin Eder, während er einen Lieferwagen des Servicedienstes Shop & Go durch die Straßen der Stadt steuert. In seinem ersten Berufsleben hat der heute 62-Jährige Autos verkauft. Doch dann warf ihn ein schwerer Herzinfarkt aus der Bahn. Nach drei Jahrzehnten erfolgreicher und gut bezahlter Berufstätigkeit, musste er plötzlich drei Gänge zurückschalten und in letzter Konsequenz seinen lange geliebten Beruf hinter sich lassen. „Heute zählen nur noch die Verkaufszahlen. Viele Kunden schauen sich im Internet um und kommen dann mit der Frage ins Haus: Können Sie mir das Auto auch zu diesem Preis verkaufen oder nicht? Dass man in einem guten Autohaus nicht nur Autos, sondern auch Beratung und Service einkauft, sehen heute viele Kunden nicht mehr“, beschreibt Eder den Wandel in seiner Ex-Branche.

Doch dem Auto und der Mobilität ist der Sohn eines Landbriefträgers treu geblieben. Heute fährt er im Auftrag der PIA-Stadtdienste (Pia steht für Paritätische Initiative für Arbeit) Lebensmittel, Akten, Formulare und Medikamente zu den Kunden des Pia-Dienstes.

„Vormittags fahre ich meistens Medikamente oder Akten und Formulare für die Stadtverwaltung. In der zweiten Tageshälfte bilden die klassischen Einkaufsfahrten den Schwerpunkt der Aufträge“, berichtet Eder. Wenn man ihm zuschaut, wie viele Kisten und Kästen mit Akten und Formularvordrucken Eder bei der Stadtdruckerei an der Löhstraße abholt, um sie dann beim Sozialamt an der Ruhrstraße und bei der Sozialagentur an der Eppinghofer Straße abzuliefern, bekommt man eine Ahnung davon, welche Papierberge in den Mülheimer Amtsstube bewegt und bewältigt werden müssen.

An diesem Vormittag holt Eder für eine alte Dame Medikamente aus der Apotheke und bringt ihr diese nach Hause. „Ich werde immer älter“, begrüßt ihn die alte Dame an der Wohnungstür. „Na, Gott sei Dank“, muntert er sie auf. Nicht nur bei dieser betagten Kundin nimmt er sich Zeit für ein kurzes Zuhören und eine kleine Ermutigung. „95 Prozent unserer Kunden sind alte Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, um ihre Einkäufe oder Medikamente nach Hause zu bekommen“, weiß Eder, der sich zusammen mit seiner Frau um seine 82-jährige Schwiegermutter kümmert.

„Es gibt mir Kraft und Freude, wenn ich sehe, wie dankbar gerade ältere Menschen für unseren Lieferdienst sind und wie gerne sie einen kurzen Plausch halten“, erzählt Eder. Der selbst kinderlose PIA-Kurier weiß, „dass viele Menschen im Alter allein sind und kaum noch soziale Kontakte haben, weil Freunde und Ehepartner gestorben und Kinder berufsbedingt verzogen sind“.

Anders, als in seinem früheren Beruf hat Edwin Eder heute „jeden Tag das Gefühl, auf dankbare Menschen zu treffen, die meine Arbeit zu schätzen wissen und die mir das Gefühl geben etwas Sinnvolles zu tun“.

Doch anders als in seinem früheren Beruf, gehört Eder, der seit acht Jahren für die Pia arbeitet, nicht mehr zu den Gutverdienern. „Heute bekomme ich den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Das ist ein Lohn, für den ich früher nicht aufgestanden wäre, für den ich heute aber sehr dankbar bin“, erklärt Eder seine Situation.

Seine Zeit als Arbeitslosengeld-2-Bezieher hat ihn bescheiden gemacht. „Ich freue mich heute auf meinen Arbeitstag. Das war im Autoverkauf nicht immer so, weil es sofort Stress und Druck gab, wenn die Verkaufszahlen nicht stimmten“, sagt Eder. Sein Arbeitstag, an dem er immer unterwegs ist und mit vielen Menschen in Kontakt kommt, beginnt in einer Woche um 8 Uhr und endet um 16 Uhr. Und in der anderen Wochen muss er zwischen 13 Uhr und 21Uhr ran. Eder, der noch heute von seinem ersten Mofa und von seinem ersten VW-Käfer schwärmt, die er selbst immer wieder auf Touren brachte, arbeitet nicht nur als Fahrer hinter dem Lenkrad. Auch anpacken muss er regelmäßig.

Nicht selten kommt er mit einem Kasten Sprudel und einem Bananenkarton voller Lebensmittel zu einem Kunden oder zu einer Kundin, die im fünften oder sechsten Stock eines aufzuglosen Hauses wohnen. Das treibt ihm dann doch schon mal die Schweißperlen auf die Stirn.

Manche Kunden beauftragen Eder und seine Kollegen vom Lieferservice Shop & Go nicht nur mit der Lieferung von Lebensmitteln, sondern auch mit dem Einkauf selbst. Das geht nicht ohne detaillierte Absprache mit den Kunden, damit am Ende auf keinen Fall das Falsche in der Liefertüte oder im Bananenkarton landet. Der Einkauf selbst nebst Schlange stehen an der Kasse kostet natürlich ebenfalls zusätzliche Zeit und Geld.

„Wir beliefern derzeit täglich 40 bis 45 Kunden und ich sehe, dass unsere Dienstleistung immer wichtiger wird, weil die Zahl der Menschen zunimmt, die alt und alleinstehend oder auch zu beschäftigt sind, um regelmäßig selbst einzukaufen“, zieht Eder am Nachmittag Bilanz, ehe er sich in den Feierabend verabschiedet, an dem er zusammen mit seinen Vereinskameraden von der Behindertensportgemeinschaft Volleyball spielt. Und in der helleren Jahreszeit gönnen sich Edwin Eder und seine Frau auch schon mal einen Kurzurlaub in ihrem Camping-Wohnwagen am Datteln-Ems-Kanal. Als besonders angenehm empfindet es Eder, dass sein Weg zur Arbeit oder in den Feierabend nicht mehr weit ist, seit er für Shop & Go fährt. Denn er wohnt in einem Haus an der Zunftmeisterstraße und sein Lieferwagen ist bei Pia am Hauptbahnhof stationiert.


Dieser Text erschien am 7. Januar 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

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