Samstag, 24. Oktober 2009

Kästner für Erwachsene - Ein Erlebnis: Die Herbstblätter und Hans Georgi machten es möglich


Erich Kästner. War das nicht der Autor der Kinderbuch-Klassiker Emil und die Detektive und des Fliegenden Klassenzimmers? Richtig. Aber das ist nur der halbe Kästner. Den Kästner für Erwachsene erlebten rund 60 Zuhörer am Donnerstagabend bei der Literaturreihe Herbstblätter.

Es war schwere Kost, die Hans Georgi und sein musikalischer Begleiter an der Gitarre, Meinolf Bauschulte ihrem Publikum zur vorgerückten Abendstunde servierten. Viele Kästner-Verse, die Georgi vortrug, hörten sich so an, als seien sie nicht vor 80 Jahren, sondern gestern geschrieben worden. Das galt für Kästners Patriotisches Nachgebet: „Wir sollen Kinder fabrizieren fürs Löhne senken und fürs Krieg verlieren" ebenso, wie seine Spitzen gegen die auch schon in den 20er Jahren aktuelle Massenarbeitslosigkeit: „Ob unsere Eltern auch schon wussten, was wir wissen: Wer nicht geboren wird, wird auch nicht arbeitslos" oder: „Ihr lehrtet uns Griechisch und Latein besten Falles. Und jetzt sind wir groß. Das ist aber auch schon alles. Das Wissen, was ihr uns lehrtet ist nichts wert. Wir geborenen Arbeitslosen wollen Arbeit, keine Almosen."

Kästners leider zeitlos aktuelle Gesellschaftskritik, auch die an den Bankern: „Sie säen nicht. Sie ernten nur. Sie haben keine Sympathie. Nur das Geld lieben sie. Und das Geld liebt sie. Sie glauben nicht recht an den lieben Gott, aber irgendwann macht jeder mal bankrott." wurde durch die sehr gelungene Vertonung mit Georgis Gesang und Klavieruntermalung sowie Bauschultes Gitarrenklängen Gott sei Dank etwas verdaulicher. Kaum zu glauben, dass der literarische Kabarettist Georgi in seinem früheren Berufsleben mal ein Betriebswirt und für einen Industriekonzern tätig war. „Irgendwann schreibt man ein paar Lieder, findet Gefallen daran und plötzlich hat man einen neuen Beruf", beschreibt er seinen persönlichen Lebenswandel, der ihn unter anderem zu Kästner und mit diesem bereits zum zweiten Mal (nach 1999) zu den Herbstblättern führte. Bei Kästners satirisch umgetexteten Weihnachtsliedern: „Morgen, Kinder wird es nichts geben. Nur wer hat, bekommt noch mehr. Doch es wird kommen eure Zeit. Morgen ist es aber noch nicht so weit. Morgen kommt der Weihnachtsmann, aber leider nur nebenan" durfte das Publikum nicht nur mitsingen, sondern auch von Herzen lachen. Und schon ging es weiter mit der vorzeitigen Einstimmung aufs Frohe Fest: „Heilige Nacht. Stille Nacht. Weint nicht, sondern lacht." Ein Schelm, der sich bei Kästners alten Versen an die politischen Durchhalteparolen heutiger Tage erinnert fühlte.

Der Eindruck war gewollt und wurde durch Georgis Ausflüge in die Gegenwart verstärkt. So spottete Georgi zum Beispiel über das „Aachen Tanzmariechen Ulla Schmidt" und ihre rasch aufeinander folgenden „Jahrhundert-Reformen des Gesundheitswesens." O-Ton Georgi: „An machem Tag fragt man sich: Sind schon wieder 100 Jahre um?" Dazu passte Kästners Vers vom Mann im Krankenhaus, den die Ärzte zu Tode operierten. „Sie machten ihm Mut, amputierten ihm ein Bein und sagten: Jetzt geht es Ihnen wieder gut." Schon Kästners Zeitgenossen fragten ihn: „Wo bleibt das Positive?" Und Kästner antwortete ihnen: „Weiß der Teufel, wo das bleibt." Doch die Zuhörer Georgis erlebten trotz aller Melancholie auch einen heiteren und kurzweiligen Abend, der zeigte: Unsere heutigen Probleme sind nicht neu. Und die Menschen, die zur Welt gekommen sind, um mit Kästner zu sprechen, leben trotzdem. Der literarische Kabarettist Hans Georgi war bestimmt nicht zum letzten Mal bei den Herbstblättern zu Gast. Wiederhören und Widersehen würde in diesem Fall sicher vielen Literaturfreunden Freude machen.


Weitere Informationen im Internet finden Sie unter: http://www.hansgeorgi.de/ und: http://www.muelheimer-herbstblaetter.de/

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