3. Dezember
1945. In Würzburg stirbt der Regierungspräsident Adam Stegerwald. Erst wenige
Wochen vor seinem Tod hat er mit seinen politischen Freunden die Christlich-Soziale
Union aus der Taufe gehoben. In dieser neuen christlichen Volkspartei vereinen
sich katholische und evangelische Christen. Sie wollen, wie es Adam Stegerwald
im August 1945 in einer Rede im Würzburger Stadthaus formuliert hat, „auf der
sittlichen und geistigen Grundlage des Christentums eine neue demokratische
Staats- und Gesellschaftsordnung aufbauen.“
Dass sich das
Grundgesetz der westdeutschen Bundesrepublik in seiner Präambel 1949 zur
„Verantwortung vor Gott und den Menschen“ bekennt, entspringt auch dem Geist
und dem politischen Vermächtnis Adam Stegerwalds.
Schon 25
Jahre zuvor hatte der christliche Gewerkschafter und langjährige preußische
Sozialminister beim Essener Kongress seiner Gewerkschaften für die Bildung
einer konfessionsübergreifenden christlichen Volkspartei plädiert. Diese
christlich-nationale Volkspartei, die Stegerwald in seiner Essener Rede vom 21.
November 1920 skizzierte, sollte in seinem Sinne deutsch, christlich, sozial
und demokratisch, aber keinesfalls sozialistisch sein. Dem Gewerkschaftsführer
und Zentrumspolitiker schwebte eine mit
der christlichen Arbeiterbewegung verbundene Volkspartei vor, für die das „Wort christlich nicht nur ein äußeres
Merkmal, sondern Wirklichkeit und Tat“ sein sollte. Dass sich der
Reichstagsabgeordnete Stegerwald damals nicht durchsetzen konnte, hatte Gründe.
Auch in der frühen Weimarer Republik, als das 1870 gegründete Zentrum
reichsweit etwa ein Fünftel aller Stimmen auf sich vereinigen und damit nach
der SPD zur zweitstärksten Partei geworden war, wirkten die Erfahrungen des
preußisch-protestantischen Kulturkampfes der 1870er Jahre nach. Das Zentrum war
nach seiner Gründung 1870 auch deshalb zur katholischen Volkspartei geworden,
weil Bismarck und seine liberalen Bündnispartner so gezielt wie am Ende wirkungslos
versucht hatten das katholische Milieu, die katholische Kirche und den
politischen Katholizismus zu zerstören.
Als
Bauernsohn aus Greußenheim bei Würzburg wurde Stegerwald am 14. Dezember 1874
in diesen Kulturkampf hineingeboren, in dem Bismarck die Katholiken als „Reichsfeinde“
diffamierte. Der Kampf gegen die Katholiken kam Bismarck damals gerade recht,
da das junge Kaiserreich nach einem Gründungsboom seine erste Wirtschaftskrise
durchlebte. Entsprechend erinnerte sich Stegerwald 1924 an seine Kindheit und
Jugend, wenn er schrieb: „Meine Eltern waren kleine Bauersleute. Meine Jugend
fiel in eine Zeit, in der es der deutschen Landwirtschaft und besonders den
kleinen Landwirten sehr schlecht ging. Im elterlichen Haus war daher nicht
selten Schmalhans der Küchenmeister.“ Der Bauernsohn aus einfachen und
kinderreichen Verhältnissen kannte die Not. Aber sie motivierte ihn auch zum
sozialen Aufstieg und zum Einsatz für die Arbeiterrechte. Nach seiner
Schreinerlehre studierte er als Gasthörer an der Universität München
Nationalökonomie und Staatswissenschaften. Das Zentrum und der Kolpingverein
wurden zur politischen und sozialen Heimat. Seine dort gewonnenen Einsichten
ließen ihn zu der Erkenntnis gelangen, dass das Heil der Arbeiterschaft nicht
im revolutionären Klassenkampf, sondern in einem auf soziale Reformen
angelegten Ausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitern zu suchen war. Damit
bewegte er sich auf der Basis der katholischen Soziallehre, wie sie Papst Leo
XIII. 1891 in seiner Enzyklika Rerum Novarum verkündet hatte. Für den
katholischen Arbeiterführer war Politik, „kein Reich der politischen Ideen,
sondern ein Feld des auf Erkenntnissen beruhenden politischen Handelns.“
Deshalb lehnte
Stegerwald schon als Vorsitzender des christlichen Holzarbeiterverbandes und
später als Generalsekretär und Vorsitzender der christlichen Gewerkschaften
eine Zusammenarbeit mit den sozialistischen Gewerkschaften ab. Er forderte
aber, wie die Sozialdemokratie, die Abschaffung des preußischen
Dreiklassenwahlrechtes. Denn dieses Wahlrecht machte das Stimmengewicht der Wahlbürger bis
1918 von ihrem Steueraufkommen abhängig. Als erster Arbeiter wurde Stegerwald
1917 ins preußische Herrenhaus berufen. Nach dem Ende der Monarchie und des Ersten
Weltkrieges, war er als Mitglied der Zentralen Arbeitsgemeinschaft, der
Weimarer Nationalversammlung und der Preußischen Landesversammlung ein Architekt
der neuen demokratischen Verfassung Deutschlands. Frauen erhielten das
Wahlrecht. Das Dreiklassenwahlrecht wurde abgeschafft, die Gewerkschaften
wurden als gleichberechtigte Tarifpartner anerkannt. Der Achtstundentag wurde
eingeführt. Als Reichstagsabgeordneter und als preußischer Sozialminister, der
zwischenzeitlich auch das Amt des preußischen Ministerpräsidenten ausübte und
ab 1930 in den Regierungen seines früheren Referenten Heinrich Brüning als
Arbeits- und Verkehrsminister diente, erlebte und erlitt er alle Höhen und
Tiefen der ersten deutschen Demokratie. Dass das Zentrum 1933 dem
Ermächtigungsgesetz zustimmte und damit seinen eigenen Untergang besiegelte, hatte
auch damit zu tun, dass nicht nur Stegerwald hoffte, Hitler politisch einbinden und besänftigen zu können.
Der bis 1945 zur politischen Tatenlosigkeit verdammte Stegerwald sah seinen
Irrtum bald ein. Umso stärker arbeitete er mit seinen politischen
Gesinnungsfreunden die Gründe für das eigene Scheitern auf und entwarf Pläne
für eine christliche Volkspartei, die nach Hitlers Sturz, den Geist der NSDAP
überwinden könne.
Weil die
Männer des 20. Juli 1944 erwogen hatten, Stegerwald, nach einem Sturz Hitlers
zum Reichsverkehrsminister zu ernennen, wurde dieser nach dem gescheiterten
Attentat auf Hitler von der Gestapo verhaftet und inhaftiert, überlebte aber
das Kriegsende.
Als
Stegerwald dann am 11. Mai 1945 von der amerikanischen Militärregierung zum
Regierungspräsidenten von Unterfranken ernannt wurde, blieb ihm noch gerade so
viel Zeit, um die politischen Weichen in seinem Sinne zu stellen.
Dieser Text erschien am 3. Dezember 2015 in der TAGESPOST
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