Die Familie Albakri und ihre Mülheimer Unterstützerin Gisela de Lorie |
„Ich weine jeden Tag, wenn ich an unsere Verwandten und Freunde und alle Menschen denke, die dort leben, leiden und sterben“, sagt Zeinab Shik Hasan. Sie hat bis 2014 mit ihrer Familie im Westen Aleppos gelebt und als Erzieherin und Lehrerin in einem Kindergarten und in einer Grundschule gearbeitet. Ihr Mann war als Bauingenieur für den Straßenbau in Aleppo zuständig. Nebenberuflich hat er eine kleine Buchhandlung betrieben und Gedichte veröffentlich. Ein Gedicht war dem Regime von Präsident Bashar al-Assad zu kritisch und brachte ihn für drei Monate ins Gefängnis.
Tochter Joud, die 2014 in Aleppo ihr Abitur gemacht hat, sah auf ihrem Schulweg immer wieder Leichen auf der Straße liegen, erlebte Bombenein- und -anschläge und hatte vor allem Angst vor den Checkpoints, die zu passieren waren. „Als junge Frau musste man immer Angst haben, von Soldaten misshandelt oder verschleppt zu werden“, erinnert sie sich.
Auch Schutzgeldzahlungen an Militärs, Stromausfälle, explodierende Lebensmittelpreise und eine immer schlechter werdende Trinkwasserversorgung gehörten für die Albakris zum Kriegsalltag im seit 2012 umkämpften Aleppo. „In Aleppo kämpfen nicht nur syrische, sondern auch russische, iranische und afghanische Soldaten“, berichtet Amea Albakri.
Er zeigt auf seinem Smartphone Fotos von der historischen Altstadt Aleppos und ihrem Basar, die 1996 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt worden und auch mit deutscher Hilfe restauriert worden waren. „Alles kaputt. Alles fertig“, sagt Albakri mit einem traurigen Blick und einer wegwischenden Handbewegung. 2014 entschloss sich die Familie, ihre Neffen, Brüder, Schwestern, Mutter und Vater und mit ihnen ihre gutbürgerliche Existenz in Aleppo zurückzulassen und über das Mittelmeer und die Balkanroute zu fliehen.
Per Whatsapp halten sie Kontakt mit Freunden und Verwandten in Aleppo. „Unsere Flucht hat uns insgesamt 28 000 Euro gekostet“, erinnert sich Amea Albakri. Und über die lebengefährliche Überfahrt in einem überfüllten Schlauchboot sagt seine Tochter: „Das war für mich schlimmer als in Aleppo.“ Dennoch sind sie und ihr Vater einig, „dass unsere Zukunft in Deutschland liegt, weil Syrien auch dann nicht stabil sein wird, wenn al-Assad seine Macht aufgeben würde“.
Alle Familienmitglieder, die seit einem Jahr in einer Wohnung an der Wallstraße leben, besuchen derzeit Sprachkurse und haben bereits eine Deutsch-Prüfung bestanden. Joud Albakri möchte im Februar an der Hochschule Ruhr-West ihr Ingenieurstudium beginnen. Was ihr fehlt, ist ein deutsch-arabisches Ingenieurs-Wörterbuch. Ihre Mutter möchte gerne in einer Kindertagesstätte ein Praktikum machen.
Und der Vater, der auch gerne in einem Straßenbauunternehmen arbeiten würde, hat bereits einen Gewerbeschein beantragt und wartet seit sechs Monaten auf Nachricht vom Amt. „Solange ich nicht als Ingenieur arbeiten kann, könnte ich mir auch vorstellen, mein Geld mit einem Lebensmittelgeschäft, mit einem Restaurant oder mit arabischen Sprachkursen zu verdienen“, blickt Vater Albakri in seine berufliche Zukunft in Deutschland.
Auch wenn Mutter Zeinab Shik Hasan keinen Hehl daraus macht, dass die mit ihrem Herzen noch bei den Freunden und Verwandten in Aleppo ist, sind sich alle Albakris einig: „Wir sind dem deutschen Volk sehr dankbar, dass es uns in der Not aufgenommen und geholfen hat.“
Diese Hilfe wird der syrischen Familie auch in ihrem Alltag ganz persönlich durch ihre ehrenamtliche Unterstützerin Gisela de Lorie vom Frauenverband Courage zuteil, die die Familie durch eine andere Frau aus Syrien in deren Sprachkurs kennen gelernt hat.
Dieser Text erschien am 16. Dezember in NRZ & WAZ
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