Klaus Konietzka leitet die Mülheimer Sozialagentur |
Wenn
man den Leiter der Sozialagentur, Klaus K
onietzka und Stadtforscher
Volker Kersting nach den sozialpolitischen Herausforderungen für das
Mülheim von Morgen fragt, legen sie erschreckende Zahlen aus dem
Mülheim von Heute vor. 30 000 Mülheimer, fast ein Fünftel der
Stadtbevölkerung, sind heute auf Arbeitslosengeld 2 oder auf
Grundsicherung im Alter angewiesen. Am höchsten ist der Anteil der
von Arbeitslosengeld 2 abhängigen Mülheimern mit
Stadtforscher und Statistiker Volker Kersting |
Konietzka
und Kersting gehen davon aus, dass die Zahl der Menschen, die auf
staatliche Sozialleistungen angewiesen sein werden in zehn bis 15
Jahren weiter angestiegen sein wird. „Da wächst uns etwas zu“,
sagt Konietzka mit Blick auf Flüchtlingszustrom und den
mittelfristig damit verbundenen Familiennachzug. Der Chef der
Sozialagentur geht davon aus, dass etwa 10 bis 15 Prozent der
Flüchtlinge aufgrund ihrer Qualifikation kurzfristig in den
Arbeitsmarkt integriert werden können, während die anderen mittel
bis langfristig auf staatliche Hilfe angewiesen sein werden.
Angesichts
der Tatsache, dass 70 Prozent der Mülheimer
Arbeitslosengeld-2-Bezieher schon länger als 24 Monate auf ALG 2
angewiesen sind, weiß Konietzka, dass verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit aufgrund fehelender Qualifikation keineswegs
nur ein Problem von Zuwanderern ist.
„Wir
brauchen massive Investitionen in Beton, Bildung und Arbeit, um damit
mehr Menschen eine Teilhabe an unserer Stadtgesellschaft und eine
Perspektive für ihr eigenes Leben zu verschaffen“, sagt Konietzka.
Weil die mit rund 1,5 Milliarden Euro verschuldete Stadt angesichts
ihrer steigenden Sozialausgaben schon heute an ihrer finanziellen
Belastungsgrenze angekommen ist, warnt er vor einer „Kommunalisierung
der sozialen Probleme und verlangt vor allem vom Bund ein verstärktes
finanzielles Engagement, wenn es um Investitionen in Bildung, soziale
Teilhabe, sozialen Wohnungsbau, Wohnumfeldverbesserung und in den
Aufbau eines zweiten Arbeitsmarktes geht, der Langzeitarbeitslose
wieder eine Lebensperspektive jenseits des passiven
Arbeitslosengeld-2-Bezugs verschafft. Ausdrücklich unterstützt er
Caritas-Chefin Regine Arntz, wenn sie feststellt: „Es darf nicht
sein, dass sozialpolitische Aufgaben von oben definiert, aber unter
ausgeführt und bezahlt werden müssen.
Mit
Blick auf seine Sozialraumzahlen und die Ergebnisse der
Vorschuluntersuchungen kann Stadtforscher Volker Kersting nachweisen,
dass Kinder aus ALG-2-Familien, dreimal weniger sozialen,
sprachlichen und motorischen Förderbedarf haben, wenn sie durch
steuerfinanzierte Hilfen in die Lage versetzt werden zum Beispiel in
einem Sportverein aktiv zu werden, musische Förderung erhalten oder
durch positive Vorbilder in einem sozial unbelasteten Umfeld
motiviert werden. Deshalb plädieren Kersting und Konietzka auch für
einen möglichsten frühen und langen Kita-Besuch.
Arbeitsmarkt und Altersarmut
2012
ging das Bundesarbeitsministerium aufgrund der Zunahme
prekärer Beschäftigungsverhältnisse und der gleichzeitigen
Absenkungen des Rentenniveaus auf 43 Prozent des Arbeitseinkommens
davon aus, dass ab 2030 jeder dritte Neu-Rentner auf Grundsicherung
im Alter angewiesen sein wird. Die jüngsten Erkenntnisse des
statistischen Bundesamtes zeigen, dass inzwischen 39 Prozent der
Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind.
Stadtforscher Volker Kersting weist auf seiner Erkenntnisse darauf
hin, dass wir in Mülheim derzeit 11 000 Mülheimer auf Mini-Jobs
angewiesen sind. Hinzu kommen 1000 Mülheimer in Leiharbeit. Weitere
13 000 Mülheimer sind nur teilzeit beschäftigt. Die
rententechnisch prikär beschäftigten Mülheimer machen etwa 37
Prozent der insgesamt rund 70 000 Beschäftigten.
Dieser Text erschien am 6. Juli 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung
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