Samstag, 30. Juli 2016

Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Darüber diskutierten Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und CDU-Landeschef Armin Laschet mit interessierten Bürgern in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg

Akademie-Direktor Michael Schlagheck moderierte die
Bürgerdiskussion mit CDU-Landeschef Armin Laschet
und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck.
„Lesen Sie auch die Kirchenzeitung?“ fragt CDU-Landeschef Armin Laschet einen Zuhörer im vollbesetzten Auditorium. Der Mann hat gerade aufgezählt, welche Zeitungen er liest und welche Fernsehnachrichten er schaut, um sich gut zu informieren. Die Frage kommt nicht von ungefähr. Denn bei der Debatte darüber, „was unsere Gesellschaft zusammenhält“, kommt aus dem Publikum auch der Anstoß, dass eine demokratische Gesellschaft ihren Zusammenhalt und ihre Funktionsfähigkeit verliert, wenn ihre Bürger sich nicht gut informieren oder von den Medien nicht gut informiert werden. Das, so weiß der ehemalige Chefredakteur der Aachener Kirchenzeitung, Armin Laschet, gilt natürlich auch für die Kirche und ihre gesellschaftspolitische Positionierung.

Laschets Frage bleibt, zumindest, was die Kirchenzeitung betrifft, unbeantwortet. Im Auditorium weiß man, dass Bistum Essen hat seine katholische Wochenzeitung Ruhrwort 2014 durch das alle zwei Monate erscheinende Magazin Bene ersetzt. Bischof Franz-Josef Overbeck lächelt vielsagend und Gastgeber Michael Schlagheck von der Katholischen Akademie Die Wolfsburg greift mit der Feststellung ein: „Da machen Sie aber ein Fass auf!“ Grundsätzlich teilt Laschet die Kritik des gut informierten Katholiken aus Oberhausen, der eine zunehmende Emotionalisierung und Oberflächlichkeit der Medien beklagt. Ausdrücklich lobt der CDU-Oppositionsführer im NRW-Landtag den Informationsgehalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: 


„Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“, meint der Christdemokrat. Ruhrbischof Overbeck sieht die Medien „in der gesellschaftlichen Verantwortung, Verantwortungsträger in Gesellschaft, Politik und Kirche nicht nur zu kritisieren, sondern auch zu unterstützen.“
Auch, wenn aus dem Auditorium der Hinweis kommt, dass die privatwirtschaftlich organisierten Medien aufgrund einer zunehmend digitalen und kostenfreien Mediennutzung unter starkem Rationalisierungsdruck stehen, mit dem die Gefahr massiver Qualitätsverluste einhergehen, muss das Gespräch über alternative Medienfinanzierungsmodelle aus Zeitgründen auf die Diskussion nach der Diskussion im Foyer vertagt werden.


Mit Blick auf den Brexit macht Laschet deutlich, dass unsere Demokratie nicht nur Politiker, sondern auch Bürger braucht, die sich nicht nur, aber auch als Wähler einbringen. „Es wäre nie zu einem britischen EU-Austritt gekommen, wenn mehr junge Briten zur Wahl gegangen wären. Denn 70 Prozent der jungen Wähler haben für den britischen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Aber nur 35 Prozent der jungen Wahlberechtigten haben am Referendum teilgenommen“, beschreibt der Christdemokrat die Folgen von politischem Desinteresse für den Zusammenhalt und die Stabilität einer Gesellschaft. Die Brexit-Erfahrung bestärkt den Landespolitiker darin, „dass ich ein Anhänger der repräsentativen Demokratie bin und dass es gut ist, wenn manche Fragen nicht mit einem Referendum entschieden werden.“

