Die Wohnhäuser im Luisental wurden 1928 im Bauhausstil errichtet, |
"Wir leben hier schon sehr privilegiert", sagt Eberhard Scharmüller. Um spazieren zu gehen oder eine Radtour zu machen, braucht er nur vor die Tür zu treten. Schwieriger ist es schon mit dem Einkauf. "Dass der Tengelmann-Markt an der Leineweberstraße 2012 dicht gemacht hat, war für die Einwohner des Luisentals ein herber Einschnitt. Jetzt finden wir den nächsten Supermarkt erst im Forum", berichtet er. Der 73-Jährige freut sich darüber, dass es neben vielen alten Nachbarn jetzt auch wieder mehr junge Nachbarn mit Kindern gibt, so dass der schöne Spielplatz zwischen den Wohnhäusern und dem Franziskushaus nicht verwaist.
"Die Wohnungen sind geräumig und die Decken sind hoch, aber wir haben keine Aufzüge in den Häusern", beschreibt Scharmüller die Vor- und Nachteil des Wohnens im Altbau. Auch wer im Alter nicht mehr alleine wohnen kann und Betreuung braucht, findet im Luisental eine gute Adresse. Das Franziskushaus wurde 1926 von Pastor Konrad Jakobs als Waisenhaus errichtet. Seit 1965 wird des als Altenheim genutzt und gehört heute zur Contilia-Gruppe. Vor zehn Jahren wurde die Senioreneinrichtung an der Ruhr um und ausgebaut, um der ab 2018 verpflichtenden gesetzlichen Vorschrift zu genügen, mindestens 80 Prozent aller Zimmer als Einzel-Apartments mit ebenerdigem Badezimmer anbieten zu können. Heute kümmern sich im Franziskushaus, zu dem auch ein öffentliches Café gehört, rund 80 Mitarbeiter um das Wohl von rund 120 Bewohnern.
Schon August Thyssen Bruder Josef und seine Frau Jula wussten die Vorteile des Wohnens im Luisental zu schätzen. Ende des 19. Jahrhunderts errichteten sie auf dem ehemaligen Gelände der Troostschen Weberei eine Villa, die bis heute geschäftlich genutzt wird und für gut zwei Jahrzehnte Sitz des NRW-Zentrums für Innovation und Technik (ZENIT) war. Gleich hinter dem Franziskushaus findet man noch heute ein seit Jahren leerstehendes und zusehends verfallendes Gebäude der Troostschen Weberei. 1791 von Johann Caspar Troost errichtet, war sie einst Mülheims erster Industriebetrieb. "Da wird wohl nicht mehr viel zu machen sein, wenn man so ein altes Haus über Jahre ungenutzt leerstehen lässt", befürchtet Scharmüller.
Wo die einen sich im Grünen erholen und ihre Freizeit mit Blick auf die Ruhr genießen, wird auch gearbeitet. Zum Beispiel im Café Plati auf dem Dudel. Dieses Haus, das gleich neben dem alten Schifferhaus von 1784 liegt, dass die Familie Kamieth in den späten 1980er Jahren restauriert hat und seitdem auch bewohnt, war schon im 18. Jahrhundert ein Wirtschafts- und Gasthaus. 1972 wurde es von der italienischen Familie Plati erworben und in ein seitdem sehr beliebtes Eiscafé umgewandelt. Seit 2009 wird das Café, in dem man jetzt auch im Herbst und Winter Eis, Kaffee, Kuchen, Waffeln und mehr genießen kann, von Enzo Tunc und seinen Mitarbeitern betrieben.
Auch die 235 Mitarbeiter des nahe (an der Wilhelmstraße) gelegenen Finanzamtes wissen das Café Plati in ihrer Mittagspause zu schätzen, obwohl das Finanzamt auch selbst eine öffentliche Kantine betreibt. Was viele nicht wissen, ist die Tatsache, dass das Finanzamt auch ein wichtiger Ausbildungsbetrieb ist. Derzeit absolvieren dort und an einer externen akademischen Internatsschule 24 angehende Finanzbeamte des höheren Dienstes ihre Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt. Das heutige Finanzamt wurde Mitte der 1960er Jahre auf dem Grundstück der ehemaligen Stinnes-Unternehmenszentrale errichtet. "In unserem Keller haben wir noch einen alten Tresor der ehemaligen Stinnes-Bank", erzählt der stellvertretende Vorsteher des Finanzamtes, Gerald Gruse. Doch im Gebäude des Finanzamtes werden nicht nur "große Kröten" versteuert, sondern auch die "Kleinen Kröten" in der gleichnamigen Kindertagesstätte des Vereins für Kinder und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten des Ruhrgebietes betreut. Auch wenn das Luisental alles andere, als ein sozialer Brennpunkt ist, hat der Trägerverein VKJ 2014 gerne vormals von der zur Kreuzstraße umgezogenen Kindertagesstätte Puzelbaum übernommen, um hier mit vier Erziehern 50 Kinder zu betreuen und zu fördern.
Ebenfalls an der Wilhelmstraße ansässig sind der 1981 gegründete Verlag an der Ruhr, der aktuell rund 1000 pädagogische Titel in seinem Programm hat und der Verein Haus und Grund, der die Interessen von rund 4000 privaten Haus- und Grundbesitzern vertritt.
Haus und Grund residiert in einer alten Villa, die der Mülheimer Architekt und Bauunternehmer Franz Hagen 1904 für den Fabrikanten Carl von Roesch und seine Familie errichtet hat. Nach der Familie Roesch war in der Villa zwischenzeitlich auch eine Ballettschule ansässig, bevor dort der Eigentümverband Haus und Grund einzog, der seine repräsentativen Räume aus als Ausstellungsfläche für Künstler zur Verfügung stellt.
Wer im Luisentahl die Ruhseite wechselt und an der 1846 errichteten Ruhrschleuse vorbei geht, kommt dort zum Wasserbahnhof und zu dem dahinter gelegenen Haus Ruhrnatur. Der Wasserbahnhof, an dem seit 1927 die Ausflugsschiffe der Weißen Flotte ablegen, ist heute ein beliebtes Restaurant, in dem nicht nur gut gegessen und getrunken, sondern auch getagt und gefeiert wird. Aus der selben Zeit, wie der Wasserbahnhof, stammt auch das 1926 als Bootshaus errichtete Haus Ruhrnatur. Mit der Landesgartenschau Müga wurde das Haus Ruhrnatur, in dem auch ein kleines Café ansässig ist, zu einem interaktiven Naturkundemuseum. Hier kann man heute nicht nur die Flora und Fauna an und in der Ruhr studieren, sondern seit dem Umbau im Jahr 2010 auch anschaulich etwas über erneuerbare Energieträger und die Auswirkungen lernen. Schüler und Studenten schätzen das Haus Ruhrnatur nicht nur als Lern,- sondern auch als Arbeitsort, um dort ihre Fach- und Seminararbeiten zu schreiben.
Dieser Text erschien am 23. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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