Dienstag, 15. Dezember 2015

Der Künstler Alexander Voß zwischen Atelier und Krankenhaus

Ich habe mein Ding gemacht“, sagt Alexander Voß. Wenn man mit dem 54-jährigen Familienvater über seine Arbeit als freier Künstler und Kommunikationsdesigner spricht, merkt man, dass er mit sich selbst im Einklang ist. „Ich habe meinen Weg im Leben gefunden, weil ich das tun kann, was in mir und was meins ist“, betont er.

Dass der dreifache Vater tagsüber im Atelier ohne materielle Existenzsorgen an Kunstobjekten, Webdesigns, Kunstreproduktionen und Ausstellungskatalogen arbeiten kann, hat mit seiner Nachtarbeit im Evangelischen Krankenhaus zu tun. Dort ist er einer von 50 Kollegen, die nachts im Einsatz sind. „Ich bin seit langer Zeit mit dem Evangelischen Krankenhaus verbunden. Hier habe ich schon in den 70er und 80er Jahren mein erstes Auto und einen Teil meines Studiums an der Folkwanghochschule finanziert“, erzählt Alexander Voß.

Da er auch einen Nachtzuschlag bekommt, kommen seine Frau Ute, die als Krankenschwester im gleichen Krankenhaus arbeitet, und er selbst finanziell ganz gut über die Runden. Im Rückblick ist Voß besonders glücklich, dass er im Evangelischen Krankenhaus nicht nur einen Brotberuf, sondern bei seinen nächtlichen Kontrollgängen auch die Frau fürs Leben gefunden hat.

Während seine Frau auf der Geburtsstation arbeitet, sitzt Voß zwischen 20.30 Uhr und 6 Uhr am Empfang im Foyer der Klinik. Seit das Evangelische Krankenhaus eine zentrale Schließanlage hat, haben sich die meisten seiner regelmäßigen Kontrollgänge erledigt. Doch wenn Not am Mann ist, muss er auch vor Ort sein, wie etwa bei einem Brandmeldealarm in der Augenklinik, der in diesem Fall glimpflich verlief, weil sich der Brandherd „nur“ als glimmende Zigarette in einem Papierkorb herausstellte.

„Auch wenn die Nächte oft ruhig verlaufen, muss man für den Notfall immer hellwach und konzentriert sein,“ unterstreicht Voß. Denn während der Nacht muss er am Empfang nicht nur alle Anrufe entgegennehmen, die das Krankenhaus von außen erreichen, sondern auch alle Patientenrufe aus den Krankenzimmern annehmen. Oft hat er es auch mit Menschen zu tun, die am Empfang stehen und über Schmerzen in der Brust, über Schwindel und Übelkeit oder über Lähmungserscheinungen klagen.

„Man braucht für diese Arbeit viel Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen, um eine Situation richtig einzuschätzen“, weiß Voß. Handelt es sich etwa bei den beschriebenen Beschwerden der ambulanten oder stationären Patienten um eine Kreislaufschwäche oder doch um Anzeichen für einen lebensbedrohlichen Schlaganfall oder Herzinfarkt? Geht es um Sekunden? Müssen die Bereitschaftsärzte über den Notruf alarmiert werden? Bis heute läuft ihm der Mann nach, der plötzlich mit Herzinfarktsymptomen vor ihm stand und trotz einer sofort eingeleiteten notärztlichen Versorgung wenige Minuten später im Krankenhaus starb.

„Aber auch mit solchen Extremsituationen muss man umgehen können“, sagt Voß. Und er fügt hinzu: „Ich habe hier gelernt, dass Leben und Tod zusammengehören und einen natürlichen Kreislauf bilden.“ Keinen Zweifel lässt er daran, dass Gesichter und Gespräche, die er an seinem Arbeitsplatz aufgenommen hat, auch in seine künstlerische Arbeit und in seine Lebenseinstellung eingeflossen sind. Diese Begegnungen haben ihn gelehrt, dass das Sein im Leben wichtiger ist als das Haben.

Keine Begegnungen und Gespräche, sondern Stille und einsame Routinearbeit stehen auf seinem nächtlichen Arbeitsprogramm, wenn er im Krankenhauskeller Informationsmappen für Patienten zusammenlegt, den Bestand des ausliegenden Informationsmaterials überprüft und medizinische Formulare druckt. Deren Bandbreite reicht von der Dienstanweisung für Desinfektionsmaßnahmen über die Sicherheitschecklisten für Operationen bis hin zu Privatrezepten und Vortragsunterlagen. Und wenn er nach seinem frühen Feierabend am Morgen mit seiner Frau Ute nach Hause fährt, wird zu Hause erst mal gefrühstückt und dann ausgeschlafen.

Später stehen dann Einkäufe und die Arbeit im Atelier auf der Tagesordnung. Und weil die Eltern meistens nachts arbeiten, ist nicht das Mittagessen, sondern das Abendessen gegen 19 Uhr der Zeitpunkt, an dem sich die ganze Familie um den Tisch versammelt.

Dieser Text erschien am 11. September 2015 in der NRZ und in der WAZ

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