„Ich habe mich schon als Junge für Autos und Technik interessiert“, erzählt
Edwin Eder, während er einen Lieferwagen des Servicedienstes Shop & Go durch
die Straßen der Stadt steuert. In seinem ersten Berufsleben hat der heute
62-Jährige Autos verkauft. Doch dann warf ihn ein schwerer Herzinfarkt aus der
Bahn. Nach drei Jahrzehnten erfolgreicher und gut bezahlter Berufstätigkeit,
musste er plötzlich drei Gänge zurückschalten und in letzter Konsequenz seinen
lange geliebten Beruf hinter sich lassen. „Heute zählen nur noch die
Verkaufszahlen. Viele Kunden schauen sich im Internet um und kommen dann mit der
Frage ins Haus: Können Sie mir das Auto auch zu diesem Preis verkaufen oder
nicht? Dass man in einem guten Autohaus nicht nur Autos, sondern auch Beratung
und Service einkauft, sehen heute viele Kunden nicht mehr“, beschreibt Eder den
Wandel in seiner Ex-Branche.
Doch dem Auto und der Mobilität ist der Sohn
eines Landbriefträgers treu geblieben. Heute fährt er im Auftrag der
PIA-Stadtdienste (Pia steht für Paritätische Initiative für Arbeit)
Lebensmittel, Akten, Formulare und Medikamente zu den Kunden des
Pia-Dienstes.
„Vormittags fahre ich meistens Medikamente oder Akten und
Formulare für die Stadtverwaltung. In der zweiten Tageshälfte bilden die
klassischen Einkaufsfahrten den Schwerpunkt der Aufträge“, berichtet Eder. Wenn
man ihm zuschaut, wie viele Kisten und Kästen mit Akten und Formularvordrucken
Eder bei der Stadtdruckerei an der Löhstraße abholt, um sie dann beim Sozialamt
an der Ruhrstraße und bei der Sozialagentur an der Eppinghofer Straße
abzuliefern, bekommt man eine Ahnung davon, welche Papierberge in den Mülheimer
Amtsstube bewegt und bewältigt werden müssen.
An diesem Vormittag holt
Eder für eine alte Dame Medikamente aus der Apotheke und bringt ihr diese nach
Hause. „Ich werde immer älter“, begrüßt ihn die alte Dame an der Wohnungstür.
„Na, Gott sei Dank“, muntert er sie auf. Nicht nur bei dieser betagten Kundin
nimmt er sich Zeit für ein kurzes Zuhören und eine kleine Ermutigung. „95
Prozent unserer Kunden sind alte Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind,
um ihre Einkäufe oder Medikamente nach Hause zu bekommen“, weiß Eder, der sich
zusammen mit seiner Frau um seine 82-jährige Schwiegermutter kümmert.
„Es
gibt mir Kraft und Freude, wenn ich sehe, wie dankbar gerade ältere Menschen für
unseren Lieferdienst sind und wie gerne sie einen kurzen Plausch halten“,
erzählt Eder. Der selbst kinderlose PIA-Kurier weiß, „dass viele Menschen im
Alter allein sind und kaum noch soziale Kontakte haben, weil Freunde und
Ehepartner gestorben und Kinder berufsbedingt verzogen sind“.
Anders, als
in seinem früheren Beruf hat Edwin Eder heute „jeden Tag das Gefühl, auf
dankbare Menschen zu treffen, die meine Arbeit zu schätzen wissen und die mir
das Gefühl geben etwas Sinnvolles zu tun“.
Doch anders als in seinem
früheren Beruf, gehört Eder, der seit acht Jahren für die Pia arbeitet, nicht
mehr zu den Gutverdienern. „Heute bekomme ich den Mindestlohn von 8,50 Euro pro
Stunde. Das ist ein Lohn, für den ich früher nicht aufgestanden wäre, für den
ich heute aber sehr dankbar bin“, erklärt Eder seine Situation.
Seine
Zeit als Arbeitslosengeld-2-Bezieher hat ihn bescheiden gemacht. „Ich freue mich
heute auf meinen Arbeitstag. Das war im Autoverkauf nicht immer so, weil es
sofort Stress und Druck gab, wenn die Verkaufszahlen nicht stimmten“, sagt Eder.
Sein Arbeitstag, an dem er immer unterwegs ist und mit vielen Menschen in
Kontakt kommt, beginnt in einer Woche um 8 Uhr und endet um 16 Uhr. Und in der
anderen Wochen muss er zwischen 13 Uhr und 21Uhr ran. Eder, der noch heute von
seinem ersten Mofa und von seinem ersten VW-Käfer schwärmt, die er selbst immer
wieder auf Touren brachte, arbeitet nicht nur als Fahrer hinter dem Lenkrad.
Auch anpacken muss er regelmäßig.
Nicht selten kommt er mit einem Kasten
Sprudel und einem Bananenkarton voller Lebensmittel zu einem Kunden oder zu
einer Kundin, die im fünften oder sechsten Stock eines aufzuglosen Hauses
wohnen. Das treibt ihm dann doch schon mal die Schweißperlen auf die
Stirn.
Manche Kunden beauftragen Eder und seine Kollegen vom
Lieferservice Shop & Go nicht nur mit der Lieferung von Lebensmitteln,
sondern auch mit dem Einkauf selbst. Das geht nicht ohne detaillierte Absprache
mit den Kunden, damit am Ende auf keinen Fall das Falsche in der Liefertüte oder
im Bananenkarton landet. Der Einkauf selbst nebst Schlange stehen an der Kasse
kostet natürlich ebenfalls zusätzliche Zeit und Geld.
„Wir beliefern
derzeit täglich 40 bis 45 Kunden und ich sehe, dass unsere Dienstleistung immer
wichtiger wird, weil die Zahl der Menschen zunimmt, die alt und alleinstehend
oder auch zu beschäftigt sind, um regelmäßig selbst einzukaufen“, zieht Eder am
Nachmittag Bilanz, ehe er sich in den Feierabend verabschiedet, an dem er
zusammen mit seinen Vereinskameraden von der Behindertensportgemeinschaft
Volleyball spielt. Und in der helleren Jahreszeit gönnen sich Edwin Eder und
seine Frau auch schon mal einen Kurzurlaub in ihrem Camping-Wohnwagen am
Datteln-Ems-Kanal. Als besonders angenehm empfindet es Eder, dass sein Weg zur
Arbeit oder in den Feierabend nicht mehr weit ist, seit er für Shop & Go
fährt. Denn er wohnt in einem Haus an der Zunftmeisterstraße und sein
Lieferwagen ist bei Pia am Hauptbahnhof stationiert.
Dieser Text erschien am 7. Januar 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung
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