Donnerstag, 1. Oktober 2015

Lernen bis zum Schluss: An der Max-Kölges-Schule ist die Integration von Seiteneinsteigern kein neues Thema

Norbert Schultheis und Barbara Kromer

Die neue Rektorin der Max-Kölges-Straße, Barbara Kromer, macht einen fröhlichen Eindruck. Das erstaunt. Denn ihre Schule wird zu den Sommerferien 2016 dicht gemacht.

„Wir wissen das und bereiten uns darauf vor. Schon jetzt denken wir darüber nach, wie wir uns würdevoll verabschieden können“, sagt Kromer. Bis dahin managt sie den Schulbetrieb. Die auslaufende Schule hat in den letzten beiden Jahren 12 Lehrer verloren. 16 sind noch da und, laut Kromer, „keineswegs demotiviert, weil die Schüler und nicht die Schulpolitik unser Schwerpunkt sind.“ Viele Kollegen werden im Spätsommer 2016 mit ihren Klassen wohl zur letzten Mülheimer Hauptschule am Hexbachtal wechseln.

Bis zur Schulschließung geht es an der Bruchstraße weiter. Unterricht, Schülergespräche, Praktika, Projekte, Kollegengespräche, Statistiken, Lehrerkonferenzen, Schulpflegschaftssitzungen, Organisation des Schulalltags und Personalentwicklung – Business as usual an der Bruchstraße? Nicht ganz. Kromer und ihr Stellvertreter, Norbert Schultheis, räumen auf und aus. Das alte Schulgebäude der 1846 gegründeten Evangelischen Volksschule an der Bruchstraße, das dem 1965 errichteten Hauptgebäude vorgelagert an der Bruchstraße steht, haben sie für die benachbarte Grundschule des Dichterviertels geräumt. Schülerclub und Computerraum wurden ins Hauptgebäude verlagert. „Die Stadt hat uns bei der Neueinrichtung und Ausstattung des Computerraums tatkräftig unterstützt“, freut sich Kromer. Im Hauptgebäude der Max-Kölges-Schule, die als Schule des Handwerks in ihrem berufs- und praxisorientierten Schulalltag mit zahlreichen örtlichen Betrieben kooperiert, lernen noch 140 Acht,- Neunt- und Zehntklässler. Unter ihnen 26 Kinder und Jugendliche aus acht Nationen, die als Flüchtlinge nach Mülheim gekommen sind. „In dieser Klasse lernen die 14- bis 18 Jährigen jede Woche 16 Stunden Deutsch. Das klappt sehr gut, weil die Fortgeschrittenen den Neunankömmlingen helfen“, berichtet Schultheis.

Apropos Flüchtlinge: Beim Aufräumen hat der studierte Pädagoge und Historiker Schultheis ein altes Protokollbuch gefunden, dessen Notizen bis ins Jahr 1873 zurückreichen.

Die Lektüre zeigte ihm, dass man schon 1948 an der Bruchstraße Flüchtlingskinder in den Unterricht integrieren musste. Damals kamen sie aber nicht aus Syrien, Irak oder Afghanistan, sondern aus den kriegsbedingt an Polen verlorenen deutschen Ostgebieten. Erst in den frühen 90er Jahren musste man an der Bruchstraße erstmals eine Fördergruppe für 20 Flüchtlingskinder aus aller Welt einrichten, in der sie die deutsche Sprache erlernen konnten.

Nach 1945 hatten nicht nur die Flüchtlingskinder hungern müssen. Sie waren auf eine Schulspeisung durch das Schwedische Rote Kreuz angewiesen. Den Schülern fehlte es damals an allem, nicht nur an Nahrung, sondern auch an Kleidung. Ab 1946 unterrichteten sechs Lehrer 600 Schüler. Weil es nicht genug Schulräume gab, musste in Vormittags- und Nachmittagsschichten gelernt werden. „Was mich überrascht hat, war die Tatsache, dass damals jährlich 10 bis 15 Prozent der Schüler per Beschluss des Lehrerkollegiums auf die Hilfsschule an der Kettwiger Straße überwiesen wurden, weil sie dem Unterricht offensichtlich nicht in ausreichender Weise folgen konnten“, berichtet Schultheis.

Als bittere Ironie der Geschichte empfindet es der heutige Konrektor, dass die ehemalige Volks- und Hauptschule, in der vor 50 Jahren noch über 700 Schüler fürs Leben lernten, ausgerechnet in ihrem 150. Jahr geschlossen wird.


Dieser Text erschien am 18. September 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

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