Dienstag, 8. Juni 2010

Was Mülheimer Meinungsführer zum Berliner Sparparket sagen

Deutschland sitzt auf einen Schuldenberg von derzeit rund 1,7 Billionen Euro, der nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler sekündlich um 4481 Euro wächst. Zeit ist Geld. Deshalb hat sich die Bundesregierung jetzt die Zeit für eine Klausur genommen um ein Sparpaket zu schnüren. Für die NRZ befragte ich Mülheimer Meinungsführer aus verschiedenen Bereichen der Bürgerschaft dazu, in welchen Bereichen sie Einsparungen für sinnvoll oder für kontraproduktiv halten.

„Es ist richtig zu erkennen, dass Sparen drin sein muss, wo Sparen drauf steht“, schreibt Unternehmerverbandspräsident Hanns Peter Windfeder Politikern in Mülheim und Berlin ins Stammbuch. Wohlstand und Zukunft kann unsere Gesellschaft in seinen Augen nur gewinnen, wenn die Politik den Mut zu Einsparungen und Bürokratieabbau hat und nicht in Steuererhöhungen flüchtet, um steigende Staatsausgaben zu finanzieren. Zu Details des Berliner Sparpaketes möchte er sich nicht äußern, findet es aber mit Blick auf die Zukunftsperspektiven unseres Landes gut, „dass Bildung und Forschung beim Sparen außen vor bleiben.

“Ganz anders sieht das die Geschäftsführerin der Vereinigten Dienstleitungsgewerkschaft Verdi Henrike Greven : „In der Krise darf man nicht sparen. Erst wenn der Wirtschaftsaufschwung geschafft ist, kann man überlegen, wo sich etwas einsparen lässt“, betont sie. Statt auf Einsparungen zu setzen, „die vor allem die normalen Bürger schädigen“, rät sie dem Staat durch einen Finanzmarkttransaktionssteuer, eine Vermögenssteuer, sowie Erbschaftssteuern sein Einnahmeproblem zu lösen. Einen Verbündeten findet Greven mit dieser Ansicht im Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt , Lothar Fink. Mit einem Sparpaket in der Wirtschaftskrise setzt die Bundesregierung nach seiner Ansicht „den falschen Akzent“ und trifft „die Menschen, die ohnehin schon knapp bei Kasse sind.“ Seine Furcht ist, dass sich die Schere zwischen Armen und Reichen weiter öffnet. Fink fürchtet um den Massenkonsum und damit um den Wirtschaftsaufschwung, der neues Steuergeld in die Staatskassen bringen würde. Geld könnte der Bund, so Fink, auch durch eine Börsenumsatz- und eine Vermögenssteuer, ein Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers und eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf die noch unter der Regierung Kohl geltenden 53 Prozent in Staatskassen bringen.

Die Leiterin der Evangelischen Familienbildungsstätte, Annette Sommerhoff findet es gut, dass im Bereich Bildung nicht gespart werden soll. Die Kürzungen beim Elterngeld kann sie nicht verstehen, nachdem man diese Leistung erst 2007 eingeführt habe. Zukunft hat unsere Gesellschaft nach in ihren Augen nur, wenn sie nicht weniger, sondern mehr in die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur investiert, die Familien und Kindern „die Möglichkeit gibt ihren Alltag sinnvoll zu organisieren und sich weiterzuentwickeln.“ Einsparungspotenzial sieht sie vor allem bei der Rüstung. Die Leiterin des Jugendzentrums Leybank, Lisa Freymann, möchte „auch die Banken mit im Boot und in die Pflicht genommen sehen“, die sich nach ihrer Ansicht „zu sehr verselbstständigt haben.“ Die Einführung einer Vermögens- und einer Finanztransaktionssteuer wären für sie ein Weg zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, die nicht weiter auf Kosten der Leistungsträger in der Mittelschicht gehen dürfe.

