Samstag, 7. Mai 2016

Stadt und Diakoniewerk müssen ihre Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge mit Bordmitteln finanzieren, obwohl Berlin 500 Millionen Euro bereitstellt

Der Mann aus Afghanistan, der in der Schreinerei des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur an den Überresten eines alten Möbelstückes feilt, das mit seiner Hände Arbeit zu einem neuen Möbelstück werden soll, sieht in seinem Blaumann so aus, als arbeite er schon länger hier. Tatsächlich gehört er zu den 22 Flüchtlingen, die in der vergangenen Woche ihren Dienst beim Diakoniewerk begonnen haben. „Ich lebe seit acht Monaten hier. In meiner Heimat war ich Tischler und würde auch hier gerne in meinem Beruf arbeiten“, erzählt der Mann aus Afghanistan dem Sozialdezernenten Ulrich Ernst. Der staunt nicht schlecht, dass dieser in so kurzer Zeit die schwere deutsche Sprache in einem ehrenamtlich erteilten Deutsch-Kurs erlernt hat. „Die Leute sind unheimlich froh und stolz, dass sie hier arbeiten können. Denn das ist für sie ein wichtiger Schritt nach vorne, der ihnen hilft, ihre Fluchterlebnisse hinter sich zu lassen“, weiß Sozialarbeiterin Andrea Reuschel. Zusammen mit acht Kollegen hat sie die arbeitswilligen und arbeitsfähigen Flüchtlinge  für die Stellen im Diakoniewerk ausgewählt.

„Besonders schön“ findet dessen Geschäftsführer Ulrich Schreyer, „dass die Mitarbeiter, die schon länger bei uns sind, die Neuankömmlinge nicht als Konkurrenten ansehen, sondern ihnen unaufgefordert bei den ersten Arbeitsschritten helfen.“ Man braucht nur in die Gesichter der Menschen schauen, die nach einer traumatischen Flucht aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Irak und Mali nach Mülheim gekommen sind und jetzt in der Schreinerei, in der Küche, in der Warenannahme, in der Schneiderei und in der Elektrowerkstatt des Diakoniewerkes arbeiten, um zu ahnen, was ihnen dieser erste Schritt ins deutsche Arbeitsleben bedeutet. „Sie sind unheimlich motiviert und sprechen zum Teil schon erstaunlich gut deutsch“, bestätigt Arbeitsanleiter Marcus Nolden. „Es kommt auf den Anfang an. Auch wenn nicht alle Hoffnungen erfüllt werden, wollen wir die Potenziale der Flüchtlinge nicht brachliegen lassen und sie erst dann fördern, wenn sie als anerkannte Asylbewerber in der Sozialhilfe angekommen sind“, unterstreicht Sozialdezernent Ernst.

„Hier entscheidet sich die Zukunft unserer Gesellschaft“, sagt der Chef des Diakoniewerkes mit Blick auf die Integration der bei uns bleibenden Flüchtlinge. Um so mehr ärgert er sich darüber, dass die 500 Millionen Euro, die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles jetzt für entsprechende Arbeitsgelegenheiten bereitgestellt hat, nur der ihr unterstellten Agentur für Arbeit zugutekommen.
„Es kann doch nicht sein, dass eine Kommune wie Mülheim solche Arbeitsgelegenheiten mit Bordmitteln finanzieren muss und von diesen Bundesmitteln überhaupt nicht profitieren kann.“

Laut Sozialdezernent Ernst sind die mit der Flüchtlingsversorgung verbundenen jährlichen Kosten seit 2012 von zwei bis drei auf jetzt 20 Millionen Euro angestiegen.

Zahlen & Fakten:

 In Mülheim leben zurzeit 3700 Flüchtlinge. Rund 2500 von ihnen sind in acht städtischen Unterkünften untergebracht, da ihr Asylanspruch noch geklärt werden muss. Das dauert derzeit im Durchschnitt rund sechs Monate. Das Diakoniewerk Arbeit und Kultur hat jetzt 30 freiwillige Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge bereitgestellt. Während das Diakoniewerk die fachliche und organisatorische Betreuung dieser Arbeitsgelegenheiten übernimmt, finanziert die Stadt aus ihrem Sozialetat den Stundenlohn von 1,05 Euro. Alle Flüchtlinge, die das Angebot der Arbeitsgelegenheit wahrgenommen haben, haben sich für den maximalen Umfang von monatlich 100 Stunden entschieden. Die Rechtsgrundlage der Arbeitsgelegenheiten bildet der § 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes.


Dieser Text erschien am 3. Mai 2016 in der NRZ und in der WAZ

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