Ilse und Dietmar Hein betrachten Fotos aus ihrer alten Heimat |
Beiden sind die landschaftlichen Reize des Altvatergebirges und die dörfliche Nachbarschaft, in der Menschen mit deutschen, tschechischen und polnischen Wurzeln friedlich zusammengelebt hätten, noch sehr präsent. Doch die Weltpolitik wollte es anders und verschlug sie ins Ruhrgebiet.
70 Jahre später sagen sie: „Mülheim ist unser Zuhause. Hier fühlen wir uns wohl, aber unsere Heimat bleibt unsere Heimat.“ Als die Sudetendeutschen 1951 zu ihrem Landestreffen nach Mülheim einluden, glaubten die meisten Vertriebenen noch an die Rückkehr in ihre im Krieg verlorene Heimat. Mülheims damaliger Oberbürgermeister Heinrich Thöne, den die Sudetendeutschen zu ihrem Ehrenmitglied machten, forderte die alten Mülheimer aus dem Westen und die neuen Mülheimer aus dem Osten dazu auf, „das Weltgewissen für das Unrecht der Austreibung wachzuhalten“.
Erst in den 70er-Jahren waren die Heins so weit, dass sie als Besucher in die alte Heimat zurückkehren und dort den Menschen begegnen konnten, die jetzt in ihren Elternhäusern leben. Sie begegnen den Nachgeborenen aus Polen und Tschechien, die jetzt in ihrer alten Heimat zu Hause sind, ohne Groll. Aber im Gespräch merkt man: Die Vertreibung ist und bleibt eine Wunde, ein Bruch in ihrem Leben. „Wir fühlten uns damals schon wie vor den Kopf geschlagen und zurückgesetzt“, erinnert sich Ilse Hein an die Vertreibungs- und Fluchtjahre 1945/46. Unvergessen bleiben ihr Angst und Not, als ihr Elternhaus und der Gemischtwarenladen des Vaters plötzlich von Russen und Polen beschlagnahmt wurden, die dort lautstark ihren Sieg über Hitler feierten. Mit Mutter, Tante und Großmutter musste sich die damals 16-jährige Ilse im Wald und in einer Scheune vor Übergriffen der Soldateska vestecken. Später ging es zu Fuß und mit dem Güterzug in Richtung Westen. „Wir hatten alle Hunger und meine Großmutter wollte aus dem Zug springen“, erinnert sich Ilse Hein. Traumatisch erlebte sie die Monate in einem Flüchtlingslager in Wilhelmshaven, in dem die Landsleute aus dem Osten nicht willkommen, sondern nur notdürftig versorgt waren.
Wie sein späterer Schwiegervater kam Dietmar Hein direkt aus der Kriegsgefangenschaft in den Westen. Statt der Vertreibung hatte er bei den Franzosen die Zwangsarbeit kennen gelernt. Nach einem Intermezzo in Bayern und einer Ausbildung zum Export-Kaufmann fand er im Ruhrgebiet eine Anstellung und seine Jugendliebe Ilse wieder. Sie arbeitete inzwischen als Schneiderin für eine Essener Modefirma. Als sie 1952 mit Glück eine kleine Wohnung an der Mülheimer Stadtgrenze fanden, bekamen sie schon so etwas wie den Neid der noch wohnungssuchenden Nachbarn und Kollegen zu spüren.
„Ich kann aber nicht sagen, dass wir diskriminiert worden sind. Unsere Herkunft spielte so gut wie nie eine Rolle. Die meisten Leute, die wir hier trafen, waren sehr nett zu uns“, erinnert sich Dietmar Hein.
Doch Hein macht sich keine Illusionen: „Anders als die heutigen Flüchtlinge kamen wir damals von Deutschland nach Deutschland. Wir sprachen die selbe Sprache und hatten die selbe Religion. Deshalb bekamen wir auch über die Arbeit, die Kirchengemeinde und Vereine schnell soziale Kontakte zu den Einheimischen.
Dieser Text erschien am 7. November 2015 in der NRZ und in der WAZ
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