„Ich habe da keine 100-prozentige Antwort“, gibt Stadtdechant Michael Janßen auf die Frage nach der Rettung der Staatsfinanzen zu. Nur ganz grundsätzlich weiß er: „Es dürfen nicht die Ärmsten der Armen betroffen sein. Es sollen die helfen, die helfen können und die Einsparungen auch ertragen können.“ Deshalb könnte der katholische Stadtpfarrer eher mit der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Einführung einer Vermögenssteuer statt mit Sozialkürzungen bei Hartz-IV-Empfängern leben. Janßens evangelischer Kollege im Pfarramt, Michael Manz von der Heißener Friedenskirche kritisiert: „Es wird mal wieder vor allem bei den kleinen Leuten gekürzt.“ Er gibtden Bundeshaushältern unter anderem folgende Spartipps: Kürzung von Ministerpensionen und der Bezüge des zurückgetretenen Bundespräsidenten, Abschaffung der Wehrpflicht und Kürzung der staatlichen Repräsentationskosten auf allen Ebenen, weniger Bundesländer und damit verbunden auch weniger Kosten für Landesregierungen und Landesverwaltungen. Grundsätzlich möchte Manz lieber Spitzenverdiener und Spekulanten als Arbeitslosengeld-II-Empfänger an der Aufbesserung der Staatskasse beteiligt sehen.

Zu Einsparungspotenzialen in anderen Bereichen möchte sich der Chef der Sozialagentur, Matthias Spies , nicht äußern, macht aber keinen Hehl daraus, dass er die Kürzungen der Mittel für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gerade in der Wirtschaftskrise für kontraproduktiv hält. „Die Politik muss sagen, wie sie sich eine sinnvolle Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorstellt“, fordert Spies angesichts eher steigender als sinkender Fallzahlen. „Das ist doch eine sinnvolle Sache, die wir hier nicht zum Zeitvertreib machen“, kritisiert er die geplante Kürzung der Eingliederungshilfen für Arbeitslose, die seine Behörde „immer zielgerichtet, wirtschaftlich und sparsam“ einsetze.Auch der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, Hartwig Kistner, empfindet die geplanten Kürzungen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik „als besorgniserregend“, obwohl er einräumt, dass sich kein Bereich „Sparaufgaben verschließen kann.“ Gerade in der Krise bei Programmen zu sparen, die Arbeitslosen wieder eine Jobperspektive bieten, sieht Kistner nicht nur als unsozial, sondern auch als kontraproduktiv an. Durch das ständige Hin und Her sieht Kistner sowohl bei der Arbeitsmarktförderung als auch beim Elterngeld keine Einsparungen, sondern immer neue Verwaltungskosten, die durch die ständige Änderung der Verfahrensregeln provoziert würden. Seine katholische Amtskollegin Regine Arntz von der Caritas findet es „ganz fatal, beim Sparen ganz unten anzufangen und damit Familien zu treffen, die mit ihrem Geld sowieso nicht auskommen.“ Viel Geld einsparen ließe sich, laut Arntz, wenn der Staat den Hinweisen des Steuerzahlerbundes und der Rechnungshöfe nachginge und alle staatlichen Investition und Subventionen auf ihre Effektivität und Sinnhaftigkeit überprüfen würde: „Der Staat muss eine Prioritätensetzung im Sinne und Interesse der Menschen in unserem Land vornehmen. Das wäre mal wieder dran“, meint Arntz.

Zum verminderten Mehwertsteuersatz für seine Branche möchte sich Hotelier und Gastronom Martin Hesse vom Handelshof gar nicht äußern. „Das hat uns nur Ärger und Diskussionen, aber keinen Kunden mehr gebracht“, weiß Hesse zu berichten. Was ihn an den Berliner Sparvorschlägen positiv überrascht ist die Tatsache, dass der Bund auch in seiner eigenen Verwaltung sparen will und die Normal- und Kleinverdiener vorerst nicht mit neuen Steuern belastet. Dem politischen Spitzenpersonal der Bundesrepublik empfiehlt er, mit dem Sparen voranzugehen, wenn es etwa um all zu üppige Ministerpensionen, Staatskarossen und Staatsbankette geht.

Dieser Text ist am 8. Juni 2010 in der NRZ erschienen

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