Alina Giesen ist eine starke Frau. Man glaubt es nicht, wenn man die 21-Jährige
zierliche Frau sieht. Aber man weiß es, wenn man sieht, wie sie zusammen mit
Kollegen vom Rettungsdienst eine alte Dame, die sich nach einem Sturz den
Oberschenkelhals gebrochen hat aus der fünften Etage durchs Treppenhaus in den
Rettungswagen trägt oder wenn sie ihren 20 Kilo schweren Rettungs-Rucksack
schultert.
Der hat es in sich: Kompressen, Verbandsmaterial, diverse
Medikamente, Beatmungsgeräte, Spritzen Infusionsbesteck, Brechbeutel,
Pflasterrollen, Pupillenreflexleuchte, Wirbelsäulenstütze...Fast hat man den
Eindruck, dass die junge Frau eine kleine Klinik auf ihren Schultern
trägt.
Der Oberschenkelhalsbruch ist in dieser 24-Stundenschicht der
härteste, aber nicht der einzige Einsatz für die FSJlerin.
Dieses Kürzel
steht für Alina Giesen und ihre fünf Kolleginnen, die aktuell beim
Hausnotrufdienst des DRK ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Ihr
monatliches Entgelt beträgt 360 Euro. Dafür absolviert die
Fremdsprachensekretärin und ausgebildete Rettungshelferin wöchentlich drei bis
vier 24-Stunden-Bereitschaftsdienste. „Du bist ja kaum noch zuhause“, hat sich
ihre Mutter jüngst bei ihr beklagt.
Doch Alina Giesen macht ihre oft
anstrengende und verantwortungsvolle Arbeit, die einem Ehrenamt gleich kommt,
gerne und mit Elan. „Ich habe mich immer schon für Menschen und für Medizin
interessiert. Das ist einfach cool“, sagt sie.
Gerne hätte sie Medizin oder Psychologie studiert. Doch dafür reichte
ihr Abi-Notendurchschnitt von 2,8 leider nicht aus. Und so steuert sie jetzt auf
eine Berufsausbildung als Rettungsassistentin zu. Mit ihrer Ausbildung zur
Rettungshelferin und einem Praktikum im Rettungsdienst der Feuerwehr hat sie
bereits die ersten Schritte in diese Richtung hinter sich gebracht. „Jetzt muss
ich erst mal einen Führerschein für den Rettungswagen machen“, formuliert sie
ihr nächstes Etappenziel.
Als Mitarbeiterin des DRK-Hausnotrufdienstes
ist sie derzeit nur mit einem normalen PKW unterwegs, fährt aber auch schon mit
Blaulicht. Das muss sie in dieser Schicht nicht nur einschalten, als sie um zwei
Uhr in der Nacht zu der Dame mit dem Oberschenkelhalsbruch fährt, sondern auch
als drei Kunden des DRK-Hausnotrufes einen Notruf absetzen, ohne sich persönlich
zu melden. „Dass kann bedeuten, dass sie zuhause tot oder schwer verletzt auf
dem Teppich liegen und sich nicht mehr melden können“, erklärt Giesen. Jetzt
zählt jede Sekunde.
Vor Ort angekommen stellt sich die Situation Gott sei
Dank nicht so dramatisch dar. Zwei alte Damen sind in ihrer Wohnung gestürzt und
klagen über Schmerzen. Giesen tastet behutsam ihre Glieder ab und misst die
Vitalfunktionen. „Gebrochen ist nichts“, gibt sie Entwarnung. Diesmal muss sie
nicht den Rettungsdienst alarmieren. Das ist auch nicht nötig, als sie wenig
später zu einer weiteren Frau gerufen wird, die über Luftnot klagt.
„Die
meisten unserer 900 Kunden sind alte und alleine lebende Menschen. Es gibt auch
einige Jüngere, die durch Krankheiten, wie zum Beispiel Multiple Sklerose, auf
unsere Hilfe angewiesen sind“, berichtet Giesen auf dem Rückweg ins DRK-Zentrum
an der Aktienstraße.
Wenig später geht es schon wieder los, diesmal
allerdings ohne Blaulicht. Denn der Einsatz-Alarm, der sie aus der Leitstelle
auf ihrem Smartphone erreicht, ist ein sogenannter Tages-Tasten-Alarm. Das
heißt: Kunden haben sich innerhalb der letzten 24 Stunden nicht einmal
zurückgemeldet. Um auszuschließen. dass die betreffenden Kunden nicht plötzlich
gestorben sind, fährt Giesen raus und schaut nach. Vor Ort angekommen stellt
sich heraus, dass ein alter Herr seit gestern in einer Reha-Klinik ist und vor
seiner Abreise offensichtlich vergessen hat, die Abmeldetaste seines
Hausnotrufgerätes zu drücken. Das gilt auch für die alte Dame, die gerade vom
Einkauf zurückkommt, als Giesen bei ihr zuhause eintrifft. Ins DRK-Zentrum
zurückgekehrt, in dem sie während ihrer 24-Stunden-Schicht auch schläft, braucht
die Rettungshelferin erst mal eine Stärkung. Die mitgebrachte Pasta aus Mutters
Küche kommt da gerade recht, ehe es für Giesen mit einem Service-Einsatz für
einen Hausnotrufkunden weitergeht. Denn dessen Funkfinger, den er wie eine
Armbanduhr am Handgelenk oder wie eine Kette am Hals tragen kann, ist defekt und
muss deshalb schnellstens ausgetauscht werden.
Dieser Text erschien am 19. November 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Mensch im Mittelalter
Die Interessengemeinschaft Hochgotik ließ die Besucherinnen und Besucher auf Schloss Broich ins 13. Und 14. Jahrhundert reisen und kam dam...
-
Jan Sensky vor seinem Dienswagen Wenn Sie ein altes Möbel- oder Kleidungstück oder auch Geschirr zu Hause stehen haben, die noch gut zu ...
-
Der 30. und 31. Januar ist in meinem Kalender rot angestrichen", erzählt Familienforscherin Bärbel Essers. Dass das so ist, hat mit der...
-
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.” Auch dieses Volkslied dürfte die Schildberger Sing- und Spielschar ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen