Dienstag, 1. Juni 2010

Was Mülheimer zum überraschenden Rücktritt des Bundespräsidenten sagen

Als Horst Köhler vor sechs Jahren zum Bundespräsidenten gewählt wurde, fragte eine deutsche Zeitung: „Horst, wer?“ Gestern fragten viele Bürger: „Horst Köhler, wie bitte?“ Die Nachricht vom Rücktritt des Bundespräsidenten kam manchem Mülheimer wie ein April-Scherz vor. Bei einer Umfrage, die ich für die NRZ durchführte, zeigten sich viele überrascht, dass sich das Staatsoberhaupt wegen der scharfen Kritik an seiner umstrittenen Interview-Äußerung, Deutschland müsse mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen, jetzt zum Rücktritt genötigt sah. Einige Befragte können sich jetzt eine Frau, wie die zuletzt unterlegene Sozialdemokratin Gesine Schwan im Bundespräsidialamt vorstellen.

„Ich kann doch nicht immer gleich zurücktreten. Ich muss doch Verantwortung für das übernehmen, was ich tue und sage“, kommentiert Psychologin Brigitte Vahsen (62) Köhlers Rücktritt und betont: „Wenn er die Reaktionen auf seine Äußerungen als belastend und unangemessen empfindet, kann er sich doch erklären und Stellung dazu beziehen. Entweder habe ich eine Autorität, die ich in mir spüre oder ich habe keine.

“Zeitungsfrau Dorothea Schaaf (53) will sich noch einmal Köhlers Begründung und sein umstrittenes Interview anhören, ehe sie sich eine endgültige Meinung bildet. „Irgend etwas muss da gewesen sein, was ihn so getroffen hat, dass er sich gesagt hat; Jetzt ziehe ich einen Schlussstrich“, vermutet sie und kommt zu dem Ergebnis: „Es wird nicht langweilig in der Politik.“

Agnes Maestrini (67) hat Verständnis für Köhlers Schritt und vergleicht ihn mit dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann: „Wenn sich ein Bundespräsident zu Dingen äußert, zu denen er sich in seinem Amt politisch nicht äußern darf, dann ist das richtig und eine gute Konsequenz, ehe man gegangen wird.“

Hermann Ocklenbug (74) schließt sich der Kritik an Köhlers Interwieäußerungen an und hält seinen Rücktritt deshalb für gerechtfertigt: „Kennt der die Verfassung nicht?“ fragt er und führt aus: „In der Verfassung steht: Die Bundeswehr ist nur zur Selbstverteidigung unseres Landes gegründet worden und nicht, um in anderen Ländern Krieg zu führen.“„Als Bundespräsident müsste er etwas mehr Kritik vertragen können“, meint Helmut Schiemann (66) und mutmaßt: „Vielleicht hat er es in Verbindung mit seiner Familie getan und wird seine Gründe dafür haben.“ Als so gravierend empfand er die Kritik am Bundespräsidenten aber nicht, dass dieser aus seiner Sicht hätte zurücktreten müssen.

„Ich bin sehr betroffen“, reagiert Stadtbibliothekarin Claudia vom Felde (50) auf den Köhler-Rücktritt und meint: „Sonst ist er ja nicht so schnell in seinen Entschlüssen, von Aussagen zurückzutreten, die er getroffen hat. Ich hoffe, er überlegt es sich noch mal. Staatsoberhäupter sollten sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen.“ „Der Rücktritt war viel zu schnell. Er hätte nicht zurücktreten müssen“, findet Annemarie Ponten (60) und erklärt: „Man kann das doch erklären, wie man das gemeint hat.“ Marina Siebert (54) kann Köhlers Entschluss nicht nachvollziehen und glaubt an eine „Kurzschlusshandlung.“

„Ich kann nicht glauben, das das der eigentliche Grund war. So kritisch waren seine Äußerungen nicht, dass sie einen Rücktritt hätten nach sich ziehen müssen. Da hätte schon viel mehr passieren müssen“, meint Verwaltungsmitarbeiterin Yvonne Brach (36) und fügt hinzu: „Köhler ist doch gerade erst wiedergewählt. Er hat doch kein politisches Erdbeben ausgelöst und ist ein friedliebender Mensch.“ Der Rücktritt Köhlers bestärkt den 57-jährigen Programmierer Karl-Heinz Schröer , dass er als Bundespräsident nicht geeignet gewesen sei. Schon als Finanzstaatssekretär, so Schröer, sei Köhler zum Internationalen Währungsfonds nach Amerika weggelobt worden. Dort hätte man ihn nach seiner Ansicht auch besser lassen sollen, als ihn als Bundespräsident nach Deutschland zurückzuholen.

Ausgesprochen traurig über Köhlers Rücktritt, den er nicht für angemessen hält, ist der 80-jährige Günter Held , der den Bundespräsidenten „wegen seiner Geradlinigkeit, Offenheit und Genauigkeit, mit der er Themen und Probleme verfolgt hat“ immer sehr geschätzt hat. „Ich hätte meine Aussagen vielleicht abgemildert, wäre aber nicht zurückgetreten“, versetzt sich Held in Köhlers Situation. „Köhler hat doch immer nur Wahrheiten ausgesprochen, die jeder kennt. Aus meiner Sicht hätte er nicht zurücktreten müssen“, kommentiert die 71-jährige Hannelore Bovermann den ersten Rücktritt eines Bundespräsidenten.Der arbeitssuchende Krankenpfleger Andre Wiesemann (46) hält zwar nichts vom Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan, empfindet die Kritik an Köhlers Interviewäußerungen aber auch als „heuchlerisch“, weil er „nur das klar ausgesprochen hat, was jeder weiß.“ Erzieherin Menekse Akdag (41) hält Köhlers Rücktritt für überzogen, auch, wenn sie den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnt und jetzt auf eine Bundespräsidentin hofft.

Dieser Text erschien am 1. Juni 2010 in der NRZ

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