Akademie-Direktor Michael Schlagheck moderierte die Bürgerdiskussion mit CDU-Landeschef Armin Laschet und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. |
„Lesen Sie auch
die Kirchenzeitung?“ fragt CDU-Landeschef Armin Laschet einen
Zuhörer im vollbesetzten Auditorium. Der Mann hat gerade aufgezählt,
welche Zeitungen er liest und welche Fernsehnachrichten er schaut, um
sich gut zu informieren. Die Frage kommt nicht von ungefähr. Denn
bei der Debatte darüber, „was unsere Gesellschaft zusammenhält“,
kommt aus dem Publikum auch der Anstoß, dass eine demokratische
Gesellschaft ihren Zusammenhalt und ihre Funktionsfähigkeit
verliert, wenn ihre Bürger sich nicht gut informieren oder von den
Medien nicht gut informiert werden. Das, so weiß der ehemalige
Chefredakteur der Aachener Kirchenzeitung, Armin Laschet, gilt
natürlich auch für die Kirche und ihre gesellschaftspolitische
Positionierung.
Laschets Frage
bleibt, zumindest, was die Kirchenzeitung betrifft, unbeantwortet. Im
Auditorium weiß man, dass Bistum Essen hat seine katholische
Wochenzeitung Ruhrwort 2014 durch das alle zwei Monate erscheinende
Magazin Bene ersetzt. Bischof Franz-Josef Overbeck lächelt
vielsagend und Gastgeber Michael Schlagheck von der Katholischen
Akademie Die Wolfsburg greift mit der Feststellung ein: „Da machen
Sie aber ein Fass auf!“ Grundsätzlich teilt Laschet die Kritik des
gut informierten Katholiken aus Oberhausen, der eine zunehmende
Emotionalisierung und Oberflächlichkeit der Medien beklagt.
Ausdrücklich lobt der CDU-Oppositionsführer im NRW-Landtag den
Informationsgehalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks:
„Wenn es
ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“, meint der
Christdemokrat. Ruhrbischof Overbeck sieht die Medien „in der
gesellschaftlichen Verantwortung, Verantwortungsträger in
Gesellschaft, Politik und Kirche nicht nur zu kritisieren, sondern
auch zu unterstützen.“
Auch, wenn aus dem
Auditorium der Hinweis kommt, dass die privatwirtschaftlich
organisierten Medien aufgrund einer zunehmend digitalen und
kostenfreien Mediennutzung unter starkem Rationalisierungsdruck
stehen, mit dem die Gefahr massiver Qualitätsverluste einhergehen,
muss das Gespräch über alternative Medienfinanzierungsmodelle aus
Zeitgründen auf die Diskussion nach der Diskussion im Foyer vertagt
werden.
Mit Blick auf den
Brexit macht Laschet deutlich, dass unsere Demokratie nicht nur
Politiker, sondern auch Bürger braucht, die sich nicht nur, aber
auch als Wähler einbringen. „Es wäre nie zu einem britischen
EU-Austritt gekommen, wenn mehr junge Briten zur Wahl gegangen wären.
Denn 70 Prozent der jungen Wähler haben für den britischen Verbleib
in der Europäischen Union gestimmt. Aber nur 35 Prozent der jungen
Wahlberechtigten haben am Referendum teilgenommen“, beschreibt der
Christdemokrat die Folgen von politischem Desinteresse für den
Zusammenhalt und die Stabilität einer Gesellschaft. Die
Brexit-Erfahrung bestärkt den Landespolitiker darin, „dass ich ein
Anhänger der repräsentativen Demokratie bin und dass es gut ist,
wenn manche Fragen nicht mit einem Referendum entschieden werden.“
An diesem Punkt hakt
die Diözesan-Vorsitzende des Bundes der katholischen Jugend,
Stephanie Schulze, ein. Die Bochumer Studentin, die auf das
Berufsfeld der sozialen Arbeit zusteuert, hat aus ihrer eigenen
Arbeit den Eindruck gewonnen, „dass Jugendliche sich sehr wohl für
Politik interessieren und zu aktivieren sind, wenn man frühzeitig an
die Übernahme von Verantwortung heranführt. Ihre Konsequenz: Das
Wahlalter sollte nicht nur auf der kommunalen Ebene auf 16 Jahre
abgesenkt werden. Doch da erweist sich Laschet, wie sie es
vorausgesagt hat, als „eine harte Nuss.“ Der Chef der NRW-CDU
will, dass Volljährigkeit und Wahlrecht miteinander gekoppelt
bleiben.
Ruhrbischof Overbeck
lenkt die Aufmerksamkeit auf das Thema Solidarität. „Als Kirche
müssen wir uns dafür in den Wind stellen. Auch wenn wir dafür
Kritik ernten“, unterstreicht der Oberhirte des Bistums Essen. Ob
Flüchtlinge oder Alleinerziehende, Behinderte, Alte, Kranke und
Arbeitssuchende. Overbeck sieht die Kirche als Anwältin der „der
Solidarität mit den Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft
stehen.“ Wie kann Integration und
Zusammenhalt in Deutschland und
in Europa gelingen? „Nur durch vorgelebte Erfolgsgeschichten und
ganz normale Menschen, die auch öffentlich für eine Sache
einstehen“, ist Overbeck überzeugt. Christdemokrat Laschet sieht
vor allem mit Blick auf Bildung und Beruf den sozialen Zusammenhalt
auch zukünftig gesichert, „wenn wir in unserem Land wieder mehr
Chancengerechtigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten schaffen.“
Auf die
Publikums-Nachfrage nach den Konsequenzen aus der zunehmenden Zahl
prekärer Beschäftigungsverhältnisse, von denen niemand, geschweige
denn mit einer Familie, leben kann, bleiben Politiker und Kirchenmann
erwartungsgemäß eine endgültige Antwort schuldig. Beide sehen die
Notwendigkeit, zum Beispiel durch eine gute Kinderbetreuung die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. „Auch wenn das dem
Familienbild mancher Katholiken widerspricht, müssen wir als Kirche
die gesellschaftliche Wirklichkeit nehmen, wie sie ist“, verteidigt
der Ruhrbischof den Testlauf für eine 24-Stunden-Betreuung, mit der
zunächst zwei katholische Kindertagesstätten des Bistums versuchen,
alleinerziehenden Eltern eine Berufstätigkeit im
Wechselschichtbetrieb zu ermöglichen und damit zu verhindern, dass
sie ins Arbeitslosengeld 2 abrutschen. CDU-Mann Laschet fordert „ein
grundsätzliches Umdenken“, wenn es darum gehe, Ökonomie und
Ökologie, „etwa bei der Ansiedlung gut bezahlter
Industriearbeitsplätze“ gehe.
Und was ist mit der
Religion und den Kirchen, die sie in unserer Gesellschaft vertreten?
Die Katholiken Laschet und Overbeck, wenn wundert es, sehen in der
Religion eine wichtige Sinn- und Wertestifterin. Beide plädieren
aber auch für eine Vernunft-geleitete Religion und eine klare
Trennung zwischen Theologie und Staatspolitik, aber auch für
selbstbewusste, gestaltungsbereite und ökumenisch offene Christen.
Aus dem Auditorium heraus warnt ein aus dem Irak geflohener Christ
vor einer falschen Toleranz gegenüber extremistischen Muslimen, die
die Scharia höher schätzten als das Grundgesetz und die auch davor
nicht zurückschreckten, in Flüchtlingsunterkünften zum Christentum
konvertierte Muslime zu drangsalieren.
Franz-Josef Overbeck räumt
solche Übergriffe ein, sieht sie aber zumindest mit Blick auf die
Caritas-Unterkünfte als Einzelfälle an. „Auch wir Katholiken
haben bis 1965 gebraucht, ehe wir uns mit dem II. Vatikanischen
Konzil dazu bekannt haben, dass sich Religionsausübung und
Religionsfreiheit immer gegenseitig bedingen“, wirbt der
Ruhrbischof für Verständnis in Richtung eines Islams, der zumindest
in weiten Teilen noch die Aufklärung vor sich hat, die das
Christentum, zum Teil auch schmerzhaft, bereits hinter sich hat.
Dieser Text erschien am 2. Juli 2016 im Neuen Ruhrwort
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