Viele Menschen verlassen die christlichen Kirchen aus ganz unterschiedlichen Gründen: Weil sie sich die Kirchensteuer sparen wollen, weil sie von einem Seelsorger oder einer kirchlichen Einrichtung enttäuscht worden sind oder auch angesichts der aktuellen Diskussion über Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich. Welche Bedeutung hat die Kirchensteuer für die Existenz der beiden christlichen Kirchen, die nicht nur Glaubensgemeinschaft, sondern auch Arbeitgeber sind?
Was sagen Superintendent und Stadtdechant zur Kirchensteuer?
„Kirche würde es auch ohne Kirchensteuer geben”, ist Superintendent Helmut Hitzbleck überzeugt, sieht die Kirchensteuer aber auch als Ausdruck dafür, „dass man Christ nicht für sich allein sein kann und sich als Christ auch in die Gemeinschaft einbringen muss.” Sein katholischer Amtskollege formuliert es profaner: „Mit Nächstenliebe kann man keine Heizung reparieren.” Fazit: Die Kirchen leben nicht vom Brot allein, kommen aber auch nicht ohne das Geld ihrer Mitglieder aus, wenn sie das Wort Gottes in die Tat umsetzen wollen.
Wie viel Kirchensteuer bekommen die Kirchen?
In Mülheim gibt es derzeit rund 62 000 evangelische und rund 60 000 katholische Christen. Dabei sind zum Beispiel nur ein Drittel der evangelischen Christen überhaupt kirchensteuerpflichtig, zahlen also einen neun-prozentigen Aufschlag auf ihre Lohn- und Einkommenssteuer. Zwei Drittel werden als Kinder oder Rentner gar nicht besteuert. Beim Evangelischen Kirchenkreis rechnet man aktuell mit jährlichen Steuereinnahmen von 11 Millionen Euro. Nach einem Finanzausgleich der Kirchenkreise sowie an die Landeskirche und die Evangelische Kirche Deutschlands zu zahlende Umlagen sowie Lohn- und Altersvorsorgekosten für die Pfarrer bleiben rund sechs Millionen Euro Kirchensteuern. Vier Millionen Euro gehen an die Gemeinden des Kirchenkreises, die dieses Geld wiederum zu etwa 75 Prozent in Personalkosten investieren. Rund 200.000 Euro bekommt das Diakonische Werk. Mit Blick auf den demografischen Wandel und auch weil viele Menschen arbeitslos sind oder aus dem Ruhrgebiet wegziehen, kalkuliert man beim Kirchenkreis mit einem sinkenden Netto-Betrag, den man an die Gemeinden und die Diakonie verteilen kann. Für 2009 rechnet man nur noch mit 5,5 Millionen Euro und für 2015 sogar nur noch mit vier Millionen Euro. Gleichzeitig steht die Langzeitprognose der Evangelischen Kirche Deutschlands im Raum, wonach man aufgrund des demografischen Wandels bis 2030 mit einer Halbierung der Kirchensteuereinnahmen rechnen muss. Derzeit zahlen die evangelischen und katholischen Christen in Deutschland jährlich etwa acht Milliarden Euro Kirchensteuer.Antwort: Anders als bei der Evangelischen Kirche werden die Kirchensteuereinnahmen der katholischen Stadtkirche zunächst komplett an das Ruhrbistum überwiesen. Das Bistum überweist den derzeit drei Pfarrgemeinden der Stadtkirche dann einen bestimmten Kirchensteueranteil, der sich nach der Mitgliederzahl der Gläubigen, aber auch nach zusätzlichen Aufgaben und Liegenschaften der Gemeinden richtet. Erhielten die Mülheimer Kirchengemeinden bis 2006 noch jährlich 1,7 Millionen Euro, so sind es derzeit noch 1,055 Millionen Euro. Dieser finanzielle Abwärtstrend ist Ausdruck einer massiven Umstrukturierungs- und Einsparungsoperation, zu der sich das Ruhrbistum 2005/2006 aufgrund des demografisch und sozial verursachten Bevölkerungsschwundes im Ruhrgebiet gezwungen sah. 2008 hat das Ruhrbistum noch rund 98 Millionen Euro Kirchensteuern eingenommen. Für dieses Jahr rechnet es mit einem Kirchensteuerrückgang von 7,7 Millionen Euro.
Welche Rolle spielen Kirchenaustritte?
Superintendent Hitzbleck und Stadtdechant Janßen wollen den Anteil der Kirchenaustritte an der finanziellen Situation der beiden Stadtkirchen weder unter- noch überschätzen und verweisen auf langfristige soziale und demografische Trends sowie die wieder zunehmende Zahl von Kircheneintritten. In der Bilanz bleibt jedoch ein Minus. Betrachtet man die Jahre 2007, 2008 und 2009, so stieg die Zahl der evangelischen Kirchenaustritte von 345 auf 423, um dann wieder auf 321 zu sinken. Seit Jahresbeginn haben 131 Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Die Zahl der katholischen Kirchenaustritte stieg zwischen 2007 und 2009 von 255 auf 299. Seit Januar 2010 haben in Mülheim 190 Katholiken ihre Kirche verlassen. Gleichzeitig konnte sich die evangelische Kirche von 2007 bis 2009 über 378 Neuaufnahmen kirchensteuerpflichtiger Mitglieder freuen. Auf katholischer Seite registrierte man insgesamt 66 Kirchenneueintritte und 547 Taufen. Letzteres ist aber nur eine Kirchensteueroption auf die Zukunft. Den aktuellen Anstieg der Kirchenaustritte führen Hitzbleck und Janßen vor allem auf die 2009 eingeführte Kapitalbesteuerung zurück. Hier hätten viele Bankberater dazu geraten, die freiwillige Kirchensteuer einzusparen.
Wie viele Menschen beschäftigt der Arbeitgeber Kirche in Mülheim?
Beim evangelischen Kirchenkreis arbeiten derzeit insgesamt 420 Beschäftigte. Hinzu kommen 40 Geistliche. Den größten Mitarbeiterblock bilden die 140 Beschäftigten der evangelischen Kindertagesstätten, gefolgt von den 118 fest angestellten Mitarbeitern des Diakonischen Werkes, 100 Gemeindemitarbeitern und 65 Mitarbeitern im breit gefächerten Verwaltungsbereich. Auch in der katholischen Stadtkirche stellen die 156 Beschäftigten der 2006 in einen Zweckverband des Bistums überführten Kindertagesstätten den größten Beschäftigten-Block, gefolgt von den 150 Mitarbeitenden der Caritas Sozialdienste. Vor allem auf der Gemeindeebene wurde im Zuge der Umstrukturierungs- und Einsparmaßnahmen des Bistums 2006 massiv Personal abgebaut. Allein beim aufgelösten Gemeindeverband fielen rund 30 Stellen Weg. Auch die Pfarrgemeinden mussten stark abspecken. Gab es vor der Umstrukturierung 98 katholische Gemeindemitarbeiter, die sich auf 46 Vollzeitstellen verteilten, so konnten die drei 2006 neugegründeten Groß-Pfarreien St. Mariae Geburt, St. Mariae Himmelfahrt und und St. Barbara nur noch über insgesamt 21 Vollzeit-Stellen verfügen, von denen drei Stellen auf die jeweiligen Verwaltungsleiter der Pfarrgemeinden entfallen. Dabei wurden durchaus Schwerpunkte gesetzt, wie Stadtdechant Michael Janßen am Beispiel seiner eigenen Pfarrei St. Mariae Geburt deutlich macht. So konnte der Umfang der Kirchenmusikerstellen zu 86 Prozent erhalten werden, während man die Küsterstellen um 75 Prozent reduzierte und durch ehrenamtliche Helfer ersetzte.
In dieser Beschäftigungsbilanz nicht enthalten sind die Stiftungen und Unternehmen kirchlichen Ursprungs, die sich unabhängig von der Kirchensteuer finanzieren. Dazu gehören das Evangelische Krankenhaus (1250 Mitarbeiter), das St. Marien-Hospital (650 Mitarbeiter) und die Theodor-Fliedner-Stiftung mit bundesweit 1900 Mitarbeitern.
In welchen Bereichen ist die Kirche als Arbeitgeber engagiert?
Die Bereiche Bildung und Soziales bilden den Arbeitsschwerpunkt der beiden Stadtkirchen, die zum Beispiel in der Familienbildung und in der Sozialberatung, in der offenen Ganztagsschule, aber auch in der Ehe- und Erziehungsberatung, in der Betreuung psychisch kranker Menschen sowie in der Kinder- Jugend- und Familienhilfe oder in der Sucht- und Schwangerenberatung aktiv sind. Hinzu kommen die Wohnungsnotfallhilfe, die Erwachsenenbetreuung, die Jugendgerichtshilfe, die Hilfe für Flüchtlinge und Zuwanderer oder die stadtteilorientierte Gemeinwesenarbeit und Sozialberatung.Antwort: Angesichts dieses breiten Arbeits- und Aufgabenspektrums des Arbeitgebers Kirche kommt Superintendent Hitzbleck zu dem Ergebnis, „dass Kirche als soziale Lobby und sozialethischer Ansprechpartner für unsere Gesellschaft unverzichtbar ist.” Und Stadtdechant Janßen glaubt mit Blick auf die Kirchensteuerdiskussion, „dass ein Ausfall der Kirche ein Vakuum reißen würde, dass der Staat gar nicht füllen könnte.”
