Zeitzeuge und Zeitungsmensch Paul Zsigmond |
Doch an diesem Schock hatte die NRZ keine Schuld. „Denn damals hatten meine Eltern noch den Mülheimer Generalanzeiger abonniert“, berichtet Zsigmond. Der in Dümpten lebende Witwer und Vater von fünf erwachsenen Kindern kann sich noch gut daran erinnern, dass nach Hitlers Regierungsantritt im Januar 1933 plötzlich in allen Zeitungen die Ideologie der NSDAP vertreten wurde. Seine Konsequenz aus Diktatur und Krieg war 1945 der Eintritt in die SPD. Obwohl der Mann aus der Arbeiterschaft, der viele Berufe vom Anstreicher und Kraftfahrer über den Operettensänger bis hin zum Möbelverkäufer und Gastwirt ausgeübt hat, nie ein politisches Amt bekleidet hat, sind ihm Demokratie und soziale Gerechtigkeit bis heute ein Herzensanliegen.
Es waren Sozialdemokraten, wie der spätere Oberbürgermeister Heinrich Thöne, der spätere Landtagsabgeordnete Erich Kröhan oder der spätere Bundestagsabgeordnete Otto Striebeck, die Zsigmond im persönlichen Gespräch davon überzeugten, täglich die Neue Ruhr Zeitung zu lesen. Denn die Britische Militärregierung hatte die von Dietrich Oppenberg herausgegebene NRZ 1946 als SPD-nahe Tageszeitung und damit als publizistisches und politisches Gegengewicht zur CDU-nahen Rheinischen Post
Durch die persönliche Bekanntschaft mit dem ersten NRZ-Redaktionsleiter in Mülheim, Otto Striebeck, hatte Zsigmond den Eindruck gewonnen, „dass man diesem Mann vertrauen und jedes Wort glauben konnte, das er schrieb.“ Gerne erinnert sich Zsigmond auch an die Gespräche mit dem „netten“ NRZ-Sportreporter Willi Rüter, mit dem er sich bei Mölters gelegentlich auf ein Glas Wein traf, um zum Beispiel über den VFB Speldorf oder den Boxclub Ringfrei Mülheim zu fachsimpeln. Später las er besonders gerne die pointierten Kommentare des langjährigen NRZ-Chefredakteurs Jens Feddersen.
„Ich lese die Zeitung jeden Tag von der ersten bis zur letzten Seite“, betont Zsigmond. Früher tat er dies am frühen Morgen vor der Arbeit. Als Ruheständler gönnt er sich erst mal ein Frühstück und anschließend eine ausführliche und gemütliche Zeitungslektüre, die sich in der Regel über den ganzen Vormittag erstreckt. Eine Lupe und ein Lampe helfen dem Über-90-Jährigen die Sehschwäche des Alters zu kompensieren. Eine etwas größere Grundschrift seiner NRZ fände er gut. Ansonsten hat er an seiner Tageszeitung eigentlich nichts auszusetzen. Politik, Lokales und die Todesanzeigen interessieren ihn besonders.
In der Rückschau auf 70 NRZ-Leser-Jahre hat „er jedes Wort gefressen“, als die NRZ 1962 über die Spiegel-Affäre und 1963 über die Rettung eingeschlossener Bergleute in Lengede berichtete. „Beim Wunder von Lengede haben wir alle mitgefiebert“, erinnert sich Zsigmond.
Lokal bewegte ihn Anfang der 70er Jahre der am Ende erfolgreiche Kampf gegen den geplanten Bau der Bundesautobahn A31, die entlang der Mülheim-Essener Stadtgrenze durch Dümpten, Heißen und das obere Rumbachtal führen sollte. Der Bürgerprotest stoppte das Bauprojekt – anders, als dreieinhalb Jahrzehnte später bei Ruhrbania. Mit der Fällung der alten Ostruhranlagen und den realexistierenden Ruhrbania-Bauten, samt Hafenbecken kann sich Zsigmond bis heute nicht recht anfreunden.
Aber auch, wenn ihn die Zeitungslektüre manchmal aufregen mag, möchte er sie auf keinen Fall missen. „Zeitunglesen bildet und sorgt dafür, dass man mitreden kann. Außerdem kann ich das, was ich in der Zeitung gelesen habe, besser behalten, als das, was ich im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört habe“, erklärt er seine Leserliebe zur NRZ, der er auch heute bestätigt, „nah am Volk zu sein und sich zu bemühen, ihrer Aufgabe als Zeitung gerecht zu werden.“
Dieser Text erschien am 18. Februar 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung
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