Tom Nutt ist Labour-Stadtrat in Darlington und Vorsitzender der Twin-Town-Association |
In der nordenglischen Partnerstadt war die Zustimmung zum Brexit noch deutlicher als im Landesdurchschnitt. Stimmten auf der nationalen Ebene 51,9 Prozent für den Brexit, so waren es in Darlington sogar 56,2 Prozent. Entsprechend geringer, 43,8 statt 48,1 Prozent, fiel der Anteil der Befürworter einer britischen EU-Mitgliedschaft aus. Insgesamt rund 55 000 Darlingtoner beteiligten sich am Referendum, wobei das Brexit-Lager einen Stimmenvorsprung von rund 6000 Stimmen einfuhr. Auch der Anführer der Brexit-Befürworter, Boris Johnson (siehe Foto unten) hatte in Darlington für einen EU-Austritt geworben. „Ich kann nur hoffen, dass Leute wie Boris Johnson oder Nigel Farrage von der rechten UKIP-Party nicht den zukünftigen politischen Kurs bestimmen werden“, sagt eine Waliserin, die seit 1965 in Mülheim lebt. Und Tom Nutt stellt fest: „Ich bin angesichts des Resultats entsetzt. Ich habe viele Jahre für bessere Beziehungen zu Deutschland, Frankreich, Polen und Italien gearbeitet. Und ich kann nur hoffen, dass unsere Freunde unsere Freunde bleiben werden. Ich glaube, das Ergebnis war keine Abstimmung gegen Europa, sondern gegen die Politik der britischen Regierung, von der sich vor allem viele Arbeitnehmer sozial abgehängt fühlen.“ Nutt fürchtet, dass sich Schottland und Nordirland jetzt von England abwenden und eine eigenständige Mitgliedschaft in der EU anstreben könnten.
Der Vorsitzende des Mülheimer Städtepartnerschaftsvereins, Gerhard Ribbrock, geht derweil davon aus, „dass der Brexit vielleicht Auswirkungen auf den Wechselkurs zwischen Euro und Pfund haben wird“. Er sieht aber keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Städtepartnerschaft mit Darlington: „Der Brexit ist höhere Politik. Damit haben wir nichts zu tun. Für uns steht auch bei unserer nächsten Bürgerfahrt nach Darlington, im Juni 2017, die Begegnung der Menschen im Vordergrund“, sagt Ribbrock.
Doch sein für Darlington zuständiger Stellvertreter Manfred Krister warnt vor negativen Auswirkungen des Brexits. Er fürchtet, dass es künftig deutlich weniger Gelder für Schüler- und Studenten-Begegnungen mit Großbritannien gibt.
Die Jugend wird zu leiden haben
„Ich bin sehr enttäuscht, zumal ich in den letzten Tagen doch auf ein anderes Ergebnis gehofft hatte. Ich komme ursprünglich aus Milton-Keens, nördlich von London, und lebe seit 1981 in Mülheim. Wenn ich heute noch in England leben würde, würde ich mir ernsthafte Sorgen um meine Zukunft machen. Denn ich befürchte, dass nach dem Brexit in Großbritannien viele Arbeitsplätze verloren gehen, und das nicht nur in London.“ Deborah Wosmann
„Der Brexit wird negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen haben. Ich glaube allerdings geringere auf dem Kontinent als auf der Insel. Was mich daran besonders ärgert, ist der fatale Ausblick in die Zukunft für die jungen Briten. 80% der 18- bis 24-Jährigen sind für den Verbleib in der EU, wohingegen 63% der über 65-Jährigen mit ,Leave’ gestimmt haben. Ihr Motiv: Früher war es besser.“ Hanns-Peter Windfeder, Unternehmer
„Ich bin schockiert. Nach dem, was mir meine englischen Freunde gesagt hatten, hatte ich auf einen knappen Sieg des Remain-Lagers gehofft. Vor allem die jungen Briten, die mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt haben, werden unter den wirtschaftlichen Folgen des Brexits leiden. Es ist schlimm, dass eine gute Entwicklung so kaputt gemacht wird.“ Manfred Krister
Welche Folgen hat der Brexit für die Wirtschaft?
Auch in Mülheims nordenglischer Partnerstadt Darlington, die seit 1953 mit Mülheim verbunden ist, konnte Londons Ex-Oberbürgermeister Boris Johnson offensichtlich punkten.
Der Chef der örtlichen Agentur für Arbeit, Jürgen Koch, sieht im Abstimmungserfolg der Brexit-Befürworter „ein schlechtes Zeichen“. Angesichts einer stabilen Binnennachfrage und nicht allzu ausgeprägter Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien sieht er keine akuten Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt. Auch weist er darauf hin, dass es mit Nicht-EU-Mitgliedern, wie der Schweiz oder Norwegen, gut funktionierende Abkommen gebe, die die Freizügigkeit der im jeweils anderen Land tätigen Arbeitnehmer ausreichend regele. Doch die müssen erst ausgehandelt werden.
„Der Brexit ist eine äußerst schlechte Nachricht für die Wirtschaft in der Region Mülheim-Essen-Oberhausen“, sagt dagegen der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Gerald Püchel. Laut IHK konnten mehr als 200 Unternehmen der Region allein 2015 Waren im Wert von über 800 Millionen Euro nach Großbritannien exportieren. Exportiert wurden vor allem Produkte aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie.
Dieser Beitrag erschien als Themenseite am 25. Juni 2016 in NRZ/WAZ
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