Ist die Kirche angesichts ihrer moralischen Autorität auch ein menschlicher Arbeitgeber?
In diesem Zusammenhang verweist Superintendent Hitzbleck darauf, dass der Kirchenkreis bisher keine einzige betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen habe, obwohl man in den letzten 15 Jahren aus finanziellen Gründen etwa ein Drittel aller Pfarr- und Verwaltungsstellen einsparen musste. Auch sein katholischer Amtskollege Janßen ist im Rückblick auf den Personalabbau des Umbau-Jahres 2006 der Ansicht, „dass sich die Kirche mit ihren Sozialplanregelungen und Abfindungen sehen lassen kann.” Eine betriebsbedingte Kündigung, so Janßen, sei 2006 nur in einem einzigen Fall nötig gewesen. Immer wieder wurde Personalabbau durch Vorruhestandsregelungen oder den Wegfall von Stellen realisiert, die durch die Pensionierung ihrer Inhaber frei geworden waren. Sowohl in den Gesprächen mit Superintendent Hitzbleck als auch mit den evangelischen und katholischen Mitarbeitervertetern Petra Busch und German Geiger fallen immer wieder die Begriffe „Dritter Weg” und „Dienstgemeinschaft.” Helmut Hitzbleck formuliert es so: „Man redet miteinander. Wir sind nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Heimat der Beschäftigten.” Auch Petra Busch, die in der Verwaltung des evangelischen Kirchenkreises arbeitet, und der Kantor der katholischen Gemeinde St. Joseph, German Geiger, benutzen den Vergleich eines Handwerksbetriebs, in dem eine familiäre Atmosphäre herrsche und viele Probleme auf dem kleinen Dienstweg geklärt würden. Angesichts des zum Teil rabiaten Personalmanagements und Personalabbaus in der freien Wirtschaft sagt Busch über ihren Arbeitgeber Kirche: „Noch schweben wir hier wie auf einer Wolke und werden als Mitarbeiter gemeinschaftlich mit einbezogen, weil unser Arbeitgeber keine Gewinnmaximierung anstrebt.” Mit ihrem katholischen Kollegen Geiger ist sich Busch einig, dass ihr Arbeitgeber sich auch in Punkto Arbeitszeit vergleichsweise flexibel auf die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitern einstellt. Auf der anderen Seite arbeiten auch Kirchenmusiker Geiger und seine Kollegen nicht nach dem Prinzip Stechuhr, wenn zum Beispiel in den klassischen Festzeiten wie Ostern, Advent und Weihnachten so manche Überstunde anfällt.
Wie ist es um die Entlohnung und Rechte kirchlicher Mitarbeiter bestellt?
Die Bezahlung der kirchlichen Mitarbeiter entspricht dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, dessen Tarifabschlüsse in der Regel zeitverzögert übernommen werden. Außerdem gelten die allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsrechtes. Allerdings verzichten die Mitarbeiter der Kirchen de facto auf ihr Streikrecht. Anders als im öffentlichen Dienst ist die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kein offizieller Tarifpartner. „Verdi würde gerne, aber Verdi ist nicht”, unterstreicht Superintendent Hitzbleck. Allerdings weist Verdi-Geschäftsführerin Henrike Greven darauf hin, dass auch kirchliche Mitarbeiter zunehmend in ihre Gewerkschaft eintreten, um im Ernstfall arbeitsrechtliche Beratung und Vertretung in Anspruch nehmen zu können. Auch hier gebe es angesichts bereits vollzogener oder befürchteter Stelleneinsparungen eine wachsende Verunsicherung. Außerdem verweist Greven darauf, dass Verdi neben den kirchlichen Mitarbeiterverbänden auch in den auf Landesebene angesiedelten Schiedskommissionen vertreten sei. Diese Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch vertreten sind und im Zweifelsfalle einen neutralen Schlichter hinzuziehen, entscheiden im Ernstfall über alle strittigen Fragen. Allerdings sieht Verdi-Gewerkschafterin Greven in der kirchlichen Dienstgemeinschaft nur eine „abgespeckte Mitbestimmung”, mit der man manches eben nicht erreichen könne.
