Auf dem Podium (von links) Rabeya Müller, Detlef Schneider-Stengel, Heinz-Günter Stobbe und Abdel Hakim-Ourghi. |
Terror
und Islam. Für manche Deutsche erscheinen sie angesichts
islamistischer Terroranschläge, wie zwei Seiten derselben Medaille.
Deshalb fragten die Katholische Akademie und die Bundeszentrale für
politische Bildung jetzt: „Gehört die Gewalt zum Islam?“ 400
Zuhörer im Auditorium der Wolfsburg staunten nicht schlecht, wie
offen und kritisch der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi mit der
Rolle umging, die die Gewalt im Koran spielt. „Die Muslime dürfen
das Thema nicht verdrängen, wenn sie nicht ihre eigene Religion und
den interreligiösen Dialog beschädigen wollen“, machte Ourghi
deutlich. Er wies darauf hin, dass „Mohammed nicht nur ein
Religionsverkünder, sondern auch ein Staatsmann“ gewesen sei. So
könne man sich auch erklären, dass in den zwischen 610 und 622
offenbarten Koranversen Barmherzigkeit, Frieden und Nächstenliebe,
aber in den zwischen 624 und 632 verkündeten Koranversen auch die
Gewalt gegen die Andersgläubigen gutgeheißen werde.
Aus
Sicht des islamischen Theologen steht der Dialog vor der
Herausforderung, die das Christentum mit der Reformation und der
Aufklärung schon bewältigt habe. Die Muslime, so Ourghis These,
müssten auf der Basis einer historisch-kritischen und
vernunftorientierten Quellenanalyse eine praktische Theologie und
Ethik entwickeln.
Der
katholische Theologe und Friedensforscher Heinz-Günter Stobbe
stellte in der vom Religionsphilosophen Detlef Schneider-Stengel
moderierten Diskussion heraus, „dass es weder den Islam, noch das
Christentum, sondern nur verschiedene Richtungen innerhalb der
jeweiligen Religion gibt.“ Er erinnerte daran, dass auch das
Christentum mit seinen mittelalterlichen Kreuzzügen, dem
Dreißigjährigen Krieg oder den Waffensegnungen der beiden
Weltkriege seine Gewaltgeschichte habe. „Im Alten Testament finden
wir auch Gewalt, die für uns heute schwer verdaulich ist“, ordnete
Stobbe das Thema historisch ein.
Einig
war man sich auf dem Podium und im Publikum, dass die im Grundgesetz
verankerten Menschen- und Freiheitsrechte auch für die
Religionsgemeinschaften verbindlich und unantastbar seien. Kontrovers
bewerteten Stobbe, Ourghi und die Islamwissenschaftlerin Rabeya
Müller die Frage nach den verbindlichen Grundlagen des
Islamunterrichtes an deutschen Schulen. „Der Staat braucht
verbindliche islamische Präferenzpositionen, auf die sich die
islamischen Gemeinschaften untereinander einigen müssen“,
verlangte der katholische Theologe. „Wir wollen keine islamische
Amtskirche und keinen Stellvertreter auf Erden. Wir brauchen keine
Dachverbände. Unsere Vertretung ist die Vernunft. Und wir brauchen
einen aufgeklärten Religionsunterricht, der unsere Kinder mündig
macht“, hielt sein islamischer Kollege Ourghi dagegen.
„Papier
ist geduldig“, relativierte Müller die Wirksamkeit staatlicher
Lehrpläne. Sie begrüßte es ausdrücklich, „dass wir jetzt einen
Islamunterricht in deutschen Schulen und nicht mehr in den
Hinterhöfen haben.“ Ermutigend empfanden viele Zuhörer, die zum
Teil selbst im interreligiösen Dialog aktiv sind, ihre
Erfahrungsberichte aus Kulturworkshops, in denen muslimische,
christliche und jüdische Jugendliche „in einem geschützten Raum
über ihre Religion reden und nachdenken konnten.“ Gemeinsame
Theater, - Musik- und Tanzprojekte hätten in ihnen das Bewusstsein
für ihre eigene Religion und den Respekt vor den jeweils
Andersgläubigen gestärkt.
Ausgesprochen
kritisch beleuchtete Ourghi die Islamkonferenzen der Bundesregierung
und die Auswahl ihrer Gesprächspartner. „Ditib und der Zentralrat
der Muslime vertreten eine sehr konservative Theologie und vertreten
nur etwa 15 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime“, machte
der islamische Hochschullehrer deutlich. Doch eine im interreligiösen
Dialog engagierte Religionslehrerin machte deutlich: „Wir müssen
doch mit den Vertretern islamischer Gemeinden sprechen, die wir vor
Ort haben, egal, zu welchem der bundesweit 35 islamischen
Dachverbände sie auch gehören mögen.“ Thomas Emons
Die Podiumsteilnehmer
Der Religionspädagoge und Religionsphilosoph Dr. Detlef
Schneider-Stengel hat als Pastoralreferent in der Gemeinde St.
Urbanus (Gelsenkirchen-Buer) gearbeitet und zahlreiche theologische
Bücher, darunter: „Denken im offenen Raum“, „Das Kreuz der
Helenisierung“ und: „Das Christentum in der Postmoderne“
verfasst. Heute arbeitet er als Referent für den interreligiösen
Dialog beim Bistum Essen.
Die
Pädagogin, Ethnologin und Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller ist
stellvertretende Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB),
der unter anderem auch interreligiöse Eheschließungen akzeptiert.
Unter dem Motto „Extrem out“ oder „Abrahams Söhne“ hat sie
vielbeachtete interreligiöse Jugenddialoge organisiert. Sie arbeitet
im Bereich der Lehrerfortbildung und hat zahlreiche
religionspädagogische Publikationen verfasst und mit herausgegeben,
etwa: „Gemeinsam vor Gott“ und „Der Koran für Kinder und
Erwachsene“
Professor
Dr. Heinz-Günter Stobbe arbeitet seit 1996 als katholischer Theologe
und theologischer Friedensforscher an der Universität Siegen. Davor
lehrte er an der Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen Ökumenik
und Friedensforschung.
Der
aus Algerien stammende Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Abdel
Hakim Ourghi lehrt an der Pädgagogischen Hochschule in
Freiburg/Breisgau. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in
den Bereichen islamische Theologie, Koranforschung und
Religionspädagoge an der Pädagogischen Hochschule in
Freiburg/Breisgau.
Dieser Text erschien am 5. Dezember 2015 im Neuen Ruhrwort
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