Dienstag, 30. August 2016

„Eine lohnende Investition“: In der Kranhalle des Diakoniewerkes diskutierte die NRZ mit Vertretern der Politik, der Wirtschaft und den Gewerkschaften über den sozialen Arbeitsmarkt

Es lässt die Zuhörer aufhorchen, wenn Inaya Chahrour, sagt: „Es ist super, hier ehrenamtlich in der Kantine arbeiten zu können, aber es wäre schön, wenn sich der Arbeitsmarkt mal wieder so verändern würde, dass ich mein eigenes Geld in der Gastronomie verdienen könnte.“ Nachdenklich macht es auch, wenn Vorarbeiter Roland Eifler feststellt: „Es gibt Arbeit genug. Das sieht man an den schmutzigen Straße. Die Regierung müsste dafür aber Geld in die Hand nehmen, aber sie würde dafür auch viel zurückbekommen.“ Beide haben den Satz: „Wir melden uns, wenn wir für Sie Arbeit haben“, im Ohr. Inaya Chahrour wartet seit einem Jahr auf einen Beratungstermin bei der Agentur. Und Eifler hat über zwei Jahre nichts vom Amt gehört.

Dass etwas schief läuft auf dem Arbeitsmarkt, macht der Geschäftsführer des Diakoniewerkes deutlich. Ulrich Schreyer sagt, dass der Bund seine Investitionen in den sozialen Arbeitsmarkt in den letzten 20 Jahren halbiert habe, während der Anteil der Beschäftigten, die das Diakoniewerk in Richtung erster Arbeitsmarkt verlassen konnten im gleichen Zeitraum von 30 bis 40 auf 3 oder 4 Prozent abgestürzt sei. Wenn er von Mitarbeitern, deren Verträge ausgelaufen sind, das Angebot bekommt: „Ich komme auch für 50 Cent“, empfindet er das als unwürdig.

Was tun? Darüber wurde nach dem Podiumsgespräch in der Kranhalle des Diakoniewerkes angeregt diskutiert. „Wir haben als Gesellschaft die Pflicht, so gut funktionierende Einrichtungen wie das Diakoniewerk zu unterstützen, weil hier Menschen ihre Fähigkeiten einbringen können und Zufriedenheit gewinnen. Das ist eine langfristige Investition in den sozialen Frieden“, findet der Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses, Nils B. Krog. Seinen Hinweis auf die sozialen Beschäftigungspotenziale im großen Bereich der Grünpflege, kontert der Apotheker und Vorsitzende der Bürgerstiftung, Patrick Marx, mit dem Hinweis: „Das darf aber nicht dazu führen, dass Garten- und Landschaftsbauer auf dem ersten Arbeitsmarkt ihre Mitarbeiter entlassen, weil sie nicht mehr genug Aufträge bekommen.“

Marx wünscht sich „unbürokratischere Lösungen bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, wenn man hier etwa ein syrischen Apotheker zum Pharmazeutisch-Technischen Assistenten umschulen will, weil man ihn dringend braucht.“

Die Dümptener Pfarrerin Gundula Zühlke ist überzeugt: „Investitionen in einen sozialen Arbeitsmarkt lohnen sich. Denn es gibt nicht nur in der Grünpflege, sondern auch bei der Begleitung von alten und behinderten Menschen genug zu tun.“

Der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, Hartwig Kistner, sieht das genauso. Er plädiert „für staatliche Förderprogramme, die auch in kleineren Betrieben Arbeitgebern und Arbeitnehmern Planungssicherheit geben könnten.“ Kistner sähe es als lohnende Aufgabe für einen großen Mathematiker, der mal ausrechnen könnte, „ob man vielleicht gar nicht so weit weg wäre, wenn man alle Sozial- und Wohnhilfekosten in einen zweiten Arbeitsmarkt investieren würde.“

Für die stellvertretende Geschäftsführerin der Caritas, Margret Zerres ist dagegen , dass ein sozialer Arbeitsmarkt nicht ohne massive Bundesmittel installiert werden kann. „Man sollte das Grundrecht auf Arbeit ins Grundgesetz schreiben. Denn die ständige Befristung von Arbeit ist menschenunwürdige. Die Arbeitssituation muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt“ MBI-Ratsmitglied Lothar Reinhard fordert auf allen politischen Ebenen „eine ehrliche Diskussion, die neue Schwerpunkte setzt“, wenn es darum gehe, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Diakonie-Mann Kistner und Caritas-Frau Dagmar Auberg fühlen sich durch die Diskussion bestärkt: „Langzeitarbeitslose können und wollen arbeiten.“ Auberg ist überzeugt, dass „Wirtschaft und Gesellschaft von den Arbeitnehmern des zweiten Arbeitsmarktes profitieren können, auch wenn sie nicht die volle Schlagzahl erreichen.“ Das größte Problem sieht sie darin, dass die Betroffenen keine Lobby haben.

„Das Geld und die Werte sind doch da, um allen Menschen gerecht bezahlte Arbeit zu geben, die mit ihrer Tagesstruktur zur Würde des Menschen gehört“, sagt Pastor Michael Clemens aus St. Engelbert in Eppinghofen mit Blick auf die Rekordsteuereinnahmen des Staates und die Vermögenswerte der Kirche. „Wir müssen unser gesamtes Sozial- und Arbeitssystem vereinfachen und uns angesichts sprudelnder Steuereinnahmen fragen, wie viel Geld wir in die Verwaltung von Arbeitslosigkeit investieren“, beschreibt der Katholikenratsvorsitzende Rolf Völker die politische Ausgangslage. Sein Fazit am Ende der Veranstaltung: „Wir sind in einem Denkprozess, haben aber noch keine Lösung.“



Dieser Text erschien am 25. August in der Neuen Ruhr Zeitung

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