Freitag, 18. Juni 2010

Rückblick: Vor 65 Jahren wird Mülheim Teil der britischen Besatzungszone

Vor wenigen Tagen ist der zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler in Berlin mit einem Großen Zapfenstreich aus seinem Amt verabschiedet worden. Einen großen Zapfenstreich können die Mülheimer nach dem Krieg aus nächster Nähe beobachten, wenn die Soldaten der britischen Rheinarmee auf dem Rathausmarkt aufmarschieren. Bis heute erinnern die Liverpoolstraße und der Shakespeare-Ring im Wohnpark Witthausbusch daran, dass dort bis 1994 britische Soldaten stationiert waren. Sie gingen als Freunde, aber sie kamen am 18. Juni 1945 als Sieger in die Stadt, die vor 65 Jahren Teil der britischen Besatzungszone wurde, nachdem sie am 11. April 1945 zunächst von amerikanischen Truppen eingenommen worden war.

„Engländer besetzen das Ruhrgebiet“, verkündet die von der Militärregierung herausgegebene Ruhr Zeitung bereits am 16. Juni 1945. Und in der nächsten Ausgabe des Mitteilungsblattes wird die Bevölkerung am 23. Juni 1945 aufgefordert: „Schafft Nahrung für den Winter: Die Engländer helfen euch.“ Die britische Militärregierung drängt darauf, dass jeder dafür geeignete „freie Quadratmeter besät und bestellt wird“, damit man dem allgegenwärtigen Hunger Herr werden kann.Lebensmittel und Bedarfsgüter sind damals nur auf Karten erhältlich und straff rationiert. Im Mai und Juni 1945 stehen pro Person und Monat gerade einmal 1500 Gramm Brot zur Verfügung. Schwerstarbeiter, ehemalige Zwangsarbeiter und werdende Mütter bekommen Sonderrationen. Auch der Wohnraum ist knapp. 70 Prozent der Häuser gelten als beschädigt und zehn Prozent als zerstört. Weil die Bevölkerung nach dem Kriegsende schneller wächst als der zur Verfügung stehende Wohnraum, greifen die Briten auch zu freiwilligen Evakuierungsmaßnahmen, um Menschen in ländlicheren Regionen ein Obdach für den Winter zu verschaffen.

800 000 Kubikmeter Trümmerschutt lagern auch Mülheims Straßen. Der Wiederaufbau geht nur langsam voran. Auch deshalb führt der britische Stadtkommandant eine Arbeitspflicht für alle Männer zwischen 16 und 65 und alle Frauen zwischen 16 und 45 ein. Weil der Brennstoff für den Winter knapp wird, erlauben die Briten im Oktober 1945, Bäume in Parks und Wäldern zu fällen, um aus ihnen Brennholz zu machen.

Nachdem zunächst alle öffentlichen Versammlungen, mit Ausnahme von Gottesdiensten, verboten sind, erlaubt die Militärregierung, im August 1945 die Gründung von Gewerkschaften und im September die Gründung von Parteien. Doch der Weg zur Demokratie ist steinig. Er führt etwa über Entnazifizierungsverfahren. Bis Anfang 1946 verlieren 119 Beamte, 95 Angestellte und 62 Arbeiter in der Stadtverwaltung ihren Job, weil sie Mitglied der NSDAP waren. Aus dem gleichen Grund werden auch 83 Lehrer entlassen. Im August 1945 beruft die Militärregierung einen ersten Bürgerausschuss, der die Stadtverwaltung beraten und unterstützen soll. Gewählte Stadtvertreter und eine von den Briten lizenzierte Lokalpresse, zu der auch die NRZ gehört, wird es erst im Laufe des Jahres 1946 geben.

Dieser Text erschien am 18. Juni 2010 in der NRZ

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