In Nordrhein-Westfalen haben wir in diesem Jahr
gleich zweimal die Wahl. Am 14. Mai wählen wir den Landtag und am 24. September
den Bundestag. Hat die Wahl im Land auch eine Signalwirkung für die
Entscheidung auf der Bundesebene?
Darüber diskutierten jetzt der Journalist Richard Kiessler
und der Politikwissenschaftler Andreas Blätte in der Katholischen Akademie mit
rund 100 interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Akademiedonzent und Moderator
Tobias Henrix erinnerte an das Doppelwahljahr 2005, als die SPD-Niederlage im
bevölkerungsreichsten Bundesland NRW das Ende der Kanzlerschaft des
Sozialdemokraten Gerhard Schröder einleitete. Integration, Schuldenbremse und
Strukturwandel seien nicht nur in NRW ein Thema.
„Ist unsere Demokratie noch stabil?“ „Kann ich überhaupt
wissen, was und wen ich am Ende wähle, wenn ich meine Stimme abgebe?“ „Warum
schaffen es die steuerfinanzierten Parteien nicht, ihre Politik besser zu
erklären?“ „Womit werden wir in Zukunft unseren wirtschaftlichen Wohlstand
erwirtschaften?“ Das waren Fragen aus dem Publikum, mit denen sich der
langjährige Spiegel-Korrespondent und NRZ-Chefredakteur und der
Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen konfrontiert sahen.
Politik-Professor Blätte sieht Union und SPD bei jeweils 30
und die Grünen und die AFD bei 10 bis 11 Prozent sowie Linke und FDP bei 5 bis
6 Prozent. Vor diesem Hintergrund rechnet er eher mit einer Dreier-Koalition
oder einer Minderheitsregierung als mit der Fortsetzung der Großen Koalition. „Es
besteht natürlich immer die Möglichkeit einer Großen Koalition. Aber man kann
ein Bündnis aus SPD und Union nicht lieben, weil es die politischen Ränder
stärkt“, betonte Blätte. Angesichts der Erfahrungen in Skandinavien und im NRW der Jahre 2010 bis 2012 sieht der
Politikwissenschaftler die Option einer Minderheitsregierung nicht als
Schreckgespenst. Er weist darauf hin, dass sie an Rhein- und Ruhr den
Schulkonsens und den Stärkungspakt für die Kommunalfinanzen zustande gebracht
hat.
„Unsere Demokratie ist stabil, auch wenn wir heute mehr um
sie kämpfen müssen, als früher“, gab Richard Kiessler zu bedenken. Mit Blick
auf die Wirtschaft machte er klar: „NRW hat nur als Industrieland mit einer
starken digitalen Infrastruktur eine gute Zukunft. Und der Energieversorger RWE
muss jetzt ein neues Geschäftsmodell entwickeln.“ Für die FDP wird die
Landtagswahl aus Kiesslers Sicht „zur Startrampe für die Bundestagswahl, auf
der sich entscheidet, ob sie den Wiedereinzug in den Bundestag schafft oder
politisch erledigt ist.“ Blätte sieht für die Liberalen vor allem in den Themen
Digitalisierung und Förderung von Start-Up-Unternehmen gute
Profilierungschancen.
Während der Journalist Kiessler unterstrich, „dass die
wirtschaftliche Lage in NRW und in Deutschland besser seien, als die Stimmung“,
formulierte ein Duisburger Arzt seinen Eindruck, „dass halb Thyssen die AFD
wählt, weil sich die Menschen dort abgehängt fühlen.“ Kiessler sieht hier,
angesichts einer „latenten Merkel-Müdigkeit“ eine Chance für den SPD-Kanzlerkandidaten
Martin Schulz und seine Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit. Der Kommentar
eines Zuhörers fiel da ernüchternd aus; „Die Sozialdemokraten kündigen mehr an,
als politisch einhalten.“
Einig waren sich der Politikwissenschaftler und der politische
Journalist darin, dass der CDU-Oppositionsführer Armin Laschet „als
integrationsfreundlicher Mann der katholischen Soziallehre“ und
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als „vorsorgende Sozialpolitikerin“
politisch nicht weit voneinander entfernt seien. Doch eben diese Nähe sieht
Kiessler auch als Problem, „weil Laschet im Ungefähren bleibt und Kraft mit
ihrer langfristig wirkenden Sozial- und Bildungspolitik keine kurzfristigen
Erfolgsgeschichten vorweisen kann.“ In diesem Zusammenhang wurde unter anderem
die noch offene Baustelle der Schulinklusion genannt.
Kiessler räumte ein, „dass Merkel international eine gute
Figur abgegeben hat“ und Innenminister Ralf Jäger und mit ihn die SPD in NRW
durch den Fall des Berliner Attentäters Amri belastet werde. Andererseits hielt
der Journalist Jäger zugute, „dass er die Polizei in NRW personell deutlich
aufgestockt hat.“
Dieser Text erschien am 18. februar 2017 im Neuen Ruhrwort
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen