Mittwoch, 23. Juni 2010

Portrait: Vom Verkäufer zum Priester: Der lange Weg des Thomas Fahle


Thomas Fahle ist Praktikant. Ungewöhnlich mit seinen 47 Jahren. Der Mann ist in einer beruflichen Umorientierung. Der gelernte Verkäufer und Handelsbetriebswirt will katholischer Priester werden. Wie das geht, hat er theoretisch bereits an der Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum studiert. Jetzt ist die Praxis dran. Und die studiert Fahle, der 2011 zum Diakon und 2012 zum Priester geweiht werden will, jetzt für ein Jahr in der Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt.

Der Mann, der in seinem ersten Berufsleben Fernsehgeräte und Hifi-Anlagen verkaufte, will jetzt die Frohe Botschaft verkünden. „Ich arbeite gerne mit und für Menschen“, schlägt Fahle eine Brücke von seinem ehemaligen zu seinem zukünftigen Beruf. „Früher war auch eine persönliche Beratung gefragt. Inzwischen ist die Konkurrenz viel größer geworden und es geht nur noch ums Geldverdienen. Das konnte ich nicht mehr mit meinem Menschenbild vereinbaren“, erklärt Fahle, warum er seinem alten Berufsleben im Handel ade gesagt hat. „Guck doch mal, ob du nicht etwas findest, das besser zu dir passt“, hatte ihm eine Kollegin geraten.Vielleicht wäre er schon früher Priester geworden. Denn Fahle kommt aus einem katholischen Elternhaus in Paderborn, ging voller Begeisterung für die katholische Liturgie schon mit sechs Jahren zur Heiligen Erstkommunion und später zu den Messdienern. Doch dann kam ihm der Tod seines Vaters dazwischen. Da war er gerade elf Jahre alt. „Das war für mich ein Bruch, der mich aus der Bahn geworfen hat“, erinnert sich Fahle.

Plötzlich hatte er mit Glauben und Kirche nicht mehr viel am Hut. Er machte seinen Hauptschulabschluss und ging nach einer Verkäuferausbildung in den Handel.Doch mit Mitte 20 merkte er, „dass mir etwas fehlt, das mein Leben sinnvoll macht und mir auch in kritischen Situationen Halt gibt.“ Das war die Zeit, als Fahle mit Hilfe vieler Gespräche und der Lektüre theologischer Bücher seinen verschütteten Glauben wieder freilegte. Als Wegbegleiter und Lotsen fand er Franziskanerpatres in seiner Heimatstadt Paderborn und später den Pastor der Duisburger Karmelkirche, Pater Hermann Olthof. Wie sie „sehr authentisch von Gott sprachen, in dem sie auch Alltagsprobleme und ihre eigene Biografie in ihre Predigten einbauten und in großer geistiger Offenheit auf Menschen zugehen“, hat sein Priesterbild geprägt. So inspiriert folgte Fahle seinem Grundsatz: „Ich liebe Herausforderungen. Stehen bleiben ist für mich ganz schlimm.“ Er holte am Bischöflichen Abendgymnasium sein Abitur nach, um anschließend Theologie zu studieren. Er begann nach alltäglichen Spuren Gottes zu suchen. Als ehrenamtlicher Helfer engagierte er sich neben seinem Beruf in der Pfarrcaritas der Duisburger Karmelgemeinde und bei der Oberhausener Bahnhofsmission. Diese Erfahrung machte ihn sensibel „für das, was Menschen brauchen“ und dafür, „dass viele Menschen in unserer Gesellschaft isoliert und abgehängt sind.“

Dort lernte er das, was ihm auch jetzt als Priesteramtspraktikanten in St. Mariae Geburt in Unterricht- Tauf- Ehevorbereitungs oder Trauergesprächen hilft. „Glauben und Kirche sind mehr als Moraltheologie. Es gibt mehr im Leben als nur ein Ja oder Nein.“ Fahle hat erfahren, dass man sich als Priester vor schnellen vorgefertigten Antworten hüten und im Zweifel auch das Schweigen aushalten muss. Die Tatsache, dass seine Kirche derzeit finanziell und moralisch in der Krise steckt, ändert für ihn nichts daran, „dass die Kirche den Menschen etwas zu bieten hat, was ihnen gut tut“, nämlich Sinn, Halt und Gemeinschaft. Die Missbrauchsfälle im Priesteramt sind für Fahle Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems, „das nicht repräsentativ für das ist, was Kirche leistet und ist.“ Auch wenn er die Kirche derzeit in einer moralischen Glaubwürdigkeitskrise sieht, hat er die Hoffnung, „dass die Kirche gestärkt aus der Krise hervorgehen kann, wenn sie offen mit dem Problem umgeht und alle Fälle konsequent aufarbeitet.“

Auch die finanzielle Strukturkrise mit weniger Kirchensteuereinnahmen, Kirchen und mehr Großgemeinden, sieht der angehende Priester als Chance für eine Erneuerung. Deshalb kam der Mann aus Paderborn, der seine Diplomarbeit über die niederschwellige City-Pastorale, geschrieben hat, auch ins Ruhrbistum, „weil hier vieles im Aufbruch ist und neu gedacht werden muss.“ Die Zukunft seiner Kirche sieht Fahle weniger in Gebäuden und Institutionen als in der durch Begegnungen und Beziehungen gelebten Gemeinde.Und was sagt der 47-jährige Gottesmann zum Zölibat? Fahle, der bereits in Beziehungen gelebt hat und die Gründung einer Familie für sich nie ausgeschlossen hatte sagt: „Das ist für mich eine sinnvolle Lebensform und eine Entscheidung, zu der ich stehe.“ Dabei helfe ihm, wie in der Seelsorge, seine Lebenserfahrung.

Dieser Text erschien am 23. Juni 2010 in der NRZ

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