Mittwoch, 23. Dezember 2015

Theologen, Religionspädagogen und interessierte Bürger diskutierten in der Katholischen Akademie darüber, ob die Gewalt zum Islam gehört

Auf dem Podium (von links) Rabeya Müller, Detlef Schneider-Stengel, Heinz-Günter Stobbe und Abdel Hakim-Ourghi. 
Terror und Islam. Für manche Deutsche erscheinen sie angesichts islamistischer Terroranschläge, wie zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb fragten die Katholische Akademie und die Bundeszentrale für politische Bildung jetzt: „Gehört die Gewalt zum Islam?“ 400 Zuhörer im Auditorium der Wolfsburg staunten nicht schlecht, wie offen und kritisch der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi mit der Rolle umging, die die Gewalt im Koran spielt. „Die Muslime dürfen das Thema nicht verdrängen, wenn sie nicht ihre eigene Religion und den interreligiösen Dialog beschädigen wollen“, machte Ourghi deutlich. Er wies darauf hin, dass „Mohammed nicht nur ein Religionsverkünder, sondern auch ein Staatsmann“ gewesen sei. So könne man sich auch erklären, dass in den zwischen 610 und 622 offenbarten Koranversen Barmherzigkeit, Frieden und Nächstenliebe, aber in den zwischen 624 und 632 verkündeten Koranversen auch die Gewalt gegen die Andersgläubigen gutgeheißen werde.
Aus Sicht des islamischen Theologen steht der Dialog vor der Herausforderung, die das Christentum mit der Reformation und der Aufklärung schon bewältigt habe. Die Muslime, so Ourghis These, müssten auf der Basis einer historisch-kritischen und vernunftorientierten Quellenanalyse eine praktische Theologie und Ethik entwickeln.
Der katholische Theologe und Friedensforscher Heinz-Günter Stobbe stellte in der vom Religionsphilosophen Detlef Schneider-Stengel moderierten Diskussion heraus, „dass es weder den Islam, noch das Christentum, sondern nur verschiedene Richtungen innerhalb der jeweiligen Religion gibt.“ Er erinnerte daran, dass auch das Christentum mit seinen mittelalterlichen Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen Krieg oder den Waffensegnungen der beiden Weltkriege seine Gewaltgeschichte habe. „Im Alten Testament finden wir auch Gewalt, die für uns heute schwer verdaulich ist“, ordnete Stobbe das Thema historisch ein.
Einig war man sich auf dem Podium und im Publikum, dass die im Grundgesetz verankerten Menschen- und Freiheitsrechte auch für die Religionsgemeinschaften verbindlich und unantastbar seien. Kontrovers bewerteten Stobbe, Ourghi und die Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller die Frage nach den verbindlichen Grundlagen des Islamunterrichtes an deutschen Schulen. „Der Staat braucht verbindliche islamische Präferenzpositionen, auf die sich die islamischen Gemeinschaften untereinander einigen müssen“, verlangte der katholische Theologe. „Wir wollen keine islamische Amtskirche und keinen Stellvertreter auf Erden. Wir brauchen keine Dachverbände. Unsere Vertretung ist die Vernunft. Und wir brauchen einen aufgeklärten Religionsunterricht, der unsere Kinder mündig macht“, hielt sein islamischer Kollege Ourghi dagegen.
Papier ist geduldig“, relativierte Müller die Wirksamkeit staatlicher Lehrpläne. Sie begrüßte es ausdrücklich, „dass wir jetzt einen Islamunterricht in deutschen Schulen und nicht mehr in den Hinterhöfen haben.“ Ermutigend empfanden viele Zuhörer, die zum Teil selbst im interreligiösen Dialog aktiv sind, ihre Erfahrungsberichte aus Kulturworkshops, in denen muslimische, christliche und jüdische Jugendliche „in einem geschützten Raum über ihre Religion reden und nachdenken konnten.“ Gemeinsame Theater, - Musik- und Tanzprojekte hätten in ihnen das Bewusstsein für ihre eigene Religion und den Respekt vor den jeweils Andersgläubigen gestärkt.
Ausgesprochen kritisch beleuchtete Ourghi die Islamkonferenzen der Bundesregierung und die Auswahl ihrer Gesprächspartner. „Ditib und der Zentralrat der Muslime vertreten eine sehr konservative Theologie und vertreten nur etwa 15 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime“, machte der islamische Hochschullehrer deutlich. Doch eine im interreligiösen Dialog engagierte Religionslehrerin machte deutlich: „Wir müssen doch mit den Vertretern islamischer Gemeinden sprechen, die wir vor Ort haben, egal, zu welchem der bundesweit 35 islamischen Dachverbände sie auch gehören mögen.“ Thomas Emons

Die Podiumsteilnehmer

Der Religionspädagoge und Religionsphilosoph Dr. Detlef Schneider-Stengel hat als Pastoralreferent in der Gemeinde St. Urbanus (Gelsenkirchen-Buer) gearbeitet und zahlreiche theologische Bücher, darunter: „Denken im offenen Raum“, „Das Kreuz der Helenisierung“ und: „Das Christentum in der Postmoderne“ verfasst. Heute arbeitet er als Referent für den interreligiösen Dialog beim Bistum Essen.
Die Pädagogin, Ethnologin und Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller ist stellvertretende Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB), der unter anderem auch interreligiöse Eheschließungen akzeptiert. Unter dem Motto „Extrem out“ oder „Abrahams Söhne“ hat sie vielbeachtete interreligiöse Jugenddialoge organisiert. Sie arbeitet im Bereich der Lehrerfortbildung und hat zahlreiche religionspädagogische Publikationen verfasst und mit herausgegeben, etwa: „Gemeinsam vor Gott“ und „Der Koran für Kinder und Erwachsene“
Professor Dr. Heinz-Günter Stobbe arbeitet seit 1996 als katholischer Theologe und theologischer Friedensforscher an der Universität Siegen. Davor lehrte er an der Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen Ökumenik und Friedensforschung.
Der aus Algerien stammende Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Abdel Hakim Ourghi lehrt an der Pädgagogischen Hochschule in Freiburg/Breisgau. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen islamische Theologie, Koranforschung und Religionspädagoge an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg/Breisgau.
Dieser Text erschien am 5. Dezember 2015 im Neuen Ruhrwort


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