„Als wir vor zehn Jahren hier her zogen, fuhren unsere Kinder mit ihren Bobbycars immer auf dem Bürgersteig auf und ab. Nachbarkinder kamen dazu. Und plötzlich standen auch einige Eltern vor unserem Haus, die nach ihren Kindern schauten“, erinnert sich Susanne Prött. Irgendwann sagte einer der Nachbarn: „Schade, dass wir uns nirgendwo hinsetzen können! Susannes Mann Christian, ein Mann der Tat, ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit seiner Flex-Säge entfernte er kurzerhand das Geländer auf seiner langen Vorgartenmauer und schwupp die wupp lagen dort einige Sitzkissen.
Es muss wohl ein Freitagabend gewesen sein. Denn seit dem steigt vor Prötts Haus jeden Freitag zwischen 18 und 21 Uhr eine Mauerparty. „Wer kann, der kommt und bringt ein Baguette, ein Flasche Wein oder etwas Käse mit und dann unterhalten wir uns über Gott und die Welt“, erzählt Bernhard Burichter. Themen finden sich immer. Was machen die Kinder? Was macht der Beruf? Ließe sich an der Jägerhofstraße eine Spielstraße einrichten, die die Kinder vor Rasern schützt? Könnte sich ein Blockheizkraftwerk fürs Haus lohnen? Und welche Kosten kommen auf uns Anlieger zu, wenn in unserer Straße jetzt die Abwasserrohre erneuert werden müssen?
„Die Mauerparty am Freitagabend ist zu einem richtigen Fixpunkt für uns geworden. Damit wird bei uns das Wochenende eingeläutet“, freut sich Bernhard Burichters Frau Barbara Lichte. „Ob Taufe, Konfirmation oder Todesfall. Wir nehmen hier gegenseitig an unserem Leben teil. Man kennt sich. Man mag sich und man ist offen für einander“, beschreibt Gudrun Tischner-Krause, die durch und an der Mauerparty gewachsene Nachbarschaft.
Karen Schmidt-Heimings Tochter Greta klettert wie selbstverständlich auf den Schoß der 73-jähigen Nachbarin Ina Bross und umarmt die alte Dame, die sich selbst als „Ersatz-Omi“ für die Kinder der Straße vorstellt. „Die Jägerstraße ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte,“ sagt die Seniorin mit Blick auf ihre jungen und ganz jungen Nachbarn. „Ich fühle mich hier geborgen und lerne viel von den jungen Leuten“, sagt Bross. Die dreijährige Greta und ihr sechsjähriger Bruder Jakob kommen gerne zu Omimi Ina, um in ihrem Garten mit ihr die Blumen zu betrachten oder Dame und Mühle zu spielen. Auch ihr Kaufladen oder die alte Puppenstube stehen bei ihren kleinen Nachbarn hoch im Kurs. Ihre eigenen Enkelkinder leben weit weg, in Hamburg. Und wenn Ina Bross eine Frage zur Handhabung ihres Ipads hat, hilft ihr Clara Burichter (18) gerne. Dafür kann sie nicht nur bei Frau Bross auf Hilfe hoffen, wenn ihr fürs Backen ein oder zwei Eier fehlen.
Und nicht nur Gretas und Jakobs Mutter Karen Schmidt-Heiming bedankt sich für das Kinderhüten der Ersatz-Omi, die zu allen Kindergeburtstagen eingeladen wird, zum Beispiel damit, dass sie für die ältere Nachbarin Einkäufe erledigt. Das war für Ina Bross eine große Hilfe, als sie kürzlich an den Folgen einer Knieoperation laborierte.
„Es ist schön zu wissen, dass ich als altes Pferd im Stall noch dazu gehöre und ich in einem Notfall auch nachts Nachbarn anrufen könnte“, betont Ina Bross.
Sie selbst parkt schon seit einigen Jahren ihr Auto auf der Straße, damit die vielen Roller, Pedalos, Bobbycars und andere Spielgeräte der Nachbarskinder wetterfest eingelagert werden können.
Die kommen nicht nur beim Straßenfest zum Einsatz, das die Nachbarn einmal im Sommer, zuletzt Anfang Juli, feiern. Dann wird ihre Straßenabschnitt abgesperrt und tatsächlich zur Spielstraße. Und ein Mitbringbuffet der Nachbarn sorgt für das leibliche Wohl der Festgäste, zu denen auch weiter entfernte Nachbarn aus dem Raffelberg-Viertel gehören.
„Man muss mit gutem Beispiel vorangehen und feste Rituale schaffen. Dann ziehen auch andere Nachbarn mit“, beschreibt Christian Prött, der seinen Nachbarn auch schon mal bei kleineren Reparaturen hilft, das Erfolgsgeheimnis einer guten Nachbarschaft. Und seine Nachbarin Barbara Lichte glaubt: „Gute Nachbarschaften entstehen durch Freiräume, in denen sich Menschen treffen können und durch den individuellen Mut, auf seine Nachbarn zuzugehen.“
Gute Nachbarschaft gesucht
„Gute Nachbarschaften und engagierte Nachbarn gibt es nicht nur an der Jägerhofstraße“, sagt der Geschäftsführer des Centrums für bürgerschaftliches Engagement, Michael Schüring. Deshalb suchen das an der Wallstraße 7 ansässige CBE und das städtische Bündnis für Familie Fotos und kleine Geschichten von gut funktionierenden Nachbarschaften und hilfsbereiten „Lieblingsnachbarn“, die Ende Oktober oder Anfang November in einer Ausstellung der interessierten Öffentlichkeit präsentiert werden sollen.
Fotos und kleine Geschichten über gute Nachbarschaften, sollten bis zum 16. September an info@cbe-mh.de geschickt werden. Weitere Auskünfte gibt die für den Bereich Familien und Senioren zuständige Mitarbeiterin, Anna Maria Allegrezza, unter s 970 68 25. Bei ihr können sich auch Sponsoren melden, die die Fotoausstellung des CBEs und des Bündnisses für Familien mit weiteren Preisen unterstützen. Bisher können unter den Einsendern dreimal zwei Kino-Karten für die Kino des Essener Kunstfilmtheaters verlost werden, zu dem auch das Rio-Kino im Medienhaus am Synagogenplatz gehört. T.E.
Dieser Text erschien am 18. August 2016 in NRZ/WAZ
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