Ulrich Schreyer (links) und Ulrich Scholten bei der Diskussion mit den Oberstufenschülern des Karl-Ziegler-Gymnasiums. |
Gerade haben das Moderatoren-Trio Dana Dost, Lena Weber und Justus Gosten zusammen mit 200 Mitschülern aus der Oberstufe des Karl-Ziegler-Gymnasiums Oberbürgermeister Ulrich Scholten und den Geschäftsführer des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur, Ulrich Schreyer, zu allen gesellschaftspolitischen Fragen interviewt, die Jugendlichen auf den Nägeln brennen.
Nach einer 90-minütigen Diskussion zeigen sich Schreyer und Scholten beeindruckt. Besonders überrascht hat sie die Bandbreite der Schülerfragen. "Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Schüler auch zu meiner Position beim Thema Sterbehilfe befragen", staunt Scholten. Schreyer, selbst ein Mann der Evangelischen Kirche, ist positiv überrascht, wie offen Jugendliche für Glaubens- und Lebensfragen sind. "Ich kann nur hoffen, dass meine Kirche diese Offenheit auch zu nutzen weiß."
Auf der anderen Seite zeigen sich die beiden Moderatoren Dana Dost und Justus Gosten davon angetan, "dass Scholten und Schreyer bei keinem Thema um den heißen Brei herumgeredet haben und auch offen eingestanden haben, wenn sie auf bestimmte Fragen keine klare Antwort geben konnten." Die gezielten und differenzierten Fragen des Moderatoren-Teams verraten eine gute inhaltliche Vorbereitung,
Wird uns die Integration der Flüchtlinge gelingen? Kann die Inklusion in der Schule funktionieren? Bei diesen Fragen präsentieren der Sozialmanager und der Politiker keine fertigen Antworten, sondern sprechen von Prozessen und Rahmenbedingungen, die schrittweise zur Bewältigung dieser Aufgaben geschaffen werden müssen. Scholten wünscht sich mehr Geld für Schulen und Sportstätten, für Ausstattung, Räume und qualifizierte Pädagogen, um die aus seiner Sicht grundsätzlich richtigen und lohnenswerten Ziele von sozialer Integration und schulischer Inklusion zu erreichen. Schreyer lässt keinen Zweifel daran, dass man Schülern mit einer geistigen Behinderung keinen Gefallen tut, wenn man Förderschulen mit einem entsprechenden pädagogischen Schwerpunkt abschaffen würde. Beim Thema Flüchtlinge sieht er die Politik im Weltmaßstab gefordert, berichtet von seinen Erfahrungen aus Zimbabwe und schildert am Beispiel des südafrikanischen Landes die unvorstellbare Perspektivlosigkeit, "die immer neue Flüchtlinge schafft." Schreyer plädiert für mehr politische Ehrlichkeit und stellt fest: "Zur Wahrheit gehört, dass wir teilen müssen und das wir unseren gewohnten Wohlstand nicht halten werden."
Einig sind sich Scholten und Schreyer darin, dass die Schulzeit-Verkürzung und das Abitur in 8 statt in 9 Jahren, ein Fehler war, der die Lern- und Lebensqualität der Schüler beeinträchtigt habe. Einigkeit herrscht zwischen ihnen auch bei der Ablehnung der aktiven Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden praktiziert wird. Anschaulich berichtet Schreyer aus dem Alltag im stationären Hospiz an der Friedrichstraße, wo gute Schmerztherapie und menschliche Zuwendung auch bei den sterbenskranken Gästen den Gedanken an aktive Sterbehilfe nicht aufkommen oder schnell wieder verschwinden lassen.
Fast besinnlich, aber nicht minder interessant wird die Diskussion, als sich politisches und privates in den Fragen und Antworten vermischen. Zum Beispiel, wenn Scholten und Schreyer nach der persönlichen Bedeutung ihres christlichen Glaubens oder nach den realistischen Erfolgschance einer lebenslangen Ehe in Zeiten drastisch gestiegener Scheidungsraten gefragt werden."Ich glaube, weil mir der Glauben Halt und Orientierung im Leben gibt", sagt Scholten. "Ich glaube, weil der Glaube mich und meine Lebensweise immer wieder kritisch hinterfragt", betont Schreyer. Und dann gehen sie zur Ehe über. Der OB gibt eine persönliche Antwort: "Ich habe in der langen Ehe mit meiner Frau alle Höhen und Tiefen erlebt. Dabei habe ich begriffen, dass eine gute Beziehung immer auf Rücksicht und Respekt beruht und das sie immer auch mit Arbeit verbunden ist. Vielleicht geben viele Menschen einfach zu früh auf!"
Schreyer gibt eine gesellschaftspolitische Antwort und macht damit deutlich, dass auch das Private immer politisch ist. "Eltern und Ehepartner stehen heute unter einer enormen Spannung, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen, dies aber nicht können, weil die sozialen Rahmenbedingungen nicht stimmen." Der Geschäftsführer des Diakoniewerkes lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Zielkonflikt und die damit verbundenen demografischen Folgen des Kindermangels nur dann aufgelöst werden kann, wenn Staat und Wirtschaft sowohl bei der Arbeitszeit und der Arbeitsplatzsicherheit, als auch bei der verlässlichen und bezahlbaren Kinderbetreuung die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen,
Nach 90 Minuten Fragen und Antworten verlässt der Zuhörer die Aula der Karl-Ziegler-Schule mit dem Gefühl, eine Diskussion erlebt zu haben, die mit ihrer Dichte und ihrem Tiefgang jede Fernsehtalkshow in den Schatten stellt.Dieser Text erschien am 12. Februar in der Mülheimer Woche
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