Martina Henrich |
Mittags und abends ist sie zusammen mit ihrem Mann Rolf im Lieferwagen der Apotheke unterwegs, um betagten und in ihrer Mobilität eingeschränkten Kunden die von ihnen telefonisch bestellten Medikamente ins Haus zu bringen. Nicht nur in der Apotheke, sondern auch bei solchen Hausbesuchen hört sie viele Lebens- und Krankengeschichten. Auch jüngere Patienten, die zum Beispiel an Krebs oder einer Muskelerkrankung leiden sind unter ihren Kunden. „Man sieht in diesem Beruf vieles, was man nicht so einfach wegstecken kann. Aber das gehört dazu. Und ich nehme mir auch die Zeit, um zuzuhören oder zu trösten und zu ermuntern. Denn der Kontakt zu den Menschen ist mir wichtig“, erzählt Henrich.
Der Austausch mit ihrem Mann Rolf, der in der ebenfalls vom Mülheimer Apotheker Patrick Marx betriebenen Barbara-Apotheke an der Aktienstraße arbeitet, ist ihr wichtig. Die Beiden verstehen sich offensichtlich gut. Das Ehepaar „lebt seinen Beruf“, wie Martina Henrich sagt. Und man glaubt der pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten, wenn sie mit einem charmanten Lächeln betont: „Ich arbeite einfach gerne!“
Wie es der Zufall will, fährt sie heute auch zu ihrem früheren Arbeitgeber, einem Medikamenten-Großhändler in der Nachbarstadt Duisburg. Dort muss eine Kiste mit Medikamenten abgeholt werden, die in der Apotheke an Kirchplatz dringend erwartet wird, aber vom Fahrer des Großhändlers auf seiner Tour vergessen worden ist. Martina Henrich betritt eine andere Welt. Die Lagerhalle ist etwa so groß, wie sechs Fußballfelder. In haushohen Regalwänden lagern insgesamt rund 100.000 Medikamente. „Die Medikamente sind hier alphabetisch sortiert. Für jeden Buchstaben gibt es ein eigenes Regal“, weiß Henrich aus ihrem beruflichen Intermezzo in der Warenausgangskontrolle des Medikamenten-Großhandels, das gerade mal ein halbes Jahr dauerte, ehe sie wieder zurück in die Apotheke ging. „Das war nicht mein Ding. Der Kontakt zu den Kunden hat mir gefehlt“, sagt Henrich.
Den hat die pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte, die ihren Beruf schon seit 28 Jahren ausübt, in der Apotheke am Kirchplatz reichlich. Dort hört sie natürlich nicht nur bedrückende Geschichten von Krankheit und Tod, sondern kann sich auch mit Kunden freuen, denen die Medikamente aus der Apotheke ihres Vertrauens geholfen haben, wieder gesund zu werden. Natürlich liefert hier auch der ganz normale Alltag mit Kind und Kegel viel Gesprächsstoff zwischen den Beratungs- und Verkaufsgesprächen rund um die etwa 8000 Medikamente, die die räumlich überschaubare Apotheke, zwischen dem Haus Dümpten und der Barbarakirche erstaunlicher Weise auf Lager hat.
Ein computergesteuertes Kommissionierungssystem, das dem Prinzip nach, wie eine gute alte Rohrpost funktioniert, macht es möglich. Martina Henrich nimmt das Rezept eines Kunden entgegen und scannt es ein. Sofort kann sie auf dem Bildschirm ihrer Computerkasse erkennen, ob das gewünschte Präparat vorrätig ist oder beim Großhändler bestellt werden muss, der fünfmal täglich seine Fahrer mit neuen Medikamenten vorbeischickt.
Ist das vom Kunden benötigte Medikament auf Lager, reicht ein Knopfdruck und ein computergesteuerter Arm setzt sich im Apotheken-Lager, gleich hinter der Verkaufstheke in Bewegung, und greift zielsicher das gewünschte Medikament aus dem entsprechenden Regalfach und schickt es per Rohrpost direkt in die schubladenähnliche Ablage neben Henrichs Kassen-Computer. Das geht sekundenschnell. „Bis 2005 mussten wir bei der Medikamentenlagerung und der Medikamentenbestellung noch mit Lochkarten, einem Telefonmodem und mikrofilmähnlichen Folien arbeiten. Das war alles um ein vielfaches zeitaufwendiger. Mit der Digitalisierung unserer Vorrats- und Bestellsystems haben wir Zeit gewonnen, Zeit, die wir für die Kunden übrig haben.
Diese Zeit und Zuwendung wird nicht nur von älteren Kunden geschätzt. Die alte Dame, die am Nachmittag einfach nur vorbeischaut und Henrich nach ihrem Wohlbefinden fragt und vom bevorstehenden Besuch ihrer Kinder erzählt, zeigt das die Apotheke im Dümptener Dorf nicht nur ein Gesundheitsdienstleister, sondern auch eine Kommunikationsbörse ist.
Dazu gehört auch der Sozialarbeiter eines Mülheimer Pflegedienstes, der vorbeischaut, um mit Apothekenkunden über das Thema häusliche Pflege und Patientenverfügung zu sprechen. „Der soziale Aspekt meines Berufs gefällt mir gut, weil hier jeder jeden kennt und das meist schon über mehrere Generationen. Das schafft Vertrauen und eine familiäre Atmosphäre“, sagt Henrich, als sie um 18.30 Uhr die Apotheke am Kirchplatz abschließt und mit Ehemann Rolf zur letzten Tour des Tages aufbricht, um noch einigen Kunden ihre bestellten Medikamente nach Hause zu bringen.
Die Henrichs selbst sind am Rande des Hexbachtals zu Hause und genießen auch in dieser Jahreszeit den Blick ins Grüne und ihren gemütlichen Feierabend auf der Couch.
Dieser Text erschien am 28. Januar 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung
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