Sonntag, 8. November 2015

Beutner spielte Beckett Und hielt seinem Publikum damit den Spiegel der Lebensträume vor: Mit Regisseur Jörg Fürst gelang dem Volxbühnen-Debütanten Andreas Beutner eine kleine und leise Inszenierung mit starkem Rhythmus

Szene-Foto Volxbühne: Andreas Beutner in Becketts "Das letzte Band"
Weniger ist mehr. Die Zuschauer der Volxbühne sehen es und sind begeistert. Mehr als 100 Zuschauer haben am Wochenende im Theaterstudio an der Adolfstraße Samuel Becketts „Das letzte Band“ gesehen.

Tenor des Publikumsgespräches: „Erstaunlich, wie man mit einem einzigen Schauspieler und einem minimalistischen Bühnenbild 55 Minuten Theater so kurzweilig und spannend gestalten kann.“

Andreas Beutner, der erst seit Jahresbeginn zum Ensemble um Jörg Fürst gehört, überzeugt als Krapp im clownesken Kostüm von Monika Odenthal und spielt einen alternden Mann, der Tonbänder abhört, auf denen er sein Leben aufgezeichnet hat. Immer wieder springt er von einer Spule zur nächsten. Da fliegen die Tonbandkartons und auch die Banane, mit der sich Krapp stärkt, im hohen Bogen auf den Bühnenboden.

Beutner stellt Krapp nicht nur dar. Wenn er im vor allem tiefschwarzen Bühnenraum um seinen Tisch herumtänzelt, auf dem seine Lebens-Bänder liegen, verkörpert der 65-Jährige Becketts tragig-komischen Solisten. Von einer Sequenz zur nächsten wird der Zuschauer auf die Folter gespannt. Man will es wissen. Zu welchem Ergebnis wird Krapp kommen, wenn er seine Momentaufzeichnungen aus verschiedenen Lebensphasen anhört? Immer wieder schüttelt Krapp alias Beutner seinen Kopf und rauft sich das licht gewordene Haar. Ein Leben voller Liebschaften und Leidenschaften rauscht mit seinen Höhen und Tiefen schemenhaft am Zuschauer vorbei. „Wie konnte ich nur so blöd sein“, hört man Krapp immer wieder sagen, egal, ob er auf seine Jugendzeit oder auf seine vermeintlich besten Jahre zurückschaut. „Ich habe meine Zweifel daran, ob Krapp am Ende irgendetwas dazu gelernt hat“, meint sein Darsteller Beutner im Publikumsgespräch. „Insofern ist das Stück für mich kein bisschen autobiografisch“, betont er.

Und dann schimmert im Publikumsgespräch doch noch etwas Biografisches hinter dem Schauspieler und seiner Figur hervor: Der Mann, der jetzt auf der Volxbühne Becketts skurrilen Mann mit den Tonbändern gibt, hat sein Berufsleben lang als Tonmeister beim Westdeutschen Rundfunk unter anderem auch mit Tonbändern gearbeitet.

„Ich fand das Stück schon amüsant, als ich es zum ersten Mal Mitte der 60er Jahre im Fernsehen sah. Solche Stücke liefen damals noch im Fernsehen“, erinnert sich der pensionierte Tonmeister mit der Passion fürs Theaterspielen.

„Meine unregelmäßigen Dienstpläne ließen das Theaterspielen nicht zu“, erklärt Beutner, warum er seine Leidenschaft, „sich als Theaterschauspieler unter professionellen Rahmenbedingungen auf der Bühne zu exponieren“, erst als Rentner ausleben kann.

Doch so ganz unbedarft kommt Beutner, der in Wuppertal lebt, aber jetzt täglich auf der Volxbühne in Mülheim probt und spielt, nicht daher. Denn schon während seines Berufslebens in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt hat er nach Feierabend in einer freien Theaterwerkstatt und bei einer freiberuflichen Spracherzieherin seine alte Leidenschaft über Jahrzehnte jung und lebendig erhalten. Denn anders als Becketts Krapp verleugnet und verhöhnt der 65-Jährige seine Jugendträume nicht, sondern macht sie im Rahmen seiner Möglichkeiten wahr.


Dieser Text erschien am 19. Oktober 2015 in der NRZ und in der WAZ

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