Alina Giesen |
Der hat es in sich: Kompressen, Verbandsmaterial, diverse Medikamente, Beatmungsgeräte, Spritzen Infusionsbesteck, Brechbeutel, Pflasterrollen, Pupillenreflexleuchte, Wirbelsäulenstütze...Fast hat man den Eindruck, dass die junge Frau eine kleine Klinik auf ihren Schultern trägt.
Der Oberschenkelhalsbruch ist in dieser 24-Stundenschicht der härteste, aber nicht der einzige Einsatz für die FSJlerin.
Dieses Kürzel steht für Alina Giesen und ihre fünf Kolleginnen, die aktuell beim Hausnotrufdienst des DRK ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Ihr monatliches Entgelt beträgt 360 Euro. Dafür absolviert die Fremdsprachensekretärin und ausgebildete Rettungshelferin wöchentlich drei bis vier 24-Stunden-Bereitschaftsdienste. „Du bist ja kaum noch zuhause“, hat sich ihre Mutter jüngst bei ihr beklagt.
Doch Alina Giesen macht ihre oft anstrengende und verantwortungsvolle Arbeit, die einem Ehrenamt gleich kommt, gerne und mit Elan. „Ich habe mich immer schon für Menschen und für Medizin interessiert. Das ist einfach cool“, sagt sie.
Gerne hätte sie Medizin oder Psychologie studiert. Doch dafür reichte ihr Abi-Notendurchschnitt von 2,8 leider nicht aus. Und so steuert sie jetzt auf eine Berufsausbildung als Rettungsassistentin zu. Mit ihrer Ausbildung zur Rettungshelferin und einem Praktikum im Rettungsdienst der Feuerwehr hat sie bereits die ersten Schritte in diese Richtung hinter sich gebracht. „Jetzt muss ich erst mal einen Führerschein für den Rettungswagen machen“, formuliert sie ihr nächstes Etappenziel.
Als Mitarbeiterin des DRK-Hausnotrufdienstes ist sie derzeit nur mit einem normalen PKW unterwegs, fährt aber auch schon mit Blaulicht. Das muss sie in dieser Schicht nicht nur einschalten, als sie um zwei Uhr in der Nacht zu der Dame mit dem Oberschenkelhalsbruch fährt, sondern auch als drei Kunden des DRK-Hausnotrufes einen Notruf absetzen, ohne sich persönlich zu melden. „Dass kann bedeuten, dass sie zuhause tot oder schwer verletzt auf dem Teppich liegen und sich nicht mehr melden können“, erklärt Giesen. Jetzt zählt jede Sekunde.
Vor Ort angekommen stellt sich die Situation Gott sei Dank nicht so dramatisch dar. Zwei alte Damen sind in ihrer Wohnung gestürzt und klagen über Schmerzen. Giesen tastet behutsam ihre Glieder ab und misst die Vitalfunktionen. „Gebrochen ist nichts“, gibt sie Entwarnung. Diesmal muss sie nicht den Rettungsdienst alarmieren. Das ist auch nicht nötig, als sie wenig später zu einer weiteren Frau gerufen wird, die über Luftnot klagt.
„Die meisten unserer 900 Kunden sind alte und alleine lebende Menschen. Es gibt auch einige Jüngere, die durch Krankheiten, wie zum Beispiel Multiple Sklerose, auf unsere Hilfe angewiesen sind“, berichtet Giesen auf dem Rückweg ins DRK-Zentrum an der Aktienstraße.
Wenig später geht es schon wieder los, diesmal allerdings ohne Blaulicht. Denn der Einsatz-Alarm, der sie aus der Leitstelle auf ihrem Smartphone erreicht, ist ein sogenannter Tages-Tasten-Alarm. Das heißt: Kunden haben sich innerhalb der letzten 24 Stunden nicht einmal zurückgemeldet. Um auszuschließen. dass die betreffenden Kunden nicht plötzlich gestorben sind, fährt Giesen raus und schaut nach. Vor Ort angekommen stellt sich heraus, dass ein alter Herr seit gestern in einer Reha-Klinik ist und vor seiner Abreise offensichtlich vergessen hat, die Abmeldetaste seines Hausnotrufgerätes zu drücken. Das gilt auch für die alte Dame, die gerade vom Einkauf zurückkommt, als Giesen bei ihr zuhause eintrifft. Ins DRK-Zentrum zurückgekehrt, in dem sie während ihrer 24-Stunden-Schicht auch schläft, braucht die Rettungshelferin erst mal eine Stärkung. Die mitgebrachte Pasta aus Mutters Küche kommt da gerade recht, ehe es für Giesen mit einem Service-Einsatz für einen Hausnotrufkunden weitergeht. Denn dessen Funkfinger, den er wie eine Armbanduhr am Handgelenk oder wie eine Kette am Hals tragen kann, ist defekt und muss deshalb schnellstens ausgetauscht werden.
Dieser Text erschien am 19. November 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen