Mittwoch, 7. Oktober 2015

Die Frau mit Hut und Orgel Ohne Noten, aber mit viel Gefühl öffnen Sylvia Vorhaus und ihre mölmsche Drehorgel Herzen

Sylvia Vorhaus an ihrer mölmschen Drehorgel
Weitere Infos unter www.moelmsche-drehorgel.de

Ich kenne Sie doch. Tragen Sie nicht normalerweise einen Hut?“ Das hört die Speldorferin Sylvia Vorhaus immer wieder, wenn sie im Straßenzivil unterwegs ist. Ja. Sie trägt immer einen Hut, mal einen blauen und in jüngster Zeit auch gerne mal einen orangefarbenen, modisch flankiert durch elegante gleichfarbige Schals. Das ist ihre Dienstkleidung, wenn sie mit ihrer mölmschen Drehorgel zum Beispiel bei Stadtteil- Schul,- Kindergarten,- Geburtstags,- Hochzeits,- und Weinfesten, aber auch als Vorprogramm bei Konzerten und Musikfesten auftritt.

„Ein bisschen Verkleidung gehört dazu, wenn man eine Drehorgel spielt. Würde ich nur in Jeans und Pulli hinter der Orgel stehen, würde das die Atmosphäre und Ausstrahlung ihrer Musik zerstören“, findet die 56-jährige Mutter eines erwachsenen Sohnes und einer erwachsenen Tochter. „Meine Kinder unterstützen mich. Sie haben mir eine Internetseite eingerichtet und meinen Flyer layoutet“, freut sich Vorhaus.

Die gelernte Arzthelferin, die heute als Betreuerin im Franziskushaus hochbetagte Menschen auch mit Musik durch ihren Alltag begleitet und sie so aufmuntert, kam durch einen befreundeten Musiker zur Drehorgel. Denn der spielte auch regelmäßig eine Drehorgel und verschaffte ihr am 7.7.2007 den ersten Auftritt. „Ich spielte damals bei einer Open-Air-Aktion des Rhein-Ruhr-Zentrums und kam bei den Leuten gleich gut an“, erinnert sie sich an ihren Start ins nebenberufliche Musikerleben. Auch jenseits der Mülheimer Stadtgrenzen sind sie und ihre mölmsche Drehorgel gern gesehen und gehört. Die Veranstalter der Bundesgartenschau in Koblenz haben sie ebenso gebucht, wie das Jazzfestival in Moers oder zuletzt Schlager-Star Andrea Berg. Vor ihrem Konzert in der Nachbarstadt Duisburg orgelte sie als ihre Vorfrau „Du hast mich 1000-mal belogen“ und Co. „Die Fans waren begeistert und haben sofort mitgesungen und mitgetanzt.“

20 bis 30 mal tritt sie pro Jahr mit ihrer mölmschen Drehorgel auf und hat in ihrer Orgelbox mit Schwungrad, Blasebalg und 121 Orgelpfeifen 450 Lieder auf Lager. Da ist für jeden Geschmack was dabei, von „Ännchen von Tharau“ über „Glück auf, der Steiger kommt“ bis zu „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht.“

Noch heute muss sie lachen, wenn sie an ein dreijähriges Mädchen zurückdenkt, das bei einem Kindergartenfest plötzlich vor ihr stand und sie mit großen Augen fragte: „Hast du auch atemlos?“ Natürlich hat Vorhaus auch Helena Fischers Hit „Atemlos durch die Nacht“ in ihrem Orgelprogramm. Sie spielt, was gefällt. Ihr in Göttingen ansässiger Orgelbauer versorgt sie regelmäßig mit neuen Liedern und vermittelt ihr auch den einen oder anderen Auftritt.

Auch wenn sie ihre späte Orgel-Karriere als Nebenerwerb betreibt, ist das Drehorgelspiel längst auch zu ihrer Leidenschaft geworden. Oft stellt sie sich einfach so auf die Straße und spielt für einen guten Zweck. Jedes Jahr kann sie so zwischen 500 und 1000 Euro als Spende an den Kinderschutzbund und an eine Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder überweisen.

„Wenn ich mit meiner Drehorgel aufspiele, bekomme ich so viel, was man mit keinem Geld der Welt kaufen könnte“, erzählt Vorhaus. Nie hätte die musikbegeisterte Frau gedacht, „dass ich mal ohne Noten, aber mit viel Einfühlungsvermögen so viele Menschen begeistern kann.“ Wenn sie auftritt spürt sie immer wieder, „dass Musik Herzen öffnet.“ Denn dann kann es vorkommen, dass sie wildfremde Menschen plötzlich in den Arm nehmen oder ihre Lebensgeschichte erzählen, weil ein Lied aus der Drehorgel persönliche Erinnerungen geweckt hat. „Wenn die Musik spielt, sind die Leute wach“, staunt Vorhaus. Dass auch Kinder und Jugendliche vor ihrer Drehorgel stehen bleiben, im Takt der Musik mitwippen oder auch mal eine Münze für den guten Zweck auf der Orgel liegen lassen, rührt Vorhaus besonders an. Vor einigen Monaten hat sie neben ihrer Drehorgel auch eine Veeh-Harfe entdeckt. Auch dieses 25-saitige Instrument, das wie eine Zitter klingt, lässt sich mit Hilfe einer Punkte-Karte, die man hinter die Saiten schiebt, ganz leicht und ohne Notenkenntnisse spielen.

Der Wiedererkennungseffekt der verschiedenen Lieder ist enorm und die Harfenklänge wirken entspannend und beruhigend. „Sowohl bei bettlägerigen Patienten als auch in generationsübergreifenden Gruppen habe ich mit diesem Instrument schon eine gute Resonanz bekommen“, berichtet Vorhaus. Und sie könnte sich den Einsatz der ursprünglich für behinderte Kinder gebaute Veeh-Harfe auch in der Hospizarbeit gut vorstellen.


Dieser Text erschien am 3. Oktober 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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