Dieser Text erschien am 5. Mai 2010 in der NRZ
Was sagen Superintendent und Stadtdechant zur Kirchensteuer?
„Kirche würde es auch ohne Kirchensteuer geben”, ist Superintendent Helmut Hitzbleck überzeugt, sieht die Kirchensteuer aber auch als Ausdruck dafür, „dass man Christ nicht für sich allein sein kann und sich als Christ auch in die Gemeinschaft einbringen muss.” Sein katholischer Amtskollege formuliert es profaner: „Mit Nächstenliebe kann man keine Heizung reparieren.” Fazit: Die Kirchen leben nicht vom Brot allein, kommen aber auch nicht ohne das Geld ihrer Mitglieder aus, wenn sie das Wort Gottes in die Tat umsetzen wollen.
Wie viel Kirchensteuer bekommen die Kirchen?
In Mülheim gibt es derzeit rund 62 000 evangelische und rund 60 000 katholische Christen. Dabei sind zum Beispiel nur ein Drittel der evangelischen Christen überhaupt kirchensteuerpflichtig, zahlen also einen neun-prozentigen Aufschlag auf ihre Lohn- und Einkommenssteuer. Zwei Drittel werden als Kinder oder Rentner gar nicht besteuert. Beim Evangelischen Kirchenkreis rechnet man aktuell mit jährlichen Steuereinnahmen von 11 Millionen Euro. Nach einem Finanzausgleich der Kirchenkreise sowie an die Landeskirche und die Evangelische Kirche Deutschlands zu zahlende Umlagen sowie Lohn- und Altersvorsorgekosten für die Pfarrer bleiben rund sechs Millionen Euro Kirchensteuern. Vier Millionen Euro gehen an die Gemeinden des Kirchenkreises, die dieses Geld wiederum zu etwa 75 Prozent in Personalkosten investieren. Rund 200.000 Euro bekommt das Diakonische Werk. Mit Blick auf den demografischen Wandel und auch weil viele Menschen arbeitslos sind oder aus dem Ruhrgebiet wegziehen, kalkuliert man beim Kirchenkreis mit einem sinkenden Netto-Betrag, den man an die Gemeinden und die Diakonie verteilen kann. Für 2009 rechnet man nur noch mit 5,5 Millionen Euro und für 2015 sogar nur noch mit vier Millionen Euro. Gleichzeitig steht die Langzeitprognose der Evangelischen Kirche Deutschlands im Raum, wonach man aufgrund des demografischen Wandels bis 2030 mit einer Halbierung der Kirchensteuereinnahmen rechnen muss. Derzeit zahlen die evangelischen und katholischen Christen in Deutschland jährlich etwa acht Milliarden Euro Kirchensteuer.Antwort: Anders als bei der Evangelischen Kirche werden die Kirchensteuereinnahmen der katholischen Stadtkirche zunächst komplett an das Ruhrbistum überwiesen. Das Bistum überweist den derzeit drei Pfarrgemeinden der Stadtkirche dann einen bestimmten Kirchensteueranteil, der sich nach der Mitgliederzahl der Gläubigen, aber auch nach zusätzlichen Aufgaben und Liegenschaften der Gemeinden richtet. Erhielten die Mülheimer Kirchengemeinden bis 2006 noch jährlich 1,7 Millionen Euro, so sind es derzeit noch 1,055 Millionen Euro. Dieser finanzielle Abwärtstrend ist Ausdruck einer massiven Umstrukturierungs- und Einsparungsoperation, zu der sich das Ruhrbistum 2005/2006 aufgrund des demografisch und sozial verursachten Bevölkerungsschwundes im Ruhrgebiet gezwungen sah. 2008 hat das Ruhrbistum noch rund 98 Millionen Euro Kirchensteuern eingenommen. Für dieses Jahr rechnet es mit einem Kirchensteuerrückgang von 7,7 Millionen Euro.
Welche Rolle spielen Kirchenaustritte?
Superintendent Hitzbleck und Stadtdechant Janßen wollen den Anteil der Kirchenaustritte an der finanziellen Situation der beiden Stadtkirchen weder unter- noch überschätzen und verweisen auf langfristige soziale und demografische Trends sowie die wieder zunehmende Zahl von Kircheneintritten. In der Bilanz bleibt jedoch ein Minus. Betrachtet man die Jahre 2007, 2008 und 2009, so stieg die Zahl der evangelischen Kirchenaustritte von 345 auf 423, um dann wieder auf 321 zu sinken. Seit Jahresbeginn haben 131 Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Die Zahl der katholischen Kirchenaustritte stieg zwischen 2007 und 2009 von 255 auf 299. Seit Januar 2010 haben in Mülheim 190 Katholiken ihre Kirche verlassen. Gleichzeitig konnte sich die evangelische Kirche von 2007 bis 2009 über 378 Neuaufnahmen kirchensteuerpflichtiger Mitglieder freuen. Auf katholischer Seite registrierte man insgesamt 66 Kirchenneueintritte und 547 Taufen. Letzteres ist aber nur eine Kirchensteueroption auf die Zukunft. Den aktuellen Anstieg der Kirchenaustritte führen Hitzbleck und Janßen vor allem auf die 2009 eingeführte Kapitalbesteuerung zurück. Hier hätten viele Bankberater dazu geraten, die freiwillige Kirchensteuer einzusparen.
Wie viele Menschen beschäftigt der Arbeitgeber Kirche in Mülheim?
Beim evangelischen Kirchenkreis arbeiten derzeit insgesamt 420 Beschäftigte. Hinzu kommen 40 Geistliche. Den größten Mitarbeiterblock bilden die 140 Beschäftigten der evangelischen Kindertagesstätten, gefolgt von den 118 fest angestellten Mitarbeitern des Diakonischen Werkes, 100 Gemeindemitarbeitern und 65 Mitarbeitern im breit gefächerten Verwaltungsbereich. Auch in der katholischen Stadtkirche stellen die 156 Beschäftigten der 2006 in einen Zweckverband des Bistums überführten Kindertagesstätten den größten Beschäftigten-Block, gefolgt von den 150 Mitarbeitenden der Caritas Sozialdienste. Vor allem auf der Gemeindeebene wurde im Zuge der Umstrukturierungs- und Einsparmaßnahmen des Bistums 2006 massiv Personal abgebaut. Allein beim aufgelösten Gemeindeverband fielen rund 30 Stellen Weg. Auch die Pfarrgemeinden mussten stark abspecken. Gab es vor der Umstrukturierung 98 katholische Gemeindemitarbeiter, die sich auf 46 Vollzeitstellen verteilten, so konnten die drei 2006 neugegründeten Groß-Pfarreien St. Mariae Geburt, St. Mariae Himmelfahrt und und St. Barbara nur noch über insgesamt 21 Vollzeit-Stellen verfügen, von denen drei Stellen auf die jeweiligen Verwaltungsleiter der Pfarrgemeinden entfallen. Dabei wurden durchaus Schwerpunkte gesetzt, wie Stadtdechant Michael Janßen am Beispiel seiner eigenen Pfarrei St. Mariae Geburt deutlich macht. So konnte der Umfang der Kirchenmusikerstellen zu 86 Prozent erhalten werden, während man die Küsterstellen um 75 Prozent reduzierte und durch ehrenamtliche Helfer ersetzte.
In dieser Beschäftigungsbilanz nicht enthalten sind die Stiftungen und Unternehmen kirchlichen Ursprungs, die sich unabhängig von der Kirchensteuer finanzieren. Dazu gehören das Evangelische Krankenhaus (1250 Mitarbeiter), das St. Marien-Hospital (650 Mitarbeiter) und die Theodor-Fliedner-Stiftung mit bundesweit 1900 Mitarbeitern.
In welchen Bereichen ist die Kirche als Arbeitgeber engagiert?
Die Bereiche Bildung und Soziales bilden den Arbeitsschwerpunkt der beiden Stadtkirchen, die zum Beispiel in der Familienbildung und in der Sozialberatung, in der offenen Ganztagsschule, aber auch in der Ehe- und Erziehungsberatung, in der Betreuung psychisch kranker Menschen sowie in der Kinder- Jugend- und Familienhilfe oder in der Sucht- und Schwangerenberatung aktiv sind. Hinzu kommen die Wohnungsnotfallhilfe, die Erwachsenenbetreuung, die Jugendgerichtshilfe, die Hilfe für Flüchtlinge und Zuwanderer oder die stadtteilorientierte Gemeinwesenarbeit und Sozialberatung.Antwort: Angesichts dieses breiten Arbeits- und Aufgabenspektrums des Arbeitgebers Kirche kommt Superintendent Hitzbleck zu dem Ergebnis, „dass Kirche als soziale Lobby und sozialethischer Ansprechpartner für unsere Gesellschaft unverzichtbar ist.” Und Stadtdechant Janßen glaubt mit Blick auf die Kirchensteuerdiskussion, „dass ein Ausfall der Kirche ein Vakuum reißen würde, dass der Staat gar nicht füllen könnte.”
