Montag, 2. Mai 2016

Lernen am Fluß: Stefanie Krohn vom Haus Ruhrnatur bringt bei Führungen den Teilnehmern das Ökosystem Ruhr nahe. Dieses Mal ist sie mit einem Biologie-Grundkurs der Karl-Ziegler-Schule unterwegs

14 Karl-Ziegler-Schüler aus dem 11er Grundkurs Biologie sind alles andere als begeistert. Sie haben sich mit ihrem Lehrer Christoph Levenig um 10 Uhr im Haus Ruhrnatur versammelt und draußen regnet es in Strömen. Auf dem Stundenplan steht das Thema Gewässerökologie. Doch die Schüler sollen nicht aus Büchern, sondern aus der Natur lernen, angeführt von Stefanie Krohn. Sie müssen also raus vor die Tür, an und in die Ruhr.

Die freundlich-resolute Mitarbeiterin des Hauses Ruhrnatur lässt sich von der anfangs spürbaren Reserve der Schüler nicht beirren. Bevor sie Gummistiefel verteilt, fragte sie die Jugendlichen scheinbar unverfänglich: „Würden Sie das Umfeld der Ruhr als Natur bezeichnen?“ Die meisten ihrer Zuhörer und angehenden Mitläufer beantworten die Frage mit Ja. Sie finden. „Das sieht doch hier sehr schön und natürlich aus“, findet ein Schüler. Und seine Kurskollegin erinnert sich daran, „dass ich gehört habe, die Wasserqualität in der Ruhr soll  ganz gut sein.“ Letzteres bestätigt Krohn und lässt die Schüler dennoch unverblümt wissen: „Das, was Sie heute hier sehen, ist keine Natur im herkömmlichen Sinne, sondern eine Flusslandschaft, die der Mensch in den letzten 150 Jahren an seine Bedürfnisse angepasst hat.“ Und dann zeigt sie den Jugendlichen, die zum Teil an der Ruhr leben und manchmal sogar in der Ruhr schwimmen, an einem Bild-Beispiel vom Kocks Loch, wie eine halbwegs natürliche Flusslandschaft mit fließenden Übergängen zwischen Fluss und einer lockeren Uferbepflanzung aussehen könnte. Welch ein Unterschied zum ufernah bebauten Leinpfad. „So etwas würde man heute gar nicht mehr machen“, erzählt sie den Schülern mit Blick auf eine auch in deutsches Recht übertragene Wasserrahmenrichtlinie, die zumindest eine teilweise Renaturierung der europäischen Flusslandschaften vorsieht, um das Ökosystem wieder zu stabilisieren und auch der Hochwassergefahr vorzubeugen. Noch bevor die Exkursion in die Saarner Ruhrauen aufbricht, sorgt Krohn dafür, dass jeder Teilnehmer eine tragende Rolle bekommt. Eimer, Schalen,   Einmach-Gläser, Pinsel und Casher müssen mitgenommen werden, um die Kleinsttiere einzufangen, die da in der Ruhr schwimmen, und sie später im Haus Ruhrnatur unter dem Mikroskop zu analysieren und damit Rückschlüsse auf die Wasserqualität ziehen zu können.

Krohn zeichnet eine unaufdringliche Bestimmtheit aus. Mit der gelingt es ihr, beim Zwischenstopp am Klär- und Wasserkraftwerk Kahlenberg oder beim Kleinstier-Cashen an und in der Ruhr die Schüler in kleine Gespräche zu verwickeln. So schafft sie es,  ökologisches Wissen in der Diskussion statt im Vortrag zu vermitteln. Man merkt gleich, die natur- und sozialwissenschaftlich gebildete Frau führt nicht die erste Gruppe ins Ökosystem Ruhr.
„Es macht mir Freude, mich inhaltlich und sprachlich immer wieder auf neue Gruppen einstellen zu müssen“, erklärt Krohn den besonderen Reiz und die besondere Herausforderung ihrer Aufgabe. Kindergartenkinder, Grund- und Oberstufenschüler gehören ebenso zu ihrem Publikum wie Studenten. „Wir bieten fast jeden Tag zwei Exkursionen an und müssen trotzdem viele Anfragen ablehnen oder verschieben“, berichtet Krohn. Sie schätzt, dass mehr als die Hälfte der rund 30 000 Menschen, die das Haus Ruhrnatur jährlich besuchen, an Exkursionen und anderen Bildungsangeboten teilnehmen.
Nachdem die Karl-Ziegler-Schüler vom Halt am Kraftwerk Kahlenberg die Erkenntnis mitnehmen, wie man dort Wasser klärt und aus Wasser Strom macht, geht es am Saarner Ruhr-Auen-Ufer ans Eingemachte.

Hier scheiden sich die rückwärtigen Ufergänger von den mutig in die Ruhr steigenden Naturforscher und Entdecker, die in ihren Gummistiefeln nur wenige Meter von den irritiert vorbei schwimmenden Schwänen kleine Laven, Egel, Flusskrebse oder Muscheln einsammeln.
Biologielehrer Christoph Lewenig geht seinen Schülern mit gutem Beispiel voran und findet: „Das praktische Lernen in der Natur steigert die Motivation der Schüler, die sich hier als Teil einer ökologischen Artenvielfalt erleben und so ein ganz neues Bewusstsein  für ihre Umwelt bekommen, auf dem ich im Unterricht aufbauen kann.“

Und später beim Bestimmen und Analysieren der kleinen Ruhrbewohner, die nur unter dem Mikroskop mit einer bis zu 65fachen Vergrößerung zu sehen sind, erkennen die Jugendlichen wie von selbst, dass die Artenvielfalt in dem Fluss, der sich durch ihre Stadt schlängelt ein wichtiger Indikator für die Qualität des Wassers ist, aus dem auch ihr tägliches Trinkwasser gewonnen wird.
„Flusskrebse und Flussegel gab es vor 50 Jahren in der Ruhr gar nicht mehr. Dass sie nun zurückgekehrt sind, zeigt: Wir haben eine ganz gute Wasserqualität für den Fluss erreicht. Sie ist aber noch weiter ausbaufähig. Denn wir dürfen nicht vergessen, die Ruhr hat im Zuge ihrer wirtschaftlichen Nutzbarmachung 80 Prozent ihrer ursprünglichen Artenvielfalt verloren ,“ gibt Stefanie Krohn der Schülergruppe  an diesem Tag  zum Abschluss mit auf den Heimweg.

Dieser Text erschien am 30. April 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung.

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