An diesem Punkt hakt die Diözesan-Vorsitzende des Bundes der katholischen Jugend, Stephanie Schulze, ein. Die Bochumer Studentin, die auf das Berufsfeld der sozialen Arbeit zusteuert, hat aus ihrer eigenen Arbeit den Eindruck gewonnen, „dass Jugendliche sich sehr wohl für Politik interessieren und zu aktivieren sind, wenn man frühzeitig an die Übernahme von Verantwortung heranführt. Ihre Konsequenz: Das Wahlalter sollte nicht nur auf der kommunalen Ebene auf 16 Jahre abgesenkt werden. Doch da erweist sich Laschet, wie sie es vorausgesagt hat, als „eine harte Nuss.“ Der Chef der NRW-CDU will, dass Volljährigkeit und Wahlrecht miteinander gekoppelt bleiben.
Ruhrbischof Overbeck lenkt die Aufmerksamkeit auf das Thema Solidarität. „Als Kirche müssen wir uns dafür in den Wind stellen. Auch wenn wir dafür Kritik ernten“, unterstreicht der Oberhirte des Bistums Essen. Ob Flüchtlinge oder Alleinerziehende, Behinderte, Alte, Kranke und Arbeitssuchende. Overbeck sieht die Kirche als Anwältin der „der Solidarität mit den Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen.“ Wie kann Integration und 

Zusammenhalt in Deutschland und in Europa gelingen? „Nur durch vorgelebte Erfolgsgeschichten und ganz normale Menschen, die auch öffentlich für eine Sache einstehen“, ist Overbeck überzeugt. Christdemokrat Laschet sieht vor allem mit Blick auf Bildung und Beruf den sozialen Zusammenhalt auch zukünftig gesichert, „wenn wir in unserem Land wieder mehr Chancengerechtigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten schaffen.“


Auf die Publikums-Nachfrage nach den Konsequenzen aus der zunehmenden Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, von denen niemand, geschweige denn mit einer Familie, leben kann, bleiben Politiker und Kirchenmann erwartungsgemäß eine endgültige Antwort schuldig. Beide sehen die Notwendigkeit, zum Beispiel durch eine gute Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. „Auch wenn das dem Familienbild mancher Katholiken widerspricht, müssen wir als Kirche die gesellschaftliche Wirklichkeit nehmen, wie sie ist“, verteidigt der Ruhrbischof den Testlauf für eine 24-Stunden-Betreuung, mit der zunächst zwei katholische Kindertagesstätten des Bistums versuchen, alleinerziehenden Eltern eine Berufstätigkeit im Wechselschichtbetrieb zu ermöglichen und damit zu verhindern, dass sie ins Arbeitslosengeld 2 abrutschen. CDU-Mann Laschet fordert „ein grundsätzliches Umdenken“, wenn es darum gehe, Ökonomie und Ökologie, „etwa bei der Ansiedlung gut bezahlter Industriearbeitsplätze“ gehe.



Und was ist mit der Religion und den Kirchen, die sie in unserer Gesellschaft vertreten? Die Katholiken Laschet und Overbeck, wenn wundert es, sehen in der Religion eine wichtige Sinn- und Wertestifterin. Beide plädieren aber auch für eine Vernunft-geleitete Religion und eine klare Trennung zwischen Theologie und Staatspolitik, aber auch für selbstbewusste, gestaltungsbereite und ökumenisch offene Christen. Aus dem Auditorium heraus warnt ein aus dem Irak geflohener Christ vor einer falschen Toleranz gegenüber extremistischen Muslimen, die die Scharia höher schätzten als das Grundgesetz und die auch davor nicht zurückschreckten, in Flüchtlingsunterkünften zum Christentum konvertierte Muslime zu drangsalieren.

Franz-Josef Overbeck räumt solche Übergriffe ein, sieht sie aber zumindest mit Blick auf die Caritas-Unterkünfte als Einzelfälle an. „Auch wir Katholiken haben bis 1965 gebraucht, ehe wir uns mit dem II. Vatikanischen Konzil dazu bekannt haben, dass sich Religionsausübung und Religionsfreiheit immer gegenseitig bedingen“, wirbt der Ruhrbischof für Verständnis in Richtung eines Islams, der zumindest in weiten Teilen noch die Aufklärung vor sich hat, die das Christentum, zum Teil auch schmerzhaft, bereits hinter sich hat.

Dieser Text erschien am 2. Juli 2016 im Neuen Ruhrwort

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