Freitag, 22. Januar 2016

Eine Frau geht. Ihre Aufgabe bleibt. - Nina Gutmann verlässt die Evangelische Ladenkirche in Richtung Ruhestand

Dr. Nina Gutnann in der
Evangelischen Ladenkirche
an der Kaiserstraße 4
„Die evangelische Ladenkirche wird heute und in Zukunft mehr denn je gebraucht“, sagt Nina Gutmann. Sie selbst verlässt die Ladenkirche an der Kaiserstraße, die sie ein Jahrzehnt lang geleitet hat, jetzt in Richtung Ruhestand.
„Es war eine sehr schöne und sehr aktive Zeit, in der mir die Kreissynoden allerdings immer wieder zugesetzt haben“, blickt die promovierte Literaturwissenschaftlerin auf ihre city-pastorale Arbeit für den evangelischen Kirchenkreis an der Ruhr zurück. 2011 halbierte die Kreissynode ihre bis dahin volle Stelle und machte ihre die Arbeit an der Basis damit nicht leichter. Nur mit einer Gruppe von rund 20 Ehrenamtlichen Mitarbeitern konnte sie die Ladenkirche werktags von 10 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr offen halten.

Bis zu 60 Besucher konnten Gutmann und ihren ehrenamtlichen Kollegen täglich an der Kaiserstraße begrüßen. Solange Gutmann eine volle Stelle hatte, wurde die Ladenkirche mehr als 60mal pro Jahr zum Veranstaltungsorten von Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Pfarrer-Sprechstunden, Bibelarbeiten und Diskussionen. Nach dem die Stelle halbiert wurde, musste die Zahl der Veranstaltungen um etwa ein Drittel reduziert werden. Wenn Gutmann jetzt geht, werden auch die werktäglichen Öffnungszeiten auf die Zeit von 11 bis 17 Uhr beschränkt.

In den vergangenen zehn Jahren kamen insgesamt 486 Menschen in die Ladenkirche um erstmalig oder wieder in die evangelische Kirche einzutreten. Während der Affäre um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst und sein allzu üppiges Bischofspalais kamen besonders viele Katholiken zu ihr, um zu konvertieren.
„Ich möchte wieder dazu gehören und die soziale Arbeit der Kirche unterstützen“, hat sie immer wieder von Kirchenrückkehrern zu hören bekommen.

„Ich war immer wieder erschrocken, wie viele Menschen heute einsam sind und niemanden haben, mit dem sie offen sprechen können“, berichtet Gutmann aus ihrer Basis-Seelsorge. Nicht nur sozial benachteiligte, sondern auch beruflich erfolgreiche und gesellschaftlich angesehene, aber offensichtlich sozial isolierte Menschen suchten und fanden bei ihr und ihren ehrenamtlichen Kollegen ein offenes Ohr.
Gerade in Zeiten, in denen Kirchenferne und Glaubensverlust um sich greifen, brauche, so ist Gutmann überzeugt, die Kirche eine zentrale und nierderschwellige Anlaufstelle, wie die Ladenkirche. Deshalb freut sie sich auch darüber, dass der Kirchenkreis An der Ruhr zumindest ihre halbe Stelle wieder neu besetzen will. Gutmann glaubt, dass die Kirche künftig stärker auf Schwerpunktgemeinden setzen sollte, um so mit einem zum Beispiel kulturell, sozial oder liturgisch profilierten Gemeindeprogramm, Menschen direkter erreichen und ansprechen zu können.

Nina Gutmann wurde als Tochter einer russlanddeutschen Familie 1952 in Sibirien geboren. Später lebte und arbeitete die in Moskau promovierte Literaturwissenschaftlerin als Universitätsdozentin in Kasachstan. 1990 folgte sie zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern ihren Eltern nach Deutschland.In der atheistischen Sowjetunion hatte sie ihren von der Großmutter erlernten Glauben nicht offen leben können. Gottesdienste und Taufen fanden unter der Leitung theologisch gebildeter Laien im Wohnzimmer statt. Nachdem Gutmann in Deutschland zunächst selbst einen Deutschkurs besucht hatte, qualifizierte sie sich selbst zur Deutsch-Dozentin weiter und gab für einen privaten Bildungsträger im Auftrag des damaligen Arbeitsamtes Sprachkurse für Arbeitssuchende, ehe sie 2005 über das Diakoniewerk Arbeit & Kultur zur Ladenkirche kam. Neben ihrer Arbeit Ladenkirche gab und gibt sie heute als Honorarlehrkraft der Diakonie Deutschkurse für Zuwanderer. Ihre neue Freizeit im Ruhestand möchte sie unter anderem für den Besuch eines Englischkurses in der Evangelischen Familienbildungsstätte nutzen.

Dieser Text erschien am 21. Januar 2016 in der NRZ und in der WAZ

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