Ist die Kirche angesichts ihrer moralischen Autorität auch ein menschlicher Arbeitgeber?
In diesem Zusammenhang verweist Superintendent Hitzbleck darauf, dass der Kirchenkreis bisher keine einzige betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen habe, obwohl man in den letzten 15 Jahren aus finanziellen Gründen etwa ein Drittel aller Pfarr- und Verwaltungsstellen einsparen musste. Auch sein katholischer Amtskollege Janßen ist im Rückblick auf den Personalabbau des Umbau-Jahres 2006 der Ansicht, „dass sich die Kirche mit ihren Sozialplanregelungen und Abfindungen sehen lassen kann.” Eine betriebsbedingte Kündigung, so Janßen, sei 2006 nur in einem einzigen Fall nötig gewesen. Immer wieder wurde Personalabbau durch Vorruhestandsregelungen oder den Wegfall von Stellen realisiert, die durch die Pensionierung ihrer Inhaber frei geworden waren. Sowohl in den Gesprächen mit Superintendent Hitzbleck als auch mit den evangelischen und katholischen Mitarbeitervertetern Petra Busch und German Geiger fallen immer wieder die Begriffe „Dritter Weg” und „Dienstgemeinschaft.” Helmut Hitzbleck formuliert es so: „Man redet miteinander. Wir sind nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Heimat der Beschäftigten.” Auch Petra Busch, die in der Verwaltung des evangelischen Kirchenkreises arbeitet, und der Kantor der katholischen Gemeinde St. Joseph, German Geiger, benutzen den Vergleich eines Handwerksbetriebs, in dem eine familiäre Atmosphäre herrsche und viele Probleme auf dem kleinen Dienstweg geklärt würden. Angesichts des zum Teil rabiaten Personalmanagements und Personalabbaus in der freien Wirtschaft sagt Busch über ihren Arbeitgeber Kirche: „Noch schweben wir hier wie auf einer Wolke und werden als Mitarbeiter gemeinschaftlich mit einbezogen, weil unser Arbeitgeber keine Gewinnmaximierung anstrebt.” Mit ihrem katholischen Kollegen Geiger ist sich Busch einig, dass ihr Arbeitgeber sich auch in Punkto Arbeitszeit vergleichsweise flexibel auf die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitern einstellt. Auf der anderen Seite arbeiten auch Kirchenmusiker Geiger und seine Kollegen nicht nach dem Prinzip Stechuhr, wenn zum Beispiel in den klassischen Festzeiten wie Ostern, Advent und Weihnachten so manche Überstunde anfällt.
Wie ist es um die Entlohnung und Rechte kirchlicher Mitarbeiter bestellt?
Die Bezahlung der kirchlichen Mitarbeiter entspricht dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, dessen Tarifabschlüsse in der Regel zeitverzögert übernommen werden. Außerdem gelten die allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsrechtes. Allerdings verzichten die Mitarbeiter der Kirchen de facto auf ihr Streikrecht. Anders als im öffentlichen Dienst ist die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kein offizieller Tarifpartner. „Verdi würde gerne, aber Verdi ist nicht”, unterstreicht Superintendent Hitzbleck. Allerdings weist Verdi-Geschäftsführerin Henrike Greven darauf hin, dass auch kirchliche Mitarbeiter zunehmend in ihre Gewerkschaft eintreten, um im Ernstfall arbeitsrechtliche Beratung und Vertretung in Anspruch nehmen zu können. Auch hier gebe es angesichts bereits vollzogener oder befürchteter Stelleneinsparungen eine wachsende Verunsicherung. Außerdem verweist Greven darauf, dass Verdi neben den kirchlichen Mitarbeiterverbänden auch in den auf Landesebene angesiedelten Schiedskommissionen vertreten sei. Diese Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch vertreten sind und im Zweifelsfalle einen neutralen Schlichter hinzuziehen, entscheiden im Ernstfall über alle strittigen Fragen. Allerdings sieht Verdi-Gewerkschafterin Greven in der kirchlichen Dienstgemeinschaft nur eine „abgespeckte Mitbestimmung”, mit der man manches eben nicht erreichen könne.
Dieser Text erschien am 5. Mai 2010 in der NRZ
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