Wer regelmäßig die Nachrichten verfolgt, fühlt sich als aufgeklärter Zeitgenosse. Doch manchmal ist es mit der Aufklärung nicht so weit her, wie man glauben möchte. Das gilt für die sexuelle, wie für die politische Aufklärung. Noch nie waren wir so gut darüber informiert, was beziehungstechnisch und politisch geht oder gehen könnte. Doch klappt es deshalb mit den privaten und den gesellschaftlichen Beziehungen besser? Die Scheidungszahlen, die Wahlbeteiligung und die Nachrichtenlage sprechen eine andere Sprache.
Auch ich musste jetzt feststellen, dass die nachrichtliche Dauerberieselung an meinem Unterbewusstsein nicht spurlos vorübergegangen ist. Denn als mir kürzlich ein junger arabischer Mann in der U-Bahn gegenüber saß, der ganz intensiv via Smart-Phone Kurznachrichten verschickte, erwischte ich mich bei dem argwöhnischen Gedanken: „Mit wem der wohl gerade über was kommuniziert?“ Als ob er meine Gedanken habe lesen können, lächelte er mich plötzlich an und erzählte mir freudestrahlend: „Ich habe gerade meiner Freundin gratuliert. Sie hat ihr Examen bestanden.“
Ich beglückwünschte ihn und seine Freundin unbekannterweise. Mich selbst trat ich innerlich in den Hintern und erkannte. Manchmal tut es gut, die Nachrichten mal aus und den gesunden Menschenverstand mal wieder einzuschalten, damit wir uns auch morgen noch vertrauen können.
Dieser Text erschien am 1. August